Alexander Dumas d. Ä.
Die Fünfundvierzig
Alexander Dumas d. Ä.

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Gaskognersilhouetten.

Trotz der Diskretion, die ihr auferlegt war, und die sie versprochen hatte, konnte es Frau Fournichon nicht unterlassen, einen Soldaten, den sie vorübergehen sah, nach dem Namen des Kapitäns zu fragen, der die Übung abgehalten.

»Ei,« antwortete der Gefragte, »es ist niemand anders als der Herzog Nogaret de la Valette d'Epernon, Pair von Frankreich, General-Oberster der Infanterie des Königs, und etwas mehr König, als seine Majestät selbst.«

Man kann sich nun denken, mit welcher Ungeduld der 26. Oktober erwartet wurde. Am 25. abends trat ein Mann mit einem ziemlich schweren Sack ein, den er auf den Schenktisch legte. »Das ist der Preis für das auf morgen bestellte Mahl,« sagte er.

»Zu wieviel den Kopf?« fragten gleichzeitig die beiden Ehegatten. – »Zu sechs Livres.«

»Die Landsleute des Kapitäns werden also nur ein einziges Mahl hier einnehmen?« – »Ein einziges.«

»Der Kapitän hat also eine Wohnung für sie gefunden?« – »Es scheint.«

Trotz der Fragen des Rosenstocks und des Schwertes entfernte sich der Bote ohne weitere Auskunft.

Endlich ging die Sonne über den Küchen des kühnen Ritters auf. Es hatte halb ein Uhr bei den Augustinern geschlagen, als vier Reiter vor der Tür des Gasthauses hielten, vom Pferde stiegen und eintraten. Sie waren von der Porte Bussy gekommen und trafen natürlich zuerst ein, einmal, weil sie Pferde hatten, und sodann, weil das Gasthaus zum Schwerte nur hundert Schritte von der Porte Bussy entfernt lag.

Einer von ihnen, der nach seinem guten Aussehen wie nach seinem Luxus ihr Anführer zu sein schien, kam mit zwei wohlberittenen Lakaien.

Jeder zeigte sein Siegel mit dem Bilde der Kleopatra und wurde von dem Ehepaar mit jeglicher Zuvorkommenheit empfangen, besonders der junge Mann mit den zwei Lakaien.

Mit Ausnahme des letzteren traten die Ankömmlinge indessen nur schüchtern und mit einer gewissen Befangenheit auf; man sah, daß sie etwas Ernstes beunruhigte, besonders, wenn sie unwillkürlich die Hand in ihre Tasche steckten.

Die einen verlangten, sich zur Ruhe zu legen, die anderen, vor dem Abendbrot die Stadt zu besichtigen; der junge Mann mit den zwei Lakaien fragte, ob es nichts Neues in Paris zu sehen gebe.

Sehr empfänglich für die gute Miene des Kavaliers, antwortete Frau Fournichon:

»Ei, wenn Euch die Menge nicht bange macht, und wenn Ihr nicht davor erschreckt, vier Stunden hintereinander auf Euren Beinen zu bleiben, so könnt Ihr Euch dadurch eine Zerstreuung verschaffen, daß Ihr Herrn von Salcède, einen Spanier, der konspiriert hat, vierteilen seht.«

»Ah!« sagte der junge Mann, »es ist wahr, ich habe davon sprechen hören, Pardicor! ich gehe dahin.« Und er entfernte sich mit seinen beiden Lakaien.

Gegen zwei Uhr kamen in Gruppen zu vier und fünf etwa fünfzehn neue Reisende.

Einer kam sogar ohne Hut, ein Stöckchen in der Hand; er fluchte über Paris, wo die Diebe so verwegen seien, daß sie ihm bei der Grève, als er eine Gruppe durchschritten, den Hut gestohlen, und so gewandt, daß er nicht einmal habe sehen können, wer ihn genommen. Übrigens sei das sein Fehler, er hätte nicht mit einem Hute, der mit einer so prachtvollen Agraffe geschmückt gewesen, nach Paris kommen sollen.

Gegen vier Uhr hatten sich schon vierzig Landsleute des Kapitäns in dem Gasthause Fournichons eingefunden. Gegen fünf Uhr kamen endlich die letzten fünf Gaskogner auch, und die Gäste des Schwertes waren vollzählig.

Nie hatten die Gaskognergesichter vor Erstaunen und Überraschung eine solche Verklärung gezeigt, eine Stunde lang hörte man nur Sandioux, Mordioux, Cap de Bious, kurz, so geräuschvolle Freudenausbrüche, daß es den Fournichons vorkam, als ob ganz Saintonge, Poitou, Aunis und Languedoc in ihrem großen Saal Platz genommen hätten.

Einige kannten sich; so umarmte Eustache von Miradoux den Kavalier mit den beiden Lakaien und stellte ihm Lardille, Militor und Scipio vor.

»Durch welchen Zufall bist du in Paris?« fragte dieser. – »Und du, mein lieber Sainte-Maline?«

»Ich habe eine Stelle bei der Armee, und du?« – »Ich komme in Erbschaftsangelegenheiten.«

»Ah! ah! Du schleppst also die alte Lardille immer noch nach?« – »Sie wollte mir folgen.«

»Konntest du nicht insgeheim abreisen, statt dich mit diesem Volke zu beschweren, das an ihrem Rocke hängt?« – »Unmöglich, sie hat den Brief des Anwaltes geöffnet.«

»Ah! Du hast die Nachricht von der Erbschaft durch einen Brief erhalten?« – »Ja,« antwortete Miradoux. Dann rief er, hastig das Gespräch wechselnd: »Ist es nicht seltsam, daß dieses Gasthaus voll, und zwar von Landsleuten voll ist?«

»Nein, das ist nicht seltsam, das Schild macht Leuten von Ehre Appetit,« unterbrach ihn unser alter Bekannter Perducas von Pincorney, sich in das Gespräch mischend.

»Oh! Ihr seid es, Kamerad,« versetzte Sainte-Maline, »Ihr habt mir noch immer nicht erklärt, was Ihr mir bei der Grève erzählen wolltet, als uns die Menge trennte.«

»Und was wollte ich Euch erklären?« fragte Pincorney, ein wenig errötend.

»Wie es kommt, daß ich Euch zwischen Angoulême und Angers begegnet bin, und daß ich Euch heute zu Fuß, ein Stöckchen in der Hand und ohne Hut sehe?« – »Das ist ganz einfach.«

»Ich finde das nicht.« – »Doch wohl, und Ihr werdet es begreifen. Mein Vater hat zwei prächtige Pferde, auf die er so große Stücke hält, daß er imstande ist, mich zu enterben nach dem Unglück, das mir begegnete.«

»Welches Unglück ist Euch begegnet?« – »Ich ritt auf dem schönsten spazieren, als plötzlich zehn Schritte von mir ein Büchsenschuß losgeht, mein Pferd scheu wird und auf der Straße nach der Dordogne fortrennt.«

»Wo es hineinstürzt?« – »Ja.«

»Mit Euch?« – »Nein, zum Glück hatte ich noch Zeit gehabt, zu Boden zu gleiten, sonst wäre ich mit ihm ertrunken.«

»Ah! ah! das arme Tier ist ertrunken!« – »Pardioux! Ihr kennt die Dordogne, eine halbe Meile breit.«

»Und dann?« – »Dann beschloß ich, nicht nach Hause zurückzukehren und mich soweit als möglich dem väterlichen Zorne zu entziehen.«

»Aber Euer Hut?« – »Wartet doch beim Teufel! Mein Hut war herabgefallen.«

»Wie Ihr?« – »Ich war nicht herabgefallen, ich hatte mich zu Boden gleiten lassen; ein Pincorney fällt nicht vom Pferde, die Pincorney sind Stallmeister in der Wiege.«

»Das ist bekannt,« sagte Sainte-Maline, »aber Euer Hut?« – »Mein Hut war also herabgefallen, ich suchte ihn, denn es war meine einzige Hilfsquelle, da ich mich ohne Geld von Hause wegbegeben hatte.«

»Wie konnte Euer Hut eine Hilfsquelle für Euch sein?« fragte Sainte-Maline, entschlossen, Pincorney durch seine Beharrlichkeit in die Enge zu treiben. – »Sandioux! und zwar eine große! Ich muß Euch sagen, daß die Feder dieses Hutes von einer Diamantenagraffe gehalten wurde, die Seine Majestät Kaiser Karl V. meinem Großvater schenkte, als er auf seiner Reise von Spanien nach Flandern in unserem Schlosse anhielt.«

»Ah! Ihr habt die Agraffe verkauft und den Hut damit. Dann, mein Freund, müßt Ihr der Reichste von uns allen sein.« – »Wartet doch! in dem Augenblick, wo ich mich umdrehe, um meinen Hut zu suchen, sehe ich einen ungeheuren Raben, der darüber herfällt.«

»Über Euren Hut?« – »Oder vielmehr über meinen Diamanten; Ihr wißt, daß dieses Tier alles stiehlt, was glänzt; es fällt also über meinen Diamanten her und stiehlt Ihn.«

»Euern Diamanten?« – »Ja, mein Herr. Ich folge ihm zuerst mit den Augen, dann laufe ich ihm nach und rufe: ›haltet den Dieb!‹ Die Pest! nach fünf Minuten war er verschwunden, und ich habe nie mehr von ihm sprechen hören.«

»Und durch diesen doppelten Verlust niedergebeugt . . .« – »Wagte ich es nicht mehr, in das elterliche Haus zurückzukehren und entschloß mich, mein Glück in Paris zu suchen.«

»Schön!« sagte ein dritter, »der Wind hat sich also in einen Raben verwandelt? Ich habe Euch, glaube ich, Herrn von Loignac erzählen hören, beschäftigt, einen Brief Eurer Geliebten zu lesen, habe Euch der Wind Brief und Hut fortgenommen, als wahrer Amadis wäret Ihr dem Brief nachgelaufen und hättet den Hut Hut sein lassen.«

Halb unterdrücktes Gelächter machte sich hörbar.

»Ei! ei! meine Herren,« sagte der reizbare Gaskogner, »sollte man etwa über mich lachen?«

Jeder wandte sich ab, um bequemer lachen zu können.

Perducas schaute forschend umher und erblickte am Kamin einen jungen Mann, der seinen Kopf in seinen Händen verbarg.

Er ging auf ihn zu und sagte: »Ei! mein Herr, wenn Ihr lacht, lacht mir wenigstens ins Gesicht, damit man Euer Antlitz sieht.«

Und er klopfte dem jungen Mann auf die Schulter, der ganz ernst und nachdenkend seine Stirn erhob, es war kein anderer als unser Freund Ernauton von Carmainges, der sich von dem Abenteuer auf der Grève noch ganz betäubt fühlte.

»Ich bitte Euch, mich in Ruhe zu lassen,« erwiderte er, »und besonders, wenn Ihr mich noch einmal berührt, mich mit der Hand zu berühren, an der Ihr einen Handschuh habt; Ihr seht wohl, daß ich mich nicht mit Euch beschäftige.«

»Wenn Ihr Euch nicht mit mir beschäftigt,« brummte Pincorney, »so habe ich nichts zu sagen.«

»Ah! mein Herr,« sagte Eustache von Miradoux zu Carmainges, »bei den versöhnlichsten Absichten seid Ihr nicht höflich gegen unsern Landsmann.«

»Worein, zum Teufel, mischt Ihr Euch?« entgegnete Ernauton immer ärgerlicher.

»Ihr habt recht, mein Herr,« sagte Miradoux, sich verbeugend, »das geht mich nichts an.«

Und er wandte sich auf den Absätzen um und wollte zu Lardille zurückkehren, die in einer Ecke am großen Kamin saß, aber es versperrte ihm jemand den Weg.

Es war Militor, mit seinen beiden Händen im Gürtel und mit seinem höhnischen Lächeln auf den Lippen.

»Sagt doch, Stiefvater,« machte der Taugenichts. »Was sagt Ihr zu der Art und Weise, wie dieser Edelmann Euch abgeführt hat? Er hat Euch gehörig gebeutelt.«

»Ah! Du hast das bemerkt?« erwiderte Eustache, indem er Militor auf die Seite zu schieben suchte.

»Nicht nur ich,« sagte Militor ihm wieder entgegen, »sondern jeder, seht nur, wie alle um uns her lachen.«

Man lachte wirklich, doch nicht mehr hierüber, sondern über andere Dinge.

Eustache wurde rot wie eine glühende Kohle.

»Auf, auf, Stiefvater, laßt die Sache nicht kalt werden,« sagte Militor.

Eustache warf sich in die Brust, ging auf Carmainges zu und sagte zu ihm: »Mein Herr, man behauptet, Ihr hättet besonders unangenehm gegen mich sein wollen?«

»Wann dies?« – »Soeben.«

»Gegen Euch?« – »Gegen mich.«

»Wer behauptet dies?« – »Dieser Herr,« antwortete Eustache, auf Militor deutend.

»Dann ist dieser Herr,« entgegnete Carmainges mit einem besonderen Nachdruck auf die Betitelung, »dann ist dieser Herr ein Starmatz.« – »Oh! oh!« machte Militor wütend.

»Und ich fordere ihn auf,« fuhr Carmainges fort, »mit dem Schnabel fern von mir zu bleiben, oder ich werde mich an Loignacs Rat erinnern.«

»Herr von Loignac hat nicht gesagt, ich wäre ein Starmatz.«

»Nein, er hat gesagt, Ihr wäret ein Esel, zieht Ihr das etwa vor? Mir ist wenig daran gelegen; seid Ihr ein Esel, so gebe ich Euch die Peitsche, seid Ihr ein Starmatz, so rupfe ich Euch.«

»Mein Herr,« sagte Eustache, »es ist mein Stiefsohn; ich bitte Euch, behandelt ihn besser aus Rücksicht für mich.«

»Ah! so verteidigt Ihr mich, Stiefvater,« rief Militor außer sich; »da werde ich mich besser allein verteidigen.«

»In die Schule mit diesen Kindern, in die Schule!« sagte Ernauton.

»In die Schule?« rief Militor, mit aufgehobener Faust gegen Herrn von Carmainges vorrückend, »ich bin siebzehn Jahre alt, versteht Ihr wohl, mein Herr?«

»Und ich bin fünfundzwanzig,« entgegnete Ernauton, »und deshalb will ich Euch, wie Ihr es verdient, zurechtweisen.«

Und er packte ihn beim Kragen und am Gürtel, hob ihn von der Erde auf und warf ihn wie einen Ballen zum Fenster des Erdgeschosses hinaus auf die Straße, während Lardille ein Geschrei ausstieß, daß die Wände hätten einfallen sollen.

»Nun mache ich aus Stiefvater, Stiefmutter, Stiefsohn und allen Stieffamilien der Welt Fleisch zu Pasteten, wenn man mich noch einmal stört,« fügte Ernauton ruhig bei.

»Wahrhaftig, ich finde, er hat recht,« sagte Miradoux, »warum diesen Edelmann reizen?«

»Ah! Feiger, der seinen Sohn schlagen läßt,« rief Lardille, auf Eustache zurückend und ihre zerstreuten Haare schüttelnd.

»Nun, nun, nun,« sagte Eustache, »das bildet seinen Charakter.«

»Ah! ah! sagt doch, man wirft also hier die Leute aus dem Fenster?« rief ein Offizier, der eben eintrat; »was Teufels, wenn man solche Späße treibt, sollte man wenigstens ›Aufgepaßt da unten!‹ rufen.«

»Herr von Loignac!« riefen zwanzig Stimmen.

»Herr von Loignac!« wiederholten die Fünfundvierzig.

Und bei diesem in der ganzen Gaskogne bekannten Namen standen alle auf und schwiegen.



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