Alexander Dumas d. Ä.
Die Fünfundvierzig
Alexander Dumas d. Ä.

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Der Oberjägermeister des Königs von Navarra.

Als Margarethe den König verließ, begab sie sich sogleich in das Gemach der Ehrenfräulein. Im Vorübergehen nahm sie ihren Arzt Chirac mit, der im Schlosse wohnte, und sie trat bei der armen Fosseuse ein, die, bleich und von neugierigen Blicken umgeben, sich über Magenschmerzen beklagte, ohne, so groß war ihr Leiden, irgendeine Frage beantworten oder eine Erleichterung annehmen zu wollen.

Fosseuse war damals zwanzig bis einundzwanzig Jahre alt; es war eine schöne, große Person, mit blauen Augen, blonden Haaren und einem geschmeidigen Körper voll Weichheit und Anmut. Nur ging sie seit beinahe drei Monaten nicht mehr aus und beklagte sich über Mattigkeit, die sie hinderte aufzustehen; anfangs lag sie auf einer Chaiselongue und dann in ihrem Bett.

Chirac fing damit an, daß er die Anwesenden entfernte; dann setzte er sich zu den Häupten der Kranken und blieb mit ihr und der Königin allein.

Erschrocken über diese Vorbereitungen, denen die empfindliche und die eisige Miene Chiracs und der Königin eine gewisse Feierlichkeit verliehen, erhob sich Fosseuse von ihrem Kopfkissen und stammelte einen Dank für die Ehre, die ihr die Königin, ihre Gebieterin, erweise.

Margarethe war bleicher als Fosseuse; der verwundete Stolz ist schmerzlicher als die Grausamkeit oder die Krankheit.

Chirac fühlte der Fosseuse den Puls, doch dies geschah beinahe gegen ihren Willen.

»Was empfindet Ihr?« fragte er nach einer kurzen Prüfung.

»Magenschmerzen, mein Herr,« antwortete das arme Kind; »doch das wird nichts sein, ich versichere Euch, und wenn ich nur Ruhe hätte . . . .«

»Welche Ruhe, mein Fräulein?« fragte die Königin.

Fosseuse zerfloß in Tränen.

»Betrübt Euch nicht, mein Fräulein,« fuhr Margarethe fort, »Seine Majestät hat mich gebeten, Euch zu besuchen, um Euch wieder zu ermutigen.«

»Oh! wieviel Güte, Madame!«

Chirac ließ die Hand der Fosseuse los.

»Und ich,« sagte er, »ich weiß nun, worin Euer Übel besteht.«

»Ihr wißt es?« murmelte Fosseuse zitternd.

»Ja, wir wissen, daß Ihr viel leiden müßt,« fügte Margarethe hinzu.

Fosseuse erschrak immer mehr, als sie sich der unempfindlichen Wissenschaft und der unempfindlichen Eifersucht preisgegeben sah.

Margarethe machte Chirac ein Zeichen, und dieser verließ das Zimmer. Fosseuse bebte aus Angst und war einer Ohnmacht nahe.

»Mein Fräulein,« sagte Margarethe, »obgleich Ihr seit einiger Zeit gegen mich wie gegen eine Fremde handeltet, obgleich man mich jeden Tag von den schlechten Diensten unterrichtete, die Ihr mir bei meinem Gemahl leistet . . .«

»Ich, Madame?«

»Unterbrecht mich nicht, ich bitte Euch. Obgleich Ihr endlich nach einem Gute trachtet, das hoch über Eurem Ehrgeize steht, bewegt mich doch die Freundschaft, die ich für Euch hegte und die, die ich ehrenhaften Personen gewidmet habe, denen Ihr angehört, Euch in dem Unglück beizustehen, worin man Euch in diesem Augenblick sieht.«

»Madame, ich schwöre Euch . . .«

»Leugnet nicht, ich habe schon zu viel Ärger; bringt Euch nicht um die Ehre, Euch zuerst und mich hernach, mich, die ich bei Eurer Ehre beinahe ebensoviel beteiligt bin, wie Ihr selbst, da Ihr mir angehört. Mein Fräulein, sagt mir alles, und ich werde Euch unterstützen wie eine Mutter.«

»Oh! Madame, Madame, glaubt Ihr denn, was man spricht?«

»Hütet Euch, mich zu unterbrechen, mein Fräulein, denn die Zeit drängt, scheint mir. Ich wollte Euch sagen, daß in diesem Augenblick Herr Chirac im Vorzimmer allen verkündigt, die ansteckende Krankheit, von der im Lande die Rede ist, sei im Palast, und Ihr seiet davon bedroht. Doch ich führe Euch, wenn es noch Zeit ist, nach dem Mas-d'Agenois, einem weit von dem König, meinem Gemahl, entfernten Hause; wir werden dort allein oder beinahe allein sein; der König geht seinerseits mit seinem Gefolge zu einer Jagd, die ihn, wie er sagt, mehrere Tage auswärts halten wird; wir verlassen den Mas-d'Agenois erst nach Eurer Entbindung.«

»Madame! Madame! wenn Ihr allem, was man über mich spricht, Glauben schenkt, so laßt mich elendiglich sterben!« rief die Fosseuse, purpurrot zugleich vor Scham und vor Schmerz.

»Ihr erwidert meine Großmut schlecht, mein Fräulein, und Ihr rechnet auch zu viel auf die Freundschaft des Königs, der mich gebeten hat, Euch nicht zu verlassen.«

»Der König? . . . Der König hätte gesagt . . . .«

»Zweifelt Ihr, da ich spreche, mein Fräulein? Wenn ich nicht die Symptome Eures wahren Übels sähe, wenn ich nicht aus Eurem Leiden erriete, daß die Krise naht, so würde ich vielleicht Eurem Leugnen Glauben schenken.«

Als wollte sie der Königin völlig recht geben, fiel die arme Fosseuse, von wütenden Schmerzen niedergeworfen, leichenbleich und zuckend auf ihr Bett zurück.

Margarethe schaute sie einige Zeit ohne Zorn, aber auch ohne Mitleid an.

»Muß ich immer noch an Euer Leugnen glauben, mein Fräulein?« sagte sie zu der Armen, als diese sich wieder erhob und dabei ein so verstörtes und in Tränen gebadetes Gesicht zeigte, daß es selbst Katharina gerührt haben müßte.

Doch als wollte der Himmel der Unglücklichen Hilfe senden, öffnete sich in dieser Sekunde die Türe, und Heinrich von Navarra trat hastig ein.

Heinrich hatte nicht geschlafen. Nachdem er eine Stunde mit Mornay gearbeitet und alle Maßregeln für die Chicot angekündigte Jagd getroffen hatte, lief er eiligst in den Pavillon der Ehrenfräulein.

»Nun! was sagt man?« bemerkte er eintretend, »meine Tochter Fosseuse soll immer noch leidend sein!«

»Seht Ihr, Madame,« rief das Mädchen, gestärkt durch den Anblick seines Geliebten und durch die Hilfe, die ihm zukam, »seht Ihr, der König hat nichts gesagt, und ich tue wohl daran zu leugnen!«

»Mein Herr,« sagte die Königin, sich gegen Heinrich umwendend, »macht, daß dieser demütigende Streit aufhört; ich glaube Euch begriffen zu haben, als Ihr mich vorhin mit Eurem Vertrauen beehrtet und mir den Zustand des Fräuleins aufdecktet. Sagt ihr also, daß ich mit allem auf dem laufenden bin, damit sie sich nicht mehr zu zweifeln erlaubt, wenn ich versichere.«

»Meine Tochter,« fragte Heinrich mit einer Zärtlichkeit, die er nicht einmal zu verschleiern suchte, »Ihr leugnet also beharrlich?«

»Das Geheimnis gehört nicht mir, Sire,« antwortete das mutige Kind, »und solange ich nicht von Eurem Munde die Erlaubnis erhalten habe, alles zu sagen . . . .«

»Meine Tochter Fosseuse ist ein tapferes Herz, Madame,« sagte Heinrich; »verzeiht Ihr, ich beschwöre Euch; und Ihr, meine Tochter, habt Vertrauen zu der Güte Eurer Königin; die Dankbarkeit ist meine Sache, und ich übernehme sie.«

Und er faßte Margarethes Hand und drückte sie herzlich.

In diesem Augenblicke strömte abermals eine bittere Woge des Schmerzes über die arme Fosseuse; sie wich zum zweiten Male unter dem Sturm, und gebogen wie eine Lilie neigte sie das Haupt mit einem dumpfen Seufzer.

Heinrich war gerührt bis in die Tiefen seines Herzens, als er diese bleiche Stirn, diese in Tränen gebadeten Augen, diese feuchten, zerstreuten Haare erblickte, als er endlich an den Schläfen und auf den Lippen der Armen den Angstschweiß perlen sah.

Er stürzte ganz verwirrt auf sie zu, öffnete die Arme, fiel vor ihrem Bett auf die Knie und flüsterte: »Fosseuse! teure Fosseuse!«

Düster und schweigsam lehnte Margarethe ihre glühende Stirn an die Fensterscheiben.

Fosseuse hatte die Kraft, ihre Arme zu erheben und um den Hals ihres Geliebten zu schlingen; sie drückte ihre Lippen auf die seinigen, im Glauben, sie würde sterben, und in diesem letzten, in diesem äußersten Kuß warf sie Heinrich ihre Seele und ihr Lebewohl zu.

Dann sank sie ohne Bewußtsein zurück.

Ebenso bleich als sie, träge und ohne Stimme wie sie, ließ Heinrich sein Haupt auf ihr Bettuch sinken, das bald ihr Leichentuch zu werden schien.

Margarethe näherte sich dieser Gruppe, in der körperlicher und moralischer Schmerz vereinigt waren, und sagte mit einer energischen Majestät: »Steht auf, mein Herr, und laßt mich die Pflicht erfüllen, die Ihr mir auferlegt habt.«

Und als Heinrich über diese Kundgebung unruhig zu sein schien und sich halb auf ein Knie aufrichtete, fügte sie hinzu: »Oh! fürchtet nichts, mein Herr, sobald mein Stolz allein verwundet ist, bin ich stark; gegen mein Herz hätte ich nicht für mich gestanden, doch zum Glück hat mein Herz nichts mit dieser ganzen Sache zu schaffen.«

Heinrich erhob das Haupt.

»Madame?« sagte er.

»Sprecht kein Wort mehr, mein Herr,« versetzte Margarethe, die Hand ausstreckend, »oder ich würde glauben, Eure Nachsicht sei Berechnung gewesen. Wir sind Bruder und Schwester und werden uns verstehen.«

Heinrich führte sie zur Fosseuse, deren eisige Hand er in Margarethes fieberhafte Hand legte.

»Geht, Sire, geht,« sagte die Königin, »brecht zur Jagd auf. Je mehr Ihr zu dieser Stunde Leute mit Euch nehmt, desto mehr werdet Ihr neugierige Blicke von ihrem Bette entfernen.«

»Aber ich habe niemand in den Vorzimmern gesehen,« entgegnete Heinrich.

»Nein, Sire,« versetzte Margarethe lächelnd, »man glaubt, die Pest sei hier; beeilt Euch also, Euer Vergnügen anderswo zu suchen.«

»Madame,«sagte Heinrich, »ich gehe und werde für uns beide jagen.«

Und er heftete einen letzten zärtlichen Blick auf die noch ohnmächtige Fosseuse und eilte aus dem Zimmer.

Sobald er in den Vorzimmern war, schüttelte er den Kopf, als wollte er von seiner Stirn einen Rest von Unruhe abwerfen; dann ging er mit dem ihm eigentümlich spöttisch lächelnden Gesicht zu Chicot hinauf, der mit geschlossenen Fäusten schlief.

Der König ließ sich die Tür öffnen, rüttelte an dem Schläfer und sagte: »He! he! Gevatter, munter, munter, es ist zwei Uhr morgens,«

»Ah! Teufel,« versetzt Chicot, »Ihr nennt mich Gevatter, Sire. Solltet Ihr mich etwa für den Herzog von Guise halten?«

Heinrich hatte wirklich, wenn er vom Herzog von Guise sprach, die Gewohnheit, ihn seinen Gevatter zu nennen.

»Ich halte Euch für meinen Freund,« erwiderte er.

»Und Ihr nehmt mich gefangen, mich, einen Botschafter! Sire, Ihr verletzt das Völkerrecht.«

Heinrich lachte. Chicot, vor allem ein Mensch von Geist, konnte nicht umhin, ihm Gesellschaft zu leisten.

»Das ist närrisch. Warum, zum Teufel, wolltest du denn von hier weggehen, wirst du nicht gut behandelt?«

»Zu gut, alle Wetter, zu gut; ich komme mir hier vor wie eine Gans die man in einem Geflügelhofe mästet. Alle Welt sagt zu mir: ›Kleiner, kleiner Chicot, wie niedlich er ist!‹ Doch man rupft mir die Flügel aus und verschließt mir die Tür.«

»Chicot, mein Freund,« entgegnete Heinrich, den Kopf schüttelnd, »beruhige dich, du bist nicht fett genug für meine Tafel.«

»Aber, Sire,« sagte Chicot, während er sich erhob, »Ihr seid diesen Morgen ganz munter; was für Nachrichten habt Ihr?«

»Ah! ich will es dir sagen; siehst du, ich gehe auf die Jagd, und ich bin immer sehr heiter, wenn ich auf die Jagd gehe. Vorwärts, aus dem Bett, Gevatter, aus dem Bett!«

»Wie, Ihr nehmt mich mit, Sire?«

»Du sollst mein Geschichtschreiber sein, Chicot.«

»Soll ich die Schüsse aufschreiben?«

»Ganz richtig.«

Chicot schüttelte den Kopf.

»Nun, was hast du?« fragte der König.

»Ich habe nie ohne Unruhe eine solche Heiterkeit gesehen,« antwortete Chicot.

»Bah!«

»Ja, es ist wie die Sonne, wenn sie . . .«

»Nun?«

»Nun! Sire, Regen, Blitz und Donner sind nicht fern.«

Heinrich strich sich lächelnd den Bart und erwiderte: »Wenn ein Sturm kommt, Chicot, so ist mein Mantel groß, und du sollst bedeckt sein.«

Während sich Chicot beständig murrend ankleidete, ging der König zum Vorzimmer und rief: »Mein Pferd! und man sage Herrn von Mornay, ich sei bereit.«

»Ah! Herr von Mornay ist Oberjägermeister bei dieser Jagd?« fragte Chicot.

»Herr von Mornay ist alles hier,« antwortete Heinrich, »der König von Navarra ist so arm, daß er keine Mittel hat, seine Ämter zu verteilen. Ich habe nur einen Mann.«

»Ja, doch er ist gut,« seufzte Chicot.



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