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Chicot, zu dem wir zurückkehren, war nach der Erkennung des Herrn von Mayenne so schnell als möglich geflüchtet. Zwischen dem Herzog und ihm bestand nun wieder ein Kampf auf Leben und Tod.
»Auf! auf!« rief der brave Gaskogner, seinen Ritt in der Richtung nach Beaugency beschleunigend, »hier oder nie ist die Gelegenheit, durch Postpferde das vereinigte Geld von drei erhabenen Personen, die man Heinrich von Valois, Tom Modeste Gorenflot und Sebastian Chicot nennt, laufen zu lassen.«
Gewandt, nicht nur alle Gefühle, sondern auch alle Lebenslagen nachzuahmen, nahm Chicot sogleich die Miene eines vornehmen Herrn an. Nie war ein Fürst mit größerem Eifer bedient worden, als Chicot, nachdem er sein Pferd verkauft und eine Viertelstunde mit dem Postmeister gesprochen hatte.
Sobald er im Sattel saß, beschloß er, nicht eher anzuhalten, als bis er sich an sicherem Orte befände; er galoppierte daher so rasch, als es ihm die Pferde bei dreißigmaligem Wechsel gestatteten. Er selbst war wie aus Stahl gemacht und schien nach sechzig Meilen, die er in zwanzig Stunden zurückgelegt, nicht im geringsten ermüdet. Erst nachdem er in drei Tagen Bordeaux erreicht hatte, erlaubte er sich, ein wenig Atem zu schöpfen.
Er dachte nunmehr mit Ernst an die schwierige Mission, die er übernommen. Chicot wußte, daß Heinrich von Navarra das nicht war, was er zu sein schien, und daß es gelte, ihm mit großer Vorsicht und Verstellung entgegenzutreten.
Sobald er sich innerhalb der Grenze des kleinen Fürstentums Navarra, eines Landes, dessen Armut in Frankreich sprichwörtlich geworden, befand, sah Chicot zu seinem großen Erstaunen nicht mehr auf jedem Gesicht, an jedem Hause, an jedem Stein den Zahn des gräßlichen Elends eingedrückt, der die schönsten Provinzen des herrlichen Frankreich, die er verlassen, zernagte.
Der Holzhauer, der, den Arm auf das Joch seines Lieblingsochsen stützend, vorüberzog, das Mädchen mit dem kurzen Rock und dem behenden Gang, das Wasser auf dem Kopfe trug; der Greis, der, sein, weißes Haupt wiegend, ein Lied aus seiner Jugendzeit trällerte; das gebräunte Kind mit den mageren, aber nervigen Gliedern, das auf Haufen von Maisblättern spielte; alles redete zu Chicot eine lebendige, klare, verständliche Sprache; alles rief ihm auf jedem Schritt, den er vorwärts tat, zu: »Sieh, hier ist man glücklich!«
Von einem Bauern erfuhr er unterwegs, daß der König in Nérac war. Auf der Straße dorthin fand er viele Leute, die vom Markte von Condom kamen.
Man teilte ihm mit, daß der König von Navarra ein sehr lustiges Leben führe, und daß er ohne Ruh und Rast von einer Liebschaft zur anderen übergehe.
Chicot war so glücklich gewesen, auf dem Wege mit einem jungen katholischen Priester, einem Schafhändler und einem Offizier zusammenzutreffen, die sich von Mont-de-Marsan an Gesellschaft leisteten und, wo man anhielt, bei schwelgerischen Mahlen vertrauliche Gespräche pflogen.
Diese Leute schienen ihm vortrefflich das gelehrte, das handeltreibende und das kriegführende Navarra zu vertreten. Der Geistliche erzählte ihm von den Sonetten, die man auf die Liebschaft des Königs mit der schönen Fosseuse, einer Tochter René Montmorencys, Barons von Fosseur, machte.
»Sprecht!« sagte Chicot, »man glaubt in Paris, Seine Majestät der König von Navarra sei wahnsinnig in Fräulein Le Rebours verliebt.«
»Oh!« erwiderte der Offizier, »das war in Pau.«
»Ja, ja,« bestätigte der Geistliche, »das war in Pau.«
»Ah! das war in Pau,« versetzte der Handelsmann, der als einfacher Bürger am wenigsten gut von den dreien unterrichtet zu sein schien.
»Wie!« fragte Chicot, »der König hat also in jeder Stadt eine Geliebte?«
»Das könnte wohl sein,« antwortete der Offizier, »denn soviel mir bewußt ist, war er der Liebhaber von Fräulein Dayelle, während ich in Castelnaudary in Garnison lag.«
»Wartet!« sagte Chicot, »Fräulein Dayelle, eine Griechin?«
»So ist es,« sagte der Geistliche, »eine Cypriotin.«
»Verzeiht!« sagte der Handelsmann, höchlich erfreut, sein Wort anbringen zu können, »ich bin von Agen.«
»Nun?«
»Ich kann dafür stehen, daß der König Fräulein Tignonville in Agen gekannt hat.«
»Alle Wetter!« rief Chicot, »was für ein rüstiger Liebhaber! Doch um auf Fräulein Dayelle zurückzukommen, deren Familie ich kannte . . .«
»Fräulein Dayelle war eifersüchtig und drohte unablässig; sie hatte einen hübschen, kleinen, gebogenen Dolch, den sie auf den Arbeitstisch legte, und eines Tages reiste der König ab, nahm den Dolch mit und sagte, er wolle nicht, daß seinem Nachfolger Unglück widerfahre.«
»So daß zu dieser Stunde Seine Majestät ganz Fräulein Le Rebours gehört?« fragte Chicot.
»Im Gegenteil,« erwiderte der Priester, »sie sind entzweit; sie war eines Präsidenten Tochter und als solche ein wenig zu stark im Prozessieren. Sie hat infolge der Eingebungen der Königin-Mutter so viel gegen die Königin plädiert, daß die Arme darüber krank wurde. Die Königin Margot, die nicht dumm ist, benutzte das zu ihrem Vorteil und bestimmte den König, Pau mit Nérac zu vertauschen, wodurch eine Liebschaft abgeschnitten wurde.«
»Also ist die neue Leidenschaft des Königs für die Fosseuse?« fragte Chicot.
»Oh! mein Gott, ja, um so mehr, als sie in anderen Umständen ist . . . ein wahrer Wahnsinn!«
»Die Königin legt ihre Schmerzen zu den Füßen des Kruzifixes nieder,« sagte der Geistliche.
»Überdies weiß die Königin dies alles nicht,« bemerkte der Offizier.
»Bah!« entgegnete Chicot, »das ist nicht möglich.«
»Warum?« fragte der Offizier.
»Weil Nérac keine so große Stadt ist, daß nicht alles darin durchsichtig sein muß.«
»Ah! was das betrifft,« sagte der Geistliche, »es ist dort ein Park, und in dem Park sind Alleen von mehr als dreitausend Schritten, ganz mit Zypressen, Platanen und herrlichen Sykomoren bepflanzt; das gibt einen Schatten, daß man am hellen Tag keine zehn Schritte weit sieht. Bedenkt ein wenig, ob man da bei Nacht etwas sehen kann.«
»Und dann ist die Königin beschäftigt!«
»Und womit, wenn ich fragen darf?«
»Mit Gott, mein Herr,« antwortete der Priester voll Stolz.
»Mit Gott!« rief Chicot. »Die Königin ist fromm?«
»Sehr fromm.«
»Doch ich denke, es gibt keine Messe im Palast,« sagte Chicot.
»Da habt Ihr ganz unrecht. Keine Messe! haltet Ihr uns denn für Heiden? Erfahrt, mein Herr, daß, wenn der König mit seinen Edelleuten in die Predigt geht, die Königin sich in einer Privatkapelle Messe lesen läßt.«
»Die Königin Margarete?«
»Die Königin Margarete, so daß ich, ein unwürdiger Priester, zwei Taler erhalten habe, weil ich zweimal in dieser Kapelle amtete.«
Chicot hatte mehr Auskunft erhalten, als er brauchte, um einen ganzen Plan zu bauen. Er kannte Margarete, denn er hatte sie in Paris Hof halten sehen, und er wußte, daß sie, wenn sie in Liebesangelegenheiten wenig hellsehend war, irgendeinen Grund haben mußte, sich eine Binde um die Augen zu befestigen.
Gegen Abend kam Chicot nach Nérac, gerade zur Stunde der Promenaden, die den König von Frankreich und seinen Botschafter so sehr beschäftigten.
Chicot konnte sich übrigens von der Leichtigkeit der königlichen Sitten durch die Art und Weise überzeugen, wie er zur Audienz zugelassen wurde. Ein einfacher Bedienter öffnete ihm die Tür des Salons, dessen Zugänge mit Blumen besetzt waren; über diesem Salon lagen das Vorzimmer des Königs und das Zimmer, das er bei Tag bewohnte, um die Audienzen zu erteilen, mit denen er so verschwenderisch war.
Ein Offizier, sogar nur ein Page, meldete ihm, wenn ein Besuch kam. Dieser Offizier oder dieser Page lief dem König nach, bis er ihn an irgendeinem Orte, wo er gerade war, fand. Der König kam auf die einfache Aufforderung und empfing den Bittsteller.
Chicot war ganz gerührt über diese anmutige Leichtigkeit. Er hielt den König für gut, lauter und sehr verliebt.
Dies war noch viel mehr seine Ansicht, als er am Ende einer langen, von blühenden Oleandern besetzten Allee den König von Navarra mit einem schlechten Filzhut, braungelben Wams und grauen Stiefeln ganz heiter, ein Bilboquet in der Hand, kommen sah.
Heinrich hatte eine glatte Stirn, als ob ihn keine Sorge mit ihrem Flügel zu berühren wagte, einen lachenden Mund, ein von Sorglosigkeit und Gesundheit glänzendes Auge. Während er sich näherte, riß er mit der linken Hand Blumen von der Einfassung ab.
»Wer will mich sprechen?« fragte er seinen Pagen.
»Sire, ein Mann, der halb das Aussehen eines vornehmen Herrn, halb das eines Kriegers hat.«
Chicot hörte diese Worte, ging freundlich auf ihn zu und sagte: »Ich, Sire.«
»Ah!« rief der König, seine Arme zum Himmel erhebend, »Herr Chicot in Navarra, Herr Chicot bei uns, Ventre-saint-gris! seid willkommen, mein lieber Herr Chicot.« – »Tausend Dank, Sire.«
»Gott sei Dank, ganz lebendig?« – »Ich hoffe es wenigstens, teurer Sire,« sagte Chicot, entzückt über diesen Empfang.
»Ah! parbleu, wir trinken miteinander ein Gläschen Limourwein, über den Ihr mir Euer Urteil sagen möget. Ihr gewährt mir in der Tat eine große Freude, Herr Chicot, setzt Euch hierher.« Und er deutete auf eine Rasenbank. – »Nie, Sire,« erwiderte Chicot, sich sträubend.
»Habt Ihr denn zweihundert Meilen gemacht, um mich zu besuchen, damit ich Euch stehen lasse? Nein, Herr Chicot, setzt Euch, setzt Euch, man plaudert nur sitzend gut.« – »Aber, Sire, die Ehrfurcht . . .«
»Ehrfurcht bei uns, in Navarra? Du bist ein Narr, mein armer Chicot, wer denkt denn daran?« – »Nein, Sire,« entgegnete Chicot, »ich bin kein Narr, ich bin Botschafter.«
Eine leichte Falte bildete sich auf der Stirn des Königs; doch sie verschwand so rasch, daß Chicot keine Spur davon erkannte.
»Botschafter,« sagte Heinrich mit einem Erstaunen, das er naiv zu machen suchte, »Botschafter, von wem?« – »Botschafter von König Heinrich III. Ich komme von Paris und vom Louvre, Sire.«
»Ah! das ist etwas anderes,« versetzte der König, indem er mit einem Seufzer von der Rasenbank aufstand. »Geht, Page, laßt uns allein. Bringt Wein in den ersten Stock in mein Zimmer, nein, in mein Kabinett. Kommt mit mir, Chicot, daß ich Euch führe.«
Chicot folgte dem König von Navarra. Heinrich ging rascher, als da er durch seine Oleanderallee zurückkam.
»Welch ein Elend!« dachte Chicot. »Ich soll diesen ehrlichen Mann in seinem Frieden und in seiner Unwissenheit stören. Basta! er wird Philosoph sein.«