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Chicot war in so tiefes Erstaunen versunken, daß er, als Heinrich allein war, nicht daran dachte, sein Kabinett zu verlassen. Der Béarner hob den Türvorhang auf und klopfte ihm auf die Schulter.
»Nun, Meister Chicot,« sagte er, »wie habe ich mich Eurer Ansicht nach aus der Sache gezogen?« – »Vortrefflich, Sire,« antwortete Chicot, noch ganz betäubt. »In der Tat, für einen König, der nicht oft Botschafter empfängt, empfangt Ihr sie, wie es scheint, gut.«
»Meinem Schwager Heinrich habe ich diesen Botschafter zu verdanken.« – »Wieso, Sire?«
»Wenn er nicht unablässig seine arme Schwester verfolgte, so würden die anderen nicht daran denken, sie zu verfolgen. Glaubst du, wenn der König von Spanien nicht die öffentliche Beleidigung erfahren hätte, die man der Königin von Navarra dadurch zufügte, daß ein Kapitän der Garden ihre Sänfte durchsuchte, man würde mir den Vorschlag machen, sie zu verstoßen?« – »Ich fühle mich glücklich zu glauben, daß alles vergeblich sein wird, und nichts die zwischen Euch und der Königin bestehende Eintracht stören kann.«
»Ei! mein Freund, das Interesse, das man hat, uns zu entzweien, ist zu klar.« – »Ich gestehe Euch, Sire, daß ich nicht so scharfsichtig bin, als Ihr glaubt.«
»Gewiß, mein Schwager Heinrich wünscht nichts anderes, als daß ich seine Schwester verstoße.« – »Wieso? Ich bitte, erklärt mir die Sache. Pest! ich glaubte nicht, in eine so gute Schule zu kommen.«
»Du weißt, daß man mir die Mitgift meiner Frau zu bezahlen vergessen hat?« – »Nein, Sire, ich wußte es nicht, ich vermutete es nur.«
»Daß diese Mitgift aus dreimalhunderttausend Goldtalern bestand.« – »Ein hübscher Pfennig.«
»Und aus mehreren Städten, worunter Cahors.« – »Alle Wetter! Eine hübsche Stadt.«
»Und diese, nicht die Taler, reklamierte ich.« – »Ah! Ihr habt Cahors gefordert. Daran habt Ihr, bei Gott, wohl getan, und an Eurer Stelle hätte ich es gemacht wie Ihr.«
»Und deshalb,« sagte der Béarner mit seinem feinen Lächeln, »und deshalb . . . Verstehst du nun?« – »Der Teufel soll mich holen, nein!«
»Deshalb möchte man mich gern mit meiner Frau dergestalt entzweien, daß ich sie verstoße. Keine Frau mehr, verstehst du, Chicot, keine Mitgift mehr, folglich keine Goldtaler mehr, keine Städte und besonders kein Cahors mehr. Aber ohne diese Stadt ist Navarra ein armes, kleines Fürstentum; und Cahors wäre mein Bollwerk, die Schutzwache der Anhänger meiner Religion.« – »Nun wohl! mein teurer Sire, betrauert Cahors, denn ob Ihr mit Frau Margarethe entzweit seid oder nicht, der König von Frankreich wird es Euch nie herausgeben, und wenn Ihr es nicht erobert . . .«
»Oh! ich würde es wohl erobern, wenn es nicht so stark befestigt wäre, und besonders wenn ich den Krieg nicht haßte.« – »Cahors ist uneinnehmbar, Sire.«
Heinrich bewaffnete sein Gesicht mit einer undurchdringlichen Naivität und erwiderte: »Oh! uneinnehmbar, uneinnehmbar; wenn ich auch eine Armee hätte, die ich nicht habe.« – »Hört, Sire,« sagte Chicot, »wir sind nicht hier, um uns Süßigkeiten zu sagen. Ihr wißt, unter Gaskognern geht man offenherzig zu Werk. Um Cahors zu nehmen, wo Herr von Vesin ist, müßte man ein Hannibal, ein Cäsar oder Eure Majestät sein.«
»Nun! Meine Majestät?« fragte Heinrich mit seinem spöttischen Lächeln.
»Eure Majestät hat gesagt, sie liebe den Krieg nicht.«
Heinrich seufzte, eine jähe Flamme erleuchtete sein schwermutvolles Auge; doch rasch diese unwillkürliche Bewegung unterdrückend, glättete er mit seiner von der Sommerhitze verbrannten Hand seinen rauhen, braunen Bart und sagte: »Es ist wahr, ich habe nie den Degen gezogen, ich werde ihn nie ziehen; ich bin ein Strohkönig und ein Friedensmann. Ich habe Cahors nicht; nun, ich werde es entbehren können.« – »Das ist hart, mein König.«
»Was willst du? Du glaubst selbst, Heinrich werde mir diese Stadt nie herausgeben.« – »Ich glaube es, Sire, ich bin dessen sicher, und zwar aus drei Gründen.«
»Nenne sie mir!« – »Erstens ist Cahors eine Stadt von gutem Ertrag, und der König wird sie lieber behalten, als irgend jemand geben wollen.«
»Das ist nicht ganz redlich, Chicot.« – »Es ist königlich, Sire.«
»Ah! es ist königlich zu nehmen, was einem gefällt?« – »Ja, das heißt, wie ein Löwe teilen, und der Löwe ist der König der Tiere.« – »Ich werde mich dessen erinnern, wenn ich mich je zum König mache. Dein zweiter Grund, mein Sohn?« – »Frau Katharina würde lieber ihre Tochter in Paris, als in Nérac, lieber bei sich, als bei Euch sehen.«
»Du glaubst? Sie liebt aber doch ihre Tochter nicht so wahnsinnig.« – »Nein; aber Frau Margarethe dient Euch als Geisel.«
»Du bist von einer vollendeten Feinheit. Der Teufel soll mich holen, wenn ich je daran gedacht hätte: doch du kannst recht haben; ja, eine Tochter Frankreichs ist am Ende eine Geisel. Nun?« – »Nun! Sire, wenn man die Mittel vermindert, vermindert man das Vergnügen des Aufenthalts. Nérac ist eine sehr angenehme Stadt, die einen reizenden Park und Alleen, wie es nirgends gibt, besitzt; doch der Mittel beraubt, wird sich Frau Margarethe in Nérac langweilen und sich nach dem Louvre sehnen,«
»Dein erster Grund gefällt mir besser, Chicot,« sagte Heinrich, den Kopf schüttelnd. – »Dann will ich Euch den dritten sagen. »Zwischen dem Herzog von Anjou, der sich einen Thron zu machen sucht und Flandern aufwiegelt, zwischen den Herren von Guise, die sich gern eine Krone schmieden möchten und Frankreich aufwiegeln, zwischen dem König von Spanien, der nach einer Universalmonarchie trachtet und die Welt aufwiegelt, haltet Ihr, der Fürst von Navarra, die Wage und behauptet ein gewisses Gleichgewicht.«
»In der Tat, ich, ohne Gewicht!« – »Ganz richtig. Seht die Schweizer Republik an! Werdet mächtig, das heißt gewichtig, und Ihr zieht die Schale hinab. Ihr seid nicht mehr ein Gegengewicht, sondern ein Gewicht.«
»Oh! dieser Grund gefällt mir ungemein, Chicot, und er ist vollkommen nachgewiesen. Du bist ein wahrer Rechtsgelehrter.« – »Wahrhaftig, Sire, ich bin, was ich sein kann,« erwiderte Chicot, der sich, geschmeichelt durch das Kompliment, von der ungewohnten königlichen Treuherzigkeit verführen ließ.
»Das ist also die Erklärung meiner Lage?« – »Vollständig, Sire.«
»Und ich sah nichts von dem allem, Chicot, ich hoffte stets, begreifst du das?« – »Sire, darf ich Euch einen Rat geben, so ist es der: Hört auf zu hoffen.«
»Ich will also mit dieser Schuldforderung an den König von Frankreich verfahren, wie mit denen meiner Meier, die mir den Pachtschilling nicht bezahlen können; ich setze ein B. neben ihren Namen.« – »Was Bezahlt heißen soll?«
»Ganz richtig.« – »Setzt zwei B. und stoßt einen Seufzer aus!«
Heinrich seufzte. »So werde ich es machen,« sagte er. »Du siehst übrigens, mein Freund, daß man in Béarn leben kann, und daß ich Cahors nicht durchaus notwendig habe.« – »Ich sehe das, und Ihr seid, wie ich vermutete, ein weiser Fürst, ein philosophischer Fürst . . . Doch was für ein Lärm ist das?«
»Ein Lärm? Wo dies?« – »Im Hofe, wie mir scheint.«
»Schau aus dem Fenster, mein Freund, schau!« – Chicot näherte sich dem Fenster und sagte: »Sire, es ist unten ein Dutzend ziemlich schlecht gekleideter Leute.«
»Ah! das sind meine Armen,« versetzte der König aufstehend. – »Eure Majestät hat ihre Armen?«
»Ganz gewiß, empfiehlt Gott nicht die Mildtätigkeit? Wenn ich auch nicht Katholik bin, so bin ich darum doch nicht minder Christ.« – »Bravo, Sire.«
»Komm, Chicot, laß uns hinabgehen; wir geben miteinander das Almosen und speisen dann zu Nacht.« – »Sire, ich folge Euch,«
»Nimm die Börse, die dort auf dem Tischchen neben meinem Degen liegt, siehst du?« – »Ich habe sie.«
»Vortrefflich.«
Sie gingen hinab. Es war Nacht geworden. Der König schien, während er vorwärts schritt, von Sorgen und innerer Unruhe heimgesucht zu sein. Chicot schaute ihn an und betrübte sich über diesen Kummer.
»Wie zum Teufel kam mir der Gedanke, mit diesem Fürsten über Politik zu sprechen?« sagte er zu sich selbst. »Ich habe ihm den Tod ins Herz gebracht! Ich einfältiger Tölpel!«
Im Hofe näherte er sich der Gruppe von Bettlern, auf die Chicot hingewiesen hatte.
Es war in der Tat ein Dutzend Männer von verschiedener Statur, Physiognomie und Tracht, Leute, die ein ungeschickter Beobachter nach ihrem Gang, nach ihrer Stimme, nach ihren Gebärden für Zigeuner gehalten hätte, in denen aber ein geschickter Beobachter verkleidete Edelleute erkannt haben würde.
Heinrich nahm die Börse aus den Händen Chicots und machte ein Zeichen. Alle Bettler schienen das Zeichen zu verstehen. Sie begrüßten ihn jeder einzeln mit einer demütigen Miene, zugleich aber mit einem Blick voll des Einverständnisses und der Kühnheit, der zu sagen schien: »Unter der Hülle brennt das Herz.«
Heinrich antwortete durch ein Zeichen mit dem Kopf, steckte dann den Zeigefinger und den Daumen in die Börse, die Chicot offen hielt, und nahm ein Stück heraus.
»Ei! wißt Ihr, daß das Gold ist?« fragte Chicot.
»Ja, mein Freund, ich weiß es.« – »Teufel, Ihr seid reich?«
»Bemerkst du nicht, mein Freund,« entgegnete Heinrich mit einem Lächeln, »daß alle diese Goldstücke mir zu je zwei Almosen dienen? Ich bin im Gegenteil arm, Chicot, und sehe mich genötigt, meine Pistolen entzwei zu schneiden, um nicht alles auf einmal zu vertun.« – »Es ist wahr,« sagte Chicot mit wachsendem Erstaunen, »die Stücke sind Hälften von Stücken, die man in willkürlichen Formen ausgeschnitten hat.«
»Oh! ich bin wie mein Bruder in Frankreich, der zu seiner Belustigung Bilder ausschneidet, ich habe auch meine eigentümliche Unterhaltung; es belustigt mich in meinen verlorenen Augenblicken, Dukaten zu beschneiden. Ein armer, ehrlicher Béarner ist findig wie ein Jude.« – »Gleichviel, Sire,« sagte Chicot, den Kopf schüttelnd, denn er erriet ein verborgenes Geheimnis, »das ist eine seltsame Art, Almosen zu geben.«
»Du würdest es anders machen?« – »Ja; statt mir die Mühe zu nehmen, jedes Stück zu trennen, würde ich es ganz geben und sagen: Das ist für zwei!«
»Sie würden sich schlagen, mein Lieber, und ich würde ein Ärgernis herbeiführen, während ich Gutes tun wollte.« – »Nun wohl!« murmelte Chicot, da er nichts weiter zu sagen wußte.
Heinrich nahm also ein halbes Goldstück aus der Börse, stellte sich vor den ersten Bettler mit jener ruhigen, sanften Miene, die sein gewöhnliches Wesen bildete, und schaute diesen Mann an, ohne zu sprechen, doch nicht, ohne ihn mit dem Blick zu befragen.
»Agen,« sagte dieser, sich verbeugend.
»Wieviel?« fragte der König. – »Fünfhundert.«
»Cahors –,« und er gab ihm das Stück und nahm ein anderes aus der Börse.
Der Bettler verbeugte sich noch tiefer als das erstemal und entfernte sich.
Es folgte ihm ein anderer, der ebenfalls ehrfurchtsvoll grüßte.
»Auch,« sagte er sich verbeugend.
»Wieviel?«
»Dreihundertundfünfzig.«
»Cahors –,« und er übergab ihm das zweite Stück und nahm ein anderes aus der Börse.
»Montauban,« sagte ein dritter.
»Wieviel?«
»Sechshundert.«
»Cahors.«
So näherten sich endlich alle, verbeugten sich , sprachen ein Wort aus, erhielten das seltsame Almosen und nannten eine Zahl, wobei sich der Gesamtbetrag auf achttausend belief.
Jedem antwortete Heinrich: Cahors, ohne daß ein einziges Mal der Ton seiner Stimme bei der Aussprache des Wortes wechselte.
Als die Verteilung geschehen war, fand sich kein Halbstück mehr in der Börse, kein Bettler mehr im Hof.
»Gut,« sagte Heinrich.
»Ist das alles, Sire?« – »Ja, ich bin fertig.«.
Chicot zog den König am Ärmel.
»Sire?« sagte er. – »Nun!«
»Ist es mir erlaubt, neugierig zu sein?« – »Warum nicht? Die Neugierde ist etwas Natürliches.«
»Was sagten Euch diese Bettler, und was zum Teufel antwortetet Ihr?« – Heinrich lächelte.
»Es ist wahrhaftig hier alles geheimnisvoll.« – »Findest du?«
»Ja; ich habe nie auf diese Art Almosen geben sehen.« – »Das ist Gewohnheit in Nérac, mein lieber Chicot. Du kennst das Sprichwort: Jede Stadt hat ihren Gebrauch.«
»Ein seltsamer Gebrauch, Sire.« – »Der Teufel soll mich holen, nein, nichts kann einfacher sein. Alle diese Leute, die du gesehen hast, laufen im Lande umher, um Almosen zu sammeln; doch jeder ist aus einer andern Stadt. Damit ich nun nicht immer demselben gebe, sagen Sie mir den Namen ihrer Stadt; du begreifst, mein lieber Chicot, auf diese Art kann ich meine Wohltaten gleichmäßig austeilen und allen unglücklichen Städten meines Staates nützlich sein.«
»Das ist gut, Sire, soweit es den Namen der Stadt betrifft, den sie Euch nennen; doch warum antwortet Ihr allen Cahors?« – »Ah!« versetzte Heinrich mit vortrefflich gespieltem Erstaunen, »ich habe ihnen Cahors geantwortet?«
»Ich bin dessen sicher.« – »Siehst du, seitdem wir von Cahors gesprochen, habe ich dieses Wort immer im Munde. Es geht hierbei wie bei allen Dingen, die man nicht hat und nach denen man ein sehnsüchtiges Verlangen hegt; man träumt davon und nennt sie, während man träumt.«
»Hm!« machte Chicot, indem er mißtrauisch nach der Seite schaute, wo die Bettler verschwunden waren; »das ist viel weniger klar, als ich es wünschte; Sire, es ist außer diesem noch . . .« – »Wie! es ist noch etwas?«
»Es ist die Zahl, die jeder aussprach, und die eine Gesamtsumme von achttausend bildet,« – »Ah! was die Zahl betrifft, Chicot, da geht es mir wie dir, ich habe es auch nicht verstanden, wenn sie nicht etwa, da die Bettler, wie du weißt, in Körperschaften abgeteilt sind, wenn sie nicht etwa die Zahl der Mitglieder ihrer Körperschaften angegeben haben, was mir sehr wahrscheinlich vorkommt.«
»Sire! Sire!« – »Komm zum Abendessen, mein Freund; nichts öffnet meiner Ansicht nach den Geist so sehr wie Essen und Trinken. Wir suchen bei Tische, und du wirst sehen, daß, wenn meine Pistolen beschnitten, meine Flaschen wenigstens voll sind.«
Der König pfiff einem Pagen und verlangte sein Abendessen. Dann schlang er vertraulich seinen Arm um Chicots und stieg wieder in sein Kabinett hinauf, wo das Abendessen aufgetragen war.
Als er an den Gemächern der Königin vorüberkam, schaute er nach den Fenstern und sah kein Licht.
»Page,« sagte er, »ist Ihre Majestät die Königin nicht zu Hause?« – »Ihre Majestät besucht das Fräulein von Montmorency, das sehr krank sein soll.«
»Ah! arme Fosseuse,« sagte Heinrich; »es ist wahr, die Königin ist ein gutes Herz. Komm' zum Abendessen, Chicot, komm'!«