Alexander Dumas d. Ä.
Die Fünfundvierzig
Alexander Dumas d. Ä.

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König Heinrich von Navarra im Feuer.

Die kleine Armee rückte bis auf zwei Büchsenschüsse zur Stadt vor; hier frühstückte man. Dann wurden den Offizieren und Soldaten zwei Stunden Rast bewilligt.

Es war bereits drei Uhr nachmittags, als der König die Offiziere unter sein Zelt rufen ließ.

Heinrich war sehr bleich, und während er eine Ansprache hielt, zitterten seine Hände sichtbar.

»Meine Herren,« sagte er, »wir sind gekommen, um Cahors zu nehmen; wir müssen also Cahors nehmen, da wir zu diesem Behufe gekommen sind; doch wir müssen es mit Gewalt nehmen, mit Gewalt, versteht ihr wohl, indem wir mit Fleisch durch Eisen und Holz brechen. Der Herr Marschall von Biron, der geschworen hat, alle Hugenotten bis auf den letzten henken zu lassen, liegt fünfundvierzig Meilen von hier im Feld. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist zu dieser Stunde schon ein Bote von Herrn von Vesins an ihn abgeschickt worden; in vier bis fünf Tagen wird er uns auf dem Rücken sein; er hat zehntausend Mann bei sich, und wir sind dann zwischen der Stadt und ihm eingeschlossen. Nehmen wir also Cahors, ehe er ankommt, und wir werden ihn sodann empfangen, wie Herr von Vesins sich anschickt, uns zu empfangen, doch hoffentlich mit besserem Glück; andernfalls wird er wenigstens gute katholische Balken haben, um die Hugenotten daran zu hängen, und wir sind ihm diese Genugtuung schuldig; vorwärts, drauf, drauf, meine Herren; ich will mich an eure Spitze stellen, und Streiche, Ventre-saint-gris, als ob es hagelte!«

Dies war die ganze königliche Anrede; doch sie genügte, wie es scheint, denn die Soldaten antworteten darauf mit enthusiastischem Gemurmel und die Offiziere mit wütenden Bravos.

Die kleine Armee brach unter Mornays Kommando auf, um ihre Stellung zu nehmen. In dem Augenblick, als sie sich in Marsch setzte, kam der König auf Chicot zu und sagte zu ihm: »Verzeih', Freund Chicot, ich habe dich getäuscht, als ich von der Jagd, von Wölfen und von anderen Possen sprach; aber ich mußte dies tun, und es ist auch deine Ansicht, da du es mir rundheraus sagtest; König Heinrich will mir offenbar die Mitgift seiner Schwester Margot nicht bezahlen, und Margot heult, Margot weint, um ihr liebes Cahors zu bekommen; man muß tun, was die Frau will, um den Frieden in der Ehe zu haben.«

»Warum hat sie nicht den Mond von Euch verlangt, da Ihr ein so guter Gatte seid?« versetzte Chicot, durch die königlichen Scherze gereizt.

»Ich hätte es auch versucht, Chicot,« erwiderte der Béarner, »ich liebe sie so sehr, die teure Margot.« – »Oh! Ihr habt schon genug mit Cahors, und wir werden sehen, wie Ihr das angreift.«

»Ah! das ist es gerade, worauf ich kommen wollte; höre mich, Freund Chicot, der Augenblick ist entscheidend und besonders unangenehm. Ja, ich bilde mir nicht viel auf mein Schwert ein; ich bin nicht tapfer, und die Natur empört sich in mir bei jedem Büchsenschuß; Chicot, mein Freund, spotte nicht zu sehr über den armen Béarner, deinen Landsmann und deinen Freund; wenn ich Furcht habe, und du bemerkst es, sage es nicht!«

Heinrich bestieg sein Pferd, doch zweimal war es, als ob er wieder absteigen wollte.

»Auf, Chicot,« sagte er, »steige auch zu Pferde; nicht wahr, du bist auch kein Kriegsmann?« – »Nein, Sire.«

»Nun so komm', Chicot, wir werden miteinander Angst haben, komm' und laß uns das Feuern sehen; ein gutes Pferd für Herrn Chicot!«

Chicot zuckte die Achseln und bestieg, ohne eine Miene zu verziehen, ein schönes spanisches Roß, das man ihm auf Befehl des Königs brachte.

Heinrich setzte sein Pferd in Galopp, Chicot folgte ihm.

Als Heinrich vor die Front seiner kleinen Armee kam, schlug er sein Helmvisier auf.

»Heraus die Fahne! die neue Fahne heraus!« rief er mit einer meckernden Stimme.

Man nahm den Überzug von der Fahne ab, und diese entrollte das doppelte Wappenschild von Navarra und Bourbon majestätisch in der Luft; sie war weiß und trug auf der einen Seite auf Azur die goldenen Ketten und auf der andern Seite die goldenen Lilien mit dem Turnierkranze in Herzform.

»Ich fürchte,« sagte Chicot beiseite, »das ist eine Fahne, die ein schlechtes Handgeld bekommen wird.«

In diesem Augenblick, und als wollten sie Chicots Gedanken entsprechen, donnerten die Kanonen der Festung und rissen die Infanterie, zehn Schritte vom König, nieder.

»Ventre-saint-gris! hast du gesehen, Chicot, das kommt mir hübsch vor!«

Und seine Zähne klapperten.

»Es wird ihm übel werden,« sagte Chicot.

»Ah!« murmelte Heinrich, »ah! du hast Furcht, verfluchtes Gerippe, du zitterst und bebst; warte, ich will dir etwas zu zittern geben.«

Und er drückte die Sporen seinem Schimmel in den Leib, ritt allen voran und kam auf hundert Schritte zu dem Platz, der von dem Feuer der Batterien so rot war, daß sich die Blitze auf seiner Rüstung wie die Strahlen einer untergehenden Sonne widerspiegelten.

Hier hielt er sein Pferd zehn Minuten lang unbeweglich, das Gesicht dem Tore der Stadt zugewendet, und schrie: »Die Faschinen! Ventre-saint-gris! die Faschinen!«

Mornay war ihm mit aufgeschlagenem Visier und das Schwert in der Faust gefolgt. Chicot machte es wie Mornay, er hatte sich panzern lassen, aber nicht den Degen gezogen.

Hinter diesen drei Männern sprengten begeistert durch ihr Beispiel die jungen hugenottischen Edelleute und schrien: »Es lebe Navarra!«

Der Vicomte von Turenne marschierte, eine Faschine auf dem Halse seines Pferdes, an ihrer Spitze.

Jeder kam und warf seine Faschine hinab; in einem Augenblick war der Graben unter der Zugbrücke ausgefüllt.

Die Artilleristen rückten vor, und mit einem Verlust von dreißig Mann bei vierzig gelang es ihnen, ihre Petarden unter das Tor zu bringen.

Die Kartätschen und Musketenkugeln pfiffen um Heinrich wie ein Feuerorkan; zwanzig Mann fielen ganz in seiner Nähe.

»Vorwärts! vorwärts!« sagte er und sprengte mitten unter die Artilleristen.

Er kam an den Rand des Grabens gerade in dem Augenblick, als die erste Petarde spielte. Das Tor spaltete sich an zwei Stellen. Die Artilleristen zündeten die zweite Petarde an; sogleich kamen durch die dreifache Öffnung zwanzig Büchsen hervor und spien ihre Kugeln auf Offiziere und Soldaten.

Die Leute fielen um den König her, als ob man Ähren mähte.

»Sire,« sagte Chicot, ohne an sich selbst zu denken, »in des Himmels Namen, zieht Euch zurück!«

Mornay sagte nichts, aber er war stolz auf seinen Zögling und suchte sich von Zeit zu Zeit vor ihn zu stellen; Heinrich aber schob ihn mit der Hand auf die Seite.

Plötzliche fühlte Heinrich, daß ihm der Schweiß auf der Stirn perlte, und daß ein Nebel vor seinen Augen hinzog.

»Ah! verfluchte Natur,« rief er, »man soll nicht sagen, du habest mich besiegt.«

Dann sprang er von seinem Pferde und schrie: »Eine Axt! eine Axt!«

Und mit kräftigem Arm schlug er Büchsenläufe, Stücke Eichenholz und eherne Nägel ab.

Endlich fiel ein Balken, ein Türflügel, ein Mauerflügel, und hundert Mann stürzten durch die Bresche und riefen: »Navarra! Navarra! Cahors gehört uns. Es lebe Navarra!«

Chicot hatte den König nicht verlassen; er befand sich mit ihm unter dem Torgewölbe, wo Heinrich als einer der ersten eingedrungen war; doch bei jedem Büchsenschuß sah er ihn beben und den Kopf bücken.

»Ventre-saint-gris!« sagte Heinrich wütend, »hast du je eine solche Feigherzigkeit gesehen, Chicot?« – »Nein, Sire,« erwiderte dieser, »ich habe nie einen Feigling gesehen wie Ihr; das ist furchtbar.«

In diesem Augenblick suchten die Soldaten des Herrn von Vesins Heinrich und seine Vorhut aus der Stellung zu vertreiben, die sie unter dem Tor und in den benachbarten Häusern eingenommen hatten.

Heinrich empfing sie mit dem Schwerte in der Hand.

Doch die Belagerten waren die Stärkeren; es gelang ihnen, Heinrich und die Seinigen bis jenseits des Grabens zurückzutreiben.

»Ventre-saint-gris!« rief der König; »ich glaube, meine Fahne weicht zurück; wenn es so ist, werde ich sie selbst tragen.«

Und mit großartiger Anstrengung entriß er seine Standarte dem Träger, hob sie hoch in die Luft und drang zuerst wieder, halb umwickelt von ihren flatternden Falten, in den Platz ein.

»Habe doch Angst,« sagte er, »zittre doch nun, Feigling!«

Die Kugeln pfiffen und platteten sich mit scharfem Klatschen auf seiner Rüstung ab und durchlöcherten die Fahne mit dumpfem Ton. Herr von Turenne, Mornay und tausend andere stürzten dem König nach durch das offene Tor. Die Kanonen schwiegen außen, es galt nun, Leib gegen Leib zu kämpfen.

Trotz des Klirrens der Waffen, trotz des Musketenfeuers, trotz des Zusammenschlagens der Schwerter hörte man Herrn von Vesins rufen: »Verrammelt die Straßen, macht Gräben, feuert von den Zinnen der Häuser!«

»Oh!« sagte Herr von Turenne, der nahe genug war, um ihn zu hören, »die Belagerung der Stadt ist aus, mein armer Vesins.«

Und gleichsam, um diese Worte zu begleiten, feuerte er eine Pistole auf ihn ab und verwundete ihn am Arm.

»Du täuschest dich, Turenne, du täuschest dich,« erwiderte Herr von Vesins; »es gilt zwanzig Belagerungen in Cahors; ist eine abgetan, so bleiben noch neunzehn.«

Herr von Vesins verteidigte sich fünf Tage und fünf Nächte, von Straße zu Straße, von Haus zu Haus. Fünf Tage und fünf Nächte hindurch befehligte Heinrich wie ein Feldherr, schlug sich wie ein Soldat, fünf Tage und fünf Nächte schlief er, den Kopf auf einem Stein, erwachte er, die Axt in der Faust.

Endlich in der Nacht des fünften Tages schien der entkräftete Feind der protestantischen Armee einige Ruhe geben zu müssen. Nun war Heinrich der Angreifende; man überwältigte einen verschanzten Posten, der siebenhundert Mann kostete; beinahe alle guten Offiziere wurden hierbei verwundet; Herr von Turenne wurde von einer Büchsenkugel in die Schulter getroffen, Mornay bekam einen Stein auf den Kopf und wäre beinahe getötet worden.

Der König allein ward nicht verwundet; auf die Furcht, die er anfangs empfunden und so heldenmütig besiegt hatte, war eine fieberhafte Aufregung, eine beinahe wahnsinnige Kühnheit gefolgt; alle Riemen und Haken seiner Rüstung waren sowohl durch seine eigene Anstrengung als durch die Streiche der Feinde zerbrochen; er schlug so mächtig, daß jeder Streich seinen Mann tötete.

Als dieser letzte Posten erobert war, drang der König vollends durch die Ringmauer ein, hinter sich Chicot, der, schweigsam und düster, seit fünf Tagen an seiner Seite das furchtbare Gespenst einer Monarchie emporwachsen sah, die bestimmt war, die Monarchie der Valois zu ersticken.

»Nun, was denkst du, Chicot?« sagte der König, sein Helmvisier aufschlagend, und als ob er in der Seele des armen Botschafters lesen könnte.

»Sire,« brummte Chicot voll Traurigkeit, »ich denke, daß Ihr ein wahrer König seid.«

»Und ich, Sire,« rief Mornay, »ich denke, Ihr seid ein Unvorsichtiger; wie! Ihr habt die Panzerhandschuhe herab und das Visier hoch, während man von allen Seiten auf Euch schießt; seht, seht, abermals eine Kugel!«

In diesem Augenblick schnitt in der Tat eine Kugel pfeifend eine Feder von Heinrichs Helmstutz ab.

In demselben Moment und als sollte Mornay vollkommen recht gegeben werden, ward der König von einem Dutzend feindlicher Büchsenschützen umzingelt, die Herr von Vesins hier in Hinterhalt gelegt hatte; sie schossen tief und richtig.

Das Pferd des Königs wurde getötet, Mornays Bein zerschmettert. Der König fiel; zehn Schwerter erhoben sich über ihm. Chicot allein war aufrecht geblieben, er sprang vom Pferde und schlug mit seinem Raufdegen ein so schnelles Rad, daß er die Vordersten zurücktrieb.

Dann hob er den König auf, der im Zeug seines Pferdes verwickelt war, führte ihm sein eigenes Pferd zu und sagte: »Sire, Ihr werdet dem König von Frankreich bezeugen, daß ich, wenn auch den Degen gegen ihn gezogen, doch niemand berührt habe.«

Heinrich zog Chicot an sich, umarmte ihn, Tränen in den Augen und sagte: »Ventre-saint-gris! du sollst mir gehören, Chicot; du sollst mit mir leben, mit mir sterben, mein Sohn. Mein Dienst ist gut wie mein Herz.«

»Sire,« erwiderte Chicot, »ich habe nur einen Dienst in dieser Welt, den meines Fürsten. Ach! sein Glanz ist im Abnehmen, doch ich werde dem Mißgeschick treu sein, nachdem ich das Glück geringgeschätzt habe. Laßt mich also meinem König dienen und ihn lieben, solange er lebt; ich werde bald allein mit ihm sein, beneidet ihn nicht um seinen letzten Diener!«

»Chicot,« sagte Heinrich, »ich nehme Euch das Versprechen ab, hört Ihr! Ihr seid mir teuer und heilig, und nach Heinrich von Frankreich werdet Ihr Heinrich von Navarra zum Freund haben.«

»Ja, Sire,« antwortete Chicot ganz einfach, indem er dem König ehrerbietig die Hand küßte.

»Ihr seht nun, mein Freund,« sagte der König, »Cahors gehört uns. Herr von Vesins wird alle seine Leute hier töten lassen, doch ich werde alle meine Leute eher töten lassen, als daß ich zurückweiche.«

Die Drohung war unnötig, und Heinrich brauchte nicht länger auszuharren; seine Truppen hatten unter Turenne die Garnison überwältigt, Herr von Vesins war gefangengenommen. Die Stadt ergab sich.

Heinrich nahm Chicot bei der Hand und führte ihn in ein völlig brennendes und von Kugeln durchlöchertes Haus, das ihm als Hauptquartier diente, und hier diktierte er Herrn von Mornay einen Brief, den Chicot dem König von Frankreich überbringen sollte.

Dieser Brief war in schlechtem Lateinisch abgefaßt und endigte mit Worten, die etwa besagten: »Was Ihr mir gesagt habt, ist mir sehr nützlich gewesen. Ich kenne meine Getreuen, lernt die Eurigen kennen. Chicot wird Euch das übrige sagen.«

»Und nun, Freund Chicot,« fuhr Heinrich fort, »umarmt mich, beschmutzt Euch aber nicht, denn, Gott verzeihe mir, ich bin blutig wie ein Schlächter. Ich würde Euch einen Teil von meinem Wildbret bieten, wenn ich wüßte, daß Ihr es annähmet, aber ich sehe in Euren Augen eine Weigerung. Doch hier ist mein Ring, nehmt ihn, ich will es; und dann Gott befohlen, ich halte Euch nicht mehr zurück; reitet eilig gen Frankreich, Ihr werdet bei Hofe Glück machen, wenn Ihr erzählt, was Ihr gesehen habt.«

Chicot nahm den Ring an sich und brach auf. Er brauchte drei Tage, um sich zu überzeugen, daß er nicht geträumt habe und nicht in Paris vor den Fenstern seines Hauses erwachen werde, wo Herr von Joyeuse Serenaden gebe.



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