Alexander Dumas d. Ä.
Die Fünfundvierzig
Alexander Dumas d. Ä.

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sainte-Maline.

Ernauton hatte sich nicht getäuscht, der bezeichnete Mann war wirklich Chicot. Chicot besaß seinerseits ein gutes Gesicht und ein gutes Gehör; er hatte die Reiter von fern gesehen und gehört. Er vermutete, sie wollten etwas von ihm, und erwartete sie deshalb.

Als ihm in dieser Hinsicht kein Zweifel mehr blieb und er gesehen hatte, daß die Reiter ihre Richtung gegen ihn nahmen, legte er seine Hand an den Griff seines Degens, um eine edle Haltung anzunehmen.

Ernauton und Sainte-Maline schauten sich eine Minute lang, beide stumm, an.

»An Euch ist es,« sagte Ernauton, sich vor seinem Gegner verbeugend.

Sainte-Maline erstickte beinahe; die Überraschung durch diese Höflichkeit schnürte ihm die Gurgel zusammen; er antwortete nur, indem er den Kopf neigte.

Als Ernauton sah, daß er schwieg, nahm er das Wort und sagte zu Chicot: »Mein Herr, wir, dieser Herr und ich, sind Eure Diener.«

Chicot verbeugte sich mit seinem anmutigsten Lächeln.

»Wäre es unbescheiden, Euch um Euren Namen zu fragen?« fuhr der junge Mann fort. – »Ich heiße der Schatten, mein Herr.«

»Ihr erwartet etwas?« – »Ja.«

»Nicht wahr, Ihr werdet so gut sein, uns zu sagen, was Ihr erwartet?« – »Ich erwarte einen Brief.«

»Ihr begreift unsere Neugierde, mein Herr, sie hat nichts Beleidigendes für Euch.«

Chicot verbeugte sich beständig und zwar mit einem immer freundlicheren Lächeln.

»Woher erwartet Ihr diesen Brief?« – »Vom Louvre.«

»Mit welchem Siegel?« – »Mit dem königlichen Siegel.«

Ernauton legte die Hand an die Brust und fragte: »Ihr würdet diesen Brief erkennen?« – »Ja, wenn ich ihn sehen würde.«

Ernauton zog den Brief aus der Brust.

»Das ist er,« sagte Chicot, »und nicht wahr, Ihr wißt, daß ich Euch etwas dafür geben muß?« – »Einen Empfangschein.«

»Mein Herr,« sagte Ernauton, »ich war vom König bestellt, Euch diesen Brief zu tragen, doch dieser Herr ist beauftragt, ihn Euch zu übergeben.«

Und er reichte den Brief Sainte-Maline, der ihn nahm und Chicot in die Hände legte.

Um jede Eifersucht zu ersticken, schrieb Chicot auf Ernautons Rat für jeden der beiden Boten folgenden Empfangschein:

»Aus den Händen des Herrn René von Sainte-Maline den von Herrn Ernauton von Carmainges getragenen Brief empfangen zu haben, bescheinigt

»Der Schatten

»Gott befohlen, mein Herr,« sagte Sainte-Maline, der sich seines Scheins bemächtigte.

»Gott befohlen und glückliche Reise,« fügte Ernauton hinzu; »habt Ihr noch etwas anderes im Louvre zu bestellen?« – »Durchaus nichts, meine Herren, großen Dank.«

Ernauton und Sainte-Maline wandten ihre Pferde Paris zu, und Chicot entfernte sich mit einem Schritt, um den ihn das beste Maultier beneidet hätte.

Als Chicot verschwunden war, hielt Ernauton, der kaum hundert Schritte zurückgelegt hatte, sein Pferd kurz an und sagte zu Sainte-Maline: »Nun, mein Herr, steigt ab, wenn Ihr wollt!«

»Und warum?« fragte Sainte-Maline erstaunt.

»Unsere Aufgabe ist vollbracht, und wir können nun ein Wort miteinander reden. Der Ort scheint mir vortrefflich dafür geeignet.«

»Nach Eurem Belieben,« erwiderte Sainte-Maline, indem er vom Pferde stieg, wie es sein Gefährte schon getan hatte.

Als er auf der Erde war, näherte sich ihm Ernauton und sagte: »Ihr wißt, mein Herr, daß Ihr mich ohne Veranlassung und ohne allen Grund auf dem ganzen Wege schwer beleidigt habt. Mehr noch: Ihr wolltet mich bewegen, in einem ungeeigneten Augenblick den Degen in die Hand zu nehmen, und ich weigerte mich. Doch jetzt ist der Augenblick da, und ich bin Euer Mann.«

Sainte-Maline hörte diese Worte mit düsterer Miene und gefalteter Stirn; aber da er nicht mehr in dem Strome des Zornes war, der ihn über alle Grenzen fortgerissen hatte, wollte er sich seltsamerweise nicht mehr schlagen. Die Überlegung hatte ihm seinen gesunden Verstand wiedergegeben.

»Mein Herr,« antwortete er, nachdem er einen Augenblick geschwiegen hatte, »Ihr habt mir meine Beleidigungen durch Dienste erwidert; ich vermöchte daher nicht mehr die Sprache gegen Euch zu führen, die ich vorhin führte.«

Ernauton faltete die Stirn und entgegnete: »Nein, doch Ihr denkt noch, was Ihr vorhin ausspracht.«

»Wer sagt Euch das? Warum?«

»Weil alle Eure Worte vom Haß und Neid diktiert waren, und weil dieser Haß und dieser Neid in den zwei Stunden nicht in Eurem Herzen erloschen sein können.«

Sainte-Maline errötete, antwortete aber nicht.

Ernauton wartete einen Augenblick und fuhr dann fort: »Hat mich der König Euch vorgezogen, so geschah dies, weil ihm mein Gesicht besser gefällt, als das Eurige; bin ich nicht in die Bièvre geraten, so geschah dies, weil ich besser reite, als Ihr; habe ich Eure Herausforderung damals nicht angenommen, so war dies der Fall, weil ich mehr Weisheit besitze, als Ihr; ließ ich mich nicht von dem Hund des Mannes beißen, so war dies die Folge davon, daß ich vorsichtiger bin, als Ihr; fordere ich Euch endlich zu dieser Stunde auf, mir Genugtuung zu geben und den Degen zu ziehen, so ist dies der Fall, weil ich mehr wahre Ehre und, nehmt Euch in acht . . . wenn Ihr zögert, sage ich, mehr Mut besitze.«

Sainte-Maline bebte, und seine Augen schleuderten Blitze; alle schlimme Leidenschaften hatten nach und nach ihre Brandmale auf sein bleiches Gesicht gedrückt. Bei dem letzten Worte des jungen Mannes zog er seinen Degen wie ein Wütender. Ernauton hatte den seinigen schon in der Hand.

»Hört,« rief Sainte-Maline, »nehmt das letzte Wort, das Ihr gesprochen, zurück, es ist zu viel, Ihr müßt es gestehen, Ihr, der Ihr mich genau kennt, da wir, wie Ihr gesagt, nur zwei Meilen voneinander wohnen; nehmt es zurück, Ihr müßt Euch mit meiner Demütigung begnügen; entehrt mich nicht.«

»Mein Herr, da ich nie in Zorn gerate, so sage ich immer nur, was ich sagen will, folglich werde ich gar nichts zurücknehmen. Ich bin auch empfindlich und neu bei Hofe und will nicht zu erröten haben, sooft ich Euch begegne. Einen Degenstich, wenn's beliebt, das ist ebensowohl zur Genugtuung für mich als für Euch.«

»Oh! mein Herr,« sagte Sainte-Maline, mit düsterm Lächeln, »ich habe mich elfmal geschlagen, und von meinen elf Gegnern sind zwei gestorben. Ich denke. Ihr wißt das noch?«

»Und ich habe mich nie geschlagen, weil sich mir nie eine Gelegenheit geboten hat; ich finde sie nach meinem Wohlgefallen, sie kommt auf mich zu, da ich sie nicht suchte, und ich ergreife sie bei den Haaren. Ich erwarte Euch.«

»Hört,« sagte Sainte-Maline, den Kopf schüttelnd, »wir sind Landsleute, wir sind im Dienste des Königs, zanken wir uns nicht mehr, ich halte Euch für einen wackern Mann; ich würde Euch sogar die Hand bieten, wenn dies nicht beinahe unmöglich wäre. Was wollt Ihr? Ich zeige mich Euch, wie ich bin. Ich bin neidisch, was soll ich machen? Die Natur hat mich an einem schlimmen Tag geschaffen. Herr von Chalabre oder Herr von Montcrabeau oder Herr von Pincorney hätten mich nicht in Zorn gebracht; Euer Verdienst ist es, was meinen Ärger verursacht; tröstet Euch also, da mein Neid nichts gegen Euch vermag und Euch Euer Verdienst zu meinem großen Bedauern bleibt. Wir werden nicht weiter gehen, nicht wahr, ich würde zu sehr leiden, wenn Ihr den Beweggrund unseres Streites sagtet.«

»Niemand wird unseren Streit erfahren, mein Herr.« – »Niemand?«

»Nein, denn wenn wir uns schlagen, so werde ich entweder Euch töten oder mich töten lassen. Ich bin keiner von denen, denen wenig am Leben gelegen ist, im Gegenteil, es liegt mir sehr viel daran. Ich zähle dreiundzwanzig Jahre, habe einen schönen Namen, bin nicht ganz arm; ich hoffe auf mich und auf die Zukunft und werde mich, seid unbesorgt, wie ein Löwe verteidigen.« – »Ich zähle schon dreißig Jahre und bin des Lebens ziemlich überdrüssig, denn ich glaube weder an die Zukunft noch an mich; doch obgleich des Lebens überdrüssig, will ich mich lieber nicht mit Euch schlagen.«

»Dann werdet Ihr Euch bei mir entschuldigen?« – »Nein, ich habe genug getan und genug gesagt. Seid Ihr nicht zufrieden, desto besser, dann hört Ihr auf, mir überlegen zu sein.«

»Ich muß Euch daran erinnern, mein Herr, daß man einen Streit nicht so endigt, ohne sich dem Gelächter auszusetzen, wenn beide Gaskogner sind.« – »Das ist es gerade, worauf ich warte.«

»Ihr wartet?« – »Auf einen Lacher! . . . Oh! das wird ein herrlicher Augenblick für mich sein.«

»Ihr verweigert also den Zweikampf?« – »Ich wünsche mich nicht zu schlagen, versteht sich, mit Euch.«

»Nachdem Ihr mich herausgefordert?« – »Ich gestehe es.«

»Aber wenn mir die Geduld ausgeht, und ich Euch mit dem Degen angreife?« – Sainte-Maline ballte krampfhaft die Fäuste und erwiderte: »Dann desto besser, ich werfe meinen Degen zehn Schritte von mir.«

»Nehmt Euch in acht, mein Herr, denn in diesem Falle bediene ich mich nicht der Spitze.« – »Gut, dann habe ich einen Grund, Euch zu hassen. Und eines Tages, an einem Tage der Schwäche von Eurer Seite, werde ich Euch erwischen, wie Ihr es mit mir getan habt, und Euch in der Verzweiflung töten.«

Ernauton steckte seinen Degen wieder in die Scheide und sagte: »Ihr seid ein seltsamer Mann, und ich beklage Euch aus tiefstem Herzen.« – »Ihr beklagt mich?«

»Ja, denn Ihr müßt furchtbar leiden.« – »Furchtbar.«

»Ihr müßt nie lieben?« – »Nie.«

»Doch Ihr habt wenigstens Leidenschaften?« – »Eine einzige.«

»Die Eifersucht, wie Ihr mir gesagt habt.« – »Ja, und Folge davon ist, daß ich sie alle in einem unsäglichen Grade der Schande und des Unglücks habe, – ich bete eine Frau an, sobald sie einen andern als mich liebt, – ich liebe das Gold, wenn es von einer andern Hand berührt wird, – ich trinke, um den Zorn in mir zu erhitzen, das heißt, um ihn scharf zu machen, wenn er nicht chronisch ist, um ihn ausbrechen und brennen zu lassen, wie Blitz und Donner; – oh! ja, ja, Ihr habt es gesagt, Herr von Ernauton, ich bin unglücklich.«

»Habt Ihr es nie versucht, gut zu werden?« – »Es ist mir nicht gelungen.«

»Was hofft Ihr denn? Was gedenkt Ihr zu tun?« – »Was tut die Giftpflanze? Sie hat Blüten, wie die anderen Pflanzen, und einige Leute wissen Nutzen daraus zu ziehen. Was machen der Bär und der Raubvogel? Sie beißen; doch die Bändiger wissen sie für die Jagd zu dressieren; so bin ich, und so bleibe ich wahrscheinlich in den Händen des Herrn von Epernon und Herrn von Loignac, bis zu dem Tage, wo man sagen wird: diese Pflanze ist schädlich, reißen wir sie aus, dieses Tier ist wütend, töten wir es.«

Ernauton hatte sich allmählich besänftigt. Sainte-Maline war für ihn nicht mehr ein Gegenstand des Zorns, sondern des Studiums; er fühlte beinahe Mitleid mit ihm nach seinem seltsamen Geständnis.

Vergebens suchte Ernauton seinen verzweifelten Partner mit tröstenden Worten aufzurichten.

Dann schlugen beide, stumm und düster, wieder den Weg nach Paris ein. Plötzlich reichte Ernauton Sainte-Maline die Hand und sagte: »Soll ich Euch heilen?«

»Kein Wort mehr,« erwiderte Sainte-Maline; »versucht das nicht, Ihr würdet scheitern. Haßt mich im Gegenteil, dies wird das Mittel sein, Euch zu bewundern.«

»Noch einmal, ich beklage Euch,« sagte Ernauton.

Eine Stunde nachher kamen die Reiter in den Louvre zurück und wandten sich nach der Wohnung der Fünfündvierzig. Der König war ausgefahren und sollte erst am Abend zurückkehren.



 << zurück weiter >>