Alexander Dumas d. Ä.
Die Fünfundvierzig
Alexander Dumas d. Ä.

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Franzosen und Flamländer.

Im Augenblick, als der ganze Rat das Stadthaus verließ, und die Offiziere sich an die Spitze ihrer Mannschaft stellten, um die Befehle des unbekannten Führers zu vollziehen, der von der Vorsehung selbst den Flamländern zugeschickt zu sein schien, erscholl in weitem Kreise ein Geräusch, das die ganze Stadt einzuschließen schien und in einem einzigen gewaltigen Schrei zusammenklang.

Zugleich begann aber die Artillerie zu donnern, die die Franzosen mitten auf ihrem nächtlichen Marsch und während sie selbst zu überrumpeln glaubten, überfiel. Doch statt ihren Marsch zu unterbrechen, beschleunigte sie ihn nur.

Konnte man die Stadt nicht durch Überrumplung und mit Sturmleitern nehmen, so konnte man doch, wie wir es den König von Navarra in Lahors machen sahen, den Graben mit Faschinen füllen und die Tore durch Petarden sprengen.

Die Kanonen auf den Wällen setzten ihr Feuer ununterbrochen fort, doch in der Nacht war ihre Wirkung fast gleich Null. Nachdem sie das Geschrei ihrer Gegner erwidert hatten, rückten die Franzosen in der Stille mit der ihnen beim Angriff eigenen Unerschrockenheit vor.

Doch plötzlich öffneten sich die Tore und Schlupfpforten, und von allen Seiten stürzten Bewaffnete hervor; es waren die Flamländer, die in geschlossenen Bataillonen, in gedrängten Gruppen vorrückten, über denen eine mehr geräuschvolle als furchtbare Artillerie fortwährend donnerte.

Nun entspinnt sich der Kampf Fuß an Fuß, Schwert und Messer schlagen aneinander, Pike und Degenklinge streifen sich, Pistolenschuß und Büchsenfeuer erleuchten die von Blut geröteten Gesichter.

Kein Schrei, kein Murren, keine Klage; der Flamländer schlägt sich mit Grimm, der Franzose mit Trotz. Der Flamländer ist wütend, daß er sich zu schlagen hat, denn er schlägt sich weder, weil es sein Gewerbe ist, noch zu seinem Vergnügen. Der Franzose ist wütend, weil man ihn angegriffen hat, während er angreifen wollte.

In dem Augenblick, als man mit der Erbitterung, die wir vergebens zu schildern versuchen würden, handgemein wird, vernimmt man hastig aufeinanderfolgende Schüsse von Sainte-Marie her, und es erhebt sich über der Stadt ein Schein, wie ein Flammenbusch. Es ist Joyeuse, der, die Scheldensperre erzwingend, mit seiner Flotte bis in das Herz von Antwerpen eindringen wird. So hoffen wenigstens die Franzosen.

Doch dem ist nicht so. Von einem Westwinde, das heißt von dem bei einem solchen Unternehmen günstigsten Wind getrieben, hatte Joyeuse die Anker gelichtet und sich, die Admiralsgaleere an der Spitze, dieser Brise überlassen, die ihn trotz der Strömung fortführte. Alles war zum Kampf bereit; seine mit ihren Entersäbeln bewaffneten Soldaten standen auf dem Hinterteil. Seine Kanoniere waren mit angezündeten Lunten bei ihren Stücken, seine Mastwächter mit Granaten in den Mastkörben; die Elitematrosen endlich hielten sich, mit Äxten bewaffnet, bereit, auf die feindlichen Schiffe und Barken zu springen und Ketten und Seile zu durchhauen, um eine Öffnung für die Flotte zu machen.

Man rückte in der Stille vor. In Form eines Keils, dessen spitzigsten Winkel die Admiralsgaleere bildete, schienen Joyeuses sieben Schiffe über das Wasser hingleitende riesige Gespenster zu sein. Der junge Mann, dessen Posten die Kommandostelle war, hatte nicht hier bleiben können. Mit einer prächtigen Rüstung angetan, hatte er auf der Galeere den Platz des ersten Leutnants eingenommen; er beugte sich über das Bugspriet, und sein Auge schien die Nebel des Flusses und die Tiefe der Nacht durchdringen zu wollen.

Bald sah er durch diese doppelte Dunkelheit den Damm erscheinen, der sich düster quer durch den Fluß erstreckte. Er schien öde und verlassen, nur lag in diesem Lande der Hinterhalte etwas Furchtbares in dieser Einsamkeit und Verlassenheit. Man rückte indessen immer vor; man war etwa noch zehn Kabellängen von der Sperrung, und in jeder Sekunde kam man ihr näher, ohne daß ein einziges »Wer da!« die Ohren der Franzosen getroffen hätte.

Die Matrosen sahen in dieser Stille nur eine Nachlässigkeit, über die sie sich freuten; vorsichtiger als die andern, vermutete der junge Admiral eine List, über die er erschrak.

Endlich drang die Admiralsgaleere mitten in das Takelwerk der beiden Schiffe, die den Mittelpunkt der Sperrung bildeten, trieb sie vor sich her und schob diesen ganzen biegsamen Damm zurück, dessen Abteilungen durch Ketten miteinander verbunden waren, und der, indem er nachgab, ohne zu brechen, sich an die Flanken der französischen Schiffe anlegend, dieselbe Form annahm, die diese Schiffe selbst boten.

Plötzlich und in dem Augenblick, als die Axtträger, Befehl erhielten, hinabzusteigen, um die Sperrung zu durchbrechen, klammerte sich, von unsichtbaren Händen geworfen, eine Menge von Schiffshaken an dem Takelwerk der französischen Schiffe an.

Die Flamländer kamen den Franzosen zuvor, indem sie das taten, was diese tun wollten. Joyeuse glaubte, seine Feinde böten ihm einen heftigen Kampf, und er nahm ihn an. Die von seiner Seite geworfenen Haken banden die feindlichen Schiffe durch eiserne Knoten an die seinigen. Er riß eine Axt aus den Händen eines Matrosen, sprang zuerst auf das Schiff, das er mit einer sichern Fessel festhielt, und rief: »Entert! entert!«

Seine ganze Mannschaft folgte ihm, und Offiziere und Matrosen stießen denselben Schrei aus; doch kein Schrei erwiderte den seinigen, keine Macht widersetzte sich seinem Angriff. Man sah nur drei mit Menschen beladene Barken schweigsam, wie drei verspätete Seevögel, über den Fluß hingleiten.

Diese Barken entflohen mit kräftigem Ruderschlag, während die Angreifenden unbeweglich auf den Schiffen blieben, die sie ohne Kampf erobert hatten.

So war es auf der ganzen Linie.

Plötzlich hörte Joyeuse unter sich ein dumpfes Knistern, und ein Schwefelgeruch verbreitete sich in der Luft. Ein Gedanke durchzuckte seinen Geist; er hob eine Luke auf; die Eingeweide des Schiffes brannten. Im Augenblick erscholl der Ruf: »Auf die Schiffe! auf die Schiffe!« auf der ganzen Linie.

Jeder stieg hastiger hinauf, als er herabgestiegen war; Joyeuse, der zuerst herabgesprungen, stieg zuletzt hinauf. In der Sekunde, als er die Wand seiner Galeere erreichte, sprengte die Flamme das Verdeck des Schiffes, das er verließ.

Dann wirbelten wie aus zwanzig Vulkanen Flammen empor; jede Barke, jede Schaluppe, jedes Boot war ein Krater; die französische Flotte schien von einem Feuerschlund beherrscht.

Es wurde Befehl gegeben, das Takelwerk abzuhauen, die Ketten zu durchbrechen, die Haken zu zerschmettern; die Matrosen stürzten in die Taue mit der Geschwindigkeit von Menschen, die überzeugt sind, daß ihre Rettung von der Eile abhängt.

Aber die Arbeit war ungeheuer; vielleicht hätte man die von den Feinden auf die französische Flotte geworfenen Haken losgemacht; doch es blieben noch die von der französischen Flotte auf die feindlichen Schiffe geworfenen.

Plötzlich hörte man ein zwanzigfaches Donnern; die französischen Schiffe zitterten in ihrem Gebälk, ächzten in ihrer Tiefe. Es waren die Kanonen, die den Damm verteidigten und, bis an die Mündung geladen und von den Antwerpenern verlassen, von selbst losgingen, wie sie das Feuer erreichte, und alles, was sich in ihrer Richtung fand, zertrümmerten. Die Flammen stiegen wie riesige Schlangen an den Masten hinauf, umschlangen die Rahen und leckten dann mit ihren spitzigen Zungen an den kupfernen Flanken der französischen Schiffe.

Joyeuse, mit seiner herrlichen mit Gold damaszierten Rüstung, glich, wie er ruhig und mit gebieterischer Stimme seine Befehle mitten unter diesen Flammen erteilte, einem fabelhaften Seeungeheuer mit Millionen von Schuppen, die bei jeder Bewegung einen Funkenstaub abschüttelten. Doch bald wurde das Gekrach heftiger, niederschmetternder; es donnerten nicht mehr die Kanonen, sondern die Pulverkammern fingen Feuer, die Schiffe selbst flogen in Trümmer.

Solange er die tödlichen Bande, die ihn mit seinen Feinden verknüpften, zu sprengen hoffte, kämpfte Joyeuse, doch er hatte keine Hoffnung mehr, daß es ihm gelingen würde; die Flamme hatte die französischen Schiffe erreicht, und bei jedem Schiffe fiel ein Feuerregen, dem Bukett eines Kunstfeuerwerks ähnlich, auf das Verdeck herab.

Nur war dieses Feuer das griechische, das unversöhnliche Feuer, das von dem, was die andern Feuer auslöscht, noch mehr entfacht wird und seine Beute bis in die Tiefe des Wassers verzehrt.

Die Antwerpener Schiffe hatten beim Zerspringen die Dämme durchbrochen; aber die französischen Schiffe fielen, statt ihren Weg fortzusetzen, selbst ganz in Flammen ab und rissen einige Trümmer des zerfressenden Brandes nach, der sie mit seinen Flammenarmen gepackt hatte.

Joyeuse begriff, daß kein Kampf mehr möglich war; er befahl, alle Boote auszusetzen und am linken Ufer zu landen. Der Befehl wurde den andern Schiffen mit Hilfe eines Sprachrohres mitgeteilt; die ihn nicht hörten, hatten instinktartig denselben Gedanken. Die ganze Mannschaft wurde bis auf den letzten Matrosen eingeschifft, ehe Joyeuse das Verdeck seiner Galeere verließ. Seine Kaltblütigkeit schien jedem einzelnen Kaltblütigkeit zu verleihen; jeder von seinen Seeleuten hatte seine Axt oder seinen Entersäbel in der Faust.

Ehe Joyeuse das Ufer des Flusses erreicht hatte, sprang die Admiralsgaleere in die Luft und beleuchtete auf der einen Seite den Umriß der Stadt und auf der andern den ungeheuren Horizont des Flusses, der sich, immer weiter werdend, am Meer verlor.

Die kalvinistische Kavallerie hatte inzwischen, Wunder verrichtend, angegriffen; mit dem Schwerte ihrer Reiter öffnet sie die Haufen, unter den Hufen ihrer Pferde zermalmt sie sie; aber die verwundeten Flamländer schlitzen den Pferden mit ihren breiten Messern den Bauch auf. Trotz dieses glänzenden Kavallerieangriffs geraten die französischen Reihen etwas in Unordnung, und sie behaupten sich nur noch, statt vorzurücken, während aus den Toren der Stadt unablässig frische Bataillone hervorkommen, die sich auf die Armee des Herzogs von Anjou werfen.

Plötzlich vernimmt man ein gewaltiges Geschrei fast unter den Mauern der Stadt; der Ruf: »Anjou! Anjou! Frankreich! Frankreich!« erschallt aus den Flanken der Antwerpener, und ein furchtbarer Stoß erschüttert die ganze enggeschlossene Masse.

Joyeuse ist es, der diese Bewegung verursacht; seine Matrosen sind es, die diese Schreie ausstoßen; fünfzehnhundert mit Äxten und kurzen Säbeln bewaffnete Leute fallen, von Joyeuse angeführt, plötzlich über die Flamländer her; sie haben ihre in Flammen stehende Flotte und zweihundert verbrannte oder ertränkte Kameraden zu rächen. Sie stellten sich nicht in Schlachtordnung, sondern stürzten auf die erste Gruppe los, die sie an ihrer Sprache und ihrer Tracht als feindlich erkannten, und niemand handhabt besser als Joyeuse sein langes Schlachtschwert; sein Faustgelenk dreht sich wie ein stählernes Rad, und jeder Hieb spaltet einen Schädel, jeder Stoß durchbohrt einen Mann.

Die flämische Gruppe, über die Joyeuse herfiel, wurde verzehrt wie ein Getreidekorn von einer Legion von Ameisen, und trunken durch diesen ersten Sieg, drangen die Matrosen vorwärts.

Während sie aber Boden gewannen, verlor ihn die kalvinistische Kavallerie allmählich; doch die Infanterie kämpfte fortwährend Leib an Leib mit den Flamländern.

Der Herzog von Anjou hatte den Brand der Flotte wie einen entfernten Schein erschaut, er hatte den Donner der Kanonen und das Krachen der zerspringenden Schiffe gehört, ohne etwas anderes zu ahnen als einen erbitterten Kampf, der auf dieser Seite natürlich durch den Sieg Joyeuses enden müsse. Er erwartete daher jeden Augenblick eine Abziehung des Feindes durch Joyeuse, als man ihm plötzlich meldete, die Flotte sei zerstört, und Joyeuse und seine Matrosen griffen mitten unter den Flamländern an.

Nun erfaßte den Prinzen eine große Unruhe; die Flotte bedeutete den Rückzug und folglich die Sicherheit der Armee. Er schickte an die kalvinistische Reiterei den Befehl ab, einen neuen Angriff zu versuchen, und die erschöpften Reiter und Pferde sammelten sich, um sich abermals auf die Antwerpener zu stürzen.

Mitten unter dem Gemenge hörte man die Stimme des Herrn von Joyeuse rufen: »Haltet fest, Herr von Saint-Aignan, Frankreich! Frankreich!«

Und wie ein Mäher, der ein Kornfeld angreift, schwang er sein Schwert in der Luft, ließ es niedersinken und legte seine Menschenernte zu seinen Füßen; der schwache Günstling, der zarte Sybarit schien mit seinem Panzer die fabelhafte Stärke des Herkules angelegt zu haben. Und die Infanterie faßte wieder Mut und kehrte mit neuer Anstrengung, wie die Reiterei, in den Kampf zurück.

Da aber ritt der Mann, den man Monseigneur nannte, auf einem schönen Rappen aus der Stadt. Er trug eine schwarze Rüstung, nämlich Helm, Armschienen, Panzer und Beinschienen von poliertem Stahl, und es folgten ihm fünfhundert Reiter auf vortrefflichen Pferden, die der Prinz von Oranien zu seiner Verfügung gestellt hatte. Er eilte dahin, wo das größte Gedränge stattfand; dahin, wo Joyeuse mit seinen Matrosen kämpfte. Die Flamländer erkannten ihn, traten vor ihm auf die Seite und riefen freudig: »Monseigneur! Monseigneur!« Joyeuse und seine Matrosen fühlten, wie der Feind auf die Seite wich, sie hörten dieses Geschrei und fanden sich plötzlich dieser neuen Truppe gegenüber, die unversehens und wie durch einen Zauber vor ihnen erschien.

Joyeuse trieb sein Pferd gegen den schwarzen Reiter, und beide trafen mit finsterer Erbitterung aufeinander. Bei dem ersten Zusammenschlagen ihrer Schwerter entwickelte sich eine Garbe von Funken. Auf die Festigkeit seiner Rüstung und auf seine Gewandtheit in der Fechtkunst vertrauend, führte Joyeuse mächtige Streiche, die geschickt pariert wurden. Zugleich traf ihn das Schwert seines Gegners auf die volle Brust, glitt auf dem Panzer hin, drang durch den Zwischenraum der Rüstung ein; und es spritzten ein paar Tropfen Blut aus seiner Schulter.

»Ah!« rief der junge Admiral, als er die Spitze des Schwertes fühlte, »dieser Mann ist ein Franzose, mehr noch, er hat das Fechten unter demselben Meister gelernt wie ich.«

Bei diesen Worten sah man, wie der Unbekannte sich abwandte und sich auf einen andern Punkt zu werfen suchte.

»Wenn du ein Franzose bist, so bist du ein Verräter,« rief ihm Joyeuse zu, »denn du kämpfst gegen deinen König, gegen dein Vaterland, gegen deine Fahne.«

Der Unbekannte antwortete nur, indem er sich umwandte und Joyeuse wütend angriff. Aber diesmal war Joyeuse gewarnt und wußte, mit welchem geschickten Degen er es zu tun hatte. Er parierte hintereinander drei bis vier Streiche, die mit ebensoviel Geschicklichkeit wie Wut, mit ebensoviel Kraft wie Nachdruck geführt wurden.

Der Unbekannte machte nun eine Bewegung des Rückzugs.

»Halt!« rief ihm der junge Mann zu, »seht, was man tut, wenn man sich für sein Vaterland schlägt; ein reines Herz und ein redlicher Arm genügen, um einen Kopf ohne Helm, eine Stirn ohne Visier zu beschützen.« Und er riß die Agraffen seines Helmes auf, schleuderte ihn weit von sich und entblößte seinen edlen, schönen Kopf, dessen Augen von Kraft, Stolz und Jugend glänzten.

Statt das gegebene Beispiel zu befolgen, stieß der Reiter mit der schwarzen Rüstung ein dumpfes Gebrüll aus und erhob sein Schwert über diesem entblößten Haupt.

»Ah!« rief Joyeuse, während er parierte, »ich sagte es wohl, du bist ein Verräter und sollst als Verräter sterben.«

Und ihn hart bedrängend, versetzte er ihm hintereinander zwei bis drei Stöße mit der Schwertspitze, von denen einer durch eine Öffnung des Helmvisiers eindrang.

»Oh! ich werde dich töten,« sagte der junge Mann, »und dir den Helm entreißen, der dich beschützt und so gut verbirgt, und dann am ersten Baum aufhängen, den ich an der Straße finde.«

Der Unbekannte wollte einen Gegenstoß tun, als ein Kavalier, der eben zu ihm herangeritten war, sich an sein Ohr neigte und zu ihm sagte: »Monseigneur, kein Scharmützel mehr, Eure Gegenwart ist dort ersprießlicher.«

Der Unbekannte folgte mit den Augen der von der Hand des andern angegebenen Richtung und sah die Flamländer vor der kalvinistischen Kavallerie zögern.

»In der Tat,« sagte er mit düsterem Tone, »dort sind, die ich suchte.«

In diesem Augenblick fiel eine Welle von Reitern über Joyeuses Matrosen her, die, müde, ohne Unterlaß mit ihren Riesenwaffen zu schlagen, den ersten Schritt rückwärts machten. Der schwarze Reiter benutzte diese Bewegung, um im Gemenge und in der Dunkelheit zu verschwinden. . . . .

Eine Viertelstunde nachher wichen die Franzosen auf allen Punkten und suchten sich zurückzuziehen, ohne zu fliehen. Herr von Saint-Aignan ergriff alle Maßregeln für einen Rückzug in guter Ordnung. Doch eine neue Truppe von fünfhundert Pferden und zweitausend Mann Fußvolk rückte ganz frisch aus der Stadt hervor und fiel über die schon ermattete Armee her. Es waren die alten Banden des Prinzen von Oranien, die nach und nach gegen den Herzog von Alba, gegen Don Juan, gegen Requesens und gegen Alexander Farnese gestritten hatten.

Da mußte man sich entschließen, das Schlachtfeld zu verlassen und seinen Rückzug zu Land zu nehmen, da die Flotte, auf die man eintretendenfalls rechnete, zerstört war. Trotz der Kaltblütigkeit der Führer, trotz der Tapferkeit der Mehrzahl begann eine Flucht in gräßlicher Unordnung.

In diesem Augenblick fiel der Unbekannte mit seiner Reiterei über die Flüchtlinge her und traf abermals bei der Nachhut Joyeuse mit seinen Matrosen, von denen er zwei Drittel auf dem Schlachtfelde zurückgelassen hatte.

Der junge Admiral ritt sein drittes Pferd, da ihm die andern getötet worden waren. Sein Schwert war zerbrochen, und er hatte aus den Händen eines verwundeten Matrosen eine von den gewichtigen Enteräxten genommen, die er mit derselben Leichtigkeit um sein Haupt schwang, mit der ein Schleuderer seine Schleuder schwingt. Von Zeit zu Zeit wandte er sich um und machte Front, wie ein Keiler, der sich nicht zur Flucht entschließen kann und in Verzweiflung gegen den Jäger umkehrt.

Die Flamländer, die gemäß der Ermahnung dessen, den sie Monseigneur nannten, ohne Panzer kämpften, waren leicht und behend in der Verfolgung, und gaben der französischen Armee nicht eine Sekunde Rast. Etwas wie ein Gewissensvorwurf oder wenigstens wie ein Zweifel erfaßte das Herz des Unbekannten diesem großen Unglück gegenüber.

»Genug, meine Herren, genug,« sagte er in französischer Sprache zu seinen Leuten; »sie sind diesen Abend von Antwerpen vertrieben und werden in acht Tagen aus Flandern vertrieben sein; verlangen wir nicht mehr vom Gott der Heere.«

»Ah! es war ein Franzose, es war ein Franzose,« rief Joyeuse, »ah! ich hatte es vermutet, Verräter, ah! sei verflucht, und möchtest du den Tod der Verräter sterben!«

Diese wütende Verwünschung schien den Mann zu entmutigen, den tausend gegen ihn erhobene Schwerter nicht hatten einschüchtern können; er wandte sein Pferd, und der Sieger floh beinahe ebensoschnell, wie die Besiegten. Doch dieser Rückzug eines einzigen änderte nichts an der Lage der Dinge; die Furcht ist ansteckend, sie hatte die ganze Armee ergriffen, und unter dem Gewichte eines wahnsinnigen Schreckens fingen die Soldaten an, in Verzweiflung zu fliehen.

Die Pferde belebten sich trotz der Müdigkeit, denn auch sie schienen unter dem Einfluß der Angst zu stehen; die Mannschaft zerstreute sich, um Zufluchtsorte zu suchen; in einigen Stunden war die Armee als Armee nicht mehr vorhanden.

Dies war der Augenblick, in dem nach dem Befehle Monseigneurs die Dämme sich öffneten, und die Schleusen aufgezogen wurden. Von Lier bis Termond, von Haesdonk bis Mecheln schickte jeder kleine Fluß, vergrößert durch seine Beiflüsse, jeder überströmende Kanal sein Teil an wütendem Wasser auf das Flachland.

Als die flüchtigen Franzosen, nachdem sie ihre Feinde ermüdet, haltzumachen anfingen, als sie endlich die Antwerpener nebst den Soldaten des Prinzen von Oranien nach ihrer Stadt zurückkehren sahen, als die unversehrt dem Blutbade in der Nacht Entgangenen sich gerettet glaubten und einen Augenblick atmeten, diese unter Gebeten, jene unter Gotteslästerungen, da entfesselte sich zur selben Stunde ein neuer, blinder, unbarmherziger Feind gegen sie, mit der Schnelligkeit des Windes, mit dem Ungestüm des Meeres; doch so nahe über ihrem Haupte die Gefahr schwebte, hatten die Flüchtlinge doch noch keine Ahnung von dem neuen Ungewitter, das sie zu umhüllen anfing.

Joyeuse hatte seinen auf achthundert Mann zusammengeschmolzenen Matrosen, den einzigen, die noch eine gewisse Ordnung behaupteten, Halt befohlen. Keuchend, ohne Stimme, nur noch durch drohende Gebärden sprechend, versuchte der Graf von Saint-Aignan, sein zerstreutes Fußvolk wieder zu sammeln.

An der Spitze der Flüchtlinge, auf einem vortrefflichen Pferde reitend und von einem Bedienten begleitet, der ein anderes an der Hand hielt, jagte der Herzog von Anjou fort und fort, ohne an irgend etwas zu denken.

»Der Elende hat kein Herz,« sagten die einen.

»Der Tapfere ist herrlich in seiner Kaltblütigkeit,« sagten die anderen.

Einige Stunden der Ruhe von zwei bis sechs Uhr sollten dem Fußvolk wieder die erforderliche Kraft geben, um die Flucht fortzusetzen. Nun fehlte es aber an Lebensmitteln.

Die Pferde schienen noch mehr abgemattet als die Menschen, sie schleppten sich nur mit Mühe fort, denn sie hatten seit dem vorhergehenden Tage nichts mehr gefressen; sie bewegten sich auch am Schweif der Armee.

Man hoffte Brüssel zu erreichen, das dem Herzog gehörte, und wo man zahlreiche Parteigänger zählte; doch war man nicht ohne Unruhe über den guten Willen der Stadt; auch auf Antwerpen hatte man einen Augenblick rechnen zu können geglaubt. In Brüssel, nämlich kaum acht französische Meilen von dem Orte, wo man sich befand, wollte man die Truppen verproviantieren und ein vorteilhaftes Lager beziehen, um den unterbrochenen Feldzug wiederzubeginnen, sobald man den Augenblick für geeignet hielte. Die Trümmer, die man zurückbrachte, sollten als Kern für eine neue Armee dienen.

Noch zu dieser Stunde sah niemand den furchtbaren Augenblick vorher, in dem der Boden unter den Füßen der unglücklichen Soldaten sinken, Wasserberge niederstürzen und über ihren Häuptern hinrollen, die Überreste so vieler Tapferen, von dem schlammigen Gewässer fortgetragen, bis ins Meer gewälzt oder auf dem Wege niedergeworfen werden sollten, um die Felder Brabants zu düngen . . .

Der Herzog von Anjou ließ sich in der Hütte eines Bauern zwischen Heboken und Heckhout Frühstück bringen. Die Hütte war leer, die Bewohner hatten sich schon am vorhergehenden Abend geflüchtet; das von ihnen am Tag zuvor angezündete Feuer brannte noch im Kamin. Die Soldaten und Offiziere wollten ihrem Führer nachahmen und zerstreuten sich in den genannten zwei Flecken; aber sie sahen mit einem Erstaunen, in das sich Schrecken mischte, daß alle Häuser verlassen waren, und daß die Einwohner ihre Mundvorräte fast gänzlich mitgenommen hatten.

Der Graf von Saint-Aignan suchte auf gut Glück wie die andern; die Sorglosigkeit des Herzogs von Anjou in der Stunde, in der so viele Brave für ihn starben, widerstrebte seinem Geiste, und er entfernte sich vom Prinzen. Er gehörte zu denen, die sagten: »Der Elende hat kein Herz.«

Er durchsuchte zwei bis drei Häuser, die er leer fand; er klopfte an die Tür des vierten, als man ihm sagte, auf zwei Meilen in der Runde, das heißt in dem Umkreise des Landes, den man innehatte, seien alle Häuser so. Bei dieser Nachricht runzelte Saint-Aignan die Stirn und machte seine gewöhnliche Grimasse.

»Vorwärts, meine Herren, vorwärts,« sagte er zu den Offizieren.

»Aber wir sind zu müde, wir sterben vor Hunger, General,« entgegneten sie.

»Ja, aber ihr lebt, und wenn ihr eine Stunde länger hier bleibt, seid ihr tot; vielleicht ist es jetzt schon zu spät.«

Herr von Saint-Aignan konnte nichts Sicheres angeben, aber er ahnte eine große, verborgene Gefahr. Man brach auf. Der Herzog stellte sich an die Spitze, Herr von Saint-Aignan behielt das Zentrum, und Joyeuse übernahm die Nachhut.

Doch es trennten sich von der Gruppe noch zwei- bis dreitausend Mann, entweder durch ihre Wunden geschwächt oder durch die Anstrengungen zu sehr ermattet, und legten sich verlassen, trostlos, von finsterer Ahnung ergriffen, im Grase oder am Fuße der Bäume nieder. Bei ihnen blieben auch die demontierten Reiter, deren Pferde sich nicht fortschleppen konnten oder auf dem Marsche verwundet worden waren. Es waren um den Herzog von Anjou kaum noch dreitausend hinreichend kräftige und kampffähige Soldaten versammelt.



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