Alexander Dumas d. Ä.
Die Fünfundvierzig
Alexander Dumas d. Ä.

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Der Herzog von Anjou in Flandern.

Achtzig Meilen nördlich von Paris schwebten der Lärm französischer Stimmen und die Lilienfahne über einem französischen Lager am Ufer der Schelde.

Es war Nacht; in einem ungeheuern Kreis liefen regelmäßige Feuer an der breiten Schelde um Antwerpen und spiegelten sich in dem tiefen Wasser.

Die gewöhnliche Einsamkeit der Polder mit dem düsteren Grün belebte sich durch das Wiehern der französischen Pferde. Von den Wällen der Stadt herab sahen die Schildwachen im Feuer der Biwaks die Musketen der französischen Schildwachen wie einen flüchtigen, fernen Blitz glänzen, den die Breite des zwischen das Heer und die Stadt geworfenen Flusses ebenso harmlos machte, wie das Wetterleuchten an einem schönen Sommerabend.

Dieses Heer war das des Herzogs von Anjou, der sich nach einigen glücklichen Erfolgen vor Antwerpen gelagert hatte, um diese Stadt zu bezwingen, die der Herzog von Alba, Requesens, Don Juan und der Herzog von Parma nach und nach unter ihr Joch gebeugt, ohne sie je zu erschöpfen, ohne sie einen Augenblick zur Sklavin zu machen.

Antwerpen hatte den Herzog von Anjou gegen Alexander Farnese zu Hilfe gerufen; als der Herzog von Anjou seinerseits in Antwerpen einziehen wollte, drehte Antwerpen seine Kanonen gegen ihn.

Das Lager des Herzogs von Anjou und Brabant war auf beiden Ufern der Schelde; trotz guter Mannszucht herrschte aber in der Armee ein leichtbegreiflicher Geist der Unentschiedenheit.

Es unterstützten in der Tat viele Kalvinisten den Herzog von Anjou, nicht aus Sympathie für ihn, sondern um Spanien und den Katholiken in Frankreich und England so unangenehm wie möglich zu sein; sie schlugen sich also mehr aus Eitelkeit als aus Überzeugung und aus Ergebenheit, und man fühlte wohl, daß sie nach Beendigung des Feldzuges den Chef verlassen oder ihm Bedingungen auferlegen würden.

Was übrigens diese Bedingungen betrifft, so ließ der Herzog glauben, wenn die Stunde gekommen wäre, würde er sie von selbst zugestehen. Sein Lieblingswort war: »Heinrich von Navarra ist wohl Katholik geworden, warum sollte Franz von Frankreich nicht Hugenott werden?«

Auf der andern Seite bestanden dagegen entschiedene und einheitliche Grundsätze. Antwerpen hatte sich anfangs ergeben wollen, doch unter bestimmten Bedingungen und zu bestimmter Stunde; es behielt sich vor zu warten, stark durch seine Lage, durch den Mut und die Kriegserfahrenheit seiner Einwohner. Es wußte überdies, daß es, wenn es den Arm ausstreckte, außer dem Herzog von Guise, der beobachtend in Lothringen lag, Alexander Farnese in Luxemburg fand; warum sollte es nicht im Falle der Not die Hilfe Spaniens gegen Anjou annehmen, wie es die Hilfe Anjous gegen Spanien angenommen hatte . . . entschlossen, Spanien später wieder zurückzustoßen?

Diese langweiligen Republikaner hatten die eherne Kraft des gesunden Verstandes für sich. Plötzlich sahen sie eine Flotte an der Mündung der Schelde erscheinen und erfuhren, diese Flotte komme mit dem Großadmiral von Frankreich, und dieser Großadmiral bringe ihrem Feinde Hilfe, denn, seitdem er Antwerpen belagerte, war der Herzog von Anjou natürlich der Feind der Antwerpner geworden.

Als die Kalvinisten des Herzogs von Anjou die Flotte erblickten und von Joyeuses Ankunft erfuhren, wurden sie fast so unwillig wie die Flamländer. Die Kalvinisten waren nämlich sehr eifersüchtig; sie gingen leicht über Geldfragen weg, liebten es aber nicht, daß man ihre Lorbeerkränze beschnitt, besonders nicht mit Schwertern, die dazu gedient hatten, in der Bartholomäusnacht so viele Hugenotten bluten zu lassen.

Hieraus entwickelten sich viele Streitigkeiten, die am Abend von Joyeuses Ankunft begannen und am andern und am zweiten Tage fortgesetzt wurden.

Von ihren Wällen herab hatten die Antwerpener jeden Tag das Schauspiel von zehn bis zwölf Duellen zwischen Katholiken und Hugenotten. Die Polder dienten als Schranken, und man warf in den Fluß mehr Tote, als die Franzosen ein Treffen im freien Felde gekostet hätte. Hätte die Belagerung von Antwerpen, wie die von Troja, neun Jahre gedauert, so würden die Belagerten zur Not nichts anderes zu tun gehabt haben, als den Belagerern zuzuschauen, denn diese hätten sich sicher selbst aufgerieben.

Bei all diesen Streitigkeiten versah Franz das Geschäft eines Vermittlers, doch nicht ohne ungeheure Schwierigkeiten; man hatte sich gegen die französischen Hugenotten verbindlich gemacht; diese verletzen, hieß sich die moralische Unterstützung der flämischen Hugenotten entziehen, die in Antwerpen Hilfe leisten konnten.

Den Katholiken schlimm begegnen, die vom König abgesandt waren, um sich in seinem Dienste töten zu lassen, war für den Herzog von Anjou eine nicht nur unpolitische, sondern auch gefährliche Sache. Die Ankunft dieser Verstärkung, auf die er selbst nicht rechnete, stürzte die Hoffnungen der Spanier nieder, und die Lothringer waren darüber außer sich vor Wut.

Joyeuse fühlte sich sehr unbehaglich inmitten dieser Massen von so verschiedenartiger Denkungsart. Er fand auch im Ernste und sprach es laut aus, der Herzog von Anjou habe unrecht gehabt, Antwerpen zu belagern; der Prinz von Oranien, der ihm diesen hinterlistigen Rat gegeben, war seitdem verschwunden, und man wußte nicht, was aus ihm geworden; sein Heer lag in dieser Stadt in Garnison, und er hatte dem Herzog von Anjou die Unterstützung dieses Heeres versprochen: doch man vernahm durchaus nichts davon, daß eine Spaltung zwischen den Soldaten und den Antwerpenern stattfinde, und es hatte von keinem einzigen Duell zwischen den Belagerten verlautet.

Während unter seinen Kapitänen Rat gepflogen wurde, saß oder lag vielmehr der Herzog auf einem langen Lehnstuhle, der zur Not als Ruhebett dienen konnte, und hörte nicht auf die Ansichten des Großadmirals von Frankreich, der von der Belagerung abriet, sondern auf das Geflüster seines Lautenspielers Aurilly.

Durch seine Gefälligkeiten, seine niedrigen Schmeicheleien und sein beständiges Anschmiegen hatte Aurilly die Gunst des Prinzen gefesselt; nie hatte er ihm gedient, wie es die andern Freunde getan, indem sie sich dem König oder sonstigen mächtigen Personen entgegengestellt, und so war es ihm gelungen, die Klippe zu vermeiden, an der La Mole Coconnas, Bussy und so viele andere zerschellten.

Mit seiner Laute, seinen Liebesbotschaften, der genauen Kenntnis aller Intrigen und Personen des Hofes, seinen geschickten Maßnahmen, um die Beute in die Netze des Herzogs zu treiben, nach der er begehrte, hatte sich Aurilly unter der Hand ein großes Vermögen ergattert, das geschickt untergebracht war, so daß er immer nur der arme Musiker Aurilly zu sein schien. Sein Einfluß war ungeheuer, weil er geheim war.

Als ihn Joyeuse in seine strategischen Auseinandersetzungen eingreifen und die Aufmerksamkeit des Herzogs ablenken sah, brach er den Faden seiner Rede kurz ab. Franz sah aus, als hörte er nicht; doch er hörte recht gut; es entging ihm auch Joyeuses Ungeduld nicht, und er fragte auf der Stelle: »Was habt Ihr, Herr Admiral?«

»Nichts, Monseigneur; ich warte nur, bis Eure Hoheit Muße hat, mich zu hören.«

»Ich höre wohl, Herr von Joyeuse, ich höre,« erwiderte rasch der Herzog. »Ah! Ihr Pariser glaubt, der Krieg in Flandern habe mich stumpf gemacht, da ihr denkt, ich könne nicht zwei Personen zu gleicher Zeit sprechen hören, während Cäsar zugleich sieben Briefe diktierte!«

»Monseigneur!« entgegnete Joyeuse, indem er dem armen Musiker einen Blick zuwarf, unter dem sich dieser mit seiner gewöhnlichen Demut bückte, »ich bin kein Sänger, daß man mich zu begleiten braucht, wenn ich spreche.«

»Gut, gut, Herzog; schweigt, Aurilly!«

Aurilly verbeugte sich.

»Ihr billigt also meinen Handstreich auf Antwerpen nicht, Herr von Joyeuse?« fuhr Franz fort. – »Nein, Monseigneur.«

»Ich habe diesen Plan im Rate angenommen.«

»Ich ergreife auch nur mit großer Zurückhaltung das Wort nach so erfahrenen Kapitänen,« sagte Joyeuse.

Mehrere Stimmen erhoben sich, um dem Großadmiral zu bestätigen, seine Meinung sei auch die ihrige. Andere machten, ohne zu sprechen, Zeichen, des Beifalls.

»Wie, Saint-Aignan, Ihr seid nicht der Ansicht Joyeuses, nicht wahr?« sagte der Prinz zu einem seiner ersten Obersten.

»Noch, Monseigneur,« antwortete Herr von Saint-Aignan.

»Ah! deshalb verzogt Ihr das Gesicht.«

Alle lachten. Joyeuse erbleichte, der Graf errötete.

»Wenn der Herr Graf von Saint-Aignan seine Ansicht auf diese Art zu geben pflegt, so ist er kein sehr höflicher Rat,« sagte Joyeuse.

»Herr von Joyeuse,« erwiderte Saint-Aignan lebhaft, »Seine Hoheit hat unrecht gehabt, mir ein Gebrechen vorzuwerfen, das ich in ihrem Dienste bekommen habe; bei der Belagerung von Chateau-Cambrésis erhielt ich einen Lanzenstich in den Kopf, und seit jener Zeit habe ich Nervenzuckungen, die mich das Gesicht verziehen lassen . . . Dies ist indessen keine Entschuldigung, Herr von Joyeuse, sondern eine Erklärung,« sagte stolz der Graf, indem er sich umwandte.

»Nein, mein Herr,« sagte Joyeuse, ihm die Hand reichend, »das ist ein Vorwurf, den Ihr macht, und Ihr habt recht.«

Dem Herzog Franz stieg das Blut ins Gesicht.

»Und wem dieser Vorwurf?« fragte er.

»Mir wahrscheinlich, Monseigneur.«

»Warum sollte Saint-Aignan Euch einen Vorwurf machen, Herr von Joyeuse, Euch, den er nicht kennt?«

»Weil ich einen Augenblick glauben konnte, Herr von Saint-Aignan liebe Eure Hoheit so wenig, daß er ihr Antwerpen zu nehmen riete.«

»Aber meine Stellung muß sich doch endlich im Lande hervorheben,« rief der Prinz. »Ich bin Herzog von Brabant und Graf von Flandern dem Namen nach. Ich muß es auch der Sache nach sein. Dieser Schweigsame, der sich, ich weiß nicht wo, verbirgt, hat mir von einem Königreich gesprochen. Wo ist es, dieses Königreich? In Antwerpen. Wo ist er? Auch in Antwerpen wahrscheinlich. Nun wohl, ich muß Antwerpen nehmen, und ist es genommen, so werden wir wissen, woran wir uns zu halten haben.«

Trotz aller triftigen Gegengründe des Admirals, und obwohl dieser ihn, nachdem die andern das Zimmer verlassen hatten, unter vier Augen darauf hinwies, daß Franz bei einer Niederlage nicht nur den Spaniern und Flamländern zum Triumph verhelfen würde, sondern auch seinem Vetter Guise, der sich anschicke, im trüben zu fischen, trotz alledem blieb der Herzog bei seiner Meinung und sagte zu den übrigen Anwesenden, als diese sich wieder eingefunden hatten:

»Meine Herren, es bleibt beim Sturm; der Regen hat aufgehört, das Terrain ist gut, wir greifen diese Nacht an.«

Joyeuse verbeugte sich und fragte: »Wird Monseigneur die Gnade haben, uns seine Befehle auseinanderzusetzen? Wir erwarten sie.«

»Ihr habt acht Schiffe, die Admiralsgaleere nicht gerechnet, Herr von Joyeuse?« – »Ja, Hoheit.«

»Ihr brecht die Linie, und das wird leicht sein, da die Antwerpener nur Handelsschiffe im Hafen haben; dann legt Ihr vor dem Kai an. Wird der Kai verteidigt, so beschießt Ihr die Stadt und versucht zugleich eine Landung von fünfzehnhundert Mann.

»Aus dem Rest der Armee mache ich zwei Säulen, die eine kommandiert der Herr Graf von Saint-Aignan, die andere ich selbst. Beide werden mit Sturmleitern vorgehen, sobald die ersten Kanonen donnern.

»Die Kavallerie bleibt in Reserve, um den Rückzug zu decken.

»Von diesen drei Angriffen wird sicher einer gelingen. Das erste Korps, das sich auf dem Walle festgestellt hat, brennt eine Rakete ab, um die anderen an sich zu ziehen.«

»Doch man muß alles vorhersehen, Monseigneur,« sagte Joyeuse. »Nehmen wir an, was Ihr nicht für annehmbar haltet, daß jeder von den drei Angriffen zurückgeschlagen wird.«

»Dann erreichen wir die Schiffe unter dem Feuer unserer Batterien, und wir breiten uns auf den Poldern aus, wo die Antwerpener nicht wagen werden uns aufzusuchen.«

Man verbeugte sich zum Zeichen der Beistimmung.

»Nun, meine Herren, hauptsächlich Stille,« sagte der Herzog. »Man wecke die schlafenden Truppen und schiffe sich in Ordnung ein; nicht ein Feuer, nicht ein Musketenschuß offenbare unsern Platz! Ihr werdet im Hafen sein, Admiral, ehe die Antwerpener Eure Abfahrt vermuten. Wir, die wir hinüberfahren und dem linken Ufer folgen, kommen zugleich mit Euch an.

»Geht, meine Herren, und guten Mut! Das Glück, das uns bis jetzt gefolgt ist, wird uns sicher über die Schelde begleiten.«

Die Kapitäne verließen das Zelt des Prinzen und gaben ihre Befehle. Bald ließ der ganze menschliche Ameisenhaufen ein Gemurmel vernehmen; doch man konnte glauben, es wäre das des Windes, der in den riesigen Rohren und im dichten Grase der Polder spielte. Der Admiral hatte sich an Bord begeben.



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