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Erstes Capitel.

W Wer die untere Theißgegend auch nur theilweise bereist hat, der kann getrost sagen, daß er das Ganze kennt, und der Reisende, der auf unseren sandigen Wegen eingeschlafen ist, wird, wenn er nach ein paar Stunden erwacht, nur an der tieferen Sonne gewahren, daß er vorwärts gekommen sei.

Weithin sich dehnendes Weideland, dessen Einförmigkeit nur hie und da ein eimerloser Ziehbrunnen, oder um halbausgetrocknete Sümpfe spazierende Störche unterbrechen, schlecht bebaute Felder mit Mais und Weizen, hier und dort eine einsame Hütte, wo ein paar zottige Schafhunde an die Heiligkeit des Besitzes mahnen, und die vom vorigen Jahre zurückgebliebenen Heu- und Strohschober daran erinnern, daß der Eigenthümer entweder sehr viel Heu oder sehr wenig Vieh besitzt, – dies sah er, als er die Augen schloß; dies sieht er, wenn er sie wieder öffnet. Die Thürme selbst, die, als er zum letztenmale umherblickte, am fernen Rande der Ebene wie spitze Säulen standen, sie scheinen mit ihm gereist zu sein; wenigstens ist zwischen ihnen und jenen, die er jetzt sieht, ebenso wenig Unterschied wahrzunehmen, als zwischen dem Dorfe, dem er damals nahte und jenem, dem jetzt die Rosse zutraben.

Da auf uns nichts so zurückwirkt, als der Charakter Jener, mit denen wir umgehen, dürfen wir uns nicht wundern, wenn die Theiß den jugendlichen Muthwillen, den sie in der Marmaros gezeigt, vergessend oder bereuend, zuletzt selbst den Charakter jener Gegend annimmt, durch die sie sich fortschlängelt, so daß wir selbst ihre Ueberschwemmungen, deren Eintreten wir Jahr für Jahr auf den Tag voraussagen können, ebenso wenig eine Ausschweifung nennen können, als wenn in Amt und Würden stehende Männer bei gewissen feierlichen Gelegenheiten sich in allen Ehren benebeln.

Irgendwo an der unteren Theißgegend, in einem Comitate diesseits oder jenseits der Theiß – nennen wir es das Taksonyer Comitat – hart am Flußufer, dort wo dieselbe sich zu einem großen S schlängelt, unfern von drei Pappeln, die auf einem zwei Klafter hohen Hügel stehen, liegt der Ort Tiszarét, Eigenthum des Geschlechtes Réty, welches den Ort seit der ersten Einwanderung der Magyaren besitzt, was der Fiskal (Advoeat) der Familie, Herr Jonas Maeskaházy, aus glaubwürdigen Urkunden jede Stunde zu beweisen bereit ist, wenn Jemand daran zu zweifeln versucht sein sollte.

Das Geschlecht Réty gehört zu dem ältesten: die Kinder desselben sind geborene Táblabirós (Beisitzer). Und, wenn der Vater des jetzigen Oberhauptes der Familie einst mit edlem Stolze sagte: es ist keiner unter ihnen gestorben, in dem das Comitat nicht ein Vicegespan beweint hätte, so kann sich Niemand wundern, wenn endlich einige Strahlen jenes Glanzes, der die Herren von Tiszarét umfloß, auch auf den Ort selbst zurückstrahlten. Der ausgedehnte englische Garten, das große Schloß, besten spitziges Dach goldene Knäufe zierten, der Hof mit Ställen und einem großen Glashause, des großartigen Misthaufens gar nicht zu gedenken, der die eine Hälfte des Stalles beinahe bedeckte – alles trug das Gepräge des Comforts und der Großartigkeit, und besonders wenn man aus dem Thore tretend, sich plötzlich auf einer erhöhten Chaussée befand, die vom Hause gerade bis zum Sitze des Comitats führt, und nur wegen dieses einzigen Hauses gemacht worden ist, fühlt man, daß man in der Nähe eines Vicegespans wandelte.

Alles, was die Réty's bauen, trägt ein monumentales Gepräge, und insofern ein Hauptcharakter der öffentlichen Monumente der ist, daß sie auf Gemeindekosten errichtet werden, war dies einer jener Charaktere ihrer Baulichkeiten, an denen im ganzen Comitat Niemand zweifelte, und wenn auch Einige dies tadelten, so fand es doch die weise Mehrheit gut, da selbst nach dem Sprichwort: »eine Hand wäscht die andere« hierbei Niemand sagen konnte, daß durch diese Operation die Hände des Vicegespans rein geworden seien.

Da ich aber im Laufe der Begebenheiten ohnedies Gelegenheit haben werde, die Leser mit den Schönheiten des Wohnsitzes der Réty's und des Dorfes Tiszarét bekannt zu machen, sei es mir diesmal erlaubt, mit ihnen gerade durch die lange Gasse, auf die Wiese zu spazieren, zu jenem Hügel, der wie ich schon erwähnt, beiläufig eine Viertelmeile vom Dorfe entfernt, der Türkenhügel genannt wird und schon deshalb Besuch verdient, weil man an ganz reinen Tagen von seiner Spitze aus den Gipfel des Tokayer Berges wie einen dunkelblauen Heuschober sehen kann.

Die warmen Strahlen eines Octobertages gossen ihren Glanz auf die weiten Ebenen von Tiszarét; am Himmel war keine Wolke, dessen reine Bläue verfinsternd; auf der Ebene, soweit das Auge reichte, nicht ein einziger Wagen, der die grüne Farbe derselben in Staubwolken gehüllt hätte, nur der tausendstimmige Gesang der Lerchen, der die Luft erfüllte, nur das Geläute der in der Ferne weidenden Heerden, nur hie und da ein einzelner Arbeiter, der die Sense auf der Schulter, singend heimwanderte, unterbrachen die feierliche Stille, während die Sonne zur Rüste eilte. Auf dem Hügel, von wo man bis zu dem Wald von Szent-Vilmos sehen und den Lauf der Theiß meilenweit verfolgen kann, sitzen zwei Männer nebeneinander, wie es scheint, versunken in die Anschauung der Gegend oder in jene Gedanken, die das Menschenherz bei oft gesehenen Gegenden unwillkürlich zu beschleichen pflegen, und Bilder längst vergangener Tage hervorrufen.

Das Aeußere des Menschen ist ein Theil seines Schicksals, und wie man in England auf dem Rücken der Schildkröte den Tag verzeichnet, an dem sie getödtet und verspeist werden soll, so tragen Viele ihr Schicksal in ihrem Angesicht, ohne daß sie es selbst ahnen, und die Leser werden vielleicht mit mehr Theilnahme nach ausführlicherer Beschreibung die Personen betrachten, die ich ihnen auf dem Türkenhügel vorführe, als wenn ich ihnen mit dürren Worten sagte, daß sie sich mit Jonas Tengelyi, Notär des Dorfes Tiszarét, und Balthasar Bándory, helvetischem Prediger desselben, zusammenfinden. Die erbleichenden Locken, die ihre Stirne umgeben, mahnen beim ersten Anblicke, daß sie jene Lebenszeit erreicht haben, in der man nichts übrig hat, als auszuruhen und den Schlaf zu erwarten. Die Zeit, welche, wie die Herrscher auf ihre Münzen, auf das menschliche Antlitz immer ihren Stempel drückt, hatte vielleicht nie kennbarere Zeichen zurückgelassen, als in den reinen Zügen dieser beiden Männer.

Jede Aristokratie hat eigenthümliche Merkmale, durch die sich ihre Mitglieder von der Menge unterscheiden. Auch die Natur hat einen Adel, auch sie gibt ihren Edlen besondere Kennzeichen, an denen du ihre Auserwählten erkennen kannst, und wer z. B. den Dorfnotär Jonas Tengelyi nur einmal gesehen und dies liest, wird gestehen, daß diese Behauptung vollkommen richtig sei; nur muß ich hinzufügen, daß Tengelyi ein Edelmann ist, und also im vorliegenden Fall die Natur auch durch das Herkommen unterstützt wurde.

Wenn du nach Tiszarét kommend, um Pferde zu wechseln, vor dem reinlichen Hause des Dorfnotärs still hältst, und Tengelyi im altmodischen, aber reinen Kleide heraustritt, wird der lautere Ton, mit dem wir mit unter uns Stehenden zu reden pflegen, unwillkürlich sanfter. – In seiner Gegenwart flucht der Militär-Commissär nicht, und der Oberstuhlrichter selbst, so unglaublich es auch ist, pflegt den Hut abzunehmen, den er vor anderen Dorfnotären nie herabgenommen hat. Tengelyi mag 50 Jahre alt sein, und die sparsamen Locken, die schon längst weiß zu werden begannen, nebst den tiefen Furchen, welche die Zeit über seine Stirn zog, könnten glauben machen, daß er wohl noch älter sei; aber wenn dein Blick von den Silberhaaren auf die hohe kräftige Gestalt fällt, und du unter der gefurchten Stirn die blitzenden Augen gewahrst, findest du, daß du vor einem jener Männer stehst, die von der Zeit nicht gebrochen, sondern gestählt worden.

Der Mann, der neben Tengelyi sitzt, und die Staubfäden einer Blume zählt, während jener seine Blicke auf den bläulichen Gipfel des Tokayer Berges richtet, scheint etwas älter, und die milden Züge seines regelmäßigen Gesichtes bilden gleichsam den Gegensatz zu dem strengen Ernst, der im Antlitze Tengelyi's vorherrscht. Wenn Tengelyi's markirte Züge deine Aufmerksamkeit auf sich gezogen, mußtest du in ihrem ernsten Ausdrucke die Spur langer, von der Zeit noch nicht ganz überdeckter Kämpfe entdecken, während die dunklen Flammen seiner Augen die Mahnung enthalten, daß die Leidenschaften in dieser Brust zwar schlummern, aber nicht so, daß sie nie mehr zu erwecken wären. Vándory's Züge gleichen dem Himmel, auf dem der vorüberziehende Sturm keine Spur zurückläßt; sie lächeln dir entgegen in ungetrübter Ruhe. Dort sahst du den Mann, der, die Ungerechtigkeit des Schicksals fühlend, nur ringt, um sich nicht gestehen zu müssen, daß er besiegt sei. Bei Vándory ist sein geistliches Kleid nicht nöthig, um dir ins Gedächtniß zu rufen, daß du vor einem jener Männer stehst, die Gott als seine Stellvertreter auf die Erde schickt, damit sie die leidenden Mitbrüder trösten, und wenn der Anblick des Ersteren in dir den Gedanken erweckt, daß du vor einem ehrlichen Menschen stehst, der auf dieser Welt nicht glücklich geworden, so lächelt dir aus dem Angesichte des Andern die tröstende Ueberzeugung entgegen, daß der Tugend auf dieser Erde nicht nur eigene Leiden, sondern auch eigene, durch nichts zu erreichende Wonnen zugemessen sind.

Vándory legte endlich die Blume bei Seite und unterbrach das Schweigen, in welches die beiden Freunde nun wohl schon eine halbe Stunde versunken waren. »Wo sind deine Gedanken, Freund?«

»Weiß ich es?« antwortete Tengelyi, seinen Freund ansehend. »Meine Schulzeit – Heidelberg – mein Juratenleben dämmerte vor mir. Erinnerst du dich noch an Heidelberg? Wohl ist es nahe an dreißig Jahre, daß ich die Universität verließ, aber so oft ich diesen Hügel besteige und die kleine Spitze des Tokayer Berges erblicke, tritt die wunderschöne Gegend jener Stadt vor meine Seele, und wenn ich diese Erinnerung mit der grenzenlosen Langweile zusammenhalte, die uns jetzt geworden ist, möcht' ich weinen über die riesige Ungerechtigkeit des Schicksals, die menschlichen Wesen eine solche Gegend zum Wohnort angewiesen hat.«

»Schmähst du schon wieder unsere anmuthige Gegend?« erwiderte Vándory lächelnd, indem er des Freundes Hand ergriff. »Ist diese Wiese nicht ebenso grün, wie wo immer auf der Welt? Der Fluß, der zwischen schwankenden Gräsern sich fortschlängelt, dort des Waldes Dunkel, und in der Ferne die Thürme und der Tokayer Berg, ist das alles nicht schön? Wenn du schon nicht zum Himmel aufblicken und vergessen willst, daß seine wolkenlose Bläue und die Strahlen der sinkenden Sonne überall gleich schön sind! Du bist ungerecht, weil du die Gaben deines Schicksals nicht anerkennen, sie nicht genießen willst.«

»Du größter aller Optimisten,« fiel Tengelyi lachend ein, »ist es nicht genug, daß es keinen Menschen gibt, von dem du nicht stundenlang lauter gute Eigenschaften aufzuzählen im Stande bist? – Wenn du deinen Schutz auch auf die Gegend von Tiszarét ausdehnst, muß ich glauben, daß Gott selbst mit seiner ganzen Allmacht nicht im Stande wäre, Etwas zu erschaffen, woran du nicht Gutes fändest.«

»Und bin ich unglücklicher, weil ich mich in Gottes Rathschlüsse ruhig ergebe?« erwiderte Vándory lächelnd, »und weil ich auf dieser Ebene, und in den Menschen, unter denen ich lebe, das möglichst Gute zu finden trachte? Eine Ebene, deren langweilige Einförmigkeit dein Auge ermüdet, bietet dir so viele einzelne Schönheiten, daß du vergissest, wie arm das Ganze scheint. Warum wollen wir nicht jenen Standpunkt wählen, der unserem Auge die schönste Aussicht bietet?«

»Das heißt, wenn wir dessen fähig sind.«

»Wir sind dessen fähig,« sprach Vándory, des Freundes Hand drückend, »glaube mir, wir sind alle geborene Optimisten, du so gut wie ich. Gott hat seine Geschöpfe zum Glück erschaffen, und wie nach den heiligen Büchern Himmel und Hölle aus dem Paradies bevölkert worden, so ist jede Freude, jeder Schmerz nicht das Ergebniß unserer Natur, sondern unseres eigenen Willens. Wer mit fröhlichem Antlitze in des Lebens Fluß steht, dem schaut ein fröhliches Angesicht aus dessen Spiegel entgegen, und in allen Winkeln der Erde ruft dir das Echo Fröhlichkeit zurück, wenn du ihm fröhliche Klänge zuschickst.«

»Ich sehe, ich komme gegen dich nicht auf,« erwiderte Tengelyi lachend, »ich hoffe, wenn Macskaházy heilig gesprochen wird, so wirst du als sein Advocat auftreten, und beweisen, daß Niemand mehr Tugenden veranlaßt habe als er, da Jeder, der ihn nicht geprügelt, den größten Sieg über sich selbst davongetragen; und selbst der Hase, den die jungen Herren dort jagen,« sprach er, mit den Fingern gegen Sonnenuntergang weisend, von wo aus der Ferne herbeisprengende Reiter mit Windhunden nahten, »wird, wenn er dich fragt, zur Antwort erhalten, daß der Hase kein schöneres Ende haben kann, als zu Tode gejagt werden.«

»Das ist ein rohes, des Menschen unwürdiges Vergnügen,« rief Vándory, seine ganze Aufmerksamkeit der Hasenhetze zuwendend, die eben ihre Richtung gegen den Türkenhügel nahm, »ich begreife nicht, wie ein gebildeter Mensch daran Vergnügen finden kann.«

Eine Hasenhetze bietet so wenig Stoff zu einer umständlichen Beschreibung, daß ich wohl getrost verschweigen kann, was Szellö und Czigány Zwei häufig vorkommende Windhundnamen. für Heldenthaten ausgeübt, wie oft sich der Hase gewendet, wie er zuletzt in entgegengesetzter Richtung geflohen, und wie er bei dieser Gelegenheit eben von dem letzten und schlechtesten Windhunde gefangen worden.

Der Hase war gefangen und die Jagdgesellschaft, von den Rossen abgesessen, streichelte die schnellathmenden Hunde.

Da Ákos Ákos – Achaz. Réty unsere Freunde von weitem ersah, ging er mit den Jagdgenossen den Hügel hinan.

Wenn unsere liebenswürdigen Leserinnen die Gesellschaft sehen könnte, die sich um den alten Prediger und den Dorfnotär sammelte, so würden Ákos Réty und Kálmán Kislaky ihre Aufmerksamkeit gewiß auf sich ziehen. Schönere junge Männer konnte man in sechs Comitaten nicht finden, wie man im Taksonyer Comitat zu sagen pflegte, besonders jetzt nach der Jagd, als die Angesichter glühten, und die Locken – nachdem sie die kleinen runden Hüte abnahmen – die Stirn in reizender Unordnung umflossen; die schlanken Gestalten zeichneten sich überdies schön im kurzen blauen Jagdrock. – Wir kennen unsere Stellung als magyarischer Schriftsteller, und wissen, daß in unserem Vaterlande dem Stuhlrichter in seinem » Járás« Járás – sprich Jarasch – der Verwaltungsbezirk des Stuhlrichters. Niemand den Rang streitig machen kann, wir wenden deshalb unsere Aufmerksamkeit zuerst dem Oberstuhlrichter Paul Nyúzó und seinem Geschworenen zu, die Réty auf der Jagd, und jetzt auf den Türkenhügel gefolgt waren.

Das Stuhlrichteramt ist außer aller Frage das schwerste, mit der meisten Plage und Mühe verbundene, welches auf der ganzen weiten Welt von irgend Jemandem bekleidet wird. – Der Stuhlrichter ist der Schutz und Schirm des Reichen wie Armen, Richter und Vater seines Járás, ohne seine Dazwischenkunft erlangt Niemand Gerechtigkeit, durch seine Hände geht jede Klage von Unten hinauf, kommt jeder Befehl von Oben herab.

Wenn nun die geneigten Leser den Lohn mit den Beschäftigungen vergleichen und bedenken, daß dieser außer 100 oder 150 Gulden Gehalt, (unsere Erzählung spielt in den Dreißiger Jahren), in der sicheren Aussicht besteht, daß er, wenn er sein Amt unparteiisch verwaltet, nach drei Jahren durch irgend einen mächtigen Feind seine Stelle verliert, und zum Beisitzer ernannt, das heißt – abgesetzt wird, so sieht Jeder ein, daß das Stuhlrichteramt an zwei Gebrechen leidet, nämlich an zu viel Arbeit und zu wenig Bezahlung. Und wenn Einzelne, die mit diesem Amte bekleidet sind, sich nicht helfen und die Arbeit großentheils liegen lasten, während sie sie sich von der Bezahlung mehr zueignen, als sie anzunehmen durch das Gesetz gezwungen wären, so begreife ich nicht, wie Paul Nyúzó seine vier Söhne zu Pfeilern des Vaterlandes erziehen möchte, und besonders, wie er mit jenem Ansehen auftreten könnte, wodurch er, so oft er als Ober-Stuhlrichter die glücklichen Fluren des Tiszaréter Bezirkes durchwandelt, denselben in heilsames Zittern und Beben versetzt. Schon sein Aeußeres erfüllte mit Angst, und zwar nicht nur den Schuldigen, sondern auch den Unschuldigen. Die knochige trockene Gestalt, das runzelreiche Angesicht, dessen grimmgetränkter Ausdruck durch einen schwarzen Bart und langen herabhängenden Schnurbart erhöht wurde, die grünen stechenden Augen, die nicht nur zum Schauen, sondern auch zum Verletzen geschaffen schienen, hierzu die kurze Pfeife, die gleichsam zu den Gliedern seines Leibes gehört; endlich der scharfschneidende Ton, der bei jedem amtlichen Verfahren das ganze Dorf in Angst versetzt, bilden ein solches Ganze, vor dem Jeder im ganzen Bezirke bebt – die Bösewichter ausgenommen. Und wer ihn erst im Wagen sah, mußte gestehen, daß die Gerechtigkeit nirgends in einer schrecklicheren Gestalt aufgetreten sei. Die vier Vorspannspferde mit dem treibenden Kutscher, der, was auch immer einige Witzlinge sagen mögen, das beste Zeugniß geben könnte, wie schnell die ungarische Justiz vorwärts strebt; hinter dem reitenden Kutscher der Comitats-Husar mit stattlichem Federbusch, hinter dem Comitats-Husaren ein Bündel Stöcke, hinter den Stöcken der rauchende und zuweilen fluchende Stuhlrichter, schließlich der große und ach! so leere Bettsack, der mit seinem Herrn reist, auf daß er gefüllt werde, stellte eine solche Gradation der Schreckenswerkzeuge dar, vor der selbst der Muthigste nicht ruhig bestehen könnte.

Ein Stuhlrichter ist ohne Geschworenen gar nicht denkbar, und da ich von Herrn Nyúzó gesprochen, ist es Erforderniß, daß ich Herrn Keniházy den Lesern vorstelle, der hinter dem Oberstuhlrichter mit einem Windhund sich in ein Gespräch eingelassen hatte. Andreas Keniházy oder Bandi bácsi, Bandi – Verkürzung von Andreas – Bácsi vertrauliche Verkürzung von Bátya, welches in der Regel ältere Verwandte, oft auch nur ältere Personen bezeichnet. wie ihn seine vertrautesten Freunde gewöhnlich nannten, war die rechte Hand seines Oberstuhlrichters, und zwar eine solche, die mit den Absichten seines Vorgesetzten vollkommen vertraut, nur danach strebte, daß das Ganze, dessen eine Hälfte sie ist, mehr und mehr gedeihe. Wenn sein Oberstuhlrichter beleidigt wurde – wir verstehen hier die größte Beleidigung für einen Richter, die Bestechung – so streckte auch er seine Hand aus, und gerieth in heftigen Zorn, wenn diese Unwürdigkeit nicht auch ihm widerfuhr. Man täuscht sich jedoch, wenn man glaubt, Keniházy sei leicht zu bestechen, denn wer einmal Zeuge jener Grobheiten war, die der Geschworene in edler Aufwallung jedem Bestechenden angedeihen ließ, bot seine Geschenke nur mit Zittern dem rechtschaffenen Richter, der jedoch Jenen, denen er am meisten zürnte, nachher über das Maß günstig war, wenn nicht etwa die Gegenpartei ihr Heil in noch größeren Beleidigungen suchte.

Da wir übrigens mit Keniházy noch oft zusammentreffen werden, so wollen wir statt seine Person und seine Kleidung zu beschreiben, vom blauen Spenzer, dem einst kein Knopf fehlte, der Weste, die ihre gegenwärtige Farbe nur der Sonne verdankte, dem Halstuche, das die Zeit zusammengerollt, von den mausgrauen, im Reiten bis zu den Knieen hinaufgeschobenen Beinkleidern, von den Stiefeln und Sporen, die sammt dem runden Hut dem Geschwornen ein gewisses nobles Ansehen gaben, ganz schweigen, und die Vorgänge auf dem Türkenhügel weiter verfolgen. Kálmán stritt lebhaft mit Vándory über die Grausamkeit der Hasenhetze; Ákos nahm wenig Theil an dieser Erörterung, weil seinen Geist ganz andere Gedanken beschäftigten; und wer ihn sah, als er den alten Tengelyi um seine Tochter Vilma Vilma – Wilhelmine. befragte, und wer die Röthe bemerkte, die sein Angesicht überflog, konnte sich überzeugen, daß es Dinge gibt, die Ákos höher hielt als die Hasenhetze. Tengelyi antwortete kurz und mit sichtbarem Widerwillen und lenkte das Gespräch aus andere Gegenstände.

Die Gesellschaft wollte eben fort, als ein unerwarteter Anblick ihre ganze Aufmerksamkeit auf sich zog. Vom Türkenhügel waren schon seit einigen Augenblicken zwei Reiter und ein Fußgänger bemerkbar; der letztere ging immer neben oder vor den Reitern, und die Dienerschaft, ja selbst der Oberstuhlrichter hatten wiederholt gefragt, ob das nicht Panduren oder Räuber wären, denn in dieser Entfernung vermöchte das schwache menschliche Auge den Unterschied zwischen Räubern und den Dienern der ungarischen Gerechtigkeit so wenig herauszufinden, daß selbst ein Mann wie Nyúzó in Zweifeln schwebte. Als sie aber näher kamen, lösten die Schläge und Stöße, mit welchen der Fußgeher von den Reitern zuweilen ermuntert wurde, bald jeden Zweifel, und man bemerkte, daß Diener des hochlöblichen Comitates nahten, die mit dem Gefangenen das in diesem Lande übliche einleitende Verfahren begannen.

»Es soll Jemand hinreiten zu den Panduren und ihnen bedeuten, daß sie den Delinquenten hierher bringen,« sagte Nyúzó zu dem Geschworenen, »er gehört wahrscheinlich zu Viola's Bande, es ist demnach ein Statarialfall (Standrechtfall), und es wäre schade ihn in das Dorf zu bringen. Habe ich es nicht gesagt,« fuhr er zu Ákos gewendet fort, der seine Aufmerksamkeit jetzt ebenfalls den Nahenden zuwandte, »die Vögel werden doch eingefangen? Wenn man mich auch nicht mehr wählt, entspreche ich wenigstens dem bisherigen Vertrauen des Comitates dadurch, daß ich noch vor der Restauration hier auf diesem Hügel drei solche Nichtswürdige hinrichten lasse.«

»Das heißt, wenn du sie hast,« sprach Ákos lachend dazwischen, »woran ich mit deiner Erlaubniß noch ein Bischen zweifle, denn wenn mich meine Augen nicht trügen,« fuhr er fort, »so ist der Genosse Viola's, der mächtige Räuber, den sie dort bringen, und mit dessen Aufknüpfung du dem Comitate eine angenehme Ueberraschung bereiten willst, unser alter Zigeuner.«

Kislaky, der jetzt den alten Peti – dies sein berühmter Name – gleichfalls erkannte, begann ebenfalls zu lachen, und in der ganzen Gesellschaft blieb keiner ernsthaft, Vándory etwa abgerechnet, dem das Herz über des Gefangenen Mißhandlung blutete.

»Der arme Peti!« rief Ákos mit parodirendem Schmerze, »das Vaterland hat keinen nützlicheren Bürger; wenn ein Haus gebaut wird, formt er die Ziegel, wenn ein Schloß verdirbt, stellt er es her, verliert ein Roß das Hufeisen, oder irgend ein Besitzer seine Sporen, er schlägt sie wieder auf; bei Hochzeiten streicht er den Brummbaß, und auch das Grab bereitet er, wenn Jemand zur Erde bestattet werden soll. Ja die böse Welt erzählt sogar, daß er in seiner Jugend dem Staate auch als Scharfrichter gedient habe; und nun geht man mit ihm so um! Es ist doch wahr, daß die Welt immer undankbar ist, und zwar noch undankbarer gegen nützliche als gegen große Männer.«

»Ich weiß nicht, wie du scherzen kannst,« sprach Nyúzó, seine Stirn in immer breitere Falten zusammenziehend, »es kann ein Statarialfall sein; wer weiß, ob dieser alte Schuft, den du für einen unschuldigen Baßgeiger hältst –«

»Sich nicht sein Lebelang nur als Zigeuner maskirt habe, nicht wahr?« rief Ákos laut auflachend, »und jetzt wirst du dem Verbrecher die braune Haut abziehen und beweisen, daß der berüchtigte Viola, vor dem die ganze Gegend zittert, niemand anderer ist, als der Zigeuner Peti; du weißt –«

»Ich leide es nicht, daß man mich zum Narren hält,« kreischte der erzürnte Oberstuhlrichter, dem in seinem Grimme sogar die Pfeife ausgegangen war, »jeder bitte sich selbst um Vergebung, Ungarische Redeweise. aber Paul Nyúzó ist nicht dazu geschaffen, daß man mit ihm Spaß treibe; übrigens werden wir schon sehen, wer zuletzt lacht; wer weiß, mit was sich dieser ehrliche Zigeuner außer dem Ziegelschlagen noch beschäftigt, und wenn er schon einmal die Rolle des Scharfrichters gespielt hat, kann er leicht noch eine andere Rolle in der Nähe des Galgens spielen. Ich glaube, der alte Schuft würde sich baumelnd nicht schlecht ausnehmen.«

Während sich der Stuhlrichter über diesen feinen Witz zum Lachen nöthigte, die Pfeife wieder anbrannte und über den nicht feuerfangenden Schwamm, wie auch die nicht hinreichend schnell heraneilenden Panduren und über den alten Zigeuner fluchte – erwartete er stehenden Fußes den unglücklichen Delinquenten.

Der arme Peti, der indessen dem Türkenhügel mehr und mehr nahte, und bereits in der Entfernung von fünfhundert Schritten Bücklinge machte, ahnte den Sturm gar nicht, der sich indessen über seinem Haupte zusammenzog. Nyúzó bedurfte Jemanden, um seinen Grimm auszulassen, und die ersten Worte, mit denen Peti von seinem Richter empfangen wurde, ließen ihn merken, daß er in böser Stunde vor den gnädigen Herrn gelangt sei.

»So bist du endlich in der Schlinge gefangen, du kostbarer Vogel,« donnerte Nyúzó, nachdem er sich durch einige großartige Flüche zur Inquisition vorbereitet, »sei unbesorgt, du alter Schuft, du sollst schon erhalten, was dir gebührt.«

»Ich bitte, gnädiger Herr,« seufzte der unglückliche Cellist mit dem sanftesten Klange seiner heiseren Baßstimme, die er aus seiner Gurgel hervorbringen konnte, »ich –«

»Schweig,« donnerte der Stuhlrichter dazwischen, »ich weiß alles, und zweifle nicht, daß ich dir alles ins Gedächtniß rufen werde, wenn du etwas läugnen solltest.«

»Gnädiger, hochgeborner Herr – ich bin ein unschuldiger, armer alter Mann,« seufzte Peti, »ich –«

»Belle nicht,« lärmte Nyúzó, »oder ich ohrfeige dich, daß du noch am jüngsten Tage meiner gedenkst – seht! – der Niederträchtige wagt es noch zu läugnen.«

»Ich läugne ja nichts, mein süßer gnädiger Herr, nichts,« setzte er weinend hinzu, »nur –«

»Es ist auch besser, wenn du nicht läugnest; so fragen wir dich auch gar nicht,« unterbrach Nyúzó den Alten, »die Obrigkeit weiß Alles, und jetzt,« sich zu einem der Panduren wendend, »rede er, János, warum habt ihr mir den Verbrecher gebracht?«

»Nur darum, gnädiger Herr,« erwiderte der Angeredete, »weil man uns befohlen hat, jeden Verdächtigen einzubringen.«

Ákos, der durch den ganzen Auftritt sichtlich aufgeregt wurde, rief nun, ohne seine Stimme zu mäßigen: »Und darum habt ihr den alten Baßgeiger eingefangen; wahrhaftig, ihr verdient die goldene Medaille!«

»Das wird sich später zeigen,« erwiderte Nyúzó, indem er einen grimmigen Blick auf den Redenden warf, und zum Panduren gewendet, frug er: »Was hat der alte Verbrecher angestellt?«

Der Pandur antwortete: »Die ganze Sache war so: es mochte beiläufig drei Uhr sein, nicht wahr, Pista?« Pista, sprich Pischta, Verkürzung von Stephan. so sprach er zu seinem Kameraden gewendet, der mit dem Kopfe bejahend nickte, »als wir von der Mörder-Csárda, Csárda, sprich Tscharda – einzelnes Schankhaus schlechtester Gattung, wie sie in den ungarischen Ebenen häufig vorkommen. wo wir etwas gerastet und gegessen, gegen den Szent-Vilmoscher Wald ritten; wir waren schon vom frühen Morgen an bis Mittag herumgestreift, und besorgten, daß wir den Befehl des gnädigen Herrn, auf jeden Fall Jemanden einzubringen, nicht werden Folge leisten können, als Pista – der bessere Augen hat – bei dem Szent-Vilmoscher Wald einen Reiter erblickte, nebst einem Manne, der mit ihm sprach. – Wenn dies Viola wäre, sagte Pista, der eben seine Pfeife anbrannte – ei! wenn dies Viola wäre – sagte ich, – und als ich hinsah, erblickte ich wirklich –«

»Viola?« fragte Nyúzó mit einer Stimme, aus welcher Jeder, der ihn so gut kannte, wie der Pandur, errieth, welche Antwort nun verlangt wurde.

»Ihn selbst, gnädiger Herr,« antwortete der Gefragte, »ich möchte wetten, daß er es war.«

»Er mit seinen schlechten Augen!« sprach Ákos dazwischen, »was hat erst Pista Alles sehen können, wenn schon er ihn auf eine gute halbe Meile erkannte!«

»Es wird sich schon zeigen,« sprach Nyúzó erzürnt, »wenn Räuber und Wegelagerer solche Protection finden, mag der Teufel die Ordnung aufrechthalten. – Rede er weiter, – was ist weiter geschehen, habt ihr den Verbrecher nicht näher gesehen?«

»Wie hätten wir das,« erwiderte Jener, »wir spornten kaum unsere Pferde – die armen Thiere waren so ermattet, daß wir sie kaum bis zum Hundetrab brachten – so war der Räuber verschwunden, und als wir hinzugelangten, fanden wir nur den alten Zigeuner, der auf Szent-Vilmos zueilte.«

»Na, und?« sprach ungeduldig der Oberstuhlrichter, der sich in seinen Erwartungen getäuscht fand.

»Natürlich haben sie ihm gleich die Geige angelegt,« rief Ákos dazwischen, »denn wer weiß, was er Gräßliches vollführt hätte, wenn er bis Szent-Vilmos gelangt wäre! Wenn zur Räuberverfolgung immer so geschickte Männer ausgesendet werden, muß heute oder morgen alles Wegelagern aufhören, denn kein ehrlicher Mensch wird sich mehr aus dem Hause wagen.«

Der alte Zigeuner, der indeß seine blitzenden Augen im Kreise herumschweifen ließ, merkte, daß er einen Beschützer gefunden; muthiger stand er nun vor dem Befreier und flehte nur, daß man ihn von der Geige befreie, die seine Hände wund gerieben.

»Warum nicht gar,« schrie der Oberstuhlrichter. »Er ist das Violoncell gewohnt; also schickt sich eine Geige recht gut für seine Hände.« – Und Nyúzó und der Geschworene lachten laut auf über diesen Witz. – Als aber Vándory, der während des ganzen Vorfalles sichtlich betroffen, seinen Gefühlen nicht recht gebieten konnte, nun den Oberstuhlrichter bat, Kálmán und Ákos aber diese Bitte unterstützten, befahl Nyúzó vorzüglich darum, weil die Bitten der anwesenden Diener wegen in Latein vorgebracht wurden, und er deshalb nichts zu erwidern vermochte, daß die Geige abgenommen werde.

»Und was ist geschehen, als ihr den Zigeuner erreicht hattet?« sprach Nyúzó zu den Panduren gewendet, die erstaunt über die ungewohnte Milde des Oberstuhlrichters eben mit der Abnahme der Geige beschäftigt waren, »was habt ihr nach seiner Gefangennehmung bemerkt? Habt ihr nichts bei dem alten Galgenschwengel gefunden, was ihn besonders verdächtigt?«

»Das war nun so,« antwortete der Pandur, indem er seinen Schnurrbart aufdrehte und im edlen Selbstbewußtsein einmal ausspuckte, »als wir den Zigeuner eingeholt hatten, – und das war ziemlich spät, denn der alte More Moré, Spitznamen der Zigeuner. ist ungeheuer schnell gelaufen, ruft ihn Pista an; der Alte erschrickt gewaltig.«

»Er ist erschrocken,« unterbrach ihn Nyúzó, »ich möchte wissen warum?«

Worauf der Geschworene den Kopf schüttelnd nach gewohnter Weise mit: »Das ist wahrhaftig verdächtig,« antwortete.

»Ich bitte unterthänigst,« entgegnete der Zigeuner, sich die schmerzenden Hände reibend, »als sie so fluchend gleich die Pistolen ergriffen, konnte ich gar nichts anders glauben, als daß sie Räuber seien.«

»Schweige, verfluchter brauner Hund,« schrie der Stuhlrichter, »oder ich lasse dich so durchhauen, daß du dich ein halbes Jahr nicht erholst – rede weiter, János.«

Dieser fuhr fort: »dann fragte Pista: wo ist Viola hin; und er antwortete: ich habe ihn nicht gesehen.«

»Und wir haben doch gesehen, daß er mit ihm geredet hat,« sprach Pista dazwischen, der des Oberstuhlrichters Zustimmung wahrnahm und an dem Ruhme Theil nehmen wollte, den sein Kamerad erntete. – »Ich sagte: Zigeuner Peti, das ist nicht wahr. Er hat mit ihm geredet, wir haben es gesehen, und wenn er nicht gleich bekennt, werden wir ihn nach einer anderen Musik tanzen machen. Der Zigeuner läugnete fort und fort. Wer wäre also jener Reiter gewesen, mit dem er früher geredet?«

»Nun! und was hat der Zigeuner geantwortet?« fragte der Geschworene, indem er sein Gesicht zu einem Ausdruck tiefer Einsicht zwang.

»Er hat geantwortet, daß er ihn nicht kenne,« antwortete János, und als ich darüber auffuhr – denn der gnädige Herr weiß, daß Peti alle Menschen kennt – begann er zu laufen.«

»O! süßer gnädiger Herr,« winselte der Zigeuner, »wie hätte ich nicht laufen sollen, da sie mich zu prügeln begannen und mir die Geige anlegen wollten.«

»Ein ehrlicher Mann,« redete der Geschworene dazwischen, »scheut die Geige nicht –«

»Das hab' ich auch geglaubt,« versetzte János, »sobald wir also wußten, daß wir mit einem Verbrecher zu thun haben, waren wir ihm auf der Ferse, wie der Sturmwind, und die Geige um den Kopf, und hieher mit ihm zum gnädigen Herrn, – hier wird die Wahrheit schon ans Tageslicht kommen.«

»Ihr habt euch gut gehalten,« sprach Nyúzó, »bringt jetzt den alten Fuchs in mein Haus; ihr aber bleibt dort, ich werde Euch brauchen, morgen schicken wir den theuern Vogel ins Comitatshaus.«

»Aber ich bitte,« flehte Peti, »ich bin ja unschuldig, so unschuldig wie ein neugebornes Kind.«

»Wir wissen, wir wissen,« entgegnete der Oberstuhlrichter mit dem bittersten Ton seiner Stimme, »du kennst Viola nicht? nicht wahr, du hast neulich sein Roß nicht beschlagen? He?«

»Es ist ja wahr, daß ich ihn kenne,« seufzte der Zigeuner, »aber was kann ich dafür, daß ich zwanzig Jahre mit ihm in einem Dorfe gewohnt habe! er war ja der ehrlichste Mensch auf der Welt, bevor er zum erstenmale in die Hände des Comitates fiel; man hätte ihn zum Richter wählen können. – Es ist wahr, daß ich sein Roß einmal beschlagen habe, aber was soll ein alter Mann thun, wenn Räuber mit Csákány Csákány, sprich Tschakany. Eine den Ungarn eigenthümliche Waffe. Ein Stock mit einem eisernen oder messingenen Hammer darauf. und Pistolen kommen und beschlagen lassen? – Ich wäre des Todes gewesen, hätte ich es nicht gethan.«

»Warum geh'n denn die Räuber nicht zu ehrlichen Schmieden?« fragte der Stuhlrichter, den Geschworenen anblickend, der unter bejahendem Lächeln mit dem Kopfe nickte.

»Ich denke nur,« antwortete Peti ruhig, »daß die Räuber lieber zu mir kommen, als zu einem anderen Schmied, weil ich außerhalb des Dorfes wohne.«

»Und warum wohnt er außer dem Dorfe!« (Die Titulaturen, die der verdienstreiche Beamte hierbei gebrauchte, lasse ich ihrer orthographischen Schwierigkeiten wegen aus.)

»Weil der gnädige Herr Vicegespan uns Zigeunern nicht mehr erlaubt, im Dorfe zu wohnen, seit in der Hütte des Barna Jancsi Feuer ausgebrochen ist, – einem alten Manne fällt dies schwer genug.«

Nyúzó sah in jeder Antwort eines in Untersuchung Stehenden Verletzung der richterlichen Würde. Jeder Mensch hat eine Art von Eitelkeit, deren Verletzung ihm schwerer fällt als ein anderer bedeutender Schaden oder Verlust! selbst der bessere Mensch ist unzufrieden, wenn er sich in seinem Urtheile täuscht, – was Wunder also wenn Paul Nyúzó – den Selbsterkenntnis (die, wir mögen es wie immer läugnen, der Grundstein unserer Menschenkenntniß ist) zum Pessimisten gemacht hatte, keinen, den er einmal für einen Verbrecher hielt, je mehr als unschuldig anerkennen wollte, und im gegenwärtigen Augenblicke – aufgebracht durch die Spässe des Ákos – Alles aufbot, die Verbrechen des alten Zigeuners an das Tageslicht zu bringen.

»Schon gut, schon gut,« sprach er, seinen Zorn so viel er vermochte unterdrückend, »wir werden sehen, ob du dich bei mir auch so keck benehmen wirst, bis morgen ist dein berühmter Spießgeselle auch gefangen, und beim Verhöre wird sich Alles zeigen. – Führet ihn zu mir, und daß er ja nicht entspringe – denn sonst –«

Der Zigeuner flehte und die Panduren bereiteten eben wieder die Geige, als Ákos, durch die Thränen des Alten gerührt, Bürgschaft bot und den Oberstuhlrichter bat, ihn freizulassen. Nyúzó der Gelegenheit froh, durch Verweigerung sich der Scherze wegen rächen zu können, schlug es ab.

»Du weißt,« sprach er, so sanft als ihm möglich, »ich freue mich, wenn ich dir etwas zu Gefallen thun kann, aber verzeihe mir, dies einemal ist es unmöglich. Bis morgen ist Viola in unseren Händen, und ihr werdet sehen, dieser Zigeuner gehört zu seinen Helfershelfern.«

»Wenn du Peti so lange bei dir behältst,« sagte Kislaky lachend, »bis du Viola fängst, so kann er zeitlebens bei Wasser und Brod sitzen.«

»Wir werden sehen,« antwortete der Oberstuhlrichter höhnend, »ich sage nur: Viola ist noch heute in meinen Händen, und ist er es nicht, so lacht mir ins Gesicht. Aus zuverlässiger Quelle weiß ich, daß er heute Abend in die Tiszaréter Csárda kommt, und zwar allein, sobald es dunkelt. Der Wirth, das Gesinde und alles, was eben in der Csárda sein mag und ihm Nachricht geben könnte, wird gebunden, in den Keller gesperrt, und mein Commissär und die Panduren in Bauernkleidern erwarten statt ihrer den Gast. – Das Uebrige versteht sich von selbst.«

»Ja, vorausgesetzt, daß er kommt,« erwiderte Ákos, »aber –«

»Dies einemal wird er kommen,« entgegnete Nyúzó mit Amtswürde, »Nyúzó hat verläßliche Spione. – Jetzt,« zu den Panduren gewendet, »Marsch!«

Wer während dieses kurzen Gespräches seine Aufmerksamkeit dem alten Peti zugewendet haben würde, hätte ohne Zweifel den Wechsel der Empfindungen lesen können, der sich auf seinem braunen Antlitze abspiegelte. Von der regsten Theilnahme, als Viola's bevorstehende Gefangennehmung zuerst erwähnt wurde, bis zur Verzweiflung, als er die Vorbereitungen zur Einbringung desselben vernahm, traten wohl zehnerlei Empfindungen aus den orientalischen Zügen deutlich hervor. Zu seinem Glücke aber bemerkte nur Tengelyi seine Gemüthsbewegung, und als Nyúzó ihm wieder seine Aufmerksamkeit zuwandte, stand der Alte mit flehender Geberde zwischen den Panduren, die, dem Befehle ihres Oberstuhlrichters gehorchend, ihren Gefangenen durch Stöße an das Gehen mahnten.

Dieser wandte sich zu Ákos und sprach: »Ich bitte unterthänigst, hochgeborner, gnädiger junger Herr, wenn ich schon als unschuldiger alter Mann ins Gefängniß geschleppt werden soll, so sagen Sie doch Ihrem Herrn Vater, daß der alte Peti gefangen sei, und es also nicht meine Schuld ist, daß ich die Briefe nicht abgegeben habe.«

»Was für Briefe?« fragte Ákos.

»Nun, jene, die mir der gnädige Herr Vicegespan anvertraut hat,« sprach der Zigeuner, indem er aus seiner Weste ein Paar in die Reste eines einstmaligen Hemdes gewickelten Briefe hervorzog und sie Ákos übergab. »Ich bin immer der Expresse des gnädigen Herrn, und ich hätte mich auch jetzt nicht verspätet, denn die gnädige Frau hat mir ein gutes Trinkgeld versprochen, wenn ich diese Briefe noch vor Untergang der Sonne nach Szent-Vilmosch bringe, indem sie sagte, es sei etwas sehr Wichtiges. Und wenn diese –« das Beiwort dachte Peti nur – »mich dort beim Walde nicht gefangen hätten ...«

Nie noch hat ein Schreiben in des Menschen Los eine solche Veränderung hervorgebracht als die, welche jetzt in Bezug auf den armen Peti nach der Uebergabe der Briefe eintrat. Und als Ákos den einen offenen Bogen durchflogen, ihn Nyúzó übergeben, und dieser ihn ebenfalls überblickt hatte, kann man sich die Verwirrung gar nicht vorstellen, die sich in seinen Zügen aussprach.

»Man muß gestehen, das hast du klug eingeleitet,« so redete Ákos mit etwas gedämpfter Stimme zum Oberstuhlrichter. »Wenn du bei der Restauration nicht wieder gewählt wirst, so kannst du dich wenigstens damit trösten, daß du der Gegenpartei zum Siege verholfen hast, denn wenn die dreihundert Stimmen von Szent-Vilmosch gegen euch sind, bleibt Ihr alle aus, darüber ist kein Zweifel, – und das wird nun wahrscheinlich eintreffen.«

»Nein, so wird es nicht kommen,« brummte Nyúzó zwischen den Zähnen, während der Geschworene, als er das »nicht wieder gewählt« hörte, tief aufseufzte. »Das wird nicht geschehen; die Szent-Vilmoscher –«

»Lieben dich ohnedies nicht,« fiel Ákos ein, »und wenn sie dich wählen, so thun sie dies ihrem Notär zu lieb, der ebenfalls nicht deiner schönen Augen, sondern anderer gewichtigerer Ursachen wegen, es mit meinem Vater hält. – Heute früh erhielten wir die Nachricht, daß die Rántory'schen mit dem Notär Unterhandlungen angeknüpft haben, aber nicht zum Abschluß gekommen sind; mein Vater benützte dies, und verspricht in diesem Briefe Alles, was die Dorffeder begehrt, und ladet zugleich den ganzen Szent-Vilmoscher Adel auf morgen zu sich, daß der Handschlag vor sich gehe. Daß sie durch Handschlag ihm ihre Stimmen zusagen. Und nun kommst du mit deinen Panduren, fängst den Briefträger auf, damit deine Feinde, die indeß ihre Knauserei wohl bereut haben mögen, den Vorsprung gewinnen. – Wenn dies nicht in ein Lustspiel gehört – so weiß ich wahrhaftig nicht, über was ich herzlicher lachen könnte.«

»Aber wer hat denken können, daß dein Vater eine Botschaft von dieser Wichtigkeit durch einen solchen Menschen schickt!« sprach Nyúzó.

»Aber hab' ich dir denn nicht gesagt,« erwiderte Ákos, der sich an der Verwirrung des Oberstuhlrichters sichtlich ergötzte, »daß der alte Peti unser erprobter Dienstmann und Briefträger ist; wer hätte denken können, daß der schnellfüßige Zigeuner des Vicegespans ohne Ursache gefangen, in die Geige gesetzt und nicht einmal gegen Bürgschaft entlassen wird.«

»Wahr,« sprach Nyúzó, in seiner Qual sich den Kopf kratzend, »aber wenn er nicht spricht, nicht mit einem Worte erwähnt, daß er wichtige Briefe trägt! Du verdammter alter Schuft,« donnerte im höchsten Zorn der Oberstuhlrichter, der unter jene angenehmen Wesen gehörte, die am gröbsten sind, wenn sie um Vergebung bitten sollten, »warum hast du nicht gesagt, daß du auf des Vicegespans Befehl unterwegs bist? Ich hätte große Lust, dir solche fünfundzwanzig aufmessen zu lassen, daß –«

Der Zigeuner, der diesmal sich von rückwärts gesichert wußte, antwortete, daß er durch die harte Behandlung der Panduren sogar vergessen habe, von wo er ausgegangen, und fügte noch hinzu: »Die gnädige Frau hat mir geboten, die Schriften Niemandem zu zeigen, besonders solchen nicht, die zum löblichen Comitat gehören; und endlich habe ich gehofft, daß meine Unschuld doch an den Tag kommen wird.«

»Deine Unschuld! Es ist schrecklich!« rief Nyúzó die Hände zusammenschlagend, »in seiner Tasche trägt er einen Brief des Vicegespans und vertraut auf seine Unschuld; aber jetzt geh', laufe, eile; hier hast du deine Briefe, und wenn du bis Abend nicht in Szent-Vilmosch bist, dann weh' dir!«

Obschon die Sonne bereits am Rande des Horizontes stand, neigte der Zigeuner das Haupt ohne zu antworten und eilte gegen Szent-Vilmosch hin, dem unausführbaren Befehl des Oberstuhlrichters nachzukommen. Als der Zigeuner sich entfernt hatte, ergoß Nyúzó seinen Zorn über die Paduren; unter vielen Flüchen sprach er seine Verwunderung aus, wie sie sich unterstanden, den Zigeuner des Vicegespans einzufangen; der Geschworene tröstete die Erstaunten mit der Aussicht auf Ketten und Bande; sie, die noch vor ein paar Minuten von einem tüchtigen Kruge Wein geträumt hatten. Ákos und die Uebrigen machten sich auf den Weg, lachend über Nyúzó's heftige Gesticulationen, und über den Zigeuner, der von Zeit zu Zeit zurückblickend immer schneller lief, so oft er den, einem Gewitter gleich brüllenden Oberstuhlrichter gewahrte; nur der Notär und der Prediger bewahrten ihren Ernst. Und als die fröhliche Jagdgesellschaft von ihnen Abschied genommen hatte und nach Haus trabte, und weder ihr lautes Gelächter, noch Nyúzó's Flüche mehr gehört wurden, ergriff Vándory die Hand seines Freundes und seufzte:

»O mein Gott! wenn ich bedenke, daß dies Beamte sind, daß das Los von tausend und abermal tausend Menschen in solcher Leute Händen ist, die noch lachen können, wenn ihr Nächster leidet –«

»Und wer lacht nicht über die Leiden seiner Mitmenschen?« sprach Tengelyi bitter, »vom Kinde an, das seinem Spielgenossen das Bein unterstellt, damit er falle, ist Keiner, der nicht zuweilen lacht, wenn der andere strauchelt, der den Gefallenen nicht auslacht, besonders wenn er sich nicht stark beschädigt – warum sollen diese besser sein als andere?« Nach kurzem Schweigen begann er wieder: »Aber die Sonne ist untergegangen, eilen auch wir nach Hause.«

Vándory stand auf und die beiden Männer gingen neben einander dem Dorfe zu.

»Sieh nur,« rief Tengelyi, der auf einen Augenblick sich umwendend, stehen geblieben war, und auf einen Punkt hinwies, »ist das nicht unser Zigeuner, der dort läuft?«

»Gewiß,« antwortete Vándory, »ich hab' ihn mit meinen Augen verfolgt; aber mir scheint, daß er vielmehr gegen uns zu, als gegen Szent-Vilmosch läuft.«

»So scheint es, Freund,« sagte Tengelyi, »und dies einemal werden die Befehle des Vicegespans nicht vollzogen. Sei es, daß ihn die Gegenpartei erkauft hat, oder wer weiß? vielleicht hat Nyúzó doch recht, und Peti ist im Bunde mit Viola und bringt ihm Nachricht von den Anschlägen gegen ihn, die der Oberstuhlrichter ihm so höchst weise mitgetheilt hat; denn ich bin überzeugt, daß der Zigeuner nicht ohne Ursache so eilt. Aber was geht das uns an? – Es wird kühl, gehen wir nach Hause.«

Und die beiden Männer gingen weiter; jeder in Gedanken versunken, schritten sie schweigend dem Dorfe zu, von wo ihnen das sanfte Geläute der Abendglocke einem Gruße gleich entgegentönte.

Ueberlassen wir sie jetzt ihren Gedanken. Die Erzählung ihres Lebens, die wir im nächsten Abschnitte finden, wird uns mit ihrem Charakter näher bekannt machen. Nur die Vergangenheit ist der Schlüssel, der uns die Widersprüche im Menschen aufzuschließen vermag. Wie bei den Flüssen, so bei den Menschen entscheidet nicht sowohl ihre Natur, als vielmehr die Bahn, die sie durcheilten, über ihre Reinheit; wer diese mit Aufmerksamkeit bis ans Ende verfolgt, wird, wenn auch in weiter Ferne, aber immer die Ursache finden, warum die Fluthen des Flusses getrübt sind, warum die Menschenbrust ihre Reinheit verloren; und nur durch die Allwissenheit läßt es sich erklären, wie Gott grenzenlos barmherzig, und zugleich gerecht sein kann.


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