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Indeß sich im Schlosse von Tiszarét dies alles zutrug, war es in dem kleinen Hause des Notärs ruhig, und das Kerzenlicht, durch die Fenster auf die Gasse schimmernd, zeigte, daß die Bewohner wachten. Das Haus hatte zwei Zimmer, deren Fenster gegen die Gasse gerichtet waren; in dem ersten, das einen eigenen Ausgang auf den Hof hatte, wohnte Tengelyi selbst, dort verwahrte er auch seine Amtsschriften; das zweite, dessen eine Thüre in Tengelyi's Zimmer, die andere in die Küche führte, hatten Frau Elisabeth und die Tochter inne. Wie wir wissen, öffnete sich eine Thüre der Küche dem Garten zu; durch diese war Viola ins Haus gekommen, die andere führte auf den Hof. Gleich neben der Küche war die Kammer, in der Frau Lipták den verfolgten Räuber verborgen hatte. Am Ende des Hauses war das Gesindezimmer und jenes kleine Gemach, worin jetzt Viola's kranke Frau lag. Tengelyi hatte den ganzen Tag in Cserepes Cserepes, sprich: Tscherepesch. bei Bántornyi zugebracht, bei dem gleichfalls der Restauration wegen Conferenz gehalten wurde. Frau Elisabeth und Vándory, der diesen Tag bei ihnen zu Mittag gewesen, waren jetzt bei der Kranken; Etelka und Vilma plauderten im zweiten Zimmer.
Beide waren durch die innigste Freundschaft verbunden. Réty und der Notär hatten lang in Freundschaft zusammen gelebt, und so waren die beiden Mädchen sozusagen miteinander aufgewachsen. Vilma verlebte den größten Theil des Tages im Schlosse, nahm an Etelka's Lehrstunden Theil, die Tochter des Vicegespans besuchte das Haus des Notärs, und genoß mit der kleinen Freundin jenen Unterricht, den Tengelyi in der Geschichte und den Naturwissenschaften, Vándory in der Religion den geliebten Kindern gab; und wenn später die Eltern sich mehr und mehr von einander entfernten, und Vilma seit einiger Zeit ihre Freundin nicht mehr besuchen konnte, so schlossen sie sich nur umso inniger an einander, weil sie fühlten, daß es sonst kein anderes Band mehr zwischen ihnen gebe.
Vilma, die jetzt in ihr sechzehntes Jahr trat, hatte noch nicht die Grenzen des Taksonyer Comitats überschritten; sie kannte von der Welt nur so viel, als die Freundin erzählte, die sich schon dem zwanzigsten Jahre näherte und ein paar Winter in der Hauptstadt zugebracht hatte. Im Kleinen und Großen beschloß sie Nichts, ohne Etelka gefragt zu haben, und wenn Vándory manchmal lächelnd bemerkte, daß Vilma nur dann Etwas zu wollen vermöge, wenn sie von Etelka hierzu Erlaubniß erhalten, so hatte er größtentheils Recht. Meine jungen Leser, unter denen gewiß Einige lieber ihrer Natur Gewalt anthun, als daß sie den Rath eines besonnenen Menschen annehmen, blos um den Schein zu vermeiden, daß sie irgend Jemand nachahmen, mögen nicht denken, daß eines jener schwachen Geschöpfe vor ihnen steht, denen zum Guten und Bösen gleichmäßig die Kraft fehlt. Vilma gehörte unter jene Wesen, die stark lieben und recht stark vertrauen können. Etelka erwiderte dies Gefühl in vollem Maße, und die beiden Mädchen, die durch Stellung und Charakter so weit auseinander zu stehen schienen, die sanfte Vilma, die immer einer Stütze bedurfte, und Etelka, deren Willenskraft in dem kleinen Kriege erstarkt war, den sie seit der Kinderzeit mit der Stiefmutter führte, schlossen sich mit all jener Freundschaft aneinander, die zu empfinden nur die zarte Frauenbrust fähig ist, aber die eben, weil sie viel schöner ist, viel höher steht als jenes Gefühl, das wir Männer Freundschaft nennen, und das nicht lange dauern kann.
»Also hast du ihn nicht gesehen?« sprach Etelka ihre Arbeit weglegend, »schade! ich würde viel darum geben, wenn ich einmal mit Viola zusammentreffen könnte; Alles was ich von ihm höre interessirt mich. Der wilde Muth, den ihm seine Gegner, ja selbst Nyúzó zugestehen, daß er zu seiner jetzigen Lebensweise gezwungen worden, und vor Allem die Liebe zu Weib und Kindern, machen mir diesen Räuber anziehend.«
»Wie kannst du so reden? Gott weiß, wie sehr ich den Armen bedaure, aber nach seiner Bekanntschaft sehne ich mich gar nicht, ich würde aus Furcht sterben; man sagt, daß er Menschen gemordet, man erzählt Entsetzliches von ihm.«
»Fabeln! ein Mensch, der so zu lieben vermag, wie Viola, kann kein Ungeheuer sein. – Nenne mir einen der hochansehnlichen Herren Beisitzer, die wir täglich sehen, und die von der ganzen Welt für ausgezeichnete, vortreffliche Menschen gehalten werden – deinen Vater nehme ich aus – der unter ähnlichen Verhältnissen zu seiner Frau käme; der sich dem Galgen aussetzte, nur um sein krankes Lieb zu sehen? Vilma, das ist schön, das ist groß, selbst bei einem Räuber; so wünschte ich geliebt zu werden durch wen immer; dann würde ich mich glücklich fühlen.«
»Wenn du nur dies brauchst,« antwortete Vilma, die Hand der Freundin erfassend, »es gibt ja Nichts auf der Welt, was Kálmán nicht für dich thäte.«
»Ausgenommen, daß er mir zu lieb nie um ein Glas Wein weniger trinkt als gewöhnlich, oder das Fluchen und jene unselige Affectation aufgibt, die ich hasse. Kálmán thäte Alles auf der Welt für mich bis auf das Eine, was ich von ihm verlange, und was eben in seiner Gewalt ist.«
»Du bist ungerecht; Kálmán ginge für dich ins Feuer.«
»Ja wohl! davon bin ich überzeugt, besonders wenn ein paar Menschen zugegen wären, die seinen Muth ausposaunen könnten; aber geschähe dies aus Liebe? Kálmán ist muthig, das ist unläugbar; ich kenne Niemand der sein Leben leichter um Kleinigkeiten auf das Spiel setzt; er berechnet nicht, wenn von Ehre die Rede ist; sein persönliches Wohl wird ihn nie zum Handeln oder Unterlassen bestimmen. Er hat viele gute und edle Eigenschaften, dies gebe ich Alles zu; sage nur nicht, daß er mich liebe.«
»Du bist gegen ihn aufgebracht, er hat gewiß in seiner Unbesonnenheit etwas dir Unliebes gethan; aber deshalb –«
»Er ist unverbesserlich,« sprach Etelka aufstehend, »denke dir: er hat sich wieder betrunken.«
»Vielleicht hast du dich wieder getäuscht, wie neulich, wo es nach langem Schmollen endlich herauskam, daß er eine ganze Woche über nicht ein Glas Wein getrunken.«
»Erstens glaube ich nicht, daß ich mich damals geirrt, sondern daß Ákos aus Freundschaft seine arme Schwester ein wenig belogen habe; zweitens kann heute von Täuschung keine Rede sein, denn ich bin das ganze Mittagmahl über an seiner Seite gesessen. Aber reden wir nicht mehr von so unangenehmen Dingen,« setzte Etelka mit einem Tone hinzu, der bewies, daß ihr der Gegenstand nicht angenehm war, »ich kenne Kálmán, ich würdige seine guten Eigenschaften, ich bin aber gegen seine Fehler nicht blind, es ist keine Männlichkeit in ihm, und wirklich lieben kann nur ein starkes Herz.«
»Ákos denkt anders von seinem Freunde.«
»Ja, Ákos,« sprach Etelka ihre Aufregung unter gezwungenem Lächeln verbergend, »und ist es nicht erlaubt an dem zu zweifeln, was Ákos sagt? Ákos ist der vortrefflichste Mann, und darum unfähig über derlei zu urtheilen. Männer schätzen an ihren Freunden jene Eigenschaften, die ihnen am meisten nützen; und wenn ihr Gefährte ein guter Hasenhetzer ist, wenn er das gegebene Wort treu hält, wenn er bereit ist, sich sechsmal für den Freund zu duelliren, so begreifen sie gar nicht, was wir mehr verlangen können. Ich habe ganz andere Begriffe.«
Die Freundinnen verstummten. Vilma bemerkte, daß das Gespräch Etelka unangenehm war, und griff wieder zu ihrer Arbeit. Etelka war ans Fenster getreten und sah hinaus in den finsteren Garten, der in gewohnter Stille neben dem Hause lag; die Nacht bedeckte den gestern angerichteten Schaden.
»Ich kann mir den Unwillen deines Vaters vorstellen,« sprach Etelka, sich wieder zur Freundin setzend, »als er gestern nach Hause kam und alle Vorfälle hörte.«
»So habe ich ihn noch nicht gesehen. Zum Glück kam Vándory mit ihm, und dieser gesegnete Mann beschwichtigte seine Aufregung in etwas; aber er gab sein Ehrenwort, nicht eher zu ruhen, als bis ihm Recht geworden. Ich zittere, wenn ich daran denke.«
»Daß er sein Recht sucht? Fürchte dich davor nicht, das ist bei uns nicht so gefährlich.«
»Aber du weißt ja, daß er das Ganze deinen Eltern zuschreibt.«
»Und ich fürchte, was meine Stiefmutter anbelangt, nicht ganz ohne Grund.«
»Ganz recht, aber mein Vater ist, dich ausgenommen, neuerdings gegen deine ganze Familie aufgebracht. Auch gegen Ákos; und doch haben wir unsere Befreiung ihm zu verdanken; wenn er nicht gekommen wäre, hätten sie das ganze Haus durchstöbert und Viola gefunden, was uns zu Grunde gerichtet hätte.«
»Wer kann dafür? Jeder Mensch ist ungerecht; Einige, weil sie ohne Grundsätze sind, die Andern eben wegen der Strenge ihrer Grundsätze. Vándory, weil er in jedem Menschen einen halben Engel, dein Vater, weil er in jedem Menschen einen Feind sieht.«
»Die Mutter, die Lipták, ich, das ganze Haus pries deines Bruders Benehmen; mein Vater sagte, es sei schade gewesen, daß der junge Herr sich zu unserem Hause bemüht und die Untersuchung gehindert habe, wodurch sich wenigstens die Reinheit unserer Ehre dargethan haben würde; und da Ákos wahrscheinlich schon von Allem unterrichtet gewesen, und die Sache nur deshalb habe bis zum Aeußersten kommen lassen, um sich Verdienste um uns zu erwerben. O! wenn der Vater wüßte, daß Viola hier war. Ich bebe, wenn ich es nur denke.«
»Er wird es nie erfahren.«
»Mein Vater sagte aber, er wolle das ganze Haus beeiden lassen; von der Mutter angefangen, bis zur letzten Dienstmagd. Was dann?«
»Dein Vater hat im Zorne geredet, später wird er sich schon beschwichtigen lassen. Auf keinen Fall aber rede mit ihm davon. So wie ich ihn kenne, würde er nicht schweigen, und er hat Feinde genug, die dies gegen ihn benützen würden.«
»Das hat die Lipták auch gesagt. Aber du kannst dir meine Lage nicht denken. Ich, die ich in meinem Leben nichts vor meinem Vater verheimlicht habe, stehe jetzt mit dieser großen Lüge vor ihm, und wage es nicht, ihm ins Auge zu schauen, wenn er mit mir spricht, und kann mich nicht freuen, wenn er mich in seine Arme schließt. So oft die Thüre aufgeht, zittere ich, daß mein Geheimniß verrathen werde, und ich meines Vaters Liebe verliere. Glaube mir, Etelka, diesen Zustand ertrage ich nicht.«
»Und du mußt ihn doch ertragen, meine Liebste,« sprach Etelka, indem sie die weinende Freundin in ihre Arme schloß. »Die Ruhe, das Glück deines Vaters erheischt es, du bist ihm dieses Opfer schuldig.«
»Das glaub' ich selbst,« erwiderte Vilma sich die Thränen trocknend, »aber du kennst die ganze Güte meines Vaters nicht; wenn er sich so zu mir setzt, mir das Angesicht streichelt, mich seine gute Tochter nennt, und wenn er sagt, daß ich das Glück seines Lebens bin, und daß ihm, von der ganzen Welt betrogen, meine Liebe in seinen alten Tagen Ersatz für alle Leiden ist, und wenn mir nun dabei einfällt, daß ich alle diese Liebe jetzt nicht mehr verdiene, daß ich etwas vor ihm verheimlichen muß, daß er von mir nur vollständiges Vertrauen verlangt, und daß ich dies nicht mehr erfülle: was soll ich da thun? zu seinen Füßen möchte ich niedersinken und Alles gestehen. Da kommt mir aber wieder seine Ruhe, seine Ehre in den Sinn, und ich ersticke meine Thränen.«
»Meine arme Vilma,« seufzte Etelka, »ich weiß doch kaum ob ich dich nicht beneiden soll? Ich kann mein Herz schon seit lange meinem Vater nicht aufschließen, aber glaube mir, Alles wird wieder gut werden. Wenn mein Vater nach der Restauration, wie ich hoffe, sein Amt niederlegt, wird deines Vaters Zorn aufhören. Sobald Viola's Frau besser wird, nimmt Vándory sie vielleicht zu sich ins Haus, die Sache wird nach und nach vergessen, und dann kannst du mit deinem Vater sprechen.«
»Gut, aber bis dahin? Viola wußte, daß das ganze Dorf auf den Beinen war, um ihn zu fangen, und er kam doch. Die Lipták sagt, daß man sich nicht vorstellen könne, wie er seine Frau liebt. Wer bürgt dafür, daß er nicht heute, morgen, oder wann immer wieder kommt. Unser Haus ist von Spionen umgeben, und wenn sie ihn fangen – Jesus Christus!« schrie Vilma plötzlich aus, starr zum Garten hin schauend, »da ist er.«
»Wer?« fragte Etelka ebenso die Blicke hinwendend, »ich sehe Niemanden.«
»Jetzt ist er verschwunden, aber glaube mir, Etelka, dort stand er, ich habe sein braunes Gesicht deutlich am Gitter gesehen.«
»Viola? wo denkst du hin, Liebe! so lang Nyúzó und das halbe Comitat hier lagert, kommt er nicht zurück nach Tiszarét. Du bist aufgeregt; wenn du willst, geh ich selbst hinaus, und sehe mich im Garten ein Bischen um.«
»Laß es sein, liebe Etelka, es ist möglich, daß ich mich getäuscht. Ich bin kindisch.«
»Du zitterst am ganzen Leibe,« sprach Etelka, die Freundin bei der Hand nehmend, »wenn dich deine Mutter sähe, würde sie über deine Blässe erschrecken, ich bringe dir ein Glas Wasser, das wird dir helfen.«
Etelka stand auf, um aus der Küche Wasser zu holen, als an der Thüre des zweiten Zimmers leises Klopfen vernommen wurde.
»Ich bitte dich, bleibe bei mir,« sprach Vilma, indem sie Etelka's Hand ergriff, »wer kann das sein? so spät? ich fürchte.«
»Vielleicht sucht der Richter, oder sonst wer deinen Vater, wir werden gleich sehen. Herein!«
Die Thüre ging auf und hereintrat mit viel demüthigen Bücklingen und sehr um Vergebung bittend ein fremder Jude, der den hochgebornen gnädigen Fräuleins einen guten Abend wünschte.
Vilma's Furcht und des Juden unterthänige Bücklinge schienen in solchem Contraste zu stehen, daß Etelka ein leises Lächeln nicht unterdrücken konnte, besonders als sie die Angst gewahrte, mit der ihre Freundin noch immer den Fremden anblickte.
Der Fremde, der in der Thüre zwischen den beiden Zimmern stand und den abgeschabten Hut in den Händen drehte, gehörte, wenn auch seine schwächliche Gestalt keine Ursache zur Furcht gab, doch unter jene Personen, vor denen sich der Entschlossenste unbehaglich fühlt. Üveges Jancsi, Üveges Jancsi – sprich Uewegesch Jantschi – Johann der Glaserer. denn dies ist der Name, mit welchem jene Person wenigstens in diesem Comitat genannt wurde, war eines der häßlichsten Geschöpfe, die man im Königreiche Ungarn sehen konnte. Die schmächtigen Glieder schienen sich unter der Last seines Riesenkopfes zu beugen; ein von Blatternnarben zerrissenes Gesicht, welches rothe, auf die Stirn herunterfallende Haare und der schmutzige rothe Bart zur Hälfte bedeckten; über dem einen Auge, das er, wie er sagte, in der Kinderzeit an den Blattern verloren, ein großes schwarzes Pflaster, der unsichere Blick des anderen, welches immer herumschweifend Alles aufzusuchen schien, nur dein Auge nicht: bildeten ein Ganzes, dessen Reize weder die abgetragene Sammthose, noch der Spenser mit gelben Aermeln, noch der kleine graue Mantel, der seinen Anzug vollendete, so zu verdecken im Stande waren, daß du nicht Abscheu vor ihm empfunden hättest und daß selbst Etelka unangenehm berührt war, als ihr Vilma betroffen ins Ohr flüsterte: daß sie dieses Gesicht zuvor am Fenster gesehen.
»Herr Tengelyi ist nicht zu Hause,« sprach Etelka, »komme er morgen früh wieder.«
»Gnädiges Fräulein,« sprach der Jude, immer den Hut in der Hand drehend und im Zimmer umherblickend, »das ist für mich entsetzlich, ich hätte etwas sehr Nothwendiges mit dem Herrn Notär zu sprechen.«
»So komme er in einer halben Stunde; ich glaube, daß er zum Nachtmahle nach Hause kommt.«
»So werd' ich vielleicht draußen warten,« sprach der Jude, bewegte sich aber nicht vom Fleck, »hat der gnädige Herr keine Hunde?«
»Hunde?« frug Vilma erschrocken.
»Allerdings, wenn keine Hunde im Hof sind, wart' ich, sonst fürcht' ich mich.«
»Er mag ruhig warten,« sprach Etelka ungeduldig, »beim Hause sind keine Hunde.«
»Ja wohl, aber vielleicht bei den Nachbarn, ich bin ein Fremder, und voriges Jahr im dritten Dorfe von hier, haben sie mich beinahe zerrissen; seitdem fürcht' ich mich.« Und nun begann der Fremde eine lange Geschichte zu erzählen, wie er durch das Dorf gegangen, wie er angefallen worden, und wie er seine Rettung nur einem Schäferknechte zu danken habe, den der Zufall eben vorbeigeführt. Wenn der nicht kam, zerreißen sie mir den Mantel und er war noch ganz gut; nicht ganz neu, aber gut, ich habe ihn zu Pest um 5 fl. 30 kr. gekauft.«
In diesem Juden war ein solches Gemisch von List und Lächerlichkeit, daß es Etelka zum Lachen reizte, indeß Vilma immer unruhiger wurde und ihn nochmals bat, er möge jetzt gehen und in einer halben Stunde wieder kommen. Worauf der Glaserer antwortete, daß er ins Gesindezimmer gehen und dort warten wolle.
»Das Gesindezimmer ist nicht neben diesem Zimmer, nicht wahr, gnädiges Fräulein? dort werd' ich nicht ungelegen sein.«
Die Ungeduld Vilma's wurde durch diese Aufdringlichkeit des Juden weit über ihre frühere Furcht gesteigert; sie antwortete trocken: »Neben dem Gesindezimmer liegt eine Kranke, und er hat schon dreimal gehört, daß er in einer halben Stunde kommen und nicht verweilen soll.«
Der Jude verneigte sich unterthänig, ging zur Thüre, die in die Küche führte und öffnete sie.
»Wo geht er denn hin?« sprach Vilma.
»Ich küsse unterthänigst die Hände, bitte um Vergebung, ich bin so verwirrt. Vielleicht kann ich hierdurch auch auf den Hof.«
»Die Thüre ist zugesperrt, gehe er dort hinaus, wo er gekommen ist.«
Und der Jude verneigte sich wieder und ging durch Tengelyi's Zimmer bei der Thür hinaus, durch die er gekommen war, aber nicht ohne im zweiten Zimmer noch zwei-, dreimal sich zu verbeugen; auch ließ er den Hut zur Erde fallen und bei der Thüre benahm er sich so ungeschickt, daß er sie kaum zu öffnen vermochte; aber während dieser Zeit schien sein Auge jeden Winkel des Zimmers zu mustern.
»Was sagst du dazu?« sprach Vilma, nachdem sich der Jude entfernt, »ich möchte wetten, er ist ein Spion.«
»Spion? kann sein; es scheint, dieser Mensch ist Alles, wozu man ihn eben gebrauchen will; und wenn der Feind im Lande wäre, würde er vielleicht Spion sein – aber so, warum käme er zu Euch spioniren?«
»Wegen Viola! du weißt, wie sehr ihn Nyúzó verfolgt.«
»Das heißt: wie er ihn gestern verfolgt hat; denn glaube mir, heute ist seine geringste Sorge größer als diese. Du kannst ruhig sein; der Jude kommt mit einer Klage oder einer Bitte zu deinem Vater, und wer dieses Volk kennt, wundert sich nicht über seine Zudringlichkeit.«
»Aber hast du nicht bemerkt, wie viel er gefragt, und wie er sich spähend im Zimmer umgesehen hat?«
»Weil er sich vor Hunden fürchtete und vielleicht eine zerbrochene Fensterscheibe zu erspähen gehofft hat, die er morgen herstellen kann, wenn er wieder kommt.«
Vilma war keineswegs beruhigt und würde wahrscheinlich noch mehr Besorgnisse geäußert haben, wenn nicht eben Tengelyi ins Zimmer getreten wäre und, Etelka grüßend, die Tochter an die Brust drückend, das Gespräch beendet hätte.
Zu Etelka gewendet sprach er dann, während Vilma des Vaters Hut und Stock am gewohnten Platze versorgte: »Ich habe gar nicht gehofft, das Fräulein hier zu sehen; im Schlosse sind heute so viel Gäste.«
»Und wissen Sie nicht, daß dies für mich eine Ursache mehr ist herzukommen?«
»Ja! aber was für Gäste,« sprach Tengelyi etwas bitter, »derlei Menschen kann man vor einer Restauration nicht genug ehren.«
Etelka, ein wenig verletzt, fand nicht gleich eine Antwort und erwiderte nur, daß Herr Tengelyi wie es scheine, etwas übelgelaunt sei; worauf Vilma, um dem Gespräche eine andere Wendung zu geben, die Frage stellte: ob er nicht vor dem Hause mit einem Juden zusammen getroffen; sie setzte hinzu: »jetzt eben war er hier, wir haben ihn kaum hinausgebracht.«
»Allerdings,« sprach der Notär, »nahe am Hause sprach er mit Macskaházy, der, damit ich es nicht vergesse, dem Fräulein sagen läßt, das Nachtmahl werde bald anfangen und der Herr Vicegespan habe schon wiederholt um das Fräulein gefragt.«
»Und was wollte der Jude von meinem Vater? es schien, er habe wichtige Angelegenheiten, weil es ihn gar so drängte, noch heute mit dir reden zu können.«
»Wichtige Dinge? Für den Armen ist es freilich wichtig, übrigens ist es nur ein Spaß. Der arme Mann hat im Schlosse gearbeitet, und die hochlöblichen Stände haben ihm seinen sämmtlichen Glasvorrath zerbrochen, und weil er über diese edle Handlung nicht lachen wollte, oder weil er ein Jude ist, oder weil er nur ein Auge hat, haben sie ihn, wie er sagt, im edlen Zorne geprügelt. Es ist eine Kleinigkeit, wie Sie sehen,« sagte Tengelyi zu Etelka, »wie viele Leute werden nicht bei Restaurationen geprügelt, besonders Juden, schon deshalb, damit sie, wenn sie sich bei den neuen Beamten beschweren, alsobald überzeugt werden, daß für sie Alles beim Alten bleibe.«
»Aber Vater, das ist ja schrecklich,« sprach Vilma, die den Juden zu bemitleiden begann.
»Wer kann dafür, meine Liebe?« erwiderte der Vater. »Was wäre die Freiheit des Ungars, wenn er nicht einmal einen Juden prügeln dürfte? Uebrigens ist die Sache in Ordnung gebracht: Macskaházy hat ihm gänzlichen Schadenersatz versprochen, und der Jude, der wahrscheinlich das Schmerzensgeld in den Preis der Fensterscheiben einrechnen wird, ist damit zufrieden.«
Indessen hatten Frau Elisabeth und der Prediger die eingeschlafene Kranke verlassen, und waren auch in das Zimmer getreten, und nach kurzem, freundschaftlichen Gespräch umarmte Etelka ihre Freundin und verließ das stille Haus des Notärs, wo Frau Elisabeth Alles zum Nachtmahle vorbereitete.