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Alles war wieder ruhig in den Gassen von Porvár. Eine Hauptursache dieser Ruhe lag darin, daß die Stadt bis jetzt nur durch jene Cortesscharen besetzt war, die für Bántornyi geworben worden waren, und so die Gelegenheit zu einer allgemeinen Schlacht fehlte. Réty's Anhänger hatten beschlossen, erst am Morgen der Restauration einzuziehen; sie zogen indessen in kleineren Stationen dem Schauplatze des großen Zusammentreffens immer näher und versprachen sich von ihrem plötzlichen überraschenden Erscheinen mehr Wirkung auf die Gegner.
Gehen wir zu einem dieser Lagerplätze, etwa anderthalb Stunden von Porvár, auf einem Gute Réty's, wo wir unsere guten Bekannten, die wir schon in Réty's Haus gesehen, die dreihundert Sz.-Vilmoscher Edelleute finden. Das Wirthshaus ist klein, eines von jenen, die wir in der Theißgegend so häufig treffen, in denen, wenn wir auch keine Zimmer für uns finden, doch wenigstens der Stall für unsere Pferde nicht immer mangelt, und wo Jeder, der Lebensmittel, Messer und Gabeln mitgebracht hat, sich auch satt essen kann. Der Stall und der große Schoppen, unter dem, Regentage ausgenommen, Jeder trockenen Unterstand finden konnte, und wo zur größeren Bequemlichkeit der Gäste frisches Stroh ausgestreut war, war vom Adel in Besitz genommen. Der Notär Pennaházy, der Führer des Haufens, hatte den Hof vorsichtig geschlossen, damit Niemand ausreißen könne, und sich in das Bett des jüdischen Wirthes zurückgezogen; der Jude selbst und seine Familie lagen in demselben Zimmer auf dem Boden. Das Wirthshaus stand lautlos da, als ob gar kein Fremder darinnen wäre; nur in der Schenkstube sehen wir noch Licht. In diesem weiten Gemache, dessen Wände, außer einigen rauchgebräunten Kupferstichen, bei dieser großen Gelegenheit einige patriotische Aufschriften zierten, und in dessen Ecke die Fahnen der Partei standen, finden wir zwei Männer, die bei der schwachen Beleuchtung einer Lampe, eine kleine Flasche Branntwein vor sich, halb flüsternd nebeneinander sitzen. In einem der Sprechenden, der gegenüber der Thüre sitzt, erkennen wir den jüdischen Glaser, den wir zuletzt in Tengelyi's Haus gesehen; der Zweite, der ihm gegenüber eben bei der Lampe die Pfeife anzündet, ist uns unbekannt; aber wer in den letzten zwanzig Jahren die Kerker des Taksonyer Comitates einigemale besucht hat, würde sich wahrscheinlich auf den ersten Blick überzeugt haben, daß er Herrn János János, sprich Janosch – Johann. von Szent-Vilmosch, gewöhnlich Czifra Sprich Zifra Jantschi. Czifra heißt: der Aufgeputzte. Jancsi genannt, vor sich hat. Es ist nicht wahrscheinlich, daß er den Kerker zu einer Zeit gesehen, in welcher Czifra nicht darin gewesen wäre, oder daß er sein Gesicht, wenn er es einmal gesehen, vergessen könnte.
Auf Czifra's Angesicht war sein Charakter mit leserlichen Buchstaben geschrieben. Die kleine Stirn, mehr von Leidenschaften, als durch die Zeit gefurcht, die struppigen, über der Nasenwurzel zusammengewachsenen Augenbrauen, das graue, unruhige Auge, der unstete Blick, in dem sich die Furcht und Wildheit des Verbrechers paarte, die hervorragenden Kinnbacken, das bleiche Angesicht, halbbedeckt durch grauwerdendes Kopf- und Barthaar, bildeten, wenn du noch die scorbutgeschwellten, bläulichen Lippen hinzurechnest, ein Ganzes, vor dem man sich entsetzen mußte, besonders wenn du die gedrungenen, beinahe übermäßig starken Gliedmaßen betrachtend, die physischen Kräfte erwägst, mit denen die Natur diesen Mann beschenkt hatte.
»Ei, ei!« sprach der Jude kopfschüttelnd, »wer hätte glauben sollen, daß Ihr noch aus selbsteigenem Willen ins Comitatshaus geht.«
»Wenn man ein Edelmann ist und gerufen wird,« antwortete der Andere lachend, »und so wie ein gnädiger Herr hingehen kann, ist es ganz etwas Anderes; ich habe im Comitatshause unten lang genug gewohnt, aber oben ist es viel schöner.«
»Es wäre vielleicht doch besser, wenn Ihr nicht hinginget; wer weiß, dort sind Viele, die Euch kennen; der Schloßvogt, die Haiduken; es kann übel ausfallen.«
»Uebel ausfallen? Teufel hinein! Wer untersteht sich, einen Szent-Vilmoscher Edelmann anzutasten,« sprach der Andere mit der Faust auf den Tisch schlagend, »ich gehe eben deshalb hin, damit sie mich erkennen; – wenn ich nun im Vorhause auf- und abspaziere, und der verfluchte Schließer, der mir soviel Verdruß gemacht hat, sieht, daß ich ein Edelmann bin, und er doch nichts anderes ist, als ein unnützer Bauer, so wird er sich gewiß ärgern. Um die ganze Welt bleibe ich nicht zurück, blos um ihren Zorn zu sehen; und wenn irgend einer nicht den Hut vor mir abzieht, so schlage ich ihm die Pfeife aus dem Mund.«
»Es ist doch eine gute Sache,« sagte der Jude seufzend, »wenn man ein Edelmann sein kann.«
»Freilich ist es gut,« erwiderte der Andere, sich selbstzufrieden den Schnurbart streichend, »besonders für Leute, wie ich bin. Wenn der Mensch in Verdacht geräth, so wird er gleich ins Comitatshaus geschleppt, in das Loch gesteckt, in Eisen gelegt, und dann kann er warten, bis seine Sache vorkommt. Der Edelmann geht indessen frei herum, gewinnt zwei, drei Jahre, und wenn er sich nicht früher entfernen will, und nach dem Urtheile eingebracht wird, bekommt er wenigstens keine Prügel, und wenn er viele Verwandte hat, kann er bei irgend einem Stuhlrichter Küchensträfling werden. Es besteht die Gewohnheit, daß Sträflinge im Comitatshause zu häuslichen Diensten verwendet werden. Ei, Freund! dieses Stimmrecht ist doch eine schöne Sache; umso mehr, wenn man bedenkt, daß es nichts kostet.«
Der Jude, der indessen mit dem Messer einige Male in den Tisch gestochen hatte, warf einen bitteren Blick auf den Sprechenden. »Ihr seid ein Teufelskerl, Czifra, aber hütet Euch, daß Viola nicht erfahre, daß Ihr neulich bei dem Prediger eingesprochen habt; denn bei all' Eurer Edelmannschaft möchte ich dann nicht in Eurer Haut stecken.«
Der Räuber griff ans Messer und blickte den Juden grimmig an. »Jude! scherze nicht mit mir, denn wahrhaftig –« der Jude sprang auf – einen Augenblick lang war Alles stille.
»Wie könnt Ihr denn nur so spassen,« sprach er sich wieder niedersetzend. »Mich werdet Ihr doch nicht umbringen, weil ich Euch an die Gefahr mahne, in der Ihr schwebt? Ich hab' es mit meinen eigenen Ohren von Viola gehört, daß er demjenigen, der bei dem Prediger eingebrochen hat, den Schädel auseinander schlägt, und wär' es auch sein eigener Bruder.«
»Aber er wird es nicht erfahren,« sprach der Andere ruhiger, »oder hast du vielleicht bemerkt, daß Viola gegen mich Verdacht hegt?«
»Nein! aber –«
»Oder willst du mich vielleicht verrathen?« sprach er, wieder zum Messer greifend. »Jude! Niemand außer dir weiß es, daß ich beim Prediger war, und wenn –«
»Ei, Czifra,« antwortete der Glaser, indem er mit dem Sessel etwas zurückrückte, »Ihr seid ein wahrer Narr; was geht mich Viola und der Prediger an? Wer hat Euch neulich den Schimmel verkauft, den Ihr jenseits der Theiß erworben? und den Frischling? Da habt Ihr 10 Gulden 30 Kreuzer dafür erhalten.«
»Auch damals hast du mich betrogen,« fiel der Andere ein, »ein Frischling 10 Gulden 30 Kreuzer!«
»Wenn du mir nicht glaubst, so frage den Fleischhauer, dem ich ihn verkauft habe.«
»Richtig! damit ich dann in die Schlinge gerathe. Ich weiß, was ich weiß; doch du mußt betrügen, das ist deine jüdische Natur. Aber vom Einbruch bei dem Prediger rede nicht, selbst mit deinem Gott nicht; denn auf andere Weise kann es Viola nicht erfahren, und er wird ohnedies gehenkt, bevor er um einen Monat älter ist.«
»Ah! wie so?« sprach der Jude, indem er wieder näher rückte.
»Woran ist es denn neulich gelegen, daß man ihn nicht erwischt hat? Hätte nicht einer seiner Kameraden im Tretplatz des Vicegespans Feuer angelegt, so würde er jetzt schon baumeln.«
»Das ist wahr,« sprach der Jude, »habt Ihr vielleicht die Illumination gemacht?«
»Ich?« erwiderte der Räuber und seine Augen blitzten; »gibt es denn Jemand auf der Welt, der ihn so haßt, wie ich? Viola war noch ein Kind, das auf den Gassen herumlief, und wenn ich mit meinen Kameraden in das Dorf kam, verkroch er sich hinter den Ofen, als ich schon mit einer ganzen Bande das Comitat durchzog; und beim Teufel« (und der Sprechende schlug mit der Faust auf den Tisch), »du solltest sehen, wie er jetzt befiehlt! Als ich aus dem Arrest frei wurde und mich wieder mit meinen Kameraden vereinigte, wer hätte damals die eigentliche Hauptperson sein müssen, als ich, Czifra Jancsi, der die Bande Jahrelang geführt, ich, der ich längs der Theiß jedes Loch kenne, und jedem Csikós und Gulyás Csikós, sprich Tschikosch, Hüter eines Gestütes. Gulyás, sprich: Gulyasch, der Hüter einer Heerde Hornvieh. mehr befehle als ihre Herren. Aber sie brauchten einen andern Mann; Viola fand ich schon unter ihnen, er, der wie ein Weib vor jedem Tropfen Blut zittert, sich jedes weinenden Kindes erbarmt, gefiel ihnen besser; ich mußte schweigen, wenn ich nicht gehenkt werden wollte. Er befiehlt, ich gehorche; aber wir werden schon sehen, wer zuletzt mahlt.«
»Ihr habt Recht,« sprach der Jude und schob ihm den Branntwein zu, »es ist ordentlich lächerlich, daß Viola einem solchen Menschen befiehlt.«
»Freilich!« entgegnete der Andere, indem er einen starken Zug aus der Flasche that, »und wie er befiehlt! Neulich trieb ich die Ochsen eines Bauers von der Weide weg; wie er es vernahm, befahl er unter ungeheurem Fluchen, daß ich sie zurückbringen solle, denn es sei nicht erlaubt, armen Leuten zu schaden. Als ich voriges Jahr einen Juden erschoß, sagte er, daß er mich erschieße, wenn ich so etwas noch einmal thue. Nun wir werden sehen, wessen Augen der Rabe zuerst aushackt; der ist nicht wohl daran, dem Czifra Rache geschworen.«
»Jetzt verstehe ich,« sprach der Jude, »also von Euch hat der gnädige Herr Stuhlrichter neulich erfahren, daß Viola nach Tiszarét kommt?«
»Schweig Jude! – und wenn er es von mir erfahren hätte, was geht es dich an?«
»Allerdings,« entgegnete der Jude und rückte mit dem Sessel näher zum Tisch, »aber ich wüßte eine Gelegenheit, dich an Viola schwer zu rächen und zugleich schönes Geld zu verdienen.«
» Halljuk!« brüllte der Räuber, der nun fröhlich in seine Cortesrolle fiel; die Wände zitterten bei seinem Rufe.
»Still,« sprach der Jude und ergriff ihn bei der Hand, »Ihr weckt ja das ganze Haus auf.« Der Jude stand auf, trat ans Fenster, spähte in den Hof hinaus, und wie er Alles ruhig sah, kehrte er zu seinem Sessel zurück und fuhr fort: »Ihr habt neulich für Eure Bemühung beim Prediger nichts bekommen?«
»Verfluchter Jude,« sprach der Andere grimmig, »sprichst du schon wieder davon?«
»Seid nur ruhig, ich verschaffe Euch fünfundzwanzig Gulden.«
»Fünfundzwanzig Gulden,« sprach der Andere ebenfalls flüsternd, »und wie?«
»Gib' gut Acht! Die Schriften zu denen du neulich nicht gelangen konntest, sind jetzt bei Herrn Tengelyi.«
»Gut, daß ich es weiß.«
»Nur still! in der großen eisernen Lade; dort nehmt Ihr sie nicht heraus, wenn ich die Lade nicht aufsperre, aber schaut her,« und der Jude nahm aus seiner Weste zwei in einen Lappen gewickelte Schlüssel hervor. »Die Schlüssel,« sprach der Jude, »sind bei mir, auch den Zimmerschlüssel habe ich, und –«
»Verfluchter Jude,« rief der Andere, und das häßliche Gesicht verzog sich zum Lachen, »wie hast du dir den Schlüssel verschafft?«
»Ich habe die Lade gesehen und erkannt; Tengelyi hat sie von einem meiner Kameraden auf dem Markt von Porvár gekauft, von dem habe ich die Schlüssel bekommen; der Notär ist bei der Restauration, Alles kann ohne Gefahr geschehen.«
»Gib her,« sprach der Räuber, »laß sehen.«
»Ich geb' sie nicht.« Czifra sprang auf, riß ihm die Schlüssel aus den Händen und verbarg sie an der Brust.
»So, jetzt brauchen wir dich gar nicht; ich richte das Ganze allein.«
»Macht keine Narrheiten,« sprach der Andere, »zu was wären Euch die Schlüssel?«
»Nun ich gehe hinein,« sprach der Räuber lachend, »und statt deiner fünfundzwanzig Gulden bekomme ich hundert. Ich weiß ohnedies, daß du so viel bekommst.«
»Ei, ei, Freund Czifra, wie klug Ihr seid! aber ist Euch auch das Geheimniß des Schlosses bekannt? Geldkisten werden nicht so verfertigt, daß sie jeder Narr, der den Schlüssel hat, aufsperren kann; wer den Kunstgriff nicht weiß, kann ein Jahr daneben stehen.«
»Was für einen Kunstgriff?«
»Das werdet ihr nicht so leicht erfahren.«
»Sag' es Jude,« sprach der Räuber, die Faust ballend, »oder«
»Macht keinen Lärm, gebt mir die Schlüssel zurück, kommt schön mit mir, und die fünfundzwanzig Gulden sind Euer. Ihr habt nichts zu thun, als vor dem Hause Wache zu stehen, und wenn Gefahr droht, z. B. wenn Viola dort erschiene, oder wenn mich ein Anderer bemerkt, mir zu Hilfe zu kommen.«
»Aber fünfundzwanzig Gulden! Du Nichtswürdiger bekommst hundert, gib fünfzig Gulden und ich gehe.«
»Kann nicht sein,« sprach der Jude, sich den Kopf kratzend, »gib die Schlüssel zurück, ich finde schon einen Andern.«
»Die Schlüssel? die behalte ich bei mir,« erwiderte der Räuber lachend, »wenn du einen anderen Kameraden brauchst, so suche dir auch andere Schlüssel.«
»Nun also, es sei; vierzig Gulden, und gib die Schlüssel her.«
»Fünfzig oder Nichts.«
Nachdem das Handeln eine Weile gedauert, gab der Jude dem Räuber die Hand, zahlte ihm auf sein Verlangen zehn Gulden voraus, und Beide nahmen ihre Bundas um und bereiteten sich zum Aufbruche.
»Gehen wir gleich,« sprach der Jude, der Thüre nahend, »wenn die Führer erwachen, so lassen sie dich nicht fort.«
»Du hast Recht,« sprach Czifra, den Branntweinrest, der noch in der Flasche geblieben, austrinkend, »wie das Vieh auf den Markt, wird der Mensch zur Restauration gebracht.«
Die Beiden verschwanden, und Alles war wieder still im Zimmer, die Lampe, ihrem Erlöschen nahend, flackerte heller auf. Nachdem die Schritte der Forteilenden verklungen waren, tauchte aus dem Berge von Bauernmänteln, die neben der Schenke hoch aufgehäuft lagen, das schwarze Gesicht Peti's, des Zigeuners, auf. Ermüdet im Dienste, den er den ganzen Tag über, Réty's adeligen Anhängern, theils musicirend, theils Krüge füllend, geleistet, war er vor ein paar Stunden unter eine Bank gesunken; zwar erwachte er, als der Jude und Czifra in die Stube traten, aber er rührte sich nicht und belauschte ihr Gespräch bis ans Ende. Der Zigeuner kroch unter der Bank hervor, warf seine Bunda um, löschte die Lampe aus und stahl sich aus dem Zimmer. Wenige Minuten nachher finden wir ihn draußen auf der Wiese pfeifend und schnellen Schrittes in der Richtung von Szent-Vilmosch forteilend.