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Das wichtigste Ding auf der Welt ist ein guter Name, und daher werden es meine Leser natürlich finden, daß ich in diesem Augenblicke, wo ich für die Hauptstadt des Taksonyer Comitates einen Namen suche, in nicht geringer Verlegenheit in meinem Zimmer auf- und abgehe; nennen wir sie, bis ich etwas besseres finde: Porvár Porvár – Staubstadt. wodurch wenigstens im Sommer das Bild derselben gegeben ist. Wenn die Heerde Abends in die Stadt zurückgetrieben wird, so entspricht der Staub allen Erfordernissen wohlerbauter Festungsmauern, denn er bedeckt alle Gebäude und hält Jeden zurück, der hinein will. Die Häuser von Porvár sind durch schmale Gäßchen und Winkel von einander getrennt, in deren Knäuel man sich nur schwer zurecht findet, und das Comitatshaus und ein paar mit Ziegeln gedeckte Herrenhäuser abgerechnet, waren die Häuser alle mit Schindeln oder Stroh eingedacht. Von den Annehmlichkeiten der Stadt schweige ich; erwähnen könnte ich die Promenade, die vor ein paar Jahren auf dem Subscriptionswege außer der Stadt angelegt wurde, und deren Bäume, die einzigen in der Umgegend, unter öffentlicher Aufsicht stehen, und seit sie gepflanzt wurden, nicht mehr gewachsen sind; wir könnten auch von der Pflasterung reden, die ein durchreisender Franzose für Barricaden hielt, aber jetzt ist die Pflasterung dergestalt mit Koth überdeckt, daß sie nur von Jenen bemerkt werden kann, die zu Wagen in die Stadt gelangen. Kurz, ich könnte sehr Vieles erwähnen, aber wichtigere Dinge lassen das nicht zu und ich führe die Leser gerade ins Comitatshaus zum Obergespan.
Das Vorzimmer war, wie in der civilisirten Welt alle Vorzimmer, die für gewisse Menschen eine besondere Anziehungskraft besitzen, auch hier voll Wartender; jede Partei, jede Meinungsschattirung fand hier ihre Vertreter, die, wie es sich einer kriegerischen Nation ziemt, schwertumgürtet den Augenblick erwarten, in dem sie ihrem tiefverehrten Obergespan ihre unterthänigste, ehrfurchtsvolle Aufwartung machen können. Réty, Bántornyi, Baron Sóskúty, Slacsanek, die lange Reihe der Beamten, der ganze Haufe der Beisitzer erschienen bei ihrem Präsidenten, entweder um sich am Vorabende der Restauration ihm noch einmal zu empfehlen, oder den Obergespan durch unmaßgebliche Rathschläge zu unterstützen. Zum Beispiel: daß der Geschworne A auf den Umsturz der Monarchie sinne und daß zur Sicherstellung des allgemeinen Wohles es unumgänglich nöthig sei, an seine Stelle B zu setzen, oder daß das Comitatsprotokoll gar nicht geführt werden könne, wenn D nicht zum Honorärnotär ernannt werde. Und so oft einer der Rathgeber herauskam, und was er mit dem Obergespan gesprochen, seinen Freunden zugeflüstert, war große Freude unter den Zuhörern; denn es hieß immer, der Obergespan sei mit Allem einverstanden gewesen.
Als die Kerzen angezündet wurden, zerstreute sich der große Haufe der Aufwartenden; ein Theil verfügte sich zu den Lagerplätzen der Cortes, andere gingen ins Casino, dessen Mitglieder auf heute Abend eine Nachtmusik veranstaltet hatten. Der Obergespan, dem diese Verherrlichung zugedacht war, ging indessen ganz ermüdet von der vielen Freundlichkeit und Herablassung, mit seinem Secretär im Zimmer auf und ab.
Der Obergespan von Taksony war in jeder Hinsicht ein ausgezeichneter Mann.
Wenn wir zuvörderst sein Aeußeres betrachten, was, wie weltbekannt, auf Volk und Frauen am meisten wirkt, so muß selbst der größte Feind bekennen, daß man schwerlich einen schöner aufgewichsten Bart sehen kann, die zierlich gekräuselten Haare umschlossen eine glatte Stirne, um seine Lippen spielt unausgesetztes Lächeln, ein wahres Excellenzlächeln, so freundlich, so beglückend; andere Sterbliche vermögen nicht so zu lächeln. Was soll ich von seiner Kleidung sagen? Außer dem Antlitze, welches wir schon beschrieben und dessen Ausdruck bei solchen Herren, besonders bei ähnlichen Gelegenheiten, wie die gegenwärtige, mit zum Anzuge gehört, war die Kleidung des Grafen Marosvölgyi einfach, aber geschmackvoll. Grüner Attila Ein ungarisches Oberkleid ohne Verbrämung. mit Achatknöpfen, Sammtgilet, schwarzes Halstuch und gleiche Beinkleider, an deren unteren Enden zwei Crepinknöpfe Jenen, der gute Augen hat, daran erinnern, daß die Nationalität des Eigenthümers sich bis auf die Beinkleider ausdehnt, hiezu schwarze Glanzwichsczismen, in denen man sich spiegeln konnte; dies war Alles, was an diesem Tage an des Obergespans Kleidung zu bemerken war. Weiters wäre vom Obergespan schwer etwas anderes zu sagen: als daß er wirklicher geheimer Rath ist. Als uns die Natur zwei Ohren und nur einen Mund gab, wollte sie ohne Zweifel andeuten, daß wir mehr auf das hören sollen, was andere sagen, als selbst unsere Empfindungen aussprechen, und der Graf trug diesen Befehl der Natur zu sehr im Herzen, als daß wir viel von seinen Gedanken sagen könnten. Wahrscheinlich paßte sein Geist ebenso gut wie das Aeußere zu dem Platze, auf den ihn die Vorsehung gestellt hatte. Ich bin überzeugt, daß wir, wenn wir in das Innerste der Menschen schauen könnten, dieselben Aehnlichkeiten in den Charakteren finden würden, wie wir sie im Aeußeren der Aerzte, Geistlichen und gewisser Handwerker bemerken; wenigstens wird im Grafen Marosvölgyi selbst beim jüngsten Gerichte Jeder alsobald den großen Herrn erkennen, wenn auch seine Wünsche und Denkweise uns im ersten Augenblick nicht bemerkbar machen, daß wir es mit einem Ungar zu thun haben.
»Und Sie glauben,« sprach der Obergespan zum Secretär, indeß er sich zum Kamin setzte, »daß morgen alles gut ablaufen wird?«
»Jene abgerechnet, die vielleicht geprügelt werden, ganz nach Wunsch. Réty's Majorität ist offenkundig, Bántornyi kümmert sich wenig darum, wenn er durchfällt, er ist ohnedies nur seinem Bruder zu lieb als Mitbewerber aufgetreten, seine Partei ist durch ein paar kleine Aemter zu befriedigen. Der Vicegespan, der gute ehrliche Mann, tritt von selbst zurück, und an seine Stelle wird Krivér von beiden Parteien gewünscht; das Ganze verdient nicht, daß Euer Excellenz nur einen Augenblick in Sorgen sind.«
»Wenn nur keine Excesse vorfallen.«
»In der Stadt sind zwei Compagnien Infanterie; die Kürassiere treffen morgen früh ein und –«
»Aber Sie wissen, daß ich zu solchen Mitteln nicht schreiten will; man sagt gleich, daß eine Wahl, bei dem Militär einschreiten mußte, nicht das Gepräge einer freien Wahl hat.«
»Euer Excellenz glauben gar nicht,« erwiderte der Secretär lächelnd, »wie sich hier Alles nach dem Militär sehnt, Bántornyi und Réty haben wohl schon zehnmal gefragt, ob alle Anstalten zur Aufrechthaltung der Ruhe getroffen seien? Und wie sie von unseren kriegerischen Rüstungen gehört haben, sind sie mir beinahe um den Hals gefallen. Im Taksonyer Comitate sind sie schon unter Euer Excellenz Vorgänger an das Militär gewöhnt worden, und es gibt Leute, die sich eine freie Wahl ohne Bajonnette gar nicht denken können. Wenn die Freiheit nach ihren Begriffen gemalt werden sollte, so müßte die Göttin zwischen einem Grenadier und einem Kürassier dargestellt werden.«
»Machen Sie keine Witze.«
»Was kann ich dafür, daß ich mitten in den schwierigsten Lagen meine gute Laune nicht unterdrücken kann? Euer Excellenz sehen in der großen Bewegung, die uns umbraust, nur das Ganze, aber wir untergeordnete Personen, die wir das Detail, das Getriebe der Parteien sehen, wie sollen wir unseren Ernst bewahren? Ich wette, daß Euer Excellenz, wenn Sie die Lagerplätze gesehen hätten, selbst lachen würden; in dem einen wird die Vaterlandsliebe Réty's bis zum Himmel erhoben, weil er in der letzten Congregation den Fleischpreis auf neun Kreuzer herabgesetzt hat, während in der benachbarten Schenke sämmtliche Fleischhauer des Comitates das Heil des Vaterlandes nur von Bántornyi erwarten, der für zehn Kreuzer geredet hat. Euer Excellenz können sich nicht vorstellen, was für Spaß rund um Sie herum geschieht, soeben war Slacsanek bei mir und hat sich bitter beklagt, daß man ihm seine zwei besten Cortes geraubt habe.«
»Geraubt?«
»Allerdings,« antwortete der Secretär lachend, »geraubt, das heißt ohne Verletzung oder Unglück, aber doch zum großen Nachtheile der Réty's. Der Eine, Zsoltáry heißt er, ist Waldübergeher auf den bischöflichen Gütern, seine Riesenstärke, seine Stimme, die mit der Harlemer Orgel rivalisiren kann, und vorzugsweise die unerschütterliche Treue, mit der er an der Partei festhält, an die er sich anschließt, machen ihn zur Perle unter den Cortes; außerdem ist in Folge seiner Stellung sein Einfluß groß, denn weil die bischöflichen Güter meist zwischen mehreren adeligen Gemeinden liegen, kann er bald diesen, bald jenen Waldfrevel verschweigen, und sich so täglich Freunde erwerben. Jetzt hat er sich mit Leib und Seele den Rety'schen hingegeben, was thun also die Bántornyi'schen? Sie machen ihn so besoffen, daß sie ihn auf einen Wagen aufladen und mit sich fortführen können und er gar nicht bemerkt, daß Bántornyi's Fahne über seinem Haupte weht, und so führen sie ihn von Dorf zu Dorf, damit seine Anhänger glauben: er habe Réty's Partei verlassen. Der Spaß ist vor einer Woche geschehen. Zsoltáry ist noch immer betrunken, und in dem Wahne, daß er mit den Schwarzen fährt, brüllt er furchtbar › Eljen!‹ Die Schwarzen haben schon einigemal versucht, ihren Führer mit Gewalt zu befreien, sind aber immer zurückgeschlagen worden, und drei adelige Gemeinden, die immer mit dem Waldübergeher stimmen, haben sich entweder Bántornyi angeschlossen, oder wissen ohne Führer nicht, was sie thun sollen. Der zweite, der geraubt wurde, ist der Notär von Pálinkás, Sprich: Pálinkásch. eine Gesellschaft hat ihn um vierhundert Gulden übernommen; sie spielen in einem fort mit ihm Karten, und so oft dem Unglücklichen die Restauration einfällt und er aufbrechen will, macht man ihn gewinnen oder verlieren, je nachdem es gerade Noth thut, so daß der Arme noch immer in ihren Händen ist, und man gar nicht weiß, wo er sich eigentlich befindet.«
Der Obergespan lachte. »Und haben Sie mit Tengelyi, dem Notär von Tiszarét gesprochen?«
»Er wird gleich hier sein. Euer Excellenz können sich nicht vorstellen, wie viel sich der arme Mann abmüht; ich habe nie eine aufrichtigere Begeisterung, nie mehr Mannhaftigkeit gesehen; der Gute ist nahe an sechzig und hat noch nicht eingesehen, daß ein Dorfnotär die Welt nicht reformiren kann.«
»Er wird langweilig sein,« sprach der Obergespan, sich unruhig auf dem Lehnstuhle bewegend, »aber man muß sich darein finden, da er großen Einfluß hat, wie Sie sagen.«
»Gnädiger Herr, sein Einfluß ist größer, als ihn je ein Dorfnotär in irgend einem Comitate gehabt hat; Vándory, der, wie Euer Excellenz wissen, von allen calvinischen Geistlichen in der Umgegend als Orakel betrachtet wird, thut Alles was der Notär will; dieser ist ein unterrichteter Mann, der einst auch Advocat war, und der jetzt dem halben Adel unentgeltlich dient, theils durch Bittschriften-Schreiben, theils durch juridische Rathschläge und auf hundert andere Arten. Réty war mit ihm lange Zeit über in der innigsten Freundschaft.«
»Ich weiß es, er ist ein Demagog, ich habe schon lange von ihm gehört.«
»Er ist vielleicht nicht ganz so wie Euer Excellenz glauben,« antwortete der Secretär, der unter jene Menschen gehörte, die durch Armuth gezwungen eine bestimmte Stellung einzunehmen, ihre Grundsätze ihrer Stellung aufopfern, deren Sympathien aber mit Jenen sind, die sie jetzt ihre Feinde nennen müssen. – »Tengelyi gehört nicht unter Jene, die wir gewöhnlich Demagogen nennen; die Grundsätze, welche von Demagogen benützt werden, um persönliche Zwecke zu erreichen, sind ihm das Ziel, für welches er sein Leben opfern würde; wie er im Schnitte seiner Kleider um fünfundzwanzig Jahre zurück ist, so ist er mit seinen Ideen um fünfzig voraus.«
»Umsomehr Unglück für ihn,« sprach der Graf lächelnd, »wenn er um ein halbes Jahrhundert voraus ist; ich glaube nicht, daß er so lang lebt, bis ihn die Masse einholt. Diese Gattung Menschen ist die gefährlichste.«
»Ich glaube nicht, gnädigster Herr; Menschen wie Tengelyi stehen meistens isolirt, und können nicht leicht eine Partei um sich sammeln, durch die sie gefährlich werden könnten. Unbeugsam in seiner Ueberzeugung, unerbittlich in den Folgerungen, die er hieraus zieht, gleichgiltig wieviel Interessen er hierdurch verletzt, werden vielleicht Viele die Wahrheit seiner Worte fühlen, gestehen werden es Wenige.«
»Sie sprechen ja ganz begeistert von Ihrem Dorfnotär,« sprach der Obergespan, der die Fähigkeiten seines Secretärs viel zu sehr benützte, als daß er dessen Freisinnigkeit nicht geduldet hätte. »Wir werden sehen. Der Notär ist verheiratet, hat Kinder, überdies ist er arm; Krivér hat mir alle Verhältnisse erzählt, vielleicht gibt es ein Mittel, ihn auf andere Wege zu bringen.«
»Ich würde mich sehr täuschen, wenn Euer Excellenz Recht hätten,« sprach der Secretär ruhig.
»Und Sie werden sich noch oft im Leben täuschen,« antwortete der Obergespan. »Aber mir scheint, ich höre Jemand, ich bitte, sehen Sie nach, und ist es Tengelyi, so lassen Sie uns allein.«
Der Secretär ging hinaus, und bald darauf trat Tengelyi, sich tief verneigend, ein; der Obergespan empfing ihn mit gewohnter Freundlichkeit, und stellte sich wieder zum Kamin, wohin ihm Tengelyi folgte.
»Sie vergeben mir,« sprach der Obergespan, »daß ich Sie heute zu mir bitten ließ, da Sie mich nicht wie die übrigen Beamten und Mitglieder des Comitates aus eigenem Antriebe besuchen wollten.«
Tengelyi, der, so oft er mit Höhergestellten zusammentraf, den Abstand umsomehr fühlte, je weniger er ihre Ueberlegenheit anerkannte, antwortete mit kalter Höflichkeit: daß er seine Stellung viel zu genau kenne, als daß er, ein Dorfnotär, denjenigen, die dazu berechtigt sind, den ohnedies viel geplagten Obergespan zu belästigen, auch nur einen Augenblick rauben möchte.
»Sie täuschen sich, wenn Sie glauben, daß ich den Menschen nicht von seiner Stellung zu trennen vermag, und Sie in eine Reihe mit Ihren Collegen stelle.«
»Und Euer Excellenz täuschen sich, wenn Sie glauben, daß mich dies verdrießen würde. Für Andere ist Jeder so viel werth als er nützen kann. Wenn ein Dorfnotär wie ich, sich vielleicht etwas höher schätzen darf als seine Collegen, fehlt er doch sehr, wenn er dasselbe von Anderen begehrt. Uebrigens,« setzte Tengelyi hinzu, das Gesagte gleichsam bereuend, »was befehlen Euer Excellenz von mir?«
»Vor einigen Jahren, als Sie noch mit den Réty's auf freundschaftlichem Fuße standen, sahen wir uns öfter.« Tengelyi's Stirn legte sich in Falten, als die Réty's genannt wurden. Der Obergespan bemerkte dies. »Verzeihen Sie, wenn ich Sie an Zeiten und Verhältnisse erinnere, die Ihnen vielleicht unangenehm sind.«
»Im Gegentheile fühle ich mich sehr geehrt, daß Euer Excellenz sich meiner geringen Person erinnern, obschon ich bedauern muß, daß ich nicht so viel Einfluß besitze, um mich dafür hinreichend dankbar zu bezeigen.«
In Tengelyi's Worten und vorzüglich im Tone war zu viel Bitterkeit, als daß sie der Aufmerksamkeit des Obergespans hätte entgehen können. »Was ich von Ihnen verlange oder vielmehr erbitte, gehört nicht unter jene Dinge, bei denen Ihr Einfluß nöthig wäre; etwas Freundschaft und Vertrauen zu mir, ein wenig guter Wille, und Sie können mich für immer verpflichten.«
Es ist nicht zu verwundern, daß Tengelyi, der zumeist von Jenen war hintergangen worden, die höher standen, die Worte des Obergespans nur mit Mißtrauen aufnahm. Er glaubte, sie seien nur die Einleitung, die ihn zum Werkzeuge zu irgend einem selbstsüchtigen oder niederen Ziele verlocken sollte; er antwortete daher trocken: »Wenn das, was Euer Excellenz von mir verlangen, mit meinen Grundsätzen übereinstimmt, können Euer Excellenz auf mich rechnen.«
»Besorgen Sie nichts, ich kenne und schätze Sie zu sehr, als daß Sie von mir einen andern Wunsch voraussetzen dürfen. Die wenigen Stunden, die wir miteinander zugebracht, Alles was ich von Ihnen vernommen – und ich habe nicht oft Gelegenheit gehabt, mit Ihren Freunden zu sprechen – haben mich überzeugt, daß Sie unter jene Individuen gehören, die, wenn ihnen nicht die Gelegenheit geboten wird, das ihnen anvertraute Pfand zu edlen Zwecken zu verwenden, es lieber vergraben, als es Jenen auf Wucher leihen, die es mißbrauchen würden. Meine Bitte wird Sie überzeugen, wie sehr ich Ihre Verdienste würdige.«
Tengelyi thaten diese Worte wohl. Er verneigte sich, und der Obergespan fuhr nach kurzem Schweigen fort:
»Ich weiß, daß Ihnen die Lage des Comitates vollkommen bekannt ist. Ihre Stellung bringt Sie mit den unteren Classen in Berührung; Sie erfahren eine Menge Dinge, die dem Obergespan unbekannt bleiben; sprechen Sie mit mir offen, wie mit Einem, der einen guten Rath als eine Wahrheit annimmt.«
Die Worte des Obergespans waren herzlich und in einem solchen Tone gesprochen, daß sie bei Tengelyi vollkommenes Vertrauen erweckt haben würden, wenn sie wo anders hergekommen wären; jetzt aber schwieg der Notär.
»Schreiben Sie meine Bitte nicht eitler Neugierde zu,« fuhr der Obergespan nach kurzer Pause fort, »morgen ist Restauration; ist diese vorbei, so ist die Lage des Comitates auf drei Jahre entschieden; Sie fühlen die Wichtigkeit des Augenblickes, und sind vielleicht selbst überzeugt, daß mein Einfluß dem Ganzen zum Nutzen gereichen kann, wenn ich ihn mit vollkommener Kenntniß der Sachlage anzuwenden vermag.«
Tengelyi, mit dem der Obergespan zum erstenmale in diesem Tone sprach, öffnete schon die Lippen, um sein ganzes Herz auszuschütten, als ihm beifiel, wie oft er schon von Andern gehört habe, daß der Obergespan unter vier Augen im eindringendsten Ton die liberalsten Grundsätze äußere, nur um seine Pläne durchzusetzen, oder zu erfahren, was er eben wissen wollte, und der Notär antwortete nur mit der Entschuldigung: daß er außer dem Getriebe der Parteien stehe und also Seiner Excellenz nicht dienen könne, falls er hierüber Aufklärung zu haben wünsche.
Marosvölgyi, ein Meister in der Kunst des Schmeichelns, war im Taksonyer Comitat an solchen Widerstand nicht gewöhnt. Mit verdoppelter Freundlichkeit fuhr er fort: »Glauben Sie mir, daß ich über die Stellung der Parteien mehr gehört habe, als mir, der ich keine Partei mache, zu wissen nöthig ist. Aber ist außer den Parteien nichts im Comitate? Muß ich nicht die Lage des Volkes kennen? Soll ich nicht wissen, wie die bisherigen Beamten ihr Amt gehandhabt, und was von denen, die wir vielleicht an ihre Stelle setzen, für die ärmere Volksclasse zu erwarten ist?«
Tengelyi's Augen begannen zu leuchten und der Obergespan bemerkte, daß er den ehrlichen Mann auf jenes Terrain geführt habe, auf dem er seinen Empfindungen nicht mehr gebieten konnte. »Dies ist es, mein lieber Tengelyi, was ich von Ihnen wissen will; reden Sie mit mir offen.«
»Die Lage des Volkes wollen Euer Excellenz kennen lernen?« sprach Tengelyi mit einem tiefen Seufzer. »Wer vermag diese kräftig genug zu schildern! Als Euer Excellenz in das Comitat kamen, und durch irgend ein Dorf fuhren, was haben Sie da gesehen? Hütten mit zerfetzten Dächern, die Felder zur Hälfte unbebaut, die Menschen trübselig in den Gassen oder draußen bei ihrem Vieh; nirgends Betriebsamkeit und Gedeihen, nirgends jene Fröhlichkeit, welche in anderen Ländern das Volksleben charakterisirt. Gnädiger Herr, ein Land, das von einem glücklichen Volke bewohnt wird, ist nicht so.«
»Verzeihen Sie, lieber Tengelyi, aber das ungarische Volk steht nicht so nieder als Sie es schildern, ich kenne kein männlicheres, stolzeres; der ungarische Bauer ist vielleicht der glücklichste unter allen, die ich gesehen!«
»Der ungarische Bauer geht mit aufrechtem Haupte durch die Welt, wer aber deshalb glaubt, das Volk sei glücklich, kennt dessen Lage nicht. Es klagt nicht – denn es weiß, daß seine Stimme kein Gewicht hat; aber fühlt es deshalb den Druck weniger, der auf seinen Schultern lastet? Trennt es sich deshalb minder schwer von den Söhnen, wenn sie zum Militär gestellt werden, während das Kind seines adeligen Nachbars nur mit dem Windhunde seinen Muth übt, zum Nachtheile der Saaten seines Unterthans?«
»Sie leben mitten im Volke,« sprach der Obergespan ruhig, »aber glauben Sie mir, in dieser Beziehung täuschen Sie sich doch. Ich kenne ungarische Bauern, die, was den Wohlstand anbelangt, den Vergleich mit was immer für einer Classe Landleute kühn bestehen können.«
»Jawohl; aber leben außer diesen Einzelnen nicht noch Andere in unseren Marken, die nicht weniger unsere Brüder sind? Betrachten Euer Excellenz die rußniakische Bevölkerung des Comitates. In dreißig Dörfern sehen wir sie in Lumpen gekleidet, mit eingefallenen Wangen, und was ist geschehen zur Bildung dieser Leute und für ihr materielles Wohlsein?«
»Sie mögen Recht haben und die Nation wird ihre wirklichen Interessen vielleicht bald einsehen,« erwiderte der Obergespan, »aber was kann hierzu der Comitatsmagistrat beitragen? Was vermag ich?«
»Viel, sehr viel, Gnädigster,« sprach der Notär mit Begeisterung. »Der Einfluß der Beamten ist bei uns groß. Betrachten Euer Excellenz den Bezirk Veszösy's, und vergleichen Sie ihn mit den übrigen. Dort ist die erniedrigende Stockstrafe abgeschafft, für die kleineren Verbrecher ist ein gesunder Kerker erbaut, die Kinder gehen zur Schule, die öffentlichen Arbeiten sind geregelt, und deshalb weniger drückend, und dies bewirkt ein Mensch, und dies geschieht, weil Veszösy eingesehen hat, daß der Beamte seinen Beruf nicht erfüllt, wenn er außer den Amtspflichten nicht auch die Pflichten der Menschlichkeit ausübt. Nehmen Euer Excellenz das arme Volk unter Ihren Schutz, benützen Sie Ihren Einfluß, damit solche Beamte gewählt werden, die ihren heiligen Beruf würdigen und Ihren Namen wird ein solcher Segen begleiten, wie sich ihn noch kein Obergespan in unserm Lande erworben hat.«
Marosvölgyi gehörte nicht unter die Zahl derer, die man durch ein paar hochklingende Sentenzen leicht gewinnen konnte. Aber in den Worten des Notärs war so viel Wärme, so viel Ueberzeugung, daß der Hörer unwillkürlich hingerissen wurde, und der Seufzer war nicht erkünstelt, mit dem er sprach: »Wollte Gott, Sie hätten Recht und es hinge von mir ab, dem Volke zu sein, was ich ihm sein möchte.«
Tengelyi bemerkte den Eindruck, den seine Worte hervorgebracht, und fuhr in höherer Begeisterung fort: »Und es hängt von Euer Excellenz ab! Auch unter den jetzigen Comitatsbeamten gibt es ehrliche Leute, ich brauche sie nicht zu nennen, Euer Excellenz kennen sie ebenso, wie Rety's, Krivér's, Nyúzó's und so vieler Anderer Niedrigkeit Ihnen kein Geheimniß ist; zeichnen Sie jene aus, treten Sie offen gegen diese auf, suchen Sie jene Männer, die wie Édesy entmuthigt vom Dienst zurücktreten, oder ihn aus Bescheidenheit nicht suchen, und in Taksony wird unter Ihrer Leitung ein glückliches Volk wohnen.«
»Ganz recht, mein Freund, wenn ich in meiner Stellung thun könnte, was mir das Herz zuflüstert, wenn derjenige, in dessen Händen die meisten Fäden sich zur Leitung der Angelegenheit vereinigen, nicht eben dadurch auch mehr gebunden wäre als die Uebrigen. Réty, Krivér, jene Menschen, deren Bleiben im Amt Sie für so schädlich halten, sind eben die Stützen meiner politischen Ansichten; kann ich sie aufgeben?«
»Gnädigster Herr; ich weiß, daß die Partei, mit deren Grundsätzen ich sympathisire, ebenso handelt; aber wird das Schlechte dadurch gut, daß es Mehrere begehen? Was für einen Antheil hat das Volk an unseren politischen Kämpfen? Wenn wir ihm alle Rechte versagen, muß ihm auch Gerechtigkeit versagt werden, indem wir die Gerechtigkeitspflege in die Hände Jener legen, die in unseren politischen Streitigkeiten mit uns gestanden sind, aber von deren niedrigen Gesinnungen wir überzeugt sind?«
Marosvölgyi schwieg eine Weile. »Glauben Sie mir,« begann er endlich mit bewegterer Stimme, als ihn irgend Jemand seit fünf Jahren reden gehört hatte, »ich ehre und würdige die Gefühle, die Sie ausgesprochen haben. Wenn Sie in meiner Stellung wären, würden Sie sehen, daß es schöne, edle Dinge gibt, deren Verwirklichung aber die Kräfte eines Menschen übersteigen, mag er dem Anscheine nach noch so fest stehen. Wenn ich Einfluß im Comitate habe, so danke ich dies nur jener Popularität, die ich mir durch meine Amtsführung erworben, und wenn ich heute Ihren Rath befolge, so ist morgen meine Popularität zu Ende.«
»Popularität! Wohnt außer dem Adel, der unsere Congregationssäle füllt, Niemand in unserem Lande? Gibt es nichts Höheres, wonach ein edles Herz sich sehnen kann; als diese Éljen's? Und das Volk? Diese ungeheure Menge, die jetzt die Bemühungen ihrer Wohlthäter nur durch stille Seufzer lohnen kann, die aber, wenn ihr Tag kommt, die Namen ihrer Kämpfer lauter ausrufen wird, als alle Corteshaufen von ganz Ungarn, verdient es nicht, daß wir uns für sie abmühen!?«
Hier wurde der Redner durch ein aus der Ferne schallendes Éljen unterbrochen.
»Gnädiger Herr, die Nachtmusik kommt; ich gehe. Verehrer werden Euer Excellenz umgeben, Jubel und Éljengeschrei und die lautesten und am allerwenigsten bedeutenden Ausbrüche der allgemeinen Liebe. Verzeihen Euer Excellenz die Aufrichtigkeit meiner Rede, und vergessen Sie nicht in der großen Masse, die Sie umgeben wird, daß dieses Getöse, dieser Lärm, diese Begeisterung nur hier in der Nähe des Comitatshauses gehört wird; das Gute, was Euer Excellenz dem Volke erweisen, lohnt es nur mit stiller Dankempfindung, und wenn unser Land eine Zukunft hat, wird es seine großen Männer nicht unter Jenen suchen, die jetzt am meisten beklatscht werden.«
Tengelyi verneigte sich; der Obergespan drückte ihm die Hand und sah ihm seufzend nach, als er fort war.
»Was sagen Sie nun, gnädigster Herr?« sprach der eben eintretende Secretär, »hatte ich nicht Recht, der Mensch gleicht nicht den übrigen, er paßt nicht hierher?«
»Sagen Sie, daß er in ganz Ungarn nirgendshin paßt,« sprach Marosvölgyi und trat ans Fenster, durch welches schon das Licht der nahenden Lampen in das Zimmer drang.