Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Capitel.

In Tiszarét herrschte Friede und Stille, als der Notär heimkehrte; – einzelne Arbeiter, welche die Sense auf den Schultern von der Wiese heimkehrten, hie und dort ein paar vor dem Hausthore schwatzende Nachbarn, oder einige wenige Kinder inmitten der Gasse im Staube spielend, das ist Alles, was wir wahrnehmen können. Die Abendglocke ließ ihr Lied ertönen, langsamen Anschlags, als wäre auch sie ermüdet, und summe schon halb schlafend ihr Abendgebet. Die Schenke selbst, wo sonst lustig getanzt wurde, und Itzig, der Jude, theuer, aber auf noch nicht gewachsene Früchte borgend, Wein schenkte, stand jetzt leer, und wenn wir durch die Thüre in die Schenkstube hineinblicken, gewahren wir nur den böhmischen Gärtner Réty's und des Ákos Jäger bei einer Flasche Wein, wie Israels Volk in der Wüste an Egyptens Fleischtöpfe, des besseren Bieres in der Heimat gedenkend. Dieselbe Stille herrschte auch im Herrschaftshofe, der in unserem Land nach der Schenke der lärmreichste Ort ist. Der junge Herr war, wie wir alle wissen, mit seinen Hunden auf der Hasenhetze gewesen; der Vicegespan hatte sich mit dem Oberfiskale und dem Obernotär in sein Zimmer eingeschlossen, und würde sich gewiß über höchst wichtige Dinge mit ihnen besprochen haben, wenn das abendliche Dunkel, und vielleicht auch das ermattende Gewicht des inhaltreichen Gespräches nicht alle drei in Schlummer versenkt hätte; die gnädige Frau Vicegespanin aber, die gewöhnlich wie die Nachtigall den Hain, das Haus mit ihrer Stimme zu erfüllen pflegte, und von diesem Vogel sich nur dadurch unterschied, daß ihre Stimme um so lauter und unermüdeter wurde, je weiter sie in ihres Lebens Sommer hineinrückte – lustwandelte im Garten. Folgen wir ihr.

Der Garten von Tiszarét war, wie ich bereits erwähnt, das Wunder dieser Gegend. Eremitage, Zwetschken-Dörrhaus, Taubenhaus in Tempelform, Fischteich mit Fischerhütte, Grotte, Bauernhaus u. s. w., dies war alles zu finden. Das entfernte Ende des Gartens bildete ein etwa 20 Morgen großer Wald; die hohen Bäume streckten ihre gesunden Aeste weit aus, um ihre Stämme aber bildete Gesträuch mit vielfach verschlungenem Gezweige eine wahre Wildniß, welche der Strahl der Mittagssonne nie durchdrang. In diesem Walde war ein einziger Weg, der in zahllosen Krümmungen in demselben herumführte, und dieser ist es, auf welchem wir die gnädige Frau und ihren treuesten Diener den Fiskal Macskaházy Macskahazy, sprich: Matschkahasi, heißt so viel als der Katzenhäusler. im tiefsten, wichtigsten Gespräche finden.

Frau von Réty steht zwischen 40 und 50, ihre Gestalt ist groß, und wie ihr übriges Besitzthum lieblich arrondirt; ihre Haare – aber an diese haben wir und die Leser nicht eher ein Recht, als bis wir sie ohne Haube sehen, was schwerlich je geschehen wird – sind nach den starken Augenbrauen, und dem leichten Barte zu schließen, wahrscheinlich schwarz; das Antlitz strahlt pure Majestät, ist aber in gewissen Zeiträumen, und zwar wunderbar genug, beinahe regelmäßig alle 30 Monate durch 6 Monate über die Maßen herablassend und huldreich, sonst aber gewöhnlich hochmüthig; ein Ausdruck, der durch zwei Wärzchen erhöht wird, deren eines auf der rechten Seite der Oberlippe ihrem Gesichte den unausgesetzten Charakter verächtlichen Lächelns verleiht, welcher durch das zweite Wärzchen über dem Kinne nur noch vermehrt wird. Frau von Réty ist eine Dame im strengsten Sinne des Wortes; ihre Haushaltung prächtig, ihre Diners nie kürzer als zwei Stunden; ihre Stimme ist so mächtig und tönend, daß das ganze Hausgesinde erbleicht. Was sie sagt, ist nicht nur Wort für Wort dasselbe, was der Vicegespan zu sagen pflegt, sondern es verräth auch tiefe juridische Einsicht. Kein Advocat im ganzen Königreiche sprach von Rechtsgegenständen lieber und mehr als sie, und sie sprach mit solcher Einsicht und Salbung, daß Macskaházy oft gestand, seine besten Repliken aus den Reden der hochgeborenen gnädigen Frau geschöpft zu haben. Dieser Letztere mochte zwischen den 50 und 60 stehen, ein kleines mageres Männchen, den mehr Gewohnheit als das Alter in eine gebückte Stellung gebracht hatte. Bleiches Gesicht, spitze Nase, unsicherer Blick, der sich obgleich stechend, alsobald abwendet, wenn er bemerkt wird, und die durch Kahlheit verlängerte, mit wenig grauen Haaren eingefaßte Stirn bildeten ein Ganzes, bei dem sich Jeder, die Familie Réty natürlich abgerechnet, unheimlich fühlte. Diese Familie hatte keinen treueren Menschen; nahe an dreißig Jahre hatte er mit derselben zugebracht, und an so viel guten und schlimmen Tagen Theil genommen, daß er gleichsam ein Glied der Familie geworden und ihr Interesse standhafter vertheidigle als die Familie selbst. Aus purem Eigennutz, wie seine Feinde, aus wahrer Anhänglichkeit, wie die Familie glaubte, und wer weiß, ob nicht beide Theile Recht hatten.

Diesmal schien die Eintracht gestört, in der Frau von Réty sonst mit ihrem treuen Fiskale stand, Macskaházy ging, noch mehr als gewöhnlich gebückt, einen Schritt hinter der mächtigen Frau einher, nur manchmal warf er ein beschwichtigendes Wort zwischen ihren aufgeregten Redefluß, aber jene schüttelte ungeduldig das Haupt, indem sie übelgelaunt äußerte, wie das Reden leicht sei und die ganze Welt ohnedies wisse, daß Macskaházy Niemanden zum Wort kommen lasse.

»Und ich sage es Ihnen offen,« sprach zuletzt Frau von Réty, die durch das unausgesetzte Herumgehen und Reden ermüdet, stehen blieb, ihre Blicke auf den kleinen Fiskal heftete, und mit ihrem Sonnenschirm auf den Boden schlug, »was Sie gesagt haben, stürzt mich in Verzweiflung.«

»Aber wenn ich Ihnen sage, gnädige Frau,« erwiderte Macskaházy, der, wie es schien, ebenfalls der Verzweiflung, aber aus anderen Ursachen nahe war, »daß hierzu gar kein Grund vorhanden ist, und ohne Zweifel –«

»O wir wissen,« unterbrach ihn die Vicegespanin, »daß Sie nicht in Verzweiflung fallen werden; was kümmern Sie sich um unsere Verlegenheiten, wenn wir auch an den Bettelstab gebracht, oder vor der ganzen Welt der Schande preisgegeben werden; Sie bleiben deswegen doch Advocat, und wer weiß, ob –«

Macskaházy war beleidigt, und da er jetzt die Geduld verlor, machte er plötzlich die Entdeckung, daß man gegen Leidenschaften nur wieder mit Leidenschaft erfolgreich auftreten könne. Der Ton, mit dem er jetzt redete, wirkte auf die heftigen Ausbrüche der gnädigen Frau weit mächtiger, als wenn er mit allen möglichen philosophischen Gründen aufgetreten wäre. »Das ist also der Dank,« rief der kleine Fiskal im edlen Zorn erglühend aus, »dies ist der Dank, den ich mir durch dreißigjährigen Dienst errungen? Zur Erhaltung der Ehre und des Glanzes dieser Familie habe ich, Adam Macskaházy, meinen Kopf auf das Spiel gesetzt – und zum Dank ernte ich Verdacht.«

»Reden Sie nicht so,« sprach sie besänftigend dazwischen, denn sie fühlte wohl, daß sie in ihrem Eifer zu weit gegangen, und daß Macskaházy nicht ihr Ehegemahl sei, von dem man sich ohne Scheidungsproceß nicht trenne, »ich bin eine Frau und meine unglücklichen Verhältnisse – und –«

»Gnädige Frau, das ist Alles gut und schön,« sprach Jener, der nun merkte, daß die Schlacht eine für ihn günstige Wendung nahm, »ich kenne Euer Gnaden, Sie sind keine solche Frau, wie die andern; was Sie reden, kann man gleich in eine Replik einschalten; ich sehe, daß es besser für mich sein wird, mich um einen andern Platz umzusehen. Ein Fiskal, zu dem man das Vertrauen verloren hat –«

»Aber wer hat denn gesagt, daß Sie unser Vertrauen verloren,« unterbrach ihn die gnädige Frau gleichsam bittend, »wir vertrauen nur Ihnen – was sollen wir beginnen, wenn wir Sie verlieren? Außerdem,« so fuhr die nun schon unwiderstehlich gewordene Vicegespanin fort, »kennen Sie unser Versprechen, die Inscription, Inscription heißt das Document, durch welches ein Grundherr einem treuen Diener, oder wen er sonst belohnen will, ein liegendes Grundstück, oft ein ganzes Dorf, auf bestimmte Jahre oder ewige Zeiten verschreibt. Gewöhnlich geschehen derlei Inscriptionen vor einem Domcapitel in Folge einer Eigentümlichkeit des ungarischen Civilrechtes. die Sie selbst gewünscht! – An dem Tag, an welchem die Schriften in meiner Hand sind, gehen wir zum Capitel!«

»Was die Inscription betrifft,« brummte Macskaházy, aber in etwas gemildertem Ton, »sieht Gott meine Seele, daß ich es deshalb nicht thue – aber wenn Euer Gnaden wegen meiner treuen Dienste meiner gedenken, so werde ich bis an das Ende meines Lebens dankbar sein – aber – –«

»Ich weiß es ja, daß Eigennutz Ihrer Seele fremd ist, aber die Inscription ist schön, und wenn der Werth derselben auch nicht den Dienst aufwiegt, den Sie meiner Familie leisten, so ist es doch immer ein schönes Besitzthum.«

»Das ich gewiß verdienen werde, wenn sich auch noch hundert Hindernisse entgegenthürmen sollten,« entgegnete Macskaházy mit Begeisterung.

»Und Sie hoffen dies noch, mein theurer Freund?« sprach die Frau Vicegespanin seufzend, »ich zweifle sehr.«

»Und warum? weil der erste Versuch mißglückte? Kinderei! Alles war gut und klug angeordnet; wer kann dafür, daß uns der Himmel dies einemal nicht günstig war? Der Mann, der bei Vándory eingebrochen ist, war verläßlich und geschickt; ich trug ihm auf, daß er nicht nur die Schriften, die Euer Gnaden wünschen, sondern auch Geld und sonst werthvolle Dinge mit sich nehmen solle, damit das Ganze wie ein gemeiner Diebstahl aussehe und wir nicht in Verdacht gerathen. Darum ist aber auch das Ganze mißlungen; der unglückliche Dieb fand in der Tischlade nur ein paar Groschen, und während er mehr Geld suchte, kam der Prediger nach Haus und machte Lärm, bevor noch Czifra zu den Schriften gekommen war. Der Dieb sprang zum Fenster hinaus und verschwand. – Die Schriften sind jetzt bei Tengelyi, und so viel ich durch die alte Dienerin weiß, in der großen eisernen Lade neben der Thüre, wo der Notär seine eigenen Schriften und jene der Gemeinde bewahrt. Besorgen Euer Gnaden nichts, wir finden sie dort auch; ja es ist mir vielmehr lieb, denn so treffen wir zwei Fliegen mit einem Schlage; ich habe ohnedies noch mit Tengelyi eine kleine Rechnung.«

»Ich zittere,« sprach die Vicegespanin, »das Haus des Notärs ist immer voll Menschen, wenn sie nun den Dieb ertappen! Und wenn er Alles gesteht?«

»Er wird nicht gestehen. Wir versprechen ihm, daß ihm nichts geschehen soll, wenn er schweigt,« und im scherzenden Ton setzte der kleine Fiskal hinzu: »wenn er aber dennoch gestehen wollte, so wird er keine Zeit dazu haben, wir lassen ihn aufknüpfen, bevor er gestehen könnte.«

»O wenn Sie wüßten,« sprach die gnädige Frau seufzend und beinahe ergriffen, »wie viel ich mit mir gerungen, bis ich mich zu diesem Schritte entschloß, wie viel ich jetzt noch leide, und wenn ich daran denke, daß – aber wer kann dafür! die Ehre meines Namens, die Wohlfahrt meiner Kinder – Alles, was im Leben theuer ist und demselben Werth verleiht, zwingt mich –«

»Was thut eine Mutter nicht für ihre Kinder,« erwiderte Macskaházy, indem er sich die Augen abwischte, da er der Dunkelheit wegen keiner Thränen bedurfte. »Nur ich weiß, welch' ein Herz in Eurer Gnaden Brust wohnt; wenn es die Welt wüßte, niederfallen würde sie vor Euer Gnaden.«

»Gott bewahre,« unterbrach Frau von Réty die Begeisterung ihres Fiskalen; übrigens war ihr die Schmeichelei nicht unangenehm, und sie freute sich zu hören, daß ihre Handlung, die ein gemeiner Mensch Diebstahl nennen würde, mit einer kleinen rhetorischen Figur edlen Zwecken zugeschrieben werden könne, »Gott bewahre, daß hiervon außer uns Jemand Kunde hätte; die Welt urtheilt streng, und wer weiß, ob man nicht sagen würde –« und hier verstummte die Vicegespanin, vielleicht aus Erstaunen, denn sie fühlte, daß sie erröthete.

»Aber warum quälen sich Euer Gnaden,« redete Macskaházy dazwischen, als er die Verlegenheit seiner Herrin bemerkte, »was ist denn in dem Ganzen Schlechtes? ein kleines Verschwinden einiger Schriften, damit Punctum. Dinge dieser Art geschehen ja täglich und sind in Ungarn so etwas Gewöhnliches, daß höchstens der, der sich dadurch verletzt glaubt, etwas Außerordentliches darin sieht. Wie oft haben Euer Gnaden schon gehört, daß ganze Processe verloren gegangen, und nicht einen Monat oder ein Jahr alte Processe, sondern dreißigjährige, schöne, dickangeschwollene Processe sind mit allen Belegen in Verlust gerathen, und was ist daraus geworden? Man hat den Proceß gesucht, wenn es möglich war, hat man einen neuen angefangen, und Niemand hat weiter davon gesprochen. Und gar in diesem Falle? Entwenden wir etwa Obligationen, oder Verkaufs- oder Schenkungsurkunden? Gott bewahre! Ganz gewöhnliche Privatbriefe, die der Herr Vicegespan meist selbst geschrieben, und die er, weil sie Familienangelegenheiten betreffen, nicht in fremden Händen lassen will. An sich selbst ist das eine ganz unschuldige Sache.«

»Ja wohl, ja wohl, aber die Art,« seufzte die Vicegespanin, »Einbruch, Raub, was weiß ich, welche entsetzliche Namen man dem Ganzen geben wird.«

»Allerdings Einbruch,« sagte ruhig der wissenschaftliche Jurist, »rücksichtlich desjenigen, der die That vollzieht, aber was geht das uns an? Wenn Jemand mit einem andern Jemand redet, von dem Niemand behauptet, daß er besonders heilig sei, der aber jetzt eben nicht unter einer peinlichen Untersuchung steht, für den also jetzt das gute Vorurtheil der Nächstenliebe spricht, und wenn nun der erste Jemand im Laufe des Gespräches sagt, daß im Schlafzimmer des Predigers Vándory ein großer Nußholzkasten stehe, in dessen oberen Lade rechts ein gesiegeltes, mit einer grünen Schnur zusammengebundenes Paket Schriften liege, welches er – nämlich der Redende – dergestalt begierig wäre in seinen Besitz zu bekommen, daß er demjenigen, der sie ihm brächte, hundert Gulden geben wollte; wenn er so spräche, wäre darin, so frage ich, etwas Strafwürdiges? Zweifelsohne nein; jetzt gehe ich weiter: und wenn derselbe Jemand, nennen wir ihn z. B. A und den Andern B, noch obendrein erzählt, daß der Prediger am Samstag Abends nicht zu Hause sein werde, weil er bei der Herrschaft zum Nachtmahl geladen ist, und daß man bemerkt habe, daß er die Thüre gegen den Garten nicht zu verschließen pflege, und daß es sehr zu befürchten sei, daß irgend Jemand einmal Abends über die Gartenmauer steigen, ohne Hindernisse in das Haus gehen, und in das Schlafzimmer und zu dem Kasten gelangen könne, in welchem die Schriften liegen, – und wenn er dies Alles so gesprächsweise hervorbringt, – ist darin etwas Strafwürdigeres, als in der ersten Rede? Und wenn später B einbricht und das Paket Schriften wegnimmt, habe ich geraubt? habe ich beim Prediger eingebrochen? Wäre er nicht ein Narr, der dies zu behaupten wagte? Was ich gesprochen, das halte ich, ich zahle die hundert Gulden, denn Worthalten ist die natürliche Schuldigkeit eines jeden ehrlichen Menschen; das Uebrige geht mich nichts an.«

»Das ist vollkommen wahr,« sprach Frau von Réty, die durch diese Gründe ihr Gewissen ganz beruhigt fühlte, »aber die Welt urtheilt nicht so.«

»Die Welt urtheilt immer schief und wird so urtheilen bis zum jüngsten Gericht, und dieses wird unstreitig das erste sein, welches von Allen einstimmig angenommen wird.« So sprach Macskaházy, der als guter Reformirter seinen Vortrag gern mit etwas Theologie würzte. – »Fürchten sich Euer Gnaden nicht; von dieser That werden die Menschen nicht reden.«

»Wenn die Schriften noch bei Vándory wären, so würde ich es glauben,« antwortete Frau von Réty, »aber jetzt, bei Tengelyi, im Gemeindehause, wo Nachts eine Wache steht, zweifle ich.«

»Das überlassen Euer Gnaden mir; die Schriften liegen in der eisernen Lade, diese hat nur zwei Schlüssel, aber wie viel Schlosser sind auf der Welt,« hier wurde der Faden von Macskaházy's Rede durch einen Vorstehhund abgerissen, der, seinem Herrn vorlaufend, Frau von Réty schmeichelnd umsprang.

»Die Jäger sind zurück,« sprach Frau von Réty, »gehen wir.« Sie wollte schon gehen, als der Vorstehhund sich plötzlich bellend gegen das Dickicht wendete, und zwischen den Zweigen ein leises Geräusch gehört ward; der Hund lief bellend in das Gestrüppe, und man merkte, daß Etwas eilend durch das Gebüsch brach; zuletzt heulte der Vorstehhund auf und kehrte hinkend zurück, eben als Ákos mit seiner Schwester Etelka Etelka, Adelheid. zu den beiden Andern trat.

»Was gibts?« fragte Ákos, der Stiefmutter die Hand küssend, die indeß mit ihrem treuen Fiskale stumm und bebend dagestanden.

»Hast du nichts gehört?« fragte sie mit zitternder Stimme.

»Ja, mein Vorstehhund hat gebellt; vielleicht ein Fuchs.«

»Nein, nein, gnädiger Herr,« antwortete Macskaházy, noch immer die Augen dorthin gewendet, wo das Geräusch verstummt war, »ich wette meinen Kopf, es war ein Mensch.«

»Möglich, irgend ein armer Bursche aus dem Dorfe,« sprach Ákos, seinen Vorstehhund streichelnd, »der gehört hat, daß wir Morgen Obstlese halten, und die Gelegenheit noch einmal benützen wollte, sein Obstgelüste zu stillen. – Während der Arme gezwungen in seinem Verstecke blieb, hat er wahrscheinlich ebenso gezittert, wie jetzt Sie, mein Freund. – Wahrhaftig Sie sind ein muthiger Mann; nach dem französischen Sprichwort erschrickt der Muthige nur nach der Gefahr, und das habe ich noch nie in solchem Maße gesehen.«

»Der Mann hat gelauscht; ohne Zweifel ist er nur gekommen, um zu lauschen,« sprach Frau von Réty beklommen, während Macskaházy, ihren Arm leise berührend, sie zur Vorsicht ermahnte.

»Das glaube ich nicht,« rief Etelka lachend, »Macskaházy ist unbezweifelt ein sehr amüsanter Herr; aber ich glaube doch kaum, daß sich Jemand im October in diese Kühle stellen wollte, um seine Rede zu belauschen.«

»Liebes Fräulein, das verstehen Sie nicht,« sprach der Fiskal, dem mit der Ruhe seine ganze Besonnenheit zurückgekehrt war, »wir sprachen von wichtigen Dingen, von unseren Processen.«

»Und wahrscheinlich hat sich der Advocat des Gegners unter diese Bäume versteckt, damit er Ihre meisterhaften Pläne schon im Vorhinein ausspionire,« unterbrach Ákos mit Gelächter den Redner, »aber kommen Sie mit mir, wenn wirklich Jemand hier war, was ich bis jetzt noch nicht glaube, so fangen wir ihn, wenn nicht, so lachen wir ein wenig.«

»Aber ich bitte, domine spectabilis!« rief Macskaházy voll Verwirrung, während Ákos ihn fortzog, »so ohne Waffen, in finsterer Nacht; es wäre doch besser, Leute zu rufen.«

»Wo denken Sie hin,« sprach Ákos, »bis wir Leute rufen, ist unser Verbrecher schon zehnmal entwischt; nur muthig, Freund, die Mutter geht mit Etelka indeß nach Hause, wir aber bestehen unser romantisches Abenteuer und siegen oder laufen davon, d. h. wenn uns vor Schreck nicht der Schlag trifft; nicht wahr, mein Freund?«

Macskaházy stammelte ein paar Bemerkungen, daß es doch gerathener sein dürfte, Dienerschaft zu rufen. Aber nachdem ihn auch Frau von Réty bat, Ákos zu begleiten, und weil er als vernünftiger Mann wohl berechnet hatte, daß der zu verfolgende Verbrecher indessen wahrscheinlich schon so weit gelaufen, daß er kaum mehr eingeholt werden könne, knüpfte der kleine Fiskal den Oberrock mit vieler Verwegenheit zu, und mit der feierlichen Verwahrung, daß er, was ihn selbst anbelange, sich nicht fürchte, ging er Ákos nach.

Frau von Réty und Etelka eilten dem Hause zu; jene in banger Besorgniß, Etelka über Macskaházy's Furcht laut lachend; der Hund, wahrscheinlich der angenehmen Erfahrungen im Walde gedenkend, begleitete diesmal nicht seinen Herrn, sondern folgte den beiden Frauen.

Macskaházy war zwar bewandert in den verschlungensten Pfaden der Gesetze, und eben kein großer Feind der Finsterniß, aber ein solcher Weg, wie der, auf dem jetzt seine dünnen Beine einherschritten, und wo so viele Wurzeln und Zweige sein Vorschreiten in ein unausgesetztes Stolpern verwandelten, überstieg seine Vorstellungen vom Angenehmen, sowie auch die Finsterniß, die in dem Dickicht des Waldes die Vordringenden umgab; zumal wenn wir noch erwägen, daß Ákos voll jugendlichen Feuers mehr lief als ging und ohne Barmherzigkeit durch alle Gezweige brechend, den armen Kleinen durch nie endende Ruthenstreiche durchschleppte. Bei anderer Gelegenheit hätte Macskaházy, eingedenk seines Adelsbriefes, diese Behandlung nicht gelitten; aber jetzt schwieg er, und ungeachtet der Ruthenstreiche und des Strauchelns blieb er nicht einen Schritt zurück, sondern sich das Antlitz mit dem Mantel bedeckend, wie der sterbende Römer, ging er hart hinter Ákos einher, sich durch den Gedanken ermuthigend, daß in dieser Finsterniß Niemand zielen, folglich auch mit Feuergewehren nicht treffen könne; und wenn ein unvermuthetes Unglück sie mit dem gesuchten Feinde zusammengebracht hätte, war er entschlossen, davon zu laufen – aus Muth, um Ákos allsogleich Hilfe zu bringen.

Hierzu war aber nicht viel Wahrscheinlichkeit vorhanden; bei finsterer Nacht und bei geschlossenen, überdies mit einem Mantel verdeckten Augen kann selbst ein so scharfsichtiger Mann, wie der Herr Fiskal Macskaházy, nicht ganz klar sehen. Ákos aber suchte, seinem Gefährten zu lieb wie es scheint, die dichtesten Stellen aus, und als er das Geklatsche vernahm, welches die zurückschnellenden und Macskaházy treffenden Zweige verursachten, fühlte er sich so gut gelaunt, daß er in diesem Augenblicke Niemanden, und wenn es auch der größte Räuber der Welt gewesen wäre, hätte etwas zu Leide thun können.

Nach viertelstündigem Suchen an das Ende des Waldes gelangt, blieb Ákos endlich stehen und zu Macskaházy gewendet, der die Augenlider aufschlagend jetzt wieder frei athmete, sprach er: »Im Walde ist Niemand, das können wir beschwören, von einem menschlichen Wesen ist hier nichts zu sehen noch zu hören, jetzt werden Sie doch glauben, daß Sie sich getäuscht und daß es höchstens ein Hase gewesen, was Sie dergestalt erschreckt.«

»Aber es klang so, als ob es Menschentritte gewesen wären, das würde auch Ihre gnädige Frau Mutter beschwören.«

»Wenn es so ist,« sprach Ákos sich ernst stellend, »dann müssen wir noch einmal zurückgehen, ich will noch zwei oder drei dichtere Plätze durchsuchen, vielleicht steckt er dort.«

»Ach nein, er steckt nicht dort,« seufzte Macskaházy, indem er Ákos zurückhielt, der sich schon umgewendet hatte, »wenn eine Maus im Walde gewesen wäre, so hätten wir auf sie treten müssen, so kreuz und quer haben wir das Gehölz durchstreift; mich tragen meine Füße kaum,« und der kleine Fiskal trocknete sich die Stirne.

»Sehr wohl,« antwortete Ákos, »wenn Sie glauben, daß im Walde Niemand verborgen ist, so gehen wir um den Graben herum, vielleicht finden wir auf der anderen Seite Etwas.« Ákos sprang über den Graben, Macskaházy versenkte sich zuerst in die Tiefe des Grabens und erklomm dann durch ein paar kühne gymnastische Evolutionen die andere Seite. Die beiden Suchenden schritten schweigend nebeneinander, und nach kurzer Zeit verschwinden sie vor unseren Augen, indem sie um die Gartenecke herumbiegen.

Alles still; die Nacht finster und unangenehm, wie gewöhnlich im October; nach dem klaren Sonnenuntergange thürmten sich immer mehr und mehr Wolken am Horizonte auf; über die Ebene wehte der Herbstwind in langen Seufzern, und unter seiner kalten Berührung erzittern die Blätter; nur hie und da ein Stern, der zuweilen aus den Wolken hervorblickt, und die auf der fernen Weide auflodernden Hirtenfeuer verbreiten schwaches Licht über die Gegenstände. Der Wiederhall der Tritte der beiden Suchenden ist längst verklungen, nur fernes Hundegebell aus dem Dorfe, und ein Lied bei einem weit entlegenen Hirtenfeuer, das abgerissen bis zum Graben dringt, unterbrechen die Stille, als in dem Graben, dem Platze nahe, wo die Beiden den Uebergang bewerkstelligt hatten, ein Mann sich erhebt. Der breite runde Hut und der große Schafpelz auf den Schultern würden Gesicht und Wuchs verbergen, auch wenn es nicht dunkel wäre. Der Mann horchte unbeweglich nach dem Liede, und als er sich versichert hatte, daß Niemand in der Nähe, stieg er vorsichtig aus dem Graben und ging, eilig hinschreitend, auf eines der nächtlichen Feuer zu.

Aber lassen wir ihn allein, er scheint es selbst zu wünschen, und kehren wir zu Tengelyi zurück, den wir verließen, als er eben von seiner Tochter geführt, in sein bescheidenes Haus eintrat.

Hast du, mein lieber Leser, jemals häusliches Glück gesehen? Wenn du jenen Segen kennst, den wechselseitige Liebe in einer Familie verbreitet; wenn du dich überzeugt hast, daß aller Ruhm, alle Auszeichnung, nach der wir ringen, alles Gut, nach dem wir heiß uns sehnen, die Freuden nicht aufwiegt, die du im Kreise der Deinen zu finden vermagst, dann schreite mit Verehrung in das Haus des Notärs und bitte Gott: Er möge seine Stürme auf Thürme und Paläste senden, aber diese stille Wohnung verschonen, in welcher eine Familie durch ihre selbstgeschaffene Glückseligkeit den Schöpfer preist.

Nachdem Tengelyi in das Zimmer getreten war und Hut und Stock am gewohnten Platze versorgt hatte, fing er gut gelaunt an: »Was ist denn also die Bitte, deren Erfüllung ich angeloben mußte, bevor ich ins Haus durfte?«

Frau Elisabeth nahm das Wort und sagte: »Ich habe nur der Tochter zu lieb eingewilligt.« Vilma zögerte noch, denn sie suchte nach Worten, um ihr Anliegen vorzutragen.

»Aber werde ich endlich das große Geheimniß erfahren,« sprach Tengelyi etwas ungeduldig; »ein Verbrechen hat sie ja doch nicht begangen?«

»Freilich nicht, Vater,« erwiderte Vilma schmeichelnd, »du hast aber versprochen, daß du auf mich nicht böse wirst.«

»Böse werden? Als ob ich ein leibhafter Tyrann wäre! Seit wann fürchtest du dich vor deinem Vater?«

»Fürchten?« sprach das Mädchen, indem sie ihren ruhigen Blick auf den Vater heftete, »dies wird deine Tochter nie lernen: wenn ich gefehlt habe, so wirst du es sagen und verzeihen – ich glaube aber, daß ich nicht gefehlt; gedulde dich nur ein paar Minuten und du wirst Alles wissen. – Du weißt, daß Execution im Dorfe war, und darum bist du ja mit dem Prediger aus dem Dorfe gegangen; denn, wie du sagtest, helfen konntest du den Armen nicht, und der Anblick des Jammers schmerzte dich. Wir blieben daheim und sahen alle die Entsetzlichkeiten. Dem Nachbar trieben sie die Kühe weg, hier gegenüber bei Johann Farkas haben sie die Polster und Decken aus den Betten genommen; bei der armen Frau Peter, die ein paar Hühner und einen Esel hatte, auf dem sie mit ihren Eiern in die Stadt ritt und Anderen dies und jenes brachte, haben sie auch das genommen, roh und fluchend, als ob sie mit Verbrechern zu thun hätten. Der Sohn der Farkas wollte nicht zugeben, daß das Bett seiner Mutter weggetragen werde. Dafür haben sie ihn geprügelt und gebunden zum Stuhlrichter geschleppt, und sie sagen, morgen soll er ins Gefängniß geschickt werden. Wir sahen und hörten dies Alles,« fuhr Vilma fort, sich die Augen trocknend, »und weinten bitterlich. Die Mutter sagte wohl, daß dies nicht anders sein könne; denn die Steuer schreibt das Gesetz aus, und Jene waren nicht im Stande, ihren Theil an der Pflichtigkeit zu entrichten. Ich bat Gott nur, daß du bald nach Hause kommen möchtest, denn ich dachte mir, in den zwei dicken Büchern Das ungarische Corpus Juris., in denen du so häufig liesest, wird doch wohl ein kleines Gesetz sein, in welchem es steht, daß man dem Armen, der ohne eigenes Verschulden seine Abgaben nicht entrichten kann, nicht Alles rauben dürfe.«

»Du irrst, mein liebes Kind,« sprach Tengelyi bewegt, »ein solches Gesetz suchst du in den zwei dicken Bänden vergebens; seit achthundert Jahren hatte die Nation noch keine Zeit zu einem solchen Gesetze.«

»Dann wird aber auch gewiß kein Segen auf diesen Gesetzen ruhen,« sprach Vilma mit unterdrücktem Seufzer, »wenn aber auch im Gesetze nichts davon steht, so befiehlt uns doch wenigstens der Glaube, daß wir an dem Leid unseres Nächsten Theil nehmen, und darum ging ich zu Farkas hinüber, um zu sehen, ob ich nicht irgend wie helfen könnte. Wir sind nicht reich, aber so viel hat uns Gott doch gegeben, daß wir unser Brod mit einem rechtschaffenen Mann theilen können, ohne deshalb Hunger zu leiden; und die Farkasischen waren immer gute Nachbarn.«

»Das war gut gethan, meine Tochter,« sprach Tengelyi, dem die Thränen in das Auge traten, »Gott wird dich dafür segnen; auch ich habe das Brod des Elends gegessen, und jetzt, da mich Gott gesegnet, werde ich meine Thür nicht dem Nächsten verschließen.«

»So habe ich auch gedacht,« sprach Elisabeth, indem sie ihres Mannes Hand drückte, »und so ließ ich das Mädchen hinüber.«

»Wie ich hinüberkam,« fuhr Vilma fort, »fand ich das ganze Haus in Verzweiflung. Der Hausherr saß auf der Flur, und stützte sein Haupt auf die Faust und schaute in den leeren Stall; die Frau ging händeringend auf und ab und jammerte um den Sohn; die kleinen Kinder hockten um den Ofen herum, sie verstanden das Ganze nicht, aber sie weinten mit der Mutter; im Zimmer ein paar zerbrochene Stühle, aus dem Bett verstreutes Stroh, alles in der größten Zerstörung, als ob der Feind geplündert hätte. Hierzu die Nachbarn, die bald tröstend, bald der Ungerechtigkeit fluchend, die Verwirrung nur noch vermehrten; mir blutet das Herz, wenn ich nur daran denke. Ich tröstete die Mutter Farkas, sagte ihr unseren Beistand zu und versprach ihr, daß der Prediger mit dem Vicegespan reden werde, daß man den Sohn nicht ins Comitatshaus schicke, denn das fürchtete sie am meisten, weil, wie sie sagte, Alle, die dorthin kommen, als vollständige Räuber zurückkehren. Sie dankte innig für unseren Antrag, meinte aber, wenn nur der Sohn frei wäre, so würden sie sich schon helfen. »Wir Armen,« sprach sie zu den Umstehenden gewendet, »verlassen uns wechselseitig nicht; dieser gute Nachbar gibt mir für ein paar Tage Bettzeug, der einen Laib Brod, und der wieder ein paar Groschen, und so hilft uns Gott vielleicht wieder. Wenn der Herr Geschworene Keniházy, dem mein Mann um Pfingsten zwei Pferde verkauft hat, den Preis bezahlt hätte, wären wir nicht so weit gekommen. Aber das ist das Unglück, uns pfändet man wegen der Steuer, und wenn man selbst etwas zu fordern hat, erhält man nirgends Gerechtigkeit; aber es wird Restauration, da geh ich zum Obergespan, der auch in der letzten Restauration Mehreren zu ihrem Geld geholfen hat, denen der Oberstuhlrichter Nyúzó schuldig war.«

»Ei! euch geht es noch gut,« sagte die alte Frau Lipták, die während der ganzen Zeit neben ihr stand, »ihr habt einen Mann, und Jancsi wird auch frei, wie das Fräulein sagt, und kann dann arbeiten, ihr seid ein rechtschaffenes Weib, aber was wird die arme Viola anfangen? Sie liegt auf den Tod, sie und der Säugling und der siebenjährige Bube; und neben ihr die Wache, und der Stuhlrichter hat befohlen, daß man Jeden einfange, der dem Hause nur nahe kömmt; denn alle sind Viola's Spießgesellen. Und Susi war ein schönes gutes Mädchen, als sie noch ein Kind war; wer kann dafür, daß ihr Mann Räuber geworden. Wenn das Fräulein dort helfen könnte, so würde Gott sie segnen. Ich erkundigte mich näher, und sie erzählten, daß Viola, der früher ein wohlhabender Bauer war, jetzt ganz verarmt sei, weil er als Räuber nicht der Wirthschaft nachgehen könne. Vieh- und Wirthschaftsgeräthe hat man ihm längst weggenommen, seine Felder liegen brach, was sonst noch geblieben, hatte man heute als Schadenersatz fortgeschleppt, so daß die arme Frau ganz verlassen, und schwer krank, mit zwei Kindern in der tiefsten Noth sei. Ich ließ mich hinführen, denn ich dachte, mich werden sie doch nicht für Viola's Spießgesellen halten, und die Frau kann man ja nicht so ohne alle Hilfe sterben lassen.«

»Recht hast du, liebe Vilma,« sprach der Notär, ihre Wangen streichelnd.

»Die Noth bei den Farkasischen,« fuhr Vilma fort, »war nichts im Vergleich mit dem, was jetzt vor mir stand. Als ich dem Hause nahte, hörte ich schon ungeheuren Lärm; der Stuhlrichter hat, ich weiß nicht durch wen, erfahren, daß Viola heute Nacht seine Familie besuchen will, und hat drei Haiduken hin beordert, die versteckt lauern und ihn fangen sollen, wenn er sich zeigt. Diese haben sich mit Wein zu ihrer Heldenthat vorbereitet, und ließen Niemand aus dem Hause; was ihnen wahrscheinlich deshalb befohlen wurde, damit Viola von ihrer Anwesenheit keine Nachricht erhalte; aber bei dem Lärm, den sie machten, war dies ganz überflüssig. Das Haus war ganz leer, ein kleiner Aschenhaufen auf dem Heerde und die Ofenbank, die man nicht wegtragen konnte, weil sie von Lehm war, und die jetzt den Haiduken zum Sitze und für ihre Krüge zum Tische diente, das war Alles, was von dem einstigen Wohlstande als Andenken übrig geblieben war. Das Uebrige befand sich Alles in den Händen der Gerechtigkeit. Als ich in die Küche trat, erkannte mich der Corporal alsobald; denn er war schon ein paarmal mit Briefen in unserem Hause. Er ging mir entgegen, und fragte, was ich wolle? Ich antwortete, ich käme, um bei der Kranken nachzusehen; da bemerkte er, es sei wohl schade um die Mühe, denn die Viola sei vielleicht schon gestorben, und das sei ihr wohl zu wünschen, denn wenn sie bis morgen lebte, werde der Galgen sie zur Witwe machen, und nach mehreren solchen Spässen, die seine Kameraden mit rohem Gelächter aufnahmen, führte er mich zur Kammer, wo die Kranke lag. Die Kammer war so finster, daß ich im ersten Augenblicke kaum etwas sah. In der einen Ecke lag auf verfaultem Stroh die unglückliche Frau, neben ihr auf der einen Seite der Säugling, auf der anderen der siebenjährige Knabe, der zur Mutter gekehrt, jede ihrer Bewegungen beobachtete. Alles schwieg, nur das Gejauchze der Soldaten in der Stube unterbrach die tiefe Todtenstille, die um die Kranke herrschte. Es schien, daß sie sammt dem Säuglinge entschlummert war; wie mich der Kleine erkannte, schmiegte er sich vertrauensvoll an mich, und erzählte flüsternd in kindischer Weise das ganze Unglück. Die Mutter war vor drei Tagen erkrankt. Anfangs hatte sie noch ein Bett, heute früh kam plötzlich der Oberstuhlrichter und befahl der Mutter, 150 Gulden zu zahlen. Sie hatte kein Geld, da begann der Stuhlrichter ungeheuer zu fluchen, und befahl den Haiduken, Alles wegzutragen; die Mutter wurde aus dem Bette gejagt, die alte Lipták warf der Oberstuhlrichter selbst zum Hause hinaus, und befahl den drei Haiduken, die im Nebenzimmer trinken, daß sie Niemand weder hinein, noch heraus lassen sollen. Hierauf ging der Oberstuhlrichter fort. Seitdem ist der Mutter noch viel schlechter, setzte der Kleine hinzu, sich die Thränen trocknend, das wenige Stroh, das aus dem Bette ausgestreut worden, habe ich aufgelesen, und ihr eine Lagerstätte bereitet; sie konnte sich kaum hinschleppen, und seitdem erkennt sie mich nicht mehr. Der Oberstuhlrichter und die Soldaten dort haben entsetzliche Dinge geredet, daß der Vater heute Nacht kommt, und daß sie ihn dann aufhängen; und jetzt hat die Mutter lange auch nichts Anderes geredet und geschrieen. Ich habe mich gefürchtet; später fing mein kleiner Bruder an zu weinen, es fiel mir bei, daß er nichts gegessen, denn auch ich war hungrig, und so ging ich hinaus zu den Nachbarn und bat um Etwas zu essen, aber sie gaben mir Nichts. Der Stuhlrichter hatte gesagt, daß uns Niemand Etwas geben darf, und daß wir verrecken sollen, wie die Hunde. Nur etwas weniges Wasser habe ich gebracht, und ein paar Blumen, die ich vom Busch gerissen, damit mein kleiner Bruder wenigstens etwas zum Spielen habe, und damit ich nicht ganz leer zurückkomme; und der Kleine senkte das Haupt und weinte bitterlich.«

»Der arme Knabe,« sprach Tengelyi, dessen Augen bei der einfachen Erzählung sich mit Thränen füllten. »Er lernt die Bitterkeit des Lebens zeitlich kennen. Ich hoffe,« fuhr er zu Elisabeth gewendet fort, »du hast den Kindern Etwas geschickt, ich werde gleich selbst hingehen und nachsehen.«

»Bemühe dich nicht, lieber Vater,« sprach Vilma sanft, »sie sind nicht mehr dort; wir haben ihnen nichts hingeschickt, wir haben sie hieher gebracht.«

»Hierher, in mein Haus!« rief Tengelyi erschrocken.

»Hast du die Folgen überdacht?«

»Allerdings,« antwortete Vilma ruhig, »ich habe bedacht, daß sie sterben müssen, wenn ich sie länger dort lasse, und habe den Corporal so lange gebeten, so lange gefleht, bis er auf mein Versprechen, daß ich Alles auf mich nehme, mir erlaubt hat, die Frau herzubringen; ja er hat mir sogar selbst geholfen.«

»Daß du sie nicht dort gelassen hast, war gut,« sprach Tengelyi, indem er unruhig auf- und abging, »hättest du sie wo immer hingebracht, ich würde gern für sie zahlen, aber hier, in meinem Hause; die Familie des größten Räubers bei dem Notär von Tiszarét! Was werden meine Feinde sagen?«

»Und hast du nicht selbst gesagt, Vater,« antwortete Vilma ruhig, »daß wir das Urtheil der Menschen verachten können, wenn uns eine starke innere Ueberzeugung sagt, daß wir recht gehandelt?«

»Allerdings, wenn wir mit uns selbst ganz im Reinen sind,« sprach Tengelyi, »doch Viola liebt seine Frau wie man sagt, und jetzt, da sie krank ist, wird er zu ihr kommen, die Gefahr mag noch so groß sein. Was soll ich denn thun? Als Beamter zwingt mich Eid und Pflicht, ihn zu fangen, als Mensch schaudere ich davor.«

»Du wirst ihn nicht einfangen, lieber Vater,« flüsterte Vilma sich ihm anschmiegend, »das kannst du nicht.«

»Und wenn ich es nicht thue,« antwortete Tengelyi, und seine Stirne faltete sich, »so werd' ich mit Schand und Spott aus dem Dienste gejagt, werde der Genosse von Räubern geschmäht, und wir können wieder betteln gehen.«

»Mein Vater, das wird nicht geschehen,« sprach Vilma vertrauensvoll, ob sich gleich ihre Augen mit Thränen füllten, »eine gute That kann Gott nicht strafen.«

»Gott nicht,« sprach Tengelyi ernst, »aber die Menschen thun es bisweilen. Weine nicht, meine Tochter,« setzte er hinzu, als er ihre Thränen sah, »es kann nicht mehr geändert werden, vielleicht quäle ich mich nur mit Vermuthungen.«

»Aber mir zürnst du nicht,« schluchzte Vilma, »ich habe dies Alles nicht gewußt, ich konnte mir nicht denken, daß ich die Ursache eines solchen Unglückes werde.«

»Zürnen!« rief der Alte aus, indem er sie an sein Herz drückte, »dir zürnen? Bist du nicht meine gute, geliebte einzige Tochter, meines Lebens Freude und Stolz, die Hoffnung meiner Zukunft?«

»Aber wenn Viola kommt,« sagte Vilma weinend, »und wenn dann Alles geschieht, was du gesagt hast?«

»Er wird nicht kommen,« tröstete der Vater, der jetzt ein Königreich darum gegeben hätte, wenn er seine Besorgnisse nicht ausgesprochen, »und wenn er auch kommt, so erfährt es vielleicht Niemand; du weißt, ich bin immer voll Besorgnisse. Du kannst auf keinen Fall dafür. Trockne deine Thränen,« fuhr er fort, die Stirne des Mädchens küssend, »du hast gut gehandelt. So, meine Liebe, jetzt geh zu der Kranken; ich eile indeß um Vándory, er versteht sich gut auf Krankheiten, Gott segne dich.«

Und der Alte entfernte sich eilig, damit er nicht in Thränen ausbreche; und während die Frauen sich um das Krankenbett setzten, tadelte er sich und seine Weichheit, ob welcher er sich der Thränen nicht erwehren konnte, die doch nur Weibern erlaubt sind.


 << zurück weiter >>