Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Daß während der Zeit, als die conservative Partei zu Tiszarét zur nächsten Restauration so viele Vorkehrungen traf, bei Bántornyi's zu Cserepes die Köche und Kellermeister ebenfalls keine Feiertage hatten, können sich die Leser wohl denken; weil sich aber die gegen einander arbeitenden Parteien meistens nur so unterscheiden, wie die zwei Seiten eines und desselben Geldstückes – die Aufschriften und Zeichen sind nämlich verschieden, aber man mag es herumdrehen, wie man will, das Geldstück bleibt an Metall und Größe dasselbe – so ist es nicht nöthig, daß ich mich in die ausführliche Schilderung jener Conferenzen einlasse, die hier zur Vereitlung der Tiszaréter Pläne gehalten wurden. Wer, wie Krivér, an den Berathungen beider Lager theilnahm, konnte sehen, daß das Volk immer durch dieselben Kunstgriffe gewonnen wird.
Der Zahl nach schien Bántornyi's Partei die mächtigere, ja Kislaky, Sóskúty und Slacsanek ausgenommen, finden wir auch beinahe alle größeren Grundbesitzer des Comitates in Cserepes, und wenn wir die Begeisterung nach dem Lärmen bemessen, so scheint der Sieg dieser Partei gewiß, welcher sich, als der liberalen, beinahe die ganze Jugend angeschlossen hat; nur aus zwei Ursachen hielt Krivér den Ausgang zweifelhaft. Erstens: weil ihn, den Oberfiskal und ein paar Vicestuhlrichter ausgenommen, der ganze Comitatsmagistrat zur anderen Partei gehörte; zweitens, und dies ist ein weit niederschlagenderer Umstand, weil Bántornyi's Freunde beschlossen hatten, daß sie zur Ausführung ihrer Pläne nur die Ueberzeugung, nicht aber die verächtlichen Mittel der Bestechung aufbieten wollten. Der Antrag wurde durch Tengelyi gestellt und fand unter Bántornyi's sämmtlichen Freunden, jene abgerechnet, die gewählt werden wollten, so viel Anhang, daß Krivér, der Oberfiskal und Bántornyi selbst ihre Beredsamkeit fruchtlos dagegen aufboten.
Daß es bei dieser Meinungsverschiedenheit unter Bántornyi's Anhängern scharfe Erörterungen gab, daß einige der Aemterwünschenden die Partei verließen und zur anderen übertraten, versteht sich von selbst; ja es würde sich wahrscheinlich die ganze Partei aufgelöst haben, wenn sie nicht durch eine erfreuliche Nachricht wäre zusammengehalten worden.
Der Obergespan nämlich, Gras Marosvölgyi, der, so oft er in das Taksonyer Comitat kommt, an den Grenzen durch eine Deputation empfangen wird, hatte Bántornyi in einem sehr artigen Briefe verständigt, daß er seinen Weg über Cserepes nehmen, und die Freundschaft des Grundherrn kennend, am 30. des Monats die Nacht dort zubringen wolle. Dieser Brief war ein ungeheures Ereigniß im Comitate. Daß der Obergespan, der bisher immer bei Réty abgestiegen, zum erstenmale jetzt, wo Réty von den liberalen Grundsätzen zurück- und Bántornyi als der Auserwählte der Liberalen auftrat, in dem Hause des Letzteren abstieg, sprach das nicht so sonnenklar die Sympathien aus, die Se. Excellenz für die Grundsätze der Opposition immer gezeigt hatte? Alle, die sich gegen die Bestechung erklärt hatten, schrieben diesen Triumph natürlich dem zu, daß der Obergespan die verächtliche Art und Weise erfahren habe, mit der die Réty'schen sich die Majorität zu erwerben suchten, und nun dadurch, daß er bei Bántornyi absteige, zeigen wolle, wie sehr er das Corteswesen mißbillige.
Die Freude in Bántornyi's Hause war darüber sehr groß, und es verging kaum ein Tag, an dem die Führer der Opposition ihre Schaar nicht durch ein oder das andere ausgezeichnete Individuum vermehrt sahen, welches Geschworner oder Stuhlrichter zu werden wünschte. Besonders war am 30. October das Cserepeser Haus voll Principienfreunde, und obgleich die Comitatsdeputation auf Mittag, der Obergespan erst zu Nacht erwartet wurde, konnte man sich doch schon des Morgens kaum in den Zimmern bewegen.
Bántornyi's Haus war vor einigen Jahren eines von jenen Häusern, die jeder, der einmal in Ungarn gereist ist, kennt. Acht Fenster in der Länge, drei in der Breite des Hauses, in der Mitte ein rothangestrichenes Flügelthor, zu dem drei Stufen führen, an den vier Ecken des Hauses überall ein Thurm. Wer hat das nicht schon hundertmal im Leben gesehen, und wenn meine Geschichte sich ein paar Jahre früher ereignet hätte, könnte ich mich aller Beschreibung enthalten; aber seitdem der gnädige Herr Jacob Bántornyi oder James, wie er sich lieber nennen hörte, aus England zurückgekommen war, kannte sein älterer Bruder Ludwig selbst sein eigenes Haus kaum mehr, und die junge Frau, die in frühern Zeiten das Haus uneingeschränkt beherrschte und auch nachdem Jacob eine Rittmeisterswitwe geheiratet, eine gute Portion ihrer Macht behalten hatte, ließ jetzt Abends ihre Tochter nie ohne Wegweiser aus dem Zimmer, damit sie sich nicht verirre und etwa zum Kanzellisten gerathe, was schon zweimal geschehen war.
Wer die Häuser gesehen, wo die großen Briten wohnen, konnte vor James Bántornyi's Haus sich auf jener glücklichen Insel wähnen; und daß durch das Innere des Hauses das Aeußere nicht Lügen gestraft wurde, versteht sich von selbst. Treppen, Stufen, Gänge, Veranda, Vorhänge, Kamin und Lehnsessel, mit einem Worte, Nichts fehlte; das hierzu gehörige Bramaschloß aber, mit dem der Kastner in seinem Rausche das Haus einmal so fest verschlossen hatte, daß alle Bewohner, weil der Schlüssel verloren war, durch ganze drei Tage bei den Fenstern der Veranda aus- und einstiegen, bis der gnädige Herr, der den zweiten Schlüssel an seiner Uhrkette trug, aus Pest zurückkehrte, war im ganzen Comitate zu bekannt, als daß eine besondere Erwähnung desselben nothwendig wäre. Das alte Schloß, in welchem Herr Ludwig wohnte, war größtentheils von jenen Neuerungen frei geblieben, und nur nach vielen Bitten gestattete er, dem jüngeren Bruder zu liebe, daß der Speisesaal aus der Mitte des Hauses in seinen Salon versetzt wurde, welcher neben dem neuen Gebäude war, und daß in demselben das Rauchen ein für allemal verboten wurde. Das Uebrige blieb Alles beim Alten, und Ludwig konnte sich wenigstens zwischen den Mauern seiner Ureltern heimisch fühlen; was dem guten Manne zu nicht geringer Beruhigung diente.
Während der Letztere die unausgesetzt ankommenden Gäste empfing, lustwandelten Krivér und Jacob im Garten. Jacob schien übelgelaunt, blieb kopfschüttelnd stehen, ging wieder, blieb wieder stehen, und klopfte mit der Peitsche, die er in der Hand hielt, seine Stiefel, und so oft Krivér etwas sprach antwortete er mit » most true,« » yes« oder anderen solchen im englischen Parlament gebräuchlichen Ausrufungen, während der Andere vor dem Sprechen sich jedesmal umsah, ob Niemand in der Nähe sei, der ihn behorchen könnte. Dies war eine alte Gewohnheit des Obernotärs, die er dergestalt ausgebildet hatte, daß er dieselbe Vorsicht brauchte, auch wenn er guten Morgen wünschte oder um die Stunde fragte.
»Du wirst sehen,« sprach Krivér, indem er seine Stimme beinahe zum Flüstern dämpfte, »all' unsere Mühe ist umsonst, wenn wir keine Lagerplätze ausschlagen, keine Fahnen aufpflanzen. Alles Geld, das du austheilst und die ganze Popularität deines Bruders hilft hier nicht; sie nehmen das Geld, lieben deinen Bruder, aber sie kommen gar nicht zur Restauration, oder wenn sie kommen, werden sie durch Réty's Cortes uns abwendig gemacht.«
» You are right my friend, das heißt: Du hast Recht, aber was ist zu thun?«
»Wenn wir deinen Bruder dahin bringen könnten, daß er nur Etwas thäte, wie es in England gebräuchlich ist. Meeting oder Müting, oder wie sie es heißen.«
» Meeting to meet. Wir kommen zusammen; daher das Wort.«
»Das wollte ich eben sagen, so etwas meetingartiges müssen wir veranstalten, wo die Menschen zusammenkommen und trinken, denn ohne Sauferei kommen wir nicht auf.«
»Jawohl! aber was sollen wir thun? Mein Bruder und ich haben gethan, was wir vermochten; die Wahl kostet uns schon jetzt die Einkünfte eines ganzen Jahres –«
»Was wir brauchen, ist ja nicht Geld; wenn wir nur irgend eine auffallende Demonstration machen könnten, so wäre Alles gut.«
»Du vergißt, daß wir alle unser Ehrenwort darauf gegeben, daß wir nur durch ehrenhafte Mittel –«
»Uns die Majorität zu erwerben trachten werden,« fiel Krivér ein, »dies sind die Worte des Beschlusses, das heißt, wenn man dann auch sagen mag, daß die Bewirthung unserer Freunde keine ehrenhafte Art ist, was ich läugne, und dies nicht gelingt, so werden wir auf andere zweckmäßigere Mittel sinnen.«
»Es läßt sich nicht läugnen, daß der Beschluß sich auch auf diese Art auslegen läßt; aber es gibt Menschen, die hierüber anders denken.«
»Nicht ein Einziger. Als unsere Conferenz diesen unglücklichen Beschluß faßte, haben jene, die kein Amt begehren, nur darum mit Tengelyi gestimmt, damit sie selbst kein Geldopfer tragen müssen; glaube mir, um Euer eigenes Geld könnt ihr Cortes werben so viel ihr wollt.«
»Aber Tengelyi!«
»Tengelyi, und immer Tengelyi! Und was ist es am Ende denn für ein Unglück, wenn er sich von uns trennt? Er ist ein ehrlicher Mann, dies geb' ich zu; aber Alles in Allem genommen ist er doch nur ein Dorfnotär; ihr schreibt ihm eine größere Macht zu, als er wirklich hat.«
»Tengelyi hat außerordentlichen Einfluß, besonders auf die Prediger, und wenn er sich gegen uns erklärt!«
»Gegen uns? und weißt du nicht, daß dies nicht sein kann? Tengelyi ist der unpraktischeste Mensch auf der Welt; beleidige ihn, thue mit ihm was du willst, schmeichle ihm, deine Mühe ist umsonst; der Gute glaubt, daß die Ueberzeugung eines Dorfnotärs mehr werth sei als jede Rücksicht; im schlimmsten Falle bleibt er neutral, für die Réty'schen wird er nie auftreten, und wenn er es thäte, so gibt es ein Mittel seinen Einfluß zu vernichten.«
»Was ist das für ein Mittel?«
»Tengelyi ist,« so sprach Krivér leise, »kein Edelmann.«
»Ist es möglich?«
»Ich weiß es bestimmt. Du weißt, daß ich mit Macskaházy gut bin, um die Pläne der Réty'schen zu erfahren, nun der hat es gesagt. Du weißt, daß Tengelyi vormals mit den Réty's gut war, bevor der Letztere apostatisirte, sie waren zusammen in die Schule gegangen und kennen wechselseitig ihre Geheimnisse. Tengelyi hat nicht ein einziges Stück Papier, womit er seinen Adel beweisen könnte; auch der Oberfiskal weiß es, aber wir müssen schweigen. Wenn er bei der Restauration mit uns hält, so erhalten wir ihn bei seinem Adel; bleibt er nicht bei uns, so wissen wir, was wir zu thun haben.«
Der Oberfiskal, der indeß zu den Sprechern getreten war, bestätigte das Gesagte ebenfalls und der beruhigte Jacob gab sein Wort als Gentleman, daß er, was auch sein Bruder sagen möge, die Parteifahne aufpflanzen und morgen die ganze Gegend zu einem politischen Zwecke laden wolle.
Wenn einige meiner unschuldigen Leser, die Krivér in Réty's Haus gesehen und ihn jetzt in Bántornyi's Garten reden gehört haben, sich darüber verwundern, so kann ich zu meiner Rechtfertigung nur sagen, daß Krivér, nachdem er sich vorgenommen, dem Vaterlande auf jeden Fall zu dienen, es für zweckmäßiger erachtet hatte, wenn er von beiden als blos von einer Partei zum zweiten Vicegespan in Vorschlag gebracht werde; umsomehr da es ihm wahrscheinlich war, daß die Bántornyi'schen, wenn er sich ganz von ihnen abwendete, in dem Oberfiskale Pénzesy Sprich: Penseschi. einen solchen Rivalen aufstellen würden, der sowohl durch Vermögen als durch persönlichen Einfluß gefährlich werden könnte. Aber gehen wir jetzt in das Haus.
Ich kenne keine unangenehmere Lage auf der Welt, als die eines ungarischen Hausherrn auf dem Lande, den viel Gäste zugleich besuchen. Bei uns, wo jeder Besuchende durch den Herrn vom Haus unterhalten oder gelangweilt sein will, lebt natürlich der größte Theil in der unausgesetzten Angst, daß sein persönliches Ansehen dadurch leide, wenn der Hausherr einen Andern auszeichnet; der unglückliche Hausherr weiß unter solchen Umständen nicht, was er thun soll, und besonders vor der Restauration, wo jede Beleidigung so traurige Folgen nach sich ziehen kann. Vor Tisch, wenn er überlegt, welchen von dreien der bedeutenden Beisitzer er an die rechte Seite der Hausfrau setzen soll, erduldet er Qualen, von denen Paris nur einen Begriff haben konnte, als er mit dem Apfel zwischen drei Göttinnen wählen mußte. Nachdem nun jeder Mensch umso ungeschickter ist, je mehr er sich fürchtet eine Ungeschicklichkeit zu begehen, werden mir die Leser vergeben, wenn ich alle jene freundlichen Begrüßungen und unaussprechlichen Freuden nicht schildere, mit denen Bántornyi seine zahlreichen Gäste und besonders die Deputation empfing; ich überlasse dies der Einbildungskraft eines Jeden, und werfe den Mantel der Nächstenliebe sogar über das festliche Mittagsmahl, mit dem die Gäste bewirthet wurden.
Es dunkelte bereits. James' Gemahlin traf die letzten Anordnungen in den schönsten Zimmern des neuen Hauses, die dem Obergespan bestimmt waren, und in der Veranda, wo der Theetisch aufgestellt war. Ludwig Bántornyi, der einen großen Gast erwartende Hausherr und zu wählende Vicegespan ging, Unruhe in der Brust, auf und nieder, sah auf die Uhr, ging vor das Haus, kam wieder zurück und rief aus: »Seine Excellenz könnte wahrlich schon hier sein,« während von dem Spieltische » Pagat ultimo« oder » Contra« erklang, bis zuletzt der politische Streit aus dem Nebenzimmer, wo dreißig Personen zwölf Ansichten über vier Gegenstände zugleich ins Reine bringen wollten, die klagende Stimme des Hausherrn unterdrückte. Schon wurden Kerzen angezündet, als James das politische Schlachtfeld verließ, wo Baron Sóskúty und sein hoffnungsreicher Sohn nach Unterdrückung aller Rivalen zum Redemonopol gelangt waren. James setzte sich zu Pferde und ritt, von zwei Stallknechten mit Fackeln begleitet, dem Obergespan entgegen. Da wurde die etwas laute aber deshalb nicht minder schöne Harmonie der Gesellschaft plötzlich gestört. Im Mittelzimmer, wo die Spieltische standen, unter der großen Tabakrauchwolke, welche Tische und Gerichtstafelbeisitzer gleichmäßig und dergestalt bedeckte, daß der Durchschreitende kaum Etwas sah, entstand, wie im rauchenden Krater des Vesuvs, ein solches Getöse, daß selbst Baron Sóskúty seinen Redefluß unterbrach.
»Herr Vicegespan, das ist unausstehlich,« schrie einer der Spielenden, an dessen bleichem ausgedörrten Antlitz man sogleich Herrn Jánosy, Sprich: Janoschi. einen der bedeutendsten Beisitzer erkannte, »hat die Welt so etwas gesehen? Pénzesy hat seinen Pagat nach Hause gebracht.«
»Na! das ist ein großes Unglück! wer kann dafür, wenn er ihn nach Hause gebracht hat,« sprach einer von Ungarns besten zweiten Vicegespänen.
»Aber warum haben Sie ihn bedeckt?«
»Weil ich acht Tarok habe.«
»Und haben ihn doch nicht fangen können?«
»Freilich, weil Sie Pique gespielt haben!«
»Ich hatte drei, was hätte ich denn spielen sollen?«
»Treff, um's Himmels willen, Treff, damit Sie mich nicht treffen.«
»Treff, etwa meinen König?«
»Sagen Sie selbst,« sprach Jánosy, sich immer mehr erhitzend zu Pénzesy, der fröhlich die Karten mischte, indeß sich immer mehr Zuschauer um den Tisch sammelten, und Édesy Sprich: Édeschi. bald dem Einen, bald dem Andern das Ereigniß erklärte.
»Gehen wir weiter,« sprach der vierte Spieler, Krivér.
»So kann man nicht spielen,« schrie Jánosy wieder, »wenn Sie Ihren Fehler nicht einmal einsehen wollen.«
»Jeder spielt nach seinem Belieben,« antwortete Édesy, etwas aufgeregter.
»Ganz recht, aber dann soll er allein spielen, oder umsonst, aber nicht um anderer Leute Geld.«
»Hier sind Ihre drei Zwanziger,« schrie Édesy, der alle Geduld verloren hatte, »und jetzt schweigen Sie.«
»Zu viel ist zu viel, nehmen Sie Ihr Geld zurück, oder schenken Sie es Ihrem Husaren, mit mir aber reden Sie nicht so,« und der Beisitzer sprang auf.
»Der Herr kann ins Wirthshaus gehen, wenn er lärmen will.«
»Ich ins Wirthshaus? ich?« hier wurde das Weitere dadurch unverständlich, daß Alle zugleich redeten; bis Sóskúty im kurzen, blauen, goldgestickten Kleide – denn die ganze Gesellschaft erwartete den Obergespan in Gala – bald zum Vicegespan, bald zum blassen Beisitzer lief, und sie zur Ruhe ermahnte. » Domine spectabilis, lassen Sie das Streiten. Herr Jánosy ist schon heiser; der Obergespan wird gleich hier sein. Der unglückliche Pagat! Denken Sie nur an den Obergespan! Wenn er auch erwischt wird! Am Ende sind wir alle Menschen! Er wird gewiß heiser,« und so fort, bis die Thüre aufgerissen wurde, und ein Diener mit den wenigen Worten: »Er ist gleich hier,« allen Gedanken eine andere Richtung gab, obschon der Lärm durch diese neue Wendung eher zu- als abnahm.
»Endlich! Endlich! Wo ist mein Säbel?« schrie Sóskúty und lief mit einem Theil der Anwesenden einer Ecke zu, wo das Arsenal der Gesellschaft stand, während die anderen im Nebenzimmer um die aufgehäuften Pelze stritten. In vollständiger Gala hat der Magyare den Pelz über den Schultern hängen. – Die Gesellschaft bei Bántornyi hatte aus Bequemlichkeit die Pelze abgelegt.
»Ich bitte gehorsamst, domine spectabilis, das ist der meine, grün mit Marder,« rief der Oberfiskal, einen Beisitzer aufhaltend, der eben den Pelz umnahm und um seinen Säbel eilte. Der letztere stritt dagegen mit nicht geringem Grimm, bis der Oberfiskal endlich einsah, daß er Unrecht habe, aber nicht eher bis im Gedräng ihm der Kalpag Kalpag, Kopfbedeckung von oft sehr kostbaren Fellen, mit goldenen Schnüren und Reiherfedern. aus der Hand gefallen und zusammengetreten worden war.
»Ich finde meinen Säbel nicht,« lärmte Édesy, der über den neuen Verlust den früher verlorenen Pagat vergessen hatte; er jammerte vergebens, man möge ihn nur hinauslassen. Indessen arbeitete Sóskúty aus allen Kräften, um ins Nebenzimmer zu gelangen, tauben Ohren verkündend, daß der Chef der Deputation ohne Pelz vor dem Obergespan erscheinen werde, wenn er nicht in das Zimmer dringen könne. »Ich bitt' unterthänig! Aber ich bitt', ich bin der Präses der Deputation, blau mit goldnen Schnüren! ich muß hinein! aber bedenken Sie nur!« Bis endlich das Kleidungsstück mit etwas veränderter Farbe, denn es war unglücklicherweise auf die Erde geworfen und getreten worden, aber nur mit dem Verluste von ein paar Knöpfen dem Eigenthümer zukam. Er warf es um und vermehrte durch Ausrufungen: »Eilen wir, meine Herren! Sie könnten ja schon lang bereit sein, der Obergespan ist schon da!« die Besorgnisse der Deputirten nicht wenig.
Die Verwirrung erstieg den Culminationspunkt; um Pelze, Säbel, Kalpags wurde gestritten, und die Deputation bemerkte gar nicht, daß ihr Redner, der hochwürdigste Dechant Zsolvay, Das zs wird im Ungarischen ausgesprochen wie im Französischen das j im Worte joli. der während der ganzen Zeit als die übrigen spielten und tranken, vereinzelt auf- und abgegangen war und seine Rede wiederholt hatte, alles Schmuckes baar, ohne dreispitzigen Hut, ohne Pallium, das er der Wärme wegen weggelegt, in der Mitte des Zimmers stand; ganz wie Cicero, der, wie er selbst gesteht, so oft er öffentlich sprach, erbleichte.
»Gehen wir, gehen wir,« rief endlich Sóskúty, sich an die Deputation wendend, die endlich ausgerüstet und armirt sich um ihn schaarte, »im Vorhause müssen wir ihn empfangen.«
»Wo ist der Hut? wo der geistliche Mantel? Seine Excellenz wird gleich hier sein; her einen Hut für den geistlichen Herrn, was immer für einen, wenn er nur dreieckig ist,« schrie der verdienstvolle Präses der Deputation, indem er auf- und ablief, und es entstand neuer Lärm und neues Suchen, und umso größer und tumultuarischer, je schneller die Nachrichten folgten, daß der Obergespan schon bei dem Tretplatze, daß er schon im Dorfe sei, daß er schon zum Garten gelangte! Endlich wurde der Hut doch gefunden und gerade im letzten Augenblicke wurde Zsolvay auch ein geistlicher Mantel umgehängt: Die ganze Deputation drängte sich unordentlich ins Vorhaus.
Es gibt im Menschenleben Augenblicke u. s. w., wie Schiller's Wallenstein sagt; und daß unter diese Augenblicke auch jener gehört, in welchem der Obergespan zur Restauration erwartet wird, und die aufwartende Deputation schon im Vorhause steht, und die Fackeln schnell nahen sieht, die des großen Vorstehers dunkle Pfade beleuchten, unterliegt keinem Zweifel; besonders dann nicht, wenn der Redner, der im Namen der Deputation die Gefühle des Comitates aussprechen soll, diese schwere Pflicht zum erstenmale in seinem Leben erfüllt, und zitternd wie Espenlaub unter seinen beklommenen Collegen steht. Zsolvay schien nach allen den Beschwerden, die er überstanden, durchaus nicht in ruhiger Gemüthsstimmung. Die Deputation betrachtete mit Angst den Redner, dessen Worte als die ersten, die der Obergespan in seinem Comitate hören werde, ohne Zweifel ungewöhnlichen Eindruck auf denselben hervorbringen würden. Ein unerwartetes Ereigniß gab jedoch allen Gedanken bald eine andere Richtung.
Der Obergespan war bereits in die Umzäunung des Gartens gelangt; die aufgestellten Schulkinder und das schaulustige zahlreiche Volk schrie schon Éljen, als im Chausséegraben drei Mörser donnerten. Die Pferde, die Bántornyi Sr. Excellenz auf die letzte Station entgegengeschickt hatte, waren ebenso überrascht wie Se. Excellenz; sie gehen durch in das gewöhnliche Thor, und hineinlenkend werfen sie den Wagen um; die fackeltragenden Reiter bringen das ganze Dorf in Furcht, wie sonst die Füchse die Philister, als Samson Fackeln an ihre Schwänze band; James nach seiner ritterlichen Natur springt auf dem kürzesten Wege, das heißt über den Kopf des Pferdes auf die Erde; die im Vorhause harrende Deputation schlägt schaudernd die Hände zusammen, und nachdem die Pferde aufgehalten worden und die Gefahr des Zertretenwerdens vorüber ist, läuft Alles zum Empfange des geliebten Obergespans.
Es erwarte Niemand, daß ich die Scene, deren Zeuge jetzt der Leser sein könnte, ausführlich beschreibe; meine schwache Feder reicht nicht hin, um so viel Lärm wiederzugeben und die grenzenlose Unordnung zu schildern, in der die Beisitzer jetzt herumliefen. Es genüge zu bemerken, daß Alles, was in dieser Lage dem Obergespan oder dessen Kutscher gesagt werden konnte, hundertmal wiederholt wurde, daß der erste, einen kleinen blauen Fleck über einem Auge abgerechnet, ohne Verletzung aus dem Wagen gezogen wurde, und daß er mit besonderer Freundlichkeit die ganze hochansehnliche Gesellschaft versicherte, daß ihn das Ganze außerordentlich unterhalten habe; obgleich sein Secretär, der mit Sr. Excellenz in einem Wagen fuhr und nicht nur das Gewicht des Amtes seines Herrn, sondern auch jenes seiner Person empfunden hatte, eine ganz andere Meinung zu hegen schien.
»Wer hat sich unterstanden die Mörser loszubrennen?« fragte endlich Bántornyi, als der Obergespan und die ganze Gesellschaft dem Hause zuging.
»Ich, gnädiger Herr,« antwortete der Gärtnerbursche.
»Und wie konntest du dich unterstehen dies zu thun?«
»Weil es befohlen wurde.«
»Und von wem? – Du Unglücklicher!«
»Nun, die gnädige Frau Capitänin hat gesagt: ›Wir müssen doch Se. Excellenz anständig empfangen. In Tiszarét werden immer Mörser abgefeuert, und wir dürfen nicht schlechter sein.‹«
War es dieser Grund, oder die Erwähnung der jungen Frau, die den aufgebrachten Hausherrn plötzlich beschwichtigte, so viel ist gewiß, daß er nur Einiges über die Unvorsichtigkeit der Frauen zwischen den Zähnen murmelte und ebenfalls in das Haus ging, wo sich indessen im großen Saale die ganze Gesellschaft versammelt hatte, und die Deputation eben jetzt vor den Obergespan trat.
Die Deputation war glänzend, d. h. sie bestand beinahe ausschließlich aus gold- und silberverzierten Kleidern. Sóskúty, der jetzt die Würde eines ganzen Comitates in sich fühlte, verneigte sich dreimal vor dem Obergespan; die Deputation im Halbkreise aufgestellt, ahmte die Bewegung ihres Führers spornklirrend nach, in des Begrüßten Angesicht aber war, außer dem schon erwähnten blauen Fleck, der Ausdruck freundlicher Herablassung zu lesen; die feierliche Stille, die den Complimenten folgte, füllte jede Brust mit Ehrfurcht, und es überrascht mich gar nicht, daß der Dechant Zsolvay noch mehr erbleichte und den langen Titel des Obergespans mit leiser zitternder Stimme herzusagen begann. Aengstigender war es, daß der Redner, nachdem er aus dem Sacke seines Mantels seine Rede hervorgezogen und das Quartformat aufgeschlagen hatte, seine Stimme zwar merklich erhob, aber doch bis gegen das Ende des Titulates schwächer und endlich beinahe unhörbar wurde.
Nach dem Titel Pause.
Sóskúty schleicht sich behutsam zum Redner: »Lesen Sie nur darauf los, was es immer sei.«
Der Redner, der indessen mit Beben die ersten Zeilen der Handschrift überflogen hatte, that sich Gewalt an und begann:
»Mit freudigem Angesicht tratst du, ruhmwürdiger Mann, in den Kreis deiner Verehrer, und wo bisher Viele sehnend nach dir geseufzt, pocht nun jedes Herz freudig über deinen Anblick.«
Der Obergespan bedeckte mit dem Schnupftuch den einzigen dunklen Fleck seines erheiterten Angesichtes. Sóskúty fühlte seine Besorgniß beschwichtigt und rief mit der ganzen Deputation: » Helyes!« Helyes, ist ein beistimmender Zuruf, der oft gehört wird. nur der Pfarrer des benachbarten Dorfes, der eben in Cserepes anwesend, sich der Deputation angeschlossen hatte, bewegte sich unruhig zwischen zwei Beisitzern.
»Ehrfurcht und Dankbarkeit folgen deinem Schatten,« fuhr der ermuthigte Redner fort, »und in den Gemarken deines Comitates ist Niemand, der nicht stolz wäre auf den Gedanken, daß du es bist, den er seinen Vorsteher nennen kann.«
»Der stutzt seine Worte zierlich auf,« flüsterte einer der beiden Beisitzer, während der Redner in gleichem Tone fortfuhr, und immer lauter und lauter die künstlich gedrechselten Sätze hören ließ.
»Ich bitt' unterthänig,« sprach der Pfarrer immer unruhiger, »diese Rede habe ich gemacht.«
»Wie diese Geistlichen neidisch sind,« sprach der zweite dicke Gerichtstafelbeisitzer zum ersten, beide wandten ihre Aufmerksamkeit wieder dem Redner zu, der übrigens umblätternd mit gedämpfter Stimme fortfuhr: »Die Heerde, die jetzt vor dir steht« (die überraschte Deputation schüttelte bedenklich das Haupt), »ist nur ein kleiner Theil jener Menge, die auf deinen Triften weidet, und jener, der sie dir jetzt vorführt« (hier verwunderte sich Sóskúty nicht wenig), »ist nicht besser als die Uebrigen, wenn er auch dein Kleid trägt, kann er doch deine Aufsicht als oberste Hoheit nicht entbehren.«
Ein Theil der Zuhörer stutzte, der Obergespan selbst konnte ein Schmunzeln nicht ganz unterdrücken.
»Hochwürdiger Herr, was thun Sie,« flüsterte Sóskúty, »blättern Sie um.« Und der Redner blätterte um und fuhr halb außer sich fort: »Hier suchst du vergebens Wissenschaft, vergebens Verdienste um das Vaterland, vergebens alles das, worauf die Menschen stolz sein können,« – die Deputation wurde immer unruhiger – »Bauern siehst du vor dir.« Hier brach der Unwille los.
»In ihren Festkleidern.«
»Sind Sie närrisch, hochwürdiger Herr?«
»Aber alle gute Christen,« seufzte Zsolvay mit der Resignation eines Engels, »es ist kein Ketzer in der ganzen Heerde.«
»Er ist außer sich, rufen wir Éljen!« und Alle schrieen Éljen.
»Sie haben meinen Mantel ausgetauscht!« rief Zsolvay, und zog sich dann wieder zurück, während der Obergespan, so viel ihm das Lachen erlaubte, seinen Dank aussprach.
»Woher haben der hochwürdige Herr meine Rede?« sprach der kleine Pfarrer, den wir schon beim Beginne der Rede so unruhig gesehen, sobald er zu Zsolvay gelangen konnte, der sich in das Nebenzimmer zurückgezogen hatte.
»Lassen Sie mich, Sie haben mich unglücklich gemacht.«
»Schön! Sie sagen meine Rede auf; und ich, der ich sie mit so viel Mühe ausgearbeitet habe, was soll ich übermorgen dem Bischof bei der Kirchenvisitation sagen?«
»Aber ums Himmels willen, warum haben Sie meinen Mantel genommen?«
»Ihren Mantel?«
»Ja wohl, sehen Sie nur nach, meine Rede muß ja darin stecken.«
Und der Angeredete zog aus der Tasche eine ähnliche Handschrift heraus und schlug die Hände zusammen. »Richtig, es ist Ihr Mantel. Die beiden Redner waren sehr betrübt, und trotz allen Tröstens – und obgleich der Obergespan den Vorfall unvergleichlich nannte, theilten sie die allgemeine Freude nicht, der wir jetzt den Obergespan und die Stände mit dem einzigen Wunsche überlassen, daß diese schöne Harmonie auch in den Tag der Restauration selbst hinüberklinge, an dem wir sie bald sehen werden.