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Viertes Capitel.

Der Unbekannte, den wir zuvor aus dem Gartengraben aufstehen sahen, blieb dem Feuer nahe, aber außer dem Lichtbereich desselben stehen, und warf ein paar spähende Blicke in die Umgegend. Das auflodernde Strohfeuer verbreitete zweifelhaftes Licht über die Gegenstände, unter denen ein sogenannter Reiserbrunnen zuweilen wie ein großes Gespenst auftauchte und wieder im Dunkel verschwand. Neben dem Feuer saß ein Mann zusammengekauert, schürte mit einem kleinen Stabe das brennende Stroh, damit es besser auflodere, und begann aufs Neue jenes Lied, das der Unbekannte beim Gartengraben gehört, und wornach er seine Schritte gerichtet hatte. Er sang:

Die Völker sie theilten die Welt, so groß!
Wir kamen zu kurz dabei,
Der arme Zigeuner ist heimatlos!
Wohl heimatlos ist er – doch frei!

»Singst du schon wieder das Nagyidai Trauerlied, Alter?« Nagyidai nóta – heißt das Trauerlied der Zigeuner in Ungarn. Nagyida ist ein Ort, den die Zigeuner während der Rákóczischen Unruhen für ihn tapfer, aber fruchtlos vertheidigten. – Die Überlieferung setzt hinzu, daß die Belagerer schon abzogen, als ein Zigeuner ihnen vom Walle nachrief: »Wir würden euch nicht so ruhig abziehen lassen, wenn wir noch Pulver hätten.« Hierauf kehrten die Belagerer um und gewannen den Ort. sprach der Unbekannte, der sich indeß dem Sänger genähert, und bei dem letzten Worte ihm die Hand freundschaftlich auf die Schulter gelegt hatte – »was fehlt dir?«

Peti – denn er ist es, mit dem wir uns wieder zusammenfinden, blickte sich um, und wie er das Angesicht des Unbekannten bei dem Feuer erschaute, sprang er auf, faßte ihn bei der Hand, und zog ihn aus dem Lichtkreise, in dem er stand: »Um Gottes Willen! wenn dich Jemand sieht!« sprach er leise zu dem widerstrebenden Freunde.

»Bist du verrückt?« entgegnete der Andere, indem er seine Hände befreite und zum Feuer zurückging, »dort im Gartengraben bin ich gelegen, bin naß bis auf die Haut, ich muß mich trocknen.«

»Nein, nein! du mußt fort,« drängte Peti, »das ganze Dorf ist deiner Feinde voll, wer weiß, ob uns nicht Jemand nahe ist, wenn er dich erkennt, ist es aus mit uns; du mußt fliehen, Viola, so weit dich die Füße tragen.«

»Aber ich bitte dich, Alter,« antwortete Viola, indem er sich behaglich am Feuer niederließ, »auf eine halbe Meile ist außer uns kein Mensch auf der Haide, was fürchtest du also?«

»Dich kennt man auf eine halbe Meile; du weißt, heute Nachmittag standen wir beim Szent-Vilmoscher Walde, und die Panduren hier am Gartenende, und doch haben sie dich erkannt.«

»Ei, so wie wir sie; sie muthmaßten, daß ich es sei – und wenn sie gerade solche Lust haben, mit mir zusammen zu kommen,« setzte er hinzu, seine Pistolen aus dem Gürtel ziehend, und untersuchend, »ich bin bereit, bei Nacht fürchte ich Niemanden.«

»Viola, Viola, dich verdirbt deine Tollkühnheit am Ende doch,« sprach Peti betrübt, »du verachtest die Gefahr, und wirst in ihr zu Grunde gehen.«

»Und ist es am Ende nicht besser,« sprach der Räuber, indem er das Beil neben sich niederlegte, »ist es nicht besser, sterben als so leben, wie ich lebe? Den Tag verfluchen, wenn er beginnt, weil er Licht über die Erde verbreitet und die Verfolger auf meine Spur führen kann; vor dem Geräusche zittern, das der Vogel in den Zweigen verursacht; einen Feind sehen in jedem Baumstrunk, wenn ich Abends durch die Wälder ziehe, fliehen vor den Menschen, die ich liebe, die Tage verleben unter den Thieren des Waldes, damit ich des Nachts von Galgen und Henker träume – dies ist mein Leben; glaube mir, Peti, es ist nicht der Mühe werth, es besonders zu schützen.«

»Und Weib und Kinder?«

»Ja wohl – Weib und Kinder,« sprach jener und seufzte tief auf, und starrte in das Feuer, dessen schwacher Schimmer eben hinreichte, um den Ausdruck von Trauer wahrnehmen zu lassen, der bei diesen Worten sich über das männliche Antlitz verbreitete.

Viola war ein schöner Mann; die hohe Stirn, zur Hälfte durch Rabenhaare überdeckt, die auf die Schultern herabflossen, der kühne Blick der schwarzen Augen, der männliche Ausdruck des sonnegebräunten Angesichtes, der natürliche Anstand, der sich in jeder Bewegung der hohen Gestalt kundgab, mahnte unwillkürlich daran, daß du vor einem jener Menschen stehst, die, von der Natur vielleicht zu einem großen Manne geschaffen, unerkannt, im Bauernkleide durch die Welt schreiten; glücklich, wenn ihr böses Geschick sie die Kraft nicht ahnen läßt, die ihnen innewohnt: wenn ein unbekanntes Grab das Herz bedeckt, dem die Welt keinen großen Gegenstand bot, für den es hätte schlagen können.

»Sei nicht traurig, Kamerad,« unterbrach Peti das Schweigen, »es kann noch Alles besser werden, jetzt aber mußt du gehen, hier sind wir keinen Augenblick sicher, die Restauration ist nahe, Nyúzó fürchtet sich, daß er nicht wieder gewählt wird, und wird Alles aufbieten, um sich durch deine Gefangennehmung ein Verdienst zu machen. Nachdem wir heute zusammen gesprochen hatten, haben mich seine Panduren eingefangen und zu ihm gebracht. Der Himmel schlage den Henker, er war so grob mit mir, er drohte mir dergestalt, daß sich mir die Haare sträuben, wenn ich daran denke, und wenn der gute junge Herr Ákos nicht gewesen wäre, den Gott segnen möge, der mich gerettet hat, so läge ich jetzt nicht neben dir, sondern auf dem deres Deres – sprich Deresch; die Bank, auf der die Verbrecher gestraft werden.. Nyúzó hat Spione unter uns; er hat sie nicht genannt, aber so viel ist gewiß, daß er jeden deiner Schritte weiß, und es ist ein wahres Wunder Gottes, daß du nicht gefangen bist. Wenn wir nicht darin überein gekommen wären, daß wir uns hier beim Feuer treffen, so hättest du auch gewiß seiner List nicht entrinnen können. Der Wirth und seine Leute liegen im Keller, und an ihrer Statt sind Panduren, als Bauern verkleidet, im Wirthshause. In deinem Hause lauern gleichfalls Panduren, und dem Dorfe ist befohlen, daß Jeder mit einer eisernen Heugabel ausrücken soll, sobald die Kirchenglocke das Zeichen gibt. Als ich gefangen vor ihm stand, erzählte Nyúzó dies Alles unter vielen Flüchen selbst, und als ich frei wurde, sah ich mit eigenen Augen, daß es wahr ist.

Ich setzte mich also hieher, und schon seit einer Stunde brülle ich mein Lied und zittere dabei wie ein Espenlaub. Es ist ein wahres Glück, daß wir uns getroffen haben.«

Viola sprang auf, »Panduren in meinem Hause, und mein Weib ist krank, wie du sagst!«

»Um die sei unbekümmert,« sagte der Andere, »Susi ist nicht mehr im Hause, und so weit es einem kranken Menschen gut gehen kann, geht es ihr gut. Sie haben sie zum Notär gebracht.«

»Zu Tengelyi? – als Gefangene?«

»Nein, o nein! mit aller Sorgfalt und Pflege, nur aus christlicher Nächstenliebe.«

»Aus christlicher Nächstenliebe,« murmelte Viola, zwischen den Zähnen, »und wenn es nur eine Schlinge wäre, Alter? Mein Weib in den Händen des Notärs; weißt du, daß, wer Susi in den Händen hat, mein Leben in den Händen hat?«

»Dies einemal irrst du dich,« sagte der Zigeuner schmunzelnd, »ich wähnte anfangs auch so, aber als sie mir sagten, daß der alte Tengelyi es gar nicht gewußt, daß alles durch Vilma geschehen sei, da war ich beruhigt. Der Alte mag sein wie er will, aber daß das Mädchen ein Engel ist, darauf schwöre ich. Aber jetzt zögern wir nicht länger, bis Sonnenaufgang muß ich in Szent-Vilmosch sein, und dir kann jede Minute, die du hier verweilst, das Leben kosten.«

»Ich weiche nicht einen Schritt von hier, bis du mir nicht genaue Nachricht gibst von Susi's Zustand, mir ist das Ganze unbegreiflich.«

Peti erzählte so kurz wie möglich, doch indem er Susi's bedenklichen Zustand verschwieg, was unsere Leser von der Familie Viola's bereits wissen. Viola hörte zu, auf seinen Fokos gestützt; man hätte ihn für eine Bildsäule halten mögen, wenn nicht zuweilen tiefe Seufzer seine Brust geschwellt hätten.

»Du armes Weib, also dahin mußte es mit dir kommen,« sprach endlich Viola, »dahin, daß du wie eine Bettlerin auf das Brod des Erbarmers beschränkt bist, daß du wie der Landflüchtige bei Anderen Unterkommen suchen mußt. Mein Gott! was hat dieses vortreffliche Geschöpf gegen dich gesündigt, daß du es auch verfolgst?«

»Gehen wir, gehen wir,« unterbrach ihn Peti, »deine Frau ist geborgen, und wir haben keine Zeit, über die Ungerechtigkeit der Welt zu lamentiren; vielleicht kommt einmal der Zahlungstag, da werden wir ihnen unsere jetzige Noth vergelten; ich glaube wenigstens, daß ich den Herrn Nyúzú einmal fürstlich belohnen werde. Es ist mancher schon im größeren Gedräng gewesen, als du jetzt, und ist deshalb doch nicht zu Grunde gegangen, wenn sie ihn nicht gehenkt haben.«

»Wer spricht denn von mir? Ich bin das Alles längst gewohnt, an weinen Händen klebt Blut, und es ist vielleicht gerecht, daß Gottes Fluch auf meinem Haupte lastet; aber sie! sie, die ich so liebe, die noch Niemanden beleidigt hat, seit sie auf der Welt ist, die wie mein guter Engel neben mir steht und meinen Arm zurückhält, wenn ich ihn rachezürnend erhebe, die stundenlang in der Kirche betet, deren einziges Verbrechen ist, daß sie mich liebt – warum auch sie strafen? Mich mögen sie verfolgen, quälen und meinetwegen henken, mir liegt nichts daran, aber ihr sollen sie nichts zu leide thun!«

»Aber wer wird ihr denn auch etwas anhaben?« sprach Peti immer ungeduldiger, »man hat sie nie besser gepflegt, doch gehen wir, denn wahrhaftig wir kommen übel an, und nur du allein trägst die Schuld.«

»Im ganzen Dorfe – so sagtest du, nahm sich Niemand ihrer an, Niemand wollte sie bei sich aufnehmen, Tengelyi abgerechnet?«

»Ich sagte schon, nein; – der Oberstuhlrichter hatte es verboten und sie wagten es nicht.«

»Gut, schon gut, ich werde schon mit ihnen abrechnen. Nie hab' ich Jemandem aus dem Dorfe etwas angethan, nie ist ihnen auch nur ein Stück Vieh verloren gegangen, und wenn die Meinen in der höchsten Noth sind, ist im ganzen Dorfe nicht Einer, dem es beifiele, daß Viola auch den rothen Hahn auf Tiszarét herabsteigen lassen könnte.«

»Du hast Recht,« sprach Peti dazwischen, indem er seine Hand ergriff, »manchmal ist ein Bischen Rache recht gut! sie erinnert die Menschen, daß es noch Gerechtigkeit auf der Welt gibt, und sie geben besser Acht. Komm nur jetzt mit mir gegen Sz.-Vilmosch, dort bist du im Walde ein paar Tage sicher, denn der Kanász Kanász – Schweinhirt. ist unser Mann. Dorthin rufen wir auch die Uebrigen und beratschlagen, jetzt könntest du im Dorfe doch nichts unternehmen; Alle sind auf den Beinen gegen dich.«

»Geh nur voraus; ich habe hier noch ein kleines Geschäft.«

»Wo?« fragte Peti und hielt den Andern, der gegen das Dorf gehen wollte, bei der Bunda Bunda – der ungarische Schafpelz. zurück.

»Ich sage dir, gehe voraus nach Sz.-Vilmosch und erwarte mich beim Kanász, ich muß ein paar Worte mit dem Notär reden, bis zur Morgenröthe bin ich bei Euch; kocht indessen Etwas, ich bin hungrig.«

»Vielleicht sind die Raben auch hungrig und haben dir aufgetragen, daß du dich sollst henken lassen, ihnen zur Nahrung; wenn du in das Dorf gehest und noch obendrein zu Tengelyi's Haus, so bist du ein Kind des Todes.«

»Viola fängt man nicht so leicht, wie du glaubst; ich sage dir noch einmal, und wenn es zu deiner Beruhigung nöthig ist, so bringe ich dir den Haiduken-Commissär gebunden mit, und wir können Statarium über ihn halten.«

»Das wäre ja Alles gut, wenn die Tiszaréter noch auf deiner Seite stünden: da würde jedes Haus dir als Zufluchtsort dienen und im ganzen Hotter wäre kein Mensch, der dich um ein Königreich verrathen würde; aber seitdem der Prediger ausgeraubt worden ist, hat sich Alles geändert: sie schwören, daß du es gethan, und nun sind Alle gegen dich.«

»Das wird sich später auch aufklären, und eben deshalb muß ich mit Tengelyi sprechen. Seitdem ich lebe, war ich noch keinem Menschen verpflichtet, der wie ein Herr aussah; der Notär ist der erste, und er soll nicht sagen, daß ich undankbar bin.«

»Aber was hat denn der Notär für einen Nutzen davon, wenn sie dich fangen?« fragte Peti, der Viola's unerschütterlichem Vorsatz nachgebend, nun mit ihm dem Dorfe zuging.

»Gegen Tengelyi ist ein niederträchtiger Plan entworfen; dieselben Hände sind dabei beschäftigt, die beim Prediger geraubt haben, ich muß es ihm zu wissen thun.«

»Noch heute?«

»Allerdings; wer weiß, ob es morgen nicht schon zu spät wäre, die guten Vögel sind sehr heißhungrig auf den Raub; in einer Stunde längstens ist Alles in Ordnung; gehe du nach Sz.-Vilmosch.«

»Ich?« sprach der Zigeuner kopfschüttelnd, »Bruder, daraus wird nichts. Wenn ich dich nicht zurückhalten kann, so kannst du wenigstens nicht befehlen, daß ich dich in so großer Gefahr allein lassen soll. Wenn Viola gehenkt wird, so hat der Zigeuner Peti nichts mehr auf der Welt zu thun.«

Schweigend drückte Viola die Hand des treuen Freundes, und die beiden Gesellen nahten raschen Schrittes dem Dorfe, wo indessen zur Einbringung des Räubers so viel Vorbereitungen getroffen wurden. Nicht nur in Viola's Haus und in der äußeren Csárda lauerten Panduren, wie dies der Leser schon weiß, sondern auch in den Hauptgassen des Dorfes, bei dem Wirthshause und bei allen jenen Bauern, bei denen der Räuber zuweilen einzusprechen pflegte, waren Soldaten, Aufseher oder wenigstens ein Kleinrichter auf der Wache, während Réty's Hausleute mit eisernen Gabeln und Knütteln bewaffnet in der großen Scheune, und jeder Bauer dem Befehle gemäß im eigenen Hause den entscheidenden Augenblick erwartete, bei dem ersten Glockenklang hervorzubrechen gegen das einzelne Ungethüm. Durch einige für das allgemeine Wohl eifernde Beisitzer, die für ihre Gulya Gulya – Hornviehheerde. fürchteten, und die Freigebigkeit einiger hochherzigen Frauen waren überdies hundert Gulden zusammengebracht worden, demjenigen zum Lohne, der den Räuber lebend oder todt – was übrigens für diesen nur 24 Stunden Unterschied betragen hätte – der Gerechtigkeit einlieferte. Und wenn er diese Nacht wirklich nach Tiszarét kommt, so bin ich ganz einer Meinung mit dem Oberstuhlrichter Nyúzó, daß ihn nur ein Wunder retten kann; aber wegen des Ersten, d. h. nämlich ob er ins Dorf kommt, walteten noch einige Zweifel. Denn während Nyúzó und sein Geschworener auf der Hasenhetze waren, hatte der Commissär Kánya, der in ihrer Abwesenheit in Tiszarét befehligte, alle Anordnungen unter Trommelschlag und unter der Sanction von fünfundzwanzig Stockstreichen publiciren lassen, und obgleich der Oberstuhlrichter, als er dieses strategische Manöver erfuhr, nicht wenig fluchte und alsobald den Befehl ergehen ließ, daß Niemand das Dorf verlasse, war doch zu besorgen, daß Viola die gegen ihn eingeleiteten Rüstungen erfahren werde, und diese Besorgniß wurde endlich zu einer so starken Ueberzeugung, daß nach zehn Uhr, als Viola und Peti sich Tiszarét nahten, nicht nur die Bewohner von Tiszarét, durch die großartigen Vorbereitungen ermattet waren, sondern auch ein großer Theil der Aufpasser und Panduren sich zur Ruhe begeben hatte.

»Wart' ein Bischen hier auf mich,« sprach Peti zu seinem Gefährten, als sie zu den Tretplätzen Tretplatz. Die Frucht wird in einem großen Theile von Ungarn nicht gedroschen, sondern durch Pferde ausgetreten. Die Tretplätze sind zumeist am Ende des Dorfes und einer neben dem andern. gelangt waren, »ich will mich ein wenig umsehen; hierher neben den Weg haben sie so ein paar beschnürte Hallunken gestellt, und ich will doch sehen, was sie machen.« Viola blieb stehen, und während der Alte wie ein Fuchs über den Graben kroch und zwischen den Heuschobern verschwand, bereitete er seine Waffen.

Nach ein paar Minuten kam Peti zurück. »Sie schlafen,« lachte er, »na! wenn alle ihre Schuldigkeit so erfüllen, dann sind wir ganz geborgen.« Und durch die Tretplätze eilend, gelangten sie bald ins Dorf.

Hier war Alles ruhig und still, das Wirths- und Gemeindehaus abgerechnet, flimmerte nur hie und da eine Lampe durch das kleine Fenster, und Peti und sein Genosse gingen eilends aber lautlosen Schrittes zwischen den Häusern, so viel als möglich den betretenen Pfaden ausweichend; und bald um eine Straßenecke, bald zwischen Gärten oder in der Vertiefung von Umzäunungen führte der schlaue Zigeuner den Räuber, der ihm schweigend folgte.

Nächst dem Herrschaftsschlosse war Tengelyi's Haus unbezweifelt das schönste in Tiszarét; ja ein Ausländer, dessen Geschmack noch nicht hinreichend ausgebildet war, um das Gemenge von italienischem und französischem Styl, welches unsere Herrschaftsgebäude charakterisirt, zu würdigen, hätte die bescheidene, beinahe bis zum Dache hinauf mit Windling grün überzogene Wohnung, mit den vier Fenstern auf die Straße und dem langen Gang, der auf hölzernen, mit Bohnen umsponnenen Säulen ruhet und dem reinen Hof zugewendet ist, schöner und wohnlicher finden mögen. Tengelyi's Haus war auf der einen Seite von einem schmalen Hofe, auf der anderen von einem etwas breiteren Garten umgeben; die Nachbarschaft bildete einerseits das Gemeinde-, andererseits das Haus des Schmiedes István István. – Stephan. gegenüber hatte der Jude Itzig sein Gewölbe; es war das Einzige in Tiszarét und eben deshalb doppelt merkwürdig, nicht nur als Depôt aller Producte Europas und der beiden Indien, sondern auch durch gelben Anstrich und durch den Gang, der auf blauen Säulen ruhte, wo an Samstagen Itzigs ganzes, aus elf Köpfen bestehendes Geschlecht in schönen deutschen Sammthosen zu sitzen pflegte.

Zu Tengelyi's Wohnung konnte man nur auf zwei Wegen gelangen; entweder neben dem Gemeindehaus oder neben der Schmiede, und obgleich aus des Schmiedes Werkstätte noch Hammerschlag dröhnte, hielt Peti diesen Weg doch für rathsamer, umsomehr, da er wahrnahm, daß in Itzig's Haus kein Licht mehr brannte, und die jüdische Schlange – wie er sich ausdrückte – sich in die innere Höhle zu den Thalersäcken zurückgezogen hatte.

Heraustretend aus dem finstern Winkel, der um des Schmiedes Haus herum in die Hauptgasse mündet, eilten sie dem Hause Tengelyi's zu. Das Feuer aus der Schmiede verbreitete rothes Licht auf die Gasse und auf das Judenhaus, wo hinter geschlossenen Fenstern und Thüren Alles zu schlafen schien. Ueber den lichten Platz hinschreitend, faßte Peti, der, rechts und links schauend, alles bemerkte, plötzlich Viola's Hand, und flüsterte, auf das Judenhaus weisend: »Sie haben uns gesehen,« und in der That erblickten sie hinter einer Säule eine menschliche Gestalt, die aber in einer Minute hinter der Hausthüre verschwand. »Jetzt schnell zum Hause des Notärs, gleich neben der Mauer, in der Umzäunung findest du eine Oeffnung, schlüpfe durch, und verbirg dich, so gut du vermagst, aber um Gotteswillen geh' nicht in das Haus; sobald ich sehe, daß Alles ruhig ist, hole ich dich ab.«

Peti schlüpfte auf die andere Seite der Gasse und verschwand hinter den Häusern; Viola fand nicht ohne Schwierigkeit die Oeffnung, und hatte sich kaum unter die Bäume verborgen, als er sich überzeugte, daß die Besorgniß des Zigeuners nicht grundlos war. Verschiedene Stimmen, die von der Straße hertönten, schnell vorübergleitende Laternen, eilende Schritte und endlich Glockenklang bewiesen, daß das Volk auf den Beinen war, und wer noch gezweifelt hätte, würde durch Nyúzó's und Keniházy's wetteiferndes Fluchen überzeugt worden sein, daß die Gerechtigkeit in unserem Vaterlande nicht immer, ja manchmal sogar noch um halb elf Uhr nicht schläft.

Die Lage Viola's war nicht ohne Gefahr. Tengelyi's Garten war nicht so groß, und auch nicht dergestalt bepflanzt, daß sich Jemand mit Sicherheit dort hätte verbergen können; hierzu kam noch, daß die Fenster des Hauses, die gegen den Garten zu gingen, Licht verbreiteten, und es war kaum etwas Anderes nöthig, als daß Jemand die Zaunöffnung bemerkend, mit einer Laterne suchend kam, und Viola war nicht zu retten. Er aber, schon längst an derlei Gefahren gewohnt, erwartete ruhig den Verlauf der Dinge, und vertrauend seinem günstigen Gestirn und seinem Muthe, bereitete er gefaßt seine Waffen.

Der Lärm schwieg wieder, die Suchenden drängten sich einem anderen Theile des Dorfes zu, und die aus der Ferne schallenden Stimmen nebst der noch immer tönenden Glocke gaben Viola kund, daß die Gefahr zwar noch nicht ganz, aber doch zum Theile vorüber sei; in unserem Vaterlande ist ohnedies bei solchen Gelegenheiten nur die erste Viertelstunde gefährlich, geht diese vorüber, dann sucht Jeder nichts Anderes, als einen Vorwand, alles Suchen aufgeben zu können. Wir sind ein orientalisches Volk und nicht deshalb in den Occident gekommen, um uns hier abzumühen; so daß einer meiner Freunde vielleicht Recht hat, wenn er sagt, daß nach seiner Ueberzeugung unsere Vorfahren ihre Heimat verlassen haben, weil sie ein Land suchten, wo die Sonne später aufgeht und sie länger schlafen können. Viola, der schon öfter in derlei Lagen gewesen und somit dieses charakteristische Merkmal kannte, erhob sich ruhig und schlich sich zum Hause.

In diesem Hause, hinter diesen Fenstern war sein Weib, das einzige Wesen auf der Welt, das ihn liebte, das einzige, an dessen Brust sein durch so viele Schläge verhärtetes Herz sich wieder erwärmte, bei dessen milden Worten der Räuber fühlte, daß er, ausgeschlossen aus dem Kreise der Menschen, von der weltlichen Macht verfolgt, durch die Gerichte verurtheilt, doch noch etwas besitze, dessen ihn die Welt nicht zu berauben vermochte, und das ihn noch mit dem Leben und mit Gott verband. Und Viola's Herz, das in Gefahren so ruhig blieb, schlug hoch auf bei diesen Gedanken, mit denen er von Fenster zu Fenster schleichend, endlich bei einem der letzteren stehen blieb.

In dem Zimmer, in welches er hineinspähte, war Alles ruhig; auf dem Bette schlief das Weib, oder lag wenigstens unbeweglich, neben ihr saß Vilma sie beobachtend; etwas weiter davon am Tische las die alte Lipták in einer alten Bibel und bewegte von Zeit zu Zeit mit ihrem Fuß eine Wiege; nahe bei ihr, auf einem Sessel, das Gesicht dem Fenster zugewendet, schlief Viola's kleiner Sohn, nach dem beglückenden Vorrecht seines Alters, im Traum und Schlaf die Kümmernisse vergessend. Viola konnte die süße Bitterkeit des Wiedersehens lange genießen, und Thränen befeuchteten die längst schon trockenen Augen. Dies Weib, das krank, vielleicht an der Schwelle des Todes, aus ihrem eigenen Hause vertrieben, auf die Barmherzigkeit Anderer gewiesen war; der Knabe mit beflecktem Namen, ohne Verwandte und Freunde, der vielleicht sein Leben bettelnd fristen wird, damit er, herangewachsen, endlich auch Räuber werde, wie sein Vater; dieser Säugling, dem selbst die Mutter nichts Anderes wünschen konnte, als baldiges Scheiden aus diesem Leben, wo ihn, sobald er die Mutterbrust verlassen, nur Bitteres erwartet – gibt es einen traurigeren Anblick? Hatte aber der Verfolgte außer der Liebe dieser drei Wesen Etwas auf dieser Erde, was er sein nennen konnte? Was hielt die Kraft seiner Seele aufrecht, wenn er im Walde oder im Geröhre der Ebene Tage lang herumstreifte, als die Hoffnung jenes Wiedersehens, das jetzt seine Augen mit Thränen füllte? Wahrlich, es ahnt Niemand, wie viel edle Gedanken, wie viel schöne erhabene Empfindungen oft selbst in der Brust desjenigen verborgen sind, über dessen Haupt die Welt längst den Stab gebrochen.

Der Säugling fing an zu weinen, die alte Lipták nahm ihn auf die Arme, und ging, dem Kleinen schmeichelnd, im Zimmer auf und nieder; der kleine Pista rieb sich die Augen und schaute ungewiß umher, als wisse er nicht wo er sei. Plötzlich blickte der Kleine gegen das Fenster hin, und bemerkte Viola, der Alles um sich her vergessend, unbeweglich stand; da springt der Knabe vom Sessel, schlägt freudig die Hände zusammen und schreit laut auf: »Der Vater! der Vater!« und läuft zum Fenster hin.

»Der gütige Gott gebe, daß er nicht hier sei,« sprach die alte Lipták, die indessen auch zum Fenster gegangen war, »du redest im Traume, mein gutes Kind, schweige, sonst weckst du deine Mutter.«

»Liebe Nénike,« Néném – ältere Schwester, man nennt auch ältere Verwandte, ja auch andere ältere Personen so, mit denen man gut ist. flüsterte der Kleine, »ich rede nicht im Traume; er war gewiß da, dort ist er beim Fenster gestanden, ich habe sogar die Blumen auf der kurzen Bunda gesehen.«

»Du siehst ja; es ist Niemand da.«

»Ei wohl,« antwortete der Knabe beinahe weinend, »jetzt ist er nicht da, aber er war da, ihr könnt es glauben; wie ich zum Fenster kam, ist er verschwunden, dort hinter jenem Gebüsch, aber er ist gewiß im Garten, ich gehe gleich hinaus und rufe ihn.«

»Was fällt dir ein?« sprach die Lipták, den Knaben bei der Hand zurückhaltend, »dein Vater ist ja –,« und die gute Frau hielt inne, weil sie keine Worte fand, um dem Sohne mild beizubringen, was sie von seinem Vater sagen wollte.

»Freilich,« fuhr der Kleine fort, indem er sich die Augen trocknete, »der Vater muß sich verbergen – aber nicht wahr, es ist erlogen, daß der Vater ein Räuber ist, wie die Panduren sagen?«

»Nein, nein, mein Sohn,« flüsterte die alte Lipták, »bleibe nur ruhig, und sage Niemandem etwas, verstehst du? nicht einmal dem Fräulein, ich gehe hinaus, und wenn dein Vater im Garten ist, so rede ich mit ihm.«

Vilma, die beim ersten Aufschrei des Knaben sehr erschrocken war, glaubte nun selbst, daß er blos im Traume geredet; sie rief den Knaben zu sich und blieb im Bette. Die Lipták ging in den Garten.

Indessen war Viola's Lage sehr bedenklich geworden; als er sich von dem Fenster zurückgezogen, wo ihn der Sohn erkannt hatte, bemerkte er, daß seine Bewegungen durch noch Jemanden beobachtet wurden; vor der Oeffnung, durch die er hereingeschlüpft war, stand Jemand; bei dem zweifelhaften Lichte, das die Fenster in dieser Gegend verbreiteten, konnte er den Lauscher nicht erkennen; er sah aber, daß das Wesen sich zurückzog, sobald es sich bemerkt sah, und er hörte deutlich, daß es sich laufend entfernte. Was sollte er thun? Im Garten konnte er nicht bleiben, dieser war zu klein und zu offen nach allen Seiten, als daß er sich hätte verbergen können; auf den Gassen außer dem Volke noch Panduren; im Hause lauter Fremde, denen er sich nicht vertrauen konnte. Die Lärmglocke ertönte neuerdings, und nahende Laternen und Schritte zeigten ihm an, daß seine Dränger, wissend, wo er sich aufhalte, wieder auf den Beinen seien.

Da trat die alte Lipták in den Garten und rief mit gedämpfter Stimme: »Viola!« Dieser, weil er kein anderes Mittel sah, ging gerade zu ihr und eröffnete ihr die ganze Gefährlichkeit seiner Lage.

»Ei! Ei! Bruder, warum bist du gerade heute gekommen!« sprach die Alte, »bis übermorgen ist der ganze Lärm vorüber, und da hättest du getrost kommen mögen.«

»Gut, gut! aber was beginnen wir jetzt? könnt Ihr mich ins Haus führen, ohne daß es Jemand bemerkt?«

»Ohne daß man dich bemerkt, nein! aber der Notär ist nicht zu Hause, und Vilma wird dein Judas nicht sein. Warte nur hier auf mich.« Und die Alte ging hinein, und Viola lehnte sich an die Mauer und erwartete ruhig ihre Rückkunft. Indessen wuchs der Lärm, von der Gasse her tönte Waffengeklirr und des Stuhlrichters Fluchen, als jene Thüre des Hauses, die zum Garten führt, sich öffnete, und die Lipták dem Harrenden ein Zeichen gab. Viola, derlei Lagen gewohnt, schlüpfte neben der Wand hin, so daß das Licht aus den Fenstern ihn nicht traf, und gelangte in seinen Schlupfwinkel.

»Wo ist er, wo?« kreischte Nyúzó an der Umzäunung, »so ist der kostbare Vogel doch endlich in die Schlinge gerathen.«

»Nur ruhig, Bursche,« rief der Geschworene, um ein Bedeutendes rückwärts, »nur muthig, was solltet ihr fürchten? Wer ihn gefangen und gebunden dem Comitat abliefert, bekommt 100 fl.; nur vorwärts, meine Kinder, ins Teufels Namen.«

»Ist Jemand auf der anderen Seite des Gartens?« rief eine Stentorstimme, in der alle den Commissär erkannten.

Niemand antwortete.

»Ihr vermaledeiten Tagediebe, was steht ihr hier!« brüllte abermals Paul Nyúzó, »warum ist Niemand auf der anderen Seite?«

»Der gnädige Herr hat ja befohlen, daß wir hierher kommen sollen,« sprach bebend ein Pandur, worauf als Antwort nur ein Klatschen gehört wurde, welches man in dieser Finsterniß leicht für eine Ohrfeige hätte halten können. »Geschwind hinüber auf die andere Seite, aber nicht zu viele, und bindet ihn gut.«

»Wenn er sich widersetzt,« rief der Geschworene drein, »nur gleich niederschießen.«

»Das ginge noch ab,« fiel der Oberstuhlrichter ein, »wer ihn todt schießt, den schlag' ich todt, ich lasse mich nicht um die Genugthuung bringen, daß ich ihn selbst aufhenken lasse.«

Während dieser Vorbereitungen und Anordnungen, die mit der gewohnten ungarischen Pünktlichkeit gegeben und ausgeführt wurden, hatte die Lipták den Räuber in der Kammer hinter ein paar Fässer versteckt und setzte sich ruhig zur Wiege, wo sie früher gesessen.

Vilma zitterte am ganzen Leibe.

»Fürchten Sie nichts, mein Fräulein,« sagte die Lipták besonnen, »wir sind ja in einem adeligen Hause; hier herein dürfen sie nicht; ja wenn es bei einem so armen Menschen wäre, wie unsereins, da wär's was Anderes, da würden sie Alles zu oberst und unterst kehren, aber in einer adeligen Curia ist das anders.«

Dies einemal aber täuschte sich die Lipták, und bald konnte sie sich überzeugen, daß sie in einem Lande lebe, in welchem das, weil etwas im Gesetze steht, deshalb noch kein Grund ist, daß es auch gehalten werde. Nachdem nämlich Paul Nyúzó den Garten von allen Seiten umstellt und auf mächtigen Anruf, mit dem er Viola aufforderte, sich zu ergeben, keine Antwort erhalten hatte, so hielt er nähere Untersuchung für nöthig, stellte einen Theil seiner Leute draußen auf und führte die Uebrigen durch die nur mit einer Klinke versehehene Thür in den Garten, und mit Laternen und Knütteln über Melonen-Beete hinüber. Vilma's Blumen und Frau Elisabeth's große Krautköpfe niedertretend, drängte sich der unordentliche wilde Haufe von beiden Seiten in den Garten, bis sie endlich in der Mitte zusammentrafen und der Commissär statt des »Galgenstrickes,« den er immer rief, den gnädigen Herrn Paul Nyúzó vor sich sah, den der ganze Haufe mit stupider Verblüffung anstarrte.

»Er ist bestimmt im Hause,« sprach zuletzt Nyúzó, und Keniházy, der indessen zur Ueberzeugung gelangt war, daß er mit seinem Feinde nicht zusammentreffen werde und sich deshalb bereits den Uebrigen angeschlossen hatte, trat mit dem Rathe auf, das Haus zu durchsuchen, was mit allgemeiner Zustimmung aufgenommen wurde. Nyúzó, der den Commissär und die Haiduken in den Hof gesendet hatte, nahte sich schon jener Hausthüre, die in den Garten führte, als plötzlich Frau Elisabeth vor ihm stand und mit dem Fortissimo ihrer zarten Frauenstimme den ganzen Haufen zum Stillschweigen zwang.

Elisabeth war ein gutes, sanftes Geschöpf, aber es gab einen Punkt, über den hinaus, außer ihrem Mann, Niemand ihre Geduld auf die Probe stellen durfte, ohne zu erfahren, daß er es mit einer ungarischen Dame zu thun hatte, die zu jener Kategorie von Frauen gehört, welche wie die Rosen in zarter Jugend wohl am schönsten blühen, aber gegen den Herbst zu auch am stärksten zu stechen vermögen – und dieser Punkt war erreicht.

Elisabeth wußte vom Geschehenen nichts. Tengelyi hatte gegen neun Uhr vom Vicegespan in einer dringenden Angelegenheit einen Brief erhalten, und war zu ihm gegangen; Vilma saß, wie wir wissen, am Bette der Kranken, und Elisabeth lag ihrer Gewohnheit nach schon im Bette, wo sie, bald einschlafend, nicht träumte, daß Viola in ihrem Hause verborgen sei, oder daß hier Jemand gesucht werde. Wie nun der Lärm zu einer solchen Höhe stieg, daß sie nicht weiter schlafen konnte, sprang sie aus dem Bette und schaute nach dem Garten; und als sie die Flüche hörte, und ihren Stolz, die großen Krautköpfe zertreten sah, besonders aber als sie die Ursache erfuhr, können sich meine Leser den edlen Zorn denken, der jetzt ihren Busen schwellte.

»Was ist das?« rief sie, eben nicht mit dem angenehmsten, aber umso kräftiger zum Herzen dringenden Discant, »wer untersteht sich, in finsterer Nacht das Haus ehrlicher Leute zu überfallen; was für Räuber, Diebe, Mörder hausen hier? Gleich hinaus, gleich fort von hier! Dies ist ein adeliges Haus, hier hat Niemand was zu suchen, den ich nicht rufe. Den Schaden werdet Ihr schon büßen.«

Nyúzó, dem während dieser Rede, ich weiß nicht warum, die Violentialgesetze einfielen, und der andererseits sein Ansehen gefährdet sah, suchte verwirrt sich zu entschuldigen.

Aber Elisabeth wollte, weil das Recht auf ihrer Seite stand, nichts von seiner Rechtfertigung hören, und griff den Oberstuhlrichter umso heftiger an, je mehr sie ihn verabscheute, und je vollständiger sie die Gelegenheit zu benützen gedachte, ihm Alles zu sagen, was wir mit einiger Poesie »Wahrheit« zu nennen pflegen. Wie könnten wir verlangen, daß ihr, während der ganze Zorn ihres Busens aufloderte, einfallen sollte, wie viel der Zorn eines Oberstuhlrichters selbst dem vortrefflichen Dorfnotär schaden könne.

»Frau Tengelyi,« sprach endlich der Oberstuhlrichter mit zornerstickter Stimme, »mäßigen Sie sich. Ich komme im Namen des Comitats, bedenken Sie, daß Sie vor Ihrem Vorgesetzten stehen!«

»Mein Vorgesetzter?« schrie Elisabeth, »der Herr ist der Vorgesetzte von Räubern und Dieben, nicht der meine; was ist mir ein Comitat, oder ein Stuhlrichter; ich bin eine Ehefrau, und ich will doch sehen, wer ohne meine Erlaubniß in mein Haus tritt.«

Nyúzó war ein vernünftiger Mann, der sich im Falle der Noth auch mit Füßen treten ließ, wenn es nämlich mit einigem Gewinn verbunden war, aber seine Geduld gegenüber einer Dorfnotärfamilie hatte Grenzen, und diese waren längst überschritten.

»Das werden wir gleich sehen!« brüllte er halb außer sich. »Vorwärts Bursche, hinein in das Haus, stöbert jeden Winkel aus, bis ihr den Räuber findet: wer sich widersetzt, wird gebunden; wir werden schon sehen, wer hier befiehlt!«

»Einen Stock! einen Stock!« schrie Elisabeth wüthend, und ihres Mannes Stock erhebend, den ihr eine Magd gebracht hatte, rief sie mit triumphirender Miene: »Ich opponire!« Ein ungarisches Rechtsmittel, wodurch man die Gerichtsperson von ihrem Verfahren abzustehen zwingt.

Der Geschworene, der eben vor ihr stand, erschrak und retirirte, und Nyúzó selbst war verblüfft. Ich glaube aber doch nicht, daß die Rechte der Frau Tengelyi wären respectirt worden, wenn nicht zum Glück Ákos und Macskaházy eben zur rechten Zeit gekommen wären, und, wie sie alle Umstände vernahmen, und daß die Anzeige von einem unbekannten, und seitdem verschwundenen Juden herrührte, der, vielleicht ein Spießgeselle Viola's, die Suchenden nur irreführen wollte, den aufgebrachten Stuhlrichter zurückhielten. Hierbei war Macskaházy am geschäftigsten; denn überzeugt, daß Viola nicht im Hause sei, sah er ein, daß dieser Vorfall zur Verdächtigung Tengelyi's gut könne benützt werden.

Indessen herrschte Zittern und Angst im Hause. Vilma ging bebend, todtenbleich im Zimmer auf und ab. »Bete für deinen Vater,« sprach die Lipták zum kleinen Pista, und während der unschuldige Kleine die Hände zum Himmel erhob und thränenden Auges das Vater Unser betete, stand sie am Fenster und beobachtete, was draußen geschah. Nur Viola, der in seinem Versteck das nahe Verderben hörte, und die Pistole in der Hand, entschlossen war, wenn entdeckt, sich zu erschießen, und sein Weib, das auf dem Bette lag, waren ruhig. Als die Sachlage durch Ákos und Macskaházy eine bessere Wendung nahm, wurde die Lipták ruhiger und tröstete Vilma, die jetzt in Thränen ausbrach; der Knabe verstand zwar nicht, was um ihn vorging, als ihm aber die Lipták versicherte, daß seinem Vater nichts zu Leid geschehe, stand er auf und trocknete sich verwundert die Augen, als ein neues Ereigniß der Aufmerksamkeit Aller eine andere Richtung gab.

»Feuer!« schrie es auf der Gasse, »Feuer! Feuer! im Herrschaftshofe Feuer!« brüllte der ganze Haufen, der im Garten stand, und wie die Feuerglocke ertönte und die eine Seite des Horizontes sich lichtete, zerstreute sich eilend die Menge. Nur die Panduren blieben auf Nyúzó's Befehl noch beisammen; denn er hoffte noch immer, Viola hier zu finden. Als aber ein Kutscher vom Herrenhause kam, und sagte, daß es auf dem Tretplatz des Vicegespans brenne, daß alle Heuschober in Flammen stehen; da lief auch die Staatsgewalt den Tretplätzen zu, um zu retten, was dem allgemeinen Wohl am nächsten liegt, nämlich das Heu des Vicegespans. Ein Augenblick! und in Tengelyi's Haus war Niemand, außer denen, die hineingehörten.

»Um Gotteswillen rette ihn,« flüsterte Vilma der Lipták zu, »geschwind, eh' sie zurückkehren.«

»Fürchten Sie nichts, Fräulein, ihn holt man so geschwind nicht ein. Sagen Sie Ihren Eltern nichts. Ihr Vater würde es Ihnen nie vergeben.«

Und die Lipták ging in die Kammer, Vilma begleitete die Mutter in das Zimmer, die sich durch so viele Aufregung angegriffen, auf einen Stuhl warf und weinte.

»So, jetzt kannst du gehen,« sprach die Lipták, die Fässer auseinanderschiebend, hinter denen Viola verborgen war, »auf dem Tretplatze des Vicegespans brennt es, geh' hinaus bei dem anderen Ende des Dorfes, dort hält dich Niemand auf; das Feuer ist ohnedies vielleicht deinetwegen gelegt.«

»Höre noch ein Wort,« sprach Viola, »ich bin den Notär'schen vielen Dank schuldig, sie haben meine arme Frau bei sich aufgenommen, Gott lohne sie dafür; sie haben mir das Leben erhalten, dafür werde ich dankbar sein. Sage ihnen Folgendes: ich weiß, daß der Notär in seiner eisernen Kiste Schriften hat, die für ihn und den Geistlichen von hoher Wichtigkeit sind; diese soll er wo anders verwahren, und soll gut auf sie Acht haben; er hat mächtige Feinde, und gewisse Herren und Frauen tragen ein großes Gelüste nach jenen Schriften. Ein andermal mehr, hast du verstanden?«

Die Lipták nickte mit dem Kopfe.

»Also sag' es dem Notär, und nun sei Gott mit dir.«

Und der Räuber trat aus der Gartenthüre und eilte fort, als ihn etwas bei der Bunda festhielt. »Wer ist's« rief Viola, sein Beil erhebend.

»Kennst du mich denn nicht?« antwortete Peti, »und was sagst du zur Illumination?«

»Ich weiß nicht, wie ich sonst aus der Klemme herausgekommen wäre. Ich wußte gleich, daß dies von dir komme. Gott segne dich dafür.«

»Jetzt aber schnell nach Szent-Vilmosch,« sagte Peti, bei dem Loch in der Umzäumung, das jetzt bedeutend größer war, herausschlüpfend. »Schau hin,« sprach er weiter, auf das Nebenhaus weisend, »ich möchte wetten, daß dort der verfluchte Macskaházy steht.«

»Wenn es auch ein Sohn der Hölle ist, nur weiter,« sprach Viola, und die beiden Spießgesellen gingen die Gasse entlang und verschwanden neben dem Schmiedehaus. Macskaházy aber, denn er war es wirklich gewesen, hatte Viola erkannt und ging kopfschüttelnd den Tretplätzen zu.


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