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Dort, wo die hochgethürmten Karpathen immer niederer werdend, endlich als grüne Hügel sich in die große, magyarische Ebene verlieren, liegt zwischen zwei lang hingedehnten Bergausläufern, deren einen Wald, den anderen Reben decken, das ungarische Dorf Bárd. In diesem Dorfe lebte vor beinahe einem halben Jahrhundert Esaias Tengelyi, Prediger der Gemeinde Bárd und Vater des Jonas, den wir jetzt als Notär von Tiszarét kennen gelernt. Esaias lebte verborgen von der Welt, wie der Ort, in dem er sein heiliges Amt übte, von Wenigen gekannt, aber geliebt. Wer die Stellung der reformirten Prediger in Ungarn kennt, wird leicht glauben, daß vor fünfzig Jahren und besonders in einem so kleinen Orte, wie Bárd, die Lage des alten Esaias keine beneidenswerthe gewesen sein mochte, und doch sind unter meinen Lesern wenige, die in ihren glänzenden Gemächern (wenn dieses Buch je dahin gelangen sollte!) so viele wahrhaft glückliche Stunden verlebt haben, als der graue Bárder Prediger unter seinem Strohdache, unter dem gebräunten Gebälke seines Zimmers. Es gab Tage, an denen er die Fenster seines Zimmers etwas größer wünschte, um diesem namhaften Gebrechen seiner Wohnung, das ihn besonders an trüben Tagen im Lesen der heiligen Schrift hinderte, abzuhelfen. Auch nahm der Ofen, der außer dem Heizen auch zum Brodbacken benützt wurde, den sechsten Theil des Gemaches ein, und wenn Brod gebacken wurde, erwärmte sich das Zimmer etwas mehr, als angenehm war, und so oft die benachbarten Prediger zum Besuche erschienen, war jedesmal großer Lärm und tadelndes Gerede über die Bárder Gemeinde, die das Zimmer ihres Predigers nicht einmal dielen ließ. Jedoch wenn die Witterung sich wieder aufheiterte, und Esaias das zu erweiternde Fenster betrachtend sich daran erinnerte, wie viel heilige Worte er bei demselben gelesen, wie oft er seine Frau bei diesem gesehen, von deren Angesicht die Zeit zwar die Rosen, aber nicht den beglückenden Ausdruck der Liebe abgestreift, wenn er erwog, daß dieser Ofen im Winter zu einer großen Ofenbank benützt werden könne, und wenn er bedachte, daß dieser Fußboden von Lehm, auf dem er auf und nieder wandelte, derselbe sei, auf dem sein Vater einst seine Predigten überdachte, und sein Sohn die ersten Schritte versuchte, da sah er ein, daß am Ende Fenster, Ofen und Fußboden am besten so seien, wie sie waren, daß keine Bequemlichkeit die Erinnerungen ersetzen könnte, welche mit ihnen verbunden; und das Haus blieb in der alten Einfachheit, wie die Perlenmuschel in bescheidener Schale den ganzen Schatz häuslichen Stilllebens in sich bergend.
Ein natürliches, aber unvermuthetes Ereigniß trübte diese bescheidene häusliche Glückseligkeit. Elisabeth starb, und das Herz, in dem einst so viel Glück Raum fand, trug seither nur einen großen Schmerz. Der alte Prediger sprach nicht von seinem tiefen Schmerze, wer ihn aber früher gekannt und jetzt, der fühlte, daß das Weh, welches er im Busen trug, ein solches sei, das die Zeit nicht lindert, und daß die Hoffnung und Sehnsucht dieses Mannes nur jenseits des Grabes in Erfüllung gehen werde. Nur eines hielt den alten Prediger noch auf der Welt; sein kleiner Sohn Jonas. Als die Mutter starb, war der Knabe kaum vierjährig, und was würde aus ihm, wenn auch der Vater stürbe? Und das Kind war so schön! Sanft schauten die himmelblauen Augen zu dem betrübten Vater auf; seine Rede mahnte an den Klang einer Stimme, die ihn die ersten Worte gelehrt; in seinen goldenen Locken schienen noch die Spuren jener Hand zu weilen, die sie so sorgsam gepflegt; was würde aus dem Kinde, wenn es statt der Eltern auf der großen Erde nur zwei Gräber fände, um in Leid zwischen beiden zu weinen? Und wenn es ein Leben jenseits des Grabes gibt und die eisige Hand des Todes den Faden nicht zerreißt, der zwei sich Liebende verbindet, konnte wohl Elisabeth glücklich sein in Gottes Himmel, wenn sie ihren Sohn auf Erden allein wußte? Dies alles erwog der alte Tengelyi, und ihm, den jeder andere Trost verließ, gab das Pflichtgefühl die Kraft, das Leben zu tragen.
Der kleine Jonas entwickelte sich indessen lieblich unter des Vaters Pflege. – Der Glückliche ahnte noch nicht, wie traurig es ist, mutterlos in der Welt zu stehen. In Kinderherzen, wo so viel Freude Raum findet, ist für große Schmerzen noch kein Platz. Wie ein kleines Bäumchen den sanften Frühlingsregen durch die Wurzeln aufsaugt und im warmen Strahl der Sonne wächst und gedeiht, aber von größeren Bäumen beschirmt, die Gewalt des Sturmes noch nicht kennt, so wird der Mensch mit den Qualen seiner Existenz erst später bekannt. Der kleine Jonas, der in den ersten Tagen stets des Geschehenen vergessend, zehnmal zur Mutter lief, und wenn er sie nicht fand, sich weinend in den Winkel setzte, des Nachts die kleinen Arme ausstreckte und träumend den Namen seiner Mutter rief, erwähnte später die süße Pflegerin immer seltener, und als die Natur sich verjüngte, schwand unter tausend Schmetterlingen und Blumen die Erinnerung des Glückes, das er in seiner Mutter Armen genossen, wie ein Lied, das in der Ferne verhallt, von dem nichts zurückbleibt als die Empfindung, die es im Hörer geweckt.
So verflossen die ersten Jahre; Jonas war acht Jahre alt, und der große Prediger begann seine Erziehung. Der alte Esaias hatte einen einzigen Erziehungsgrundsatz. Es war der einfache Gedanke, daß derjenige, dessen Brust ohne warme Liebe ist, weder Glück empfindet, noch wirklich Großes vollbringen kann – nur Liebe kann den Menschen zweckmäßig erziehen. So ging er auch mit seinem Sohne um. Er verschaffte ihm dadurch jenen Schatz, den wir aus unseren Kinderjahren bewahren können; glückliche Erinnerungen, auf die der Mann zurückschauend sich mit dem Schicksale auszusöhnen vermag – und dies ist mehr werth, als die ganze Masse des in der Kindheit Gelernten. Jenes Wissen, das wir uns im Leben erwerben, wird ohnedies mit hinlänglichen Opfern von Freuden erkauft; warum sollten wir dem Erwerbe dieses Schatzes, der unsere Herzen arm macht, die unschuldigen Freuden der Kindheit opfern, den einzigen reinen Genuß des Lebens?! Das Kind fragte, der Vater antwortete soviel wie möglich ausführlich und den Begriffsfähigkeiten des Zöglings angemessen, und so geschah es, daß der Kleine schon im zehnten Jahre an Gedanken und Begriffsreinheit keinem Kinde gleichen Alters nachstand. Der Vater strebte aus allen Kräften, des Knaben Geistesthätigkeit auf einen kleinen Kreis zu beschränken, damit er durch die Menge der Gegenstände weder erdrückt, noch an Oberflächlichkeit gewöhnt werde. Die alten Sprachen und Classiker, soweit der Knabe sie verstehen konnte, dazu eine Elementar-, Natur- und Weltgeschichte, gerade soviel, daß sein Zögling in den Einrichtungen der materiellen Welt den Schöpfer bewundern, am Beispiele großer Tugenden die Menschen lieben lerne, und vor Allem die reine Auffassung der Religion: dies war Alles, was Esaias seinen Sohn lehrte, und zu dessen künftigem Berufe nöthig erachtete.
Der alte Esaias hatte nämlich ein paar Stunden nach der Geburt des kleinen Sohnes ihm einen schönen Beruf ausgesucht, und obgleich er zu vernünftig war, den Sohn auf einen bestimmten Pfad zu drängen, so war doch die Ueberzeugung, daß der Sohn ihm einst als Prediger nachfolgen werde, in ihm so stark, daß er über des Kindes Zukunft sinnend, sich nie eine andere Möglichkeit dachte; als ob außer der Predigerstelle in Bárd nichts auf der Welt bestände, was sich sein Sohn zu wünschen vermöchte. – Wie konnte es auch anders sein? Er, der in diesem Hause geboren und erzogen war, der in diesen Mauern seinen Vater zuletzt an die Brust gedrückt, der seit dessen Tod ihm in der Predigerstelle nachgefolgt, den im Dorf jedes Haus, auf dem Friedhof jedes Grab an Wesen erinnerte, deren bester Trost er gewesen; er, der nun dem Ende seiner Laufbahn nahend, fühlte, daß er seine Pflicht erfüllt, und daß in seinen Erinnerungen nur jene bitter seien, die der Tod zurückgelassen: wie konnte er seinem Sohne einen anderen Lebenspfad wünschen, als den, auf welchem er sich so glücklich gefühlt? Und nachdem es eben der schönste Lohn bescheidener Wünsche ist, daß sie immer zu begründeten Hoffnungen werden, wie hätte er an ihrer Erfüllung zweifeln können!
Aber in der kindlichen Brust ist Etwas, worauf die Erziehung ihre Macht auszudehnen nicht vermag: die Phantasie des Kindes, und von dieser hängt meist der Pfad ab, auf dem es einst wandeln wird. So war es auch mit dem kleinen Jonas. – Während der Vater für ihn Pläne der Zukunft entwarf, schwebten die Gedanken des Knaben in ganz anderen Regionen, und die junge Seele, die sich in dem heimischen Kreise der bescheidenen Wohnung schon jetzt beschränkt fühlte, suchte ihre Freuden in den schönen Hoffnungen einer fernen Zukunft schwärmend. Der Zufall lenkte ihn in eine bestimmte Richtung. Der alte Esaias, der in seiner Jugend einige deutsche und holländische Universitäten besucht hatte, brachte mit anderen Büchern auch einen schön in Leder gebundenen Plutarch mit, in welchem bei jeder Biographie auch das Porträt des Mannes in Kupferstich zu sehen war. Da dies das einzige Bilderbuch im ganzen Hause war, so ist es natürlich, daß der kleine Jonas bald mit demselben bekannt wurde; und so oft es der Vater gestattete, brachte er seine Stunden in der Betrachtung der ernsten Angesichter zu, bis ihm jedes Bild gleichsam zum Freunde wurde. Der Vater, über die Wißbegierde des Kindes entzückt, durchlebte viele glückliche Stunden in der Erklärung der Kupferstiche, und Jonas war noch nicht achtjährig, als er bereits beinahe jedes Bildes Namen und die Begebenheiten schon zu erzählen wußte, so daß die Augen des alten Esaias sich oft mit Freudenthränen füllten; und obgleich er bedauerte, daß das erwähnte Buch nicht die Bibel war, woraus er dem Sohne die Glaubensereignisse hätte erzählen können, so schwoll doch sein Vaterherz in Freuden hoch auf, so oft das Kind von Aristides' Tugenden begeistert sprach, oder mit glühenden Wangen des Leonidas und Sokrates großen Tod erzählte, und Esaias segnete dabei den heidnischen Schriftsteller, denn was hätte wohl den Sohn zur Empfängniß der Glaubenslehre besser vorbereiten können, als die Thaten jener Männer, die zuerst die Moral ahnten, welche das Christenthum allgemein verbreitet hat?
Dies Buch war für das ganze künftige Leben des Kleinen von großem Einfluß, und obgleich es der Vater nicht unterließ, ihn aufmerksam zu machen, daß die Moral der heiligen Schrift, die er von ihm später kennen lernte, und die den empfänglichen Knaben tief ergriff, viel höher stehe, als jene, die er aus seinem geliebten Plutarch gelernt, so behielt doch der erste Eindruck seine Macht, und so oft es ihm die Zeit vergönnte, kehrte er immer wieder zurück zu seinen lieben Brüdern, für welche seine Seele mehr Sympathie fühlte, deren Beispiel die Brust mit mehr Begeisterung durchglühte.
Es gibt kein größeres Entzücken als jenes, das ein unverdorbenes Herz empfindet, wenn es einer großen That oder eines großen Menschen gedenkt.
Das Kind wähnt Alles, was es sieht, gleich nahe, und streckt die Arme darnach aus. Es kennt unser Leben noch nicht, in dem wir das, was sozusagen neben uns steht, erst nach langem Umwege, oder auch gar nicht erreichen. Der Knabe weiß es nicht, daß man auf die Höhen der Welt gewöhnlich nur auf einem Wege gelangen kann, und daß, was dem Einen leicht, Anderen unmöglich, und zwar blos darum, weil von dem Orte, wo sie stehen, kein Weg auf den Gipfel führt. Der große Mann, den das Kind bewundert, ist ihm zugleich das Vorbild, dem es nachstrebt, ist ihm die Hoffnung, bei der sein Herz hoch aufschlägt, und das ist eben seine Glückseligkeit. Wie jedes alleinstehende, außer der Gesellschaft anderer Kinder erzogene Kind wurde auch Jonas Träumer, und wer das Kind hörte, wie es von Perikles und von den Gracchen sprach, überzeugte sich, daß er sich vor einem Wesen befinde, das vom Schicksale zur Größe oder zum Unglücke bestimmt war.
Beides steht ohnedies nicht weit von einander. Dies störte die Ruhe des alten Esaias zu seinem Glücke nicht. Die Begeisterung, mit welcher der Sohn von den Tugenden der Alten sprach, der glühende Haß, mit dem er sich gegen die Unterdrücker der Menschen erhob, die Alles vergessende Nächstenliebe, die bei jedem menschlichen Elend in seinem Herzen sichtbar wurde, waren dem Alten ebenso viele Beweise, daß sein Sohn der bestmögliche Prediger sein werde. Daß diese Begeisterung zu etwas Anderem führen könne, als zur geistlichen Beredsamkeit, lag so fern außer dem Kreise seiner Gedanken, daß er nur darnach strebte, seinen Sohn in diesen edlen Gesinnungen mehr und mehr zu bestärken. Er redete ihm oft von den Leiden der Armen, der Hartherzigkeit der Reichen, daß die Menschen vor Gott alle gleich, und daß es Jedermanns Pflicht sei, sein Leben dem Wohle der Mitmenschen zu weihen.
Und so geschah es, daß in Jonas, als er dreizehnjährig in die Debrecziner reformirte Schule geschickt wurde, alle seine guten und üblen Eigenschaften, die ihn später charakterisirten, schon entwickelt waren. Grenzenlose Begeisterung für alles Gute und Edle, glühender Haß gegen die Niedrigkeit, Muth, immer und überall der Ungerechtigkeit in Wort und That entgegenzutreten, aber zugleich jene Strenge der Grundsätze, die zuweilen zu Ungerechtigkeiten führt; mit einem Wort, alle jene Tugenden, die in Utopien Jonas zum tugendhaftesten Bürger gemacht hätten, durch die man aber bei unserer hohen Civilisation unerträglich, oder wenigstens ein solcher Mensch wird, dem man auszuweichen pflegt. Unter Knaben ist die Tugend noch immer in der Majorität, und daher mag sich Niemand über die anerkennende Liebe wundern, die Jonas bei Lehrern und Mitschülern fand. Jene freuten sich über die schnellen Fortschritte ihres Zöglings, den Begierde nach Großem zum Lernen anregte, diese ehrten seine Gerechtigkeitsliebe, seinen Muth, und obgleich der ernste Schüler ihre Knabenspiele selten theilte, so war doch er der Friedensrichter, er der Rathgeber, wenn sie unter sich in Streit geriethen oder des Rathes bedürftig waren.
So verstrichen beinahe 5 Jahre, die schönste, glücklichste Zeit seines Lebens, die einzige, in der das Sehnen seiner Brust mit den Anforderungen des Lebens noch nicht im Widerspruche stand, wo der Drang nach Größe und der Stolz ihr Ziel noch verfolgen konnten, ohne irgend Jemandens Neid zu erregen. Das Lernen selbst, diese größte, ja einzige Pein so vieler Jünglinge, erfüllte diese nach Wissen dürstende Seele mit all' jener Wonne, die wir nur im Beginne der wissenschaftlichen Laufbahn empfinden: wenn der Geist, dem Schiffer gleich, der mit geschwellten Segeln den Hafen verläßt und die schnell hinschwindenden Ufer betrachtet, nur das Vorwärtskommen fühlt, ohne die Größe des Elementes zu überschauen, dem er sich überlassen, und ohne zu ahnen, welche schwere Tage seiner warten, in denen er das Fortschreiten nicht mehr empfinden, und weder Ziel noch Ufer gewahrend, auf dem unendlichen Raume herumschwanken wird.
Indessen setzte Esaias sein ungetrübtes Leben fort. Die bescheidene Wohnung war noch stiller, seit der geliebte Sohn aus deren Kreise getreten, und der greise Prediger wandelte nun einsam unter den Obstbäumen seines Gartens, wo er einst die Spiele seines Kindes beobachtet; aber die Heiterkeit seiner Seele blieb ihm. Wie die leichte Wolke, die der Sonne warme Strahlen durchdrungen, war es nur die Sehnsucht nach dem fernen Geliebten, die zuweilen in seiner Brust erwachte, die seinen Gesichtskreis noch verschönerte. Aber wie die Blume, wenn die Zeit um ist, die ihr die Natur zum Duften angewiesen, unter der eigenen Last zur Erde sinkt, wenn auch kein Lufthauch den Stengel bewegt, so erreicht das menschliche Leben auch ohne Sturm sein Ende, und Esaias fühlte, daß seine Tage gezählt seien; aber in diesem Gedanken lag nichts, was seine Seele mit Unruhe erfüllt hätte. Der Gedanke an den Tod ist nur so lange schrecklich, als sich mit der Idee der Trennung nicht jene des Wiedersehens vereinigt, und Esaias war von seiner Unsterblichkeit überzeugt. Einen Wunsch hatte er noch; er sehnte sich, das Leben in den Armen seines Sohnes zu enden, und auch dieses Sehnen erfüllte ihm der Himmel. Jonas kam in den Herbstferien nach Bárd. Zehn Monate hatten sich Vater und Sohn nicht gesehen, und als der Sohn den Vater so altersschwach und gebrochen, dieser den Sohn so kräftig sah, schlossen sie sich beide weinend in die Arme, jener Schmerzen-, dieser Freudenthränen vergießend. Jonas war gegen das Schicksal noch nicht durch die Erfahrung mißtrauisch gemacht, er stand noch in jener glücklichen Zeit des Lebens, wo jeder Schmerz den Menschen unvorbereitet trifft; aber als er seinen Vater sah, konnte er nicht mehr zweifeln, daß die Tage dieses geliebten Wesens gezählt seien. Und Jonas täuschte sich nicht. Eine Woche war vergangen, in der Vater und Sohn ihrer Liebe gelebt; – die ersten Strahlen des achten Tages beleuchteten das erkaltete Antlitz des guten Alten, und die Gemeinde von Bárd begleitete thränenden Auges ihren Freund zur ewigen Ruhestätte, wo ein einfacher Denkstein die Stelle bezeichnet, wo eines der edelsten Herzen, das je in einer Menschenbrust geschlagen, zu Asche werden sollte. Der Tod des Vaters gab dem Leben des Sohnes eine neue Richtung. Des Vaters Wünsche kennend, hatte dieser bisher seinen ganzen Fleiß der Theologie zugewendet, und wenn der Vater gelebt und die Bárder Predigerstelle dem Sohne übergeben hätte, so würde er auch in diesem Kreise Gelegenheit zur Befriedigung seiner hoch aufstrebenden Seele gefunden haben; aber jetzt hatte die Ursache aufgehört, die ihn auf diesem Platze gehalten; frei konnte er den Einflüsterungen seines Herzens folgen, und diese riefen auf ein bewegteres Feld. Der Jüngling fühlt nur die Größe des sturmbewegten, nicht jene des ruhigen Meeres, und im Gefühle seiner Kraft sehnt er sich nach Kampf und Ringen. Jonas entschloß sich also zur politischen Laufbahn, und weil man auf diesem Wege ohne Rechtskenntniß nicht vorwärts kommt, warf er sich mit ganzer Kraft auf die Rechtswissenschaft und nach kurzen Studien hatte er sich in derselben dergestalt ausgebildet, daß seine Lehrer ihn zur Vollendung seiner Studien zum Besuche einer deutschen Universität geeignet hielten. Was ihm vom Vater geblieben war, setzte er in Geld um, und mit beiläufig 600 Gulden in der Tasche pilgerte er mit ein paar Schulfreunden nach Deutschland, in jenes gesegnete wissenschaftliche Kolchis, wo deutsche Professoren ernsten Angesichtes der speculativen Philosophie goldene, und eben darum so schwer zu verdauende Aepfel hüten und von wo unsere Togaten Togaten heißen die reformirten theologischen Studenten. als goldenes Vließ die Universität-Matrikel und ihre Zeugnisse – diese mehr rühmlichen als nützlichen Schätze – mitbringen. Auch er ging also die Wissenschaft zu suchen, und saß drei Jahre auf den Collegial-Bänken deutscher Universitäten. Aus christlicher Liebe verschone ich die Leser mit den Einzelnheiten dieser drei Jahre; ich erwähne nur dies Eine, daß er die meiste Zeit in Heidelberg zubrachte, und daß er unter Anderen – denn welcher Jüngling hätte nicht viele Freunde – mit Réty, demselben Vicegespan, in dessen Dorfe wir ihn jetzt als Notär finden, in der engsten romantischen Freundschaft lebte.
Die drei Jahre, unbezweifelt die glücklichsten, die diesem ehrlichen Herzen auf dieser Welt geworden, waren vorüber, und mit ein Paar Gulden in der Tasche befand sich Jonas Tengelyi zu Pest an der Schwelle des praktischen Lebens.
Einer meiner alten Freunde pflegte, so oft ein junger Mensch eine Thorheit beging, oder Jemand im Alter das Ziel erreichte, nach dem er sich lange abgemüht, immer zu sagen: wie Schade, daß wir nicht alt geboren werden, und unser Leben rückwärts gekehrt durchleben, im Alter beginnend, aus den alten Wintertagen in die Reife des Mannesalters treten und dann den glühenden Tagen der Jugend entgegeneilen. Wenn wir mit ergrautem Haupte, mit ruhiger Brust in das Leben kämen, so würden wir unsere Erfahrung leichter und wohlfeiler gewinnen, und nach vielen Mühen unser Ziel erreichend, hätten wir doch wenigstens Kraft, unser Glück zu genießen. Ich kann aber diese Ansicht nicht theilen. Es ist möglich, daß wir bei dieser Einrichtung weniger Thorheiten begehen und gerader zum Ziele streben würden; aber streiche aus deinem Leben deine Thorheiten, entferne die Verirrungen, unter denen du vorgeschritten bist, und wenn nur das Ziel allein bliebe, und jene staubige Landstraße, auf der du dem Ziele entgegenwandeltest, würdest du wohl zufrieden sein? Die Welt ist, wie Doctor Panglos sagt, am besten so, wie Gott sie erschaffen; allerdings irren wir viel, wir straucheln viel, wir begehen viele Thorheiten; aber am Ende fehlen zwischen Straucheln und Verirrungen doch auch Freuden nicht, und es ist noch eine große Frage, ob Jener beneidenswerth ist, dem das Leben, wie der Feigenbaum, ohne zu blühen, die süßesten Früchte bot, oder Jener, dem die schönsten, wenn auch nie fruchtbringenden Blüthen zu Theil wurden? Ich halte es mit letzteren, und so oft ich meiner Thorheiten gedenke, danke ich Gott immer, daß er mich nicht verständiger erschaffen hat. In den vierzehn Jahren, da ich in die Schule ging, hätte ich mehr lernen, als Juratus meine Zeit viel nützlicher zubringen können; aber all' jene schönen Ballspiele, das Raufen, Lustwandeln, der Muthwille und später meine süßen Träume, was wäre aus ihnen geworden, wenn ich kürzere Zeit in die Schule, und als Juratus fleißiger in die Sitzung gegangen wäre? Ich sage noch einmal, die Welt ist so am besten, wie sie erschaffen ist.
Aber jetzt, da ich auf einem kleinen Umwege zu den Juraten gekommen, sehen wir uns wieder nach unserem Jonas um. Bei uns Ungarn fängt das politische wie das eheliche Leben immer mit einem Schwur an, und zwar mit dem Schwure des Schweigens. Niemand kann läugnen, daß dieser Schwur wenigstens die Folge hat, daß Juraten unter sich nie von Rechtsgegenständen sprechen. Jonas also ließ sich beeiden und schritt durch anderthalb Jahre auf den Treppen der Curia Der oberste Gerichtshof. mit dem Säbel klirrend hinauf und herab, und wurde, so gehörig vorbereitet, endlich Advocat.
In dieser ganzen Zeit ergab sich nichts Außerordentliches im Leben unseres Helden; der negativen Wunder abgerechnet, daß Tengelyi, obschon Juratus, durch anderthalb Jahre nur zweimal im Kaffeehause war und Niemand geprügelt oder ausgepfiffen hatte, somit natürlicher Weise nicht Billardspielen gelernt und folglich wenig Freunde unter seinen Kameraden gefunden hat.
Ich könnte noch erwähnen, daß er trotz allem Fleiße bei der Advocaten-Prüfung nur die Note Lobenswürdig erhielt; aber nachdem es viel bedauernswerther ist, daß gerade zu derselben Zeit zwei junge Herren, die eben er zur Prüfung vorbereitet, mit Ausgezeichnet beglückt worden sind, wäre es schade länger dabei zu verweilen, da diese erste Ungerechtigkeit, welche Jonas im öffentlichen Leben erfuhr, ihn zwar schmerzte, aber nicht länger, als bis er den Wagen bestieg, und das bescheidene Fuhrwerk sich dem Taksonyer Comitat zuwandte, was noch denselben Tag nach Tisch geschah. Bei den ersten Stößen des Wagens, die den jungen Advocaten dem Schauplatz seines Lebens näher brachten, bemächtigten sich seiner Seele glänzende Phantasien über seine Zukunft und die Vergangenheit hatte keinen Platz mehr unter so vielen Gedanken.
Die Leser werden ohne Zweifel neugierig sein, zu erfahren, warum er gerade dieses Comitat zum Schauplatze seines künftigen Wirkens gewählt? Die einfache Ursache, welche unseren Helden dazu bestimmte, war, daß unter den zweiundfünfzig Comitaten Ungarns nicht eines war, für welches so gewichtige Gründe gesprochen hätten. – Wie die Bewohner des Taksonyer Comitates ihm sagten, gab es in ganz Ungarn kein aufgeklärteres Comitat, nach dem Urtheile der Nachbarn aber war kein Comitat so arm an Verstand, als dieses, und so war in beiden Fällen die Zukunft eines so gut vorbereiteten Mannes, wie Jonas, ganz gewiß gesichert; im ersten Falle wurden seine Verdienste anerkannt, im zweiten bedurfte man ihrer; endlich verhieß Réty, mit dem er auch noch als Jurat in romantischer Freundschaft lebte, als Sohn des Vicegespans von Taksony, ihm goldene Berge, wenn er sich in diesem Comitate niederlassen wolle. – Mit klopfendem Herzen gelangte unser Held endlich nach Porvár, dem Hauptsitze des Comitates. Wenn der Reisende zur Marktzeit kommt, kann er vielleicht bemerken, daß er in eine Stadt gekommen ist, aber an gewöhnlichen Tagen wie jener, an welchem Jonas anlangte, würde Porvár ein gewöhnliches Dorf scheinen, wenn das stockhohe Comitatshaus, vor dessen Thor zu jener Zeit noch täglich auf der Bank mehrere eben exequirte Verbrecher schreiend die Macht der ungarischen Gesetze verkündeten, nicht Jeden männiglich erinnert hätte, daß er sich an einem jener Orte befinde, wo der strafende Arm der Gerechtigkeit nie zu ruhen pflegt.
Nachdem er die Empfehlungsbriefe abgegeben, die sein Freund geschrieben, und das Advocaten-Diplom öffentlich hatte vorlesen lassen, miethete er ein kleines Zimmer beim Meßner, und sah sich nach Arbeit um.
Der Arzt und der Advocat versuchen ihre Kunst zuerst am Körper und der Habe des Armen, und so konnte auch unser Held nur auf diesem Felde seine Wirksamkeit beginnen; aber sein Herz machte ihm diese nicht einträgliche Beschäftigung höchst angenehm, und nie hat ein armer Advocat mit mehr Begeisterung und größerer Wonne seine Beschäftigung betrieben, als er. Jeder Unterdrückte, jeder Leidende, Jeder, den alle verlassen, fand in ihm den Freund und Vertheidiger. Er war der Märtyrer, oder wie man in Porvár nur zu bald sagte, der vollständige Mann der Gerechtigkeit.
Anfangs, solange er nur in Criminalprocessen arbeitete, war seine Stellung noch erträglich. Allerdings wurde ein Gefangener, den er für unschuldig hielt, zum Tode verurtheilt, und ein paar andere, deren Vergehen er zu entschuldigen wähnte, wurden strenger bestraft, als gewöhnlich, weil – wie die Beisitzer sagten – man sich ärgert, wenn so ein hergelaufener Procurator dem ganzen Gerichtsstuhl eine Lection halten will, und eben darum ihm beweisen muß, daß Niemand auf sein unnützes Reden achtet. Aber er wurde noch nicht verfolgt, man zuckte mitleidig die Achsel; als er jedoch auch Civilprocesse übernahm und gegen einen der angesehensten Besitzer, der nicht zahlen wollte, was er einem armen Menschen schuldete, eine so gewaltige Replik schrieb, daß derselbe seinen Proceß selbst vor dem Gerichtsstuhle von Taksony beinahe verloren hätte und in den unvorausgesehenen Fall gekommen wäre, das Darlehen zurückzahlen zu müssen, da kannte die allgemeine Entrüstung keine Schranken mehr, und vierzehn Tage hindurch war von nichts anderem die Rede, als von der Unverschämtheit des jungen Advocaten. Die Jüngeren, mit denen er bis jetzt bekannt geworden, zogen sich zurück, der Meßner kündigte ihm die Wohnung, und er wäre ohne Zweifel zum Silentium Silentium, wenn einem Advocaten verboten wird, in Processen zu allegiren. verurtheilt worden, wenn der Vicegespan nicht dem Sohne zu lieb für ihn gesprochen und die Stände aufmerksam gemacht hätte, daß er noch sehr jung sei, und wenn er eine Zeit unter ihnen wohnte, diesen Jugendfehler bereuen und dann dem Publicum mit seinen schönen Fähigkeiten noch von Nutzen sein könne.
Das waren die ersten Schritte unseres Jonas auf der Advocaten-Laufbahn; und obgleich sie nicht unter günstigen Umständen stattfanden, würde unser Held auch auf diesem Pfade weiter gewandelt sein. Niemand disputirte lieber als Jonas, und es ist natürlich, daß der Advocatenberuf, der seiner Neigung ein so weites Feld öffnete, ihm umso theurer wurde, weil er nicht selten Gelegenheit fand, auch seine anderen Leidenschaften zu befriedigen, nämlich die Vertheidigung des mißhandelten Rechtes. Endlich fand sich noch ein dritter Grund, um ihn auf dieser Bahn festzuhalten; der Fiskal der Familie Kaliházy starb eben damals, und weil dieser gute Mann nach den Worten der Schrift nichts mit sich hinübernehmen konnte, blieben auch die Processe der Familie Kaliházy hier zurück, und das Haupt der Familie, zu Porvár mit Tengelyi bekannt geworden, war schon halb und halb entschlossen, ihm die Familienprocesse zu vertrauen. Doch sorgte ein College dafür, daß dies nicht geschah.
Paul Hajtó nämlich, bisher der berühmteste Advocat in Porvár, zeigte ungewöhnliche Freundschaft für unseren Helden. Wenn andere seine Heftigkeit tadelten, munterte er ihn (wenn sie allein waren) immer auf, er möge den Gerichtsstuhl noch schärfer angreifen. Dieser Mann bewahrte auch jetzt seine Tugend vor jenen Gefahren, die, wie viele glauben, das Leben eines Advocaten umlagern.
»Freund, du taugst nicht zum Advocaten,« so sprach er zu seinem jungen Auserwählten, »dich hat der Himmel zu etwas Höherem bestimmt; wenn ich so wäre, wie du, würde ich mich ganz der Politik widmen. Du siehst ja, daß du nur auf diesem Wege nützen kannst. Wie die Dinge jetzt stehen, verlierst du bei allen deinen Arbeiten einen Proceß nach dem anderen, und deine Bemühungen sind nicht nur nicht einträglich, sondern auch fruchtlos. Ungarn muß man reformiren und dazu bist du gerade geboren; als Politiker kannst du auch Advocat bleiben.« Diese Worte, oft und in verschiedenen Formen wiederholt, überzeugten Jonas endlich, und wer in seiner Jugend dergleichen gehört und nicht geglaubt hat, der mag ihn immer für einen stolzen Narren halten; genug, als die Congregation nahte, bereitete er sich mit allem Ernste zu seinem neuen Berufe.
Der Tag kam, Tengelyi hielt seine Rede und die ganze Versammlung erstaunte darüber; nicht die Rede selbst, die lateinisch gesprochen wurde, obwohl die Latinität einem Cicero nachgebildet, so alt, die Grundsätze, welche die Rede aussprach, so neu waren, daß dies schon allein Ursache genug zur Verwunderung gewesen wäre – nicht diese Rede wirkte so außerordentlich auf die Versammlung; die größte Ursache der Verwunderung war, daß ein junger Advocat, kaum 24 Jahre alt, nicht einmal Beisitzer und noch weniger Grundbesitzer, zu reden wagte. Dies war so unerhört, daß die ganze edle Schaar der sitzenden Herren Beisitzer im ersten Augenblicke kaum Worte fand, um ihre Entrüstung auszusprechen. Endlich brach der lange zurückgehaltene edle Zorn in ganzer Macht aus. Vicegespan, Obernotär, Oberfiskal und die ganze Schaar der Sitzherren oder Beisitzer brauste hoch auf gegen den unglücklichen jungen Mann, der es wagte, in ihrer adeligen Innung als Störer aufzutreten. Tengelyi, Alles vergessend, erwiderte Schlag mit Schlag und wusch den Vicegespan, den Obernotär, den Oberfiskalen und die vornehmsten Beisitzer im Ganzen und stückweise; bis zum Schluß des Streites die ganze Versammlung Actio Actio, dies ist der Ruf, womit in den Congregationen eine Rede bezeichnet wird, die das Publicum oder einen Einzelnen beleidigt; der Proceß wird gleich entschieden, die Strafe ist 25 fl.; kann er sie gleich bezahlen, so löst er sie mit 25 fl., hat er das Geld nicht, sondern läßt seine Uhr oder seinen Ring als Pfand, so zahlt er 50 fl., kann er auch kein Pfand geben, so zahlt er später 100 fl. rief, und seine letzten 25 Gulden, die er bei sich führte, dem unbarmherzigen Oberfiskalen blieben, und Jonas zornglühenden Angesichts in seine Wohnung zurückkehrend, schwur, die Unwürdigkeit zu rächen.
Wie wir sehen, war unser Held auf der politischen Laufbahn nicht viel glücklicher als früher in der Rechtsbahn, und der Erfolg, den er davontrug, bestand außer der Einbuße von 25 Gulden, darin, daß Kaliházy, den er in der Congregation mit besonderer Sorgfalt belehrt hatte, die Familienprocesse seinem Freunde Hajtó übertrug. Aber sein fester Charakter ermattete nicht unter diesem vielfachen Verdruß. Jeder Vicegespan, Oberfiskal, Notär hat wenigstens einen Feind, den nämlich, der nach ihm Vicegespan, Fiskal oder Notär werden möchte. So war es auch im Taksonyer Comitat, und als Jonas den Comitats-Magistrat angriff, erwuchsen ihm nicht nur allein Feinde, sondern auch Freunde. Konkolyi besonders, den Réty's Gegner als künftigen Vicegespan bezeichneten, wurde nicht müde, den Verstand und Muth zu preisen, mit dem Jonas aufgetreten. Konkolyi war hochmüthig, oder wurde wenigstens dafür gehalten, und war daher unter dem kleinen Adel nicht beliebt; Réty hingegen übertraf an Beliebtheit alle Vicegespäne des ganzen Landes. Niemand war im Stande, mehr Adelsbrüder in einem Zuge an das Herz zu drücken und abzuküssen als er. Es stand daher zu besorgen, daß gegenüber von Réty's Beliebtheit Konkolyi nicht siegen werde, obgleich von seiner Seite alles aufgeboten wurde, was den Adel von seinen Verdiensten überzeugen konnte, als z. B. Gelderausleihungen, Trinkgelage für die ärmeren Edelleute, Gastmähler für die Honoratioren. Hajtó, Konkolyi's Fiskal, durchwachte ganze Nächte wegen dieser ungünstigen Lage der Dinge, als Tengelyi's Auftreten sein Herz mit neuen Hoffnungen erfüllte.
Er verfügte sich also noch denselben Tag, an dem Tengelyi in der Congregation gesprochen, zu unserem Jonas, sagte ihm, wie sehr er über die Unwürdigkeit entrüstet sei, die man an ihm begangen; wie er überzeugt sei, daß ein Magistrat, der heute auch ihn seine Tyrannei fühlen habe lassen, nicht ferner bestehen könne, daß Réty an Allem Schuld, daß solche Niedrigkeit Strafe verdiene, daß auch der hochgeborene Herr Konkolyi diese Ansicht theile, und sich sehr freuen würde, einen so ausgezeichneten jungen Mann näher kennen zu lernen. – Abends ging Jonas mit Hajtó zu dem Kammerherrn Konkolyi, und als er sich in der zahlreichen Gesellschaft befand, die insgesammt so freundlich gegen ihn war, und seine freie Rede billigte, hätte er vor Freude beinahe weinen mögen.
Der Kammerherr forderte ihn allen Ernstes auf, bei der nächsten Restauration ein Amt zu übernehmen, denn, so sagte er, nachdem Jonas nicht zu den Stammfamilien des Comitates gehörte, sei dies das einzige Mittel, seinen Worten Gewicht zu verschaffen. Anfangs zögerte Jonas, seine Jugend, Armuth, daß er im Comitat unbekannt, kurz er brachte Alles vor, was ihm unter diesen Umständen hinderlich sein konnte, aber gnädig lächelnd antwortete der Kammerherr: »Kennen wir Sie nicht? Freilich nur aus einer Rede, aber ex ungue leonem; vertrauen Sie uns, wir machen Sie zum Oberstuhlrichter, Sie sind ja ein Edelmann, und ein solcher, er mag noch so unbekannt und arm sein, kann in Ungarn Alles werden.« Jonas war vollkommen überzeugt, und wenn er auch diese Nacht nicht schlief, war doch in Porvár kaum Jemand, durch dessen Haupt mehr Träume gezogen wären, als durch das seine.
Jonas wurde also mit Leib und Seele ein Konkolyaner. Hajtó's Aufgabe war, ihm unter dem kleineren Adel die größtmöglichste Partei zu werben. Zum Glücke war die Rede, wegen der Jonas mit Action belangt worden, zu diesem Zwecke besonders geeignet. Jonas hatte von dem Drucke gesprochen, unter dem die unteren Classen in unserem Lande schmachten. Hajtó ließ sich die Rede geben, und nachdem er daran geändert, was zu ändern war, übersetzte er sie. Wo von Armen die Rede war, sagte er: arme Edelleute und es waren kaum zwei Wochen vergangen, als die adeligen Gemeinden von Rácz und Pálfalva und auch die übrigen Körperschaften von nichts anderem sprachen, als von ihrem prächtigen Vertreter, auf dessen Gesundheit sie in Konkolyi's Lagerplätzen Tag für Tag die Gläser leerten. Als Réty's Partei diese Taktik erfuhr und als Gegengift eine andere Uebersetzung in Umlauf brachte, war es schon zu spät. Tengelyi's Popularität war nicht so leicht umzustürzen. Auf den Wellen des guten Weines, auf denen Konkolyi mit vollen Segeln der Vicegespanschaft zusteuerte, nahte auch unser armer Held der Oberstuhlrichterstelle, und er hatte im Geiste schon die Beglückungsprojecte fertig, die er als Stuhlrichter ins Werk setzen wollte.
So standen die Sachen, als der Obergespan in das Comitat kam. Auf Konkolyi's Seite stand eine bedeutende Majorität, gegen Tengelyi als Oberstuhlrichter kaum ein paar Stimmen; auf jeden Fall wäre es gut, zu unterhandeln, aber wie? In Bezug auf Konkolyi war keine Schwierigkeit; der alte Réty überließ ihm willig die Vicegespans-Stelle, aber unter der Bedingung, daß sein Sohn Oberstuhlrichter werde, und zwar in demselben Járás, der Tengelyi bestimmt war. Als die Konkolyaner bei ihrem Führer Berathung hielten, war Keiner, der unter diesen Umständen einen Rath zu geben wußte. Freilich, wenn Tengelyi von seinen Ansprüchen zurücktreten wollte, dann käme Alles in die schönste Ordnung, die Ruhe des ganzen Comitates hänge von ihm ab, und durch dieses Opfer könnte er sich ein Verdienst erwerben, wie noch kein junger Mann; aber wer könnte dies von ihm verlangen? Jonas war in jenem Alter, in dem wir uns zu nichts leichter entschließen, als zu einem Opfer, und natürlich war das Ende dieser Rede, daß er sich bestimmt dahin erklärte, er wolle gerne von allen seinen Ansprüchen zurücktreten, wenn er dadurch das allgemeine Wohl zu fördern im Stande sei. »Recht hast du,« sagte ein alter Beisitzer, »du bist jung, fange als Geschworener an, wie die Anderen; Réty ist ohnedies dein Busenfreund und übrigens ein junger Herr, er wird sich nicht viel um den Járás kümmern, du kannst Alles nach Gutdünken einrichten und bis zur nächsten Restauration wird er ohne Zweifel zu irgend einer Landesstelle befördert und du kannst ohne Widerspruch seine Stelle einnehmen.« Die Sache war entschieden; Tengelyi bewarb sich um die Geschworenenstelle statt des Oberstuhlrichteramtes und der Tag der Restauration begann unter vollständigem Frieden und in großer Eintracht.
Réty's Abdankung, die Wahl des Vicegespans, Oberfiskals, der Notäre und der Oberstuhlrichter erfolgte ganz so, wie es früher bestimmt worden war, bis zur Wahl des jungen Réty, der unter den Oberstuhlrichtern der letzte war, zeigte sich keine Meinungsverschiedenheit. Ebenso ging es bei der Wahl des Vicestuhlrichters und einiger Geschworenen, das Ganze glich einer meisterhaft einstudirten Komödie, und Tengelyi, der all' jenes Gute, was ein Geschworener seinen Mitmenschen anthun kann, mit dichterischer Seele im Vorhinein durchlebte, war seiner Erwählung so gewiß, und hörte seinen Namen unter den Candidaten mit solcher Ruhe, wie noch nie ein Geschworener auf dieser Welt. Aber es gibt Dinge im Himmel und auf Erden, besonders bei Restaurationen, wovon unsere Weisen nichts träumen, und darunter gehörte auch, daß Tengelyi, den vor Kurzem die allgemeine Meinung zum Oberstuhlrichter bestimmte, jetzt, als er zum Geschworenen vorgeschlagen wurde, plötzlich in der allerkleinsten Minorität blieb. Er fiel durch, und ein Edelmann aus der Ráczer Gemeinde, der als ein Hauptcortesführer Konkolyi's die Gelegenheit benützt hatte, sich die Zuneigung des kleinen Adels zu erwerben, wurde zum Geschworenen ausgerufen.
Jonas war erbittert; alle Hoffnungen seines Lebens, und was noch schmerzlicher, sein Vertrauen zu den Menschen, waren erschüttert; statt einer glänzenden Zukunft stand die traurig mahnende Noth vor ihm, und er hatte Niemand in der Welt, auf den er sich in so viel Kummer stützen, dem er vertrauen konnte. Allerdings war Réty da, aber wenn sie auch einander freundschaftlich duzten, waren doch jene Tage schon vergangen, wo es an der Universität zu Heidelberg keine innigeren Freunde gab, als diese Beiden. Jonas stand ganz verlassen und hätte sein Leben kaum ertragen, wenn die gütige Vorsehung ihm in seinem Kummer nicht neuen Trost gereicht hätte.
Jonas liebte zum erstenmale in seinem Leben, wie nur Jener lieben kann, der die ganze Summe seines Herzens einem Wesen geben konnte, der überall zurückgestoßen, mit der ganzen Kraft seiner Seele sich an das eine Wesen klammert, welches ihm die gütige Vorsehung entgegenführt, auf daß er lebe und hoffe. Ich werde mich über diesen Gegenstand nicht ausbreiten, und meine Leser besonders mit der Beschreibung Erzsi's Erzsi, Verkürzung von Elisabeth, entspricht dem deutschen Lieschen. verschonen, mit der wir bald als Frau Elisabeth bekannter werden. Erwähnenswerth ist nur, daß Erzsi außer ihren persönlichen Eigenschaften gar nichts besaß, und daß unser Held vor Allem auf einen Erwerbszweig bedacht sein mußte, wenn er nicht den unangenehmen Proceß des Erhungerns mit seiner Liebsten durchmachen wollte.
Diesmal schien unserem Jonas das Glück zu lächeln; die alten Freunde seines Vaters, der gute Ruf, den er als ausgezeichneter Student im Debrecziner Collegium zurückgelassen, dies Alles unterstützte ihn, als er bei einer größeren Gemeinde um die Schulmeisterstelle einkam; und wenn auch diese Stelle nicht glänzend genannt werden konnte, war doch für seine Bedürfnisse gesorgt, und das Versprechen, daß er bei erster Gelegenheit eine Professorstelle am Debrecziner Collegium erhalten werde, verhieß eine schönere Zukunft.
Nichts stand also seinem Glücke im Wege, und der glückliche Schulmeister führte mit vor Freude schwellender Brust die junge Braut in sein kleines Häuschen, dessen Strohdach sie gegen Sturm und Unwetter ebenso gut schützen konnte, wie ein Palast, und unter welchem so viel Liebe sich selbst den Himmel zu schaffen vermochte; nur Eines war in der Rechnung vergessen worden.
Erzsi war katholisch. Im Feuer seiner Liebe hatte Jonas vergessen sie um ihren Glauben zu befragen, und so geschah es, daß die reformirte Gemeinde, entrüstet, daß ihr Schulmeister eine Person anderen Glaubens geheiratet, unseren Helden nach einem Jahre entließ, und daß, wie natürlich, die Hoffnungen auf eine Professur ebenfalls in Rauch aufgingen.
Es mußte nun wieder um das tägliche Brod gesorgt, gerungen werden, mit erbittertem Herzen, aber ruhig griff Jonas auch diese schwere Arbeit an und nach langem Suchen erlangte er endlich eine Erzieherstelle. Das Haus, in welches er gerieth, war eines der besseren, d. h. es war ein solches, wo der Erzieher bei schöner Bezahlung und der Hoffnung eines Ruhegehaltes beinahe wie der Koch und Kammerdiener gehalten wird; und obschon die kleinen Qualen und Leiden, die das Leben eines Erziehers verbittern, auch seinem dornigen Pfad nicht fehlten, ertrug doch Jonas das Alles. Der bitterste Abschnitt im Leben jedes besseren Menschen ist der, in welchem er überzeugt von der Unausführbarkeit seiner hohen Entwürfe zum Egoismus gezwungen wird, und wo wir, die wir früher das ganze Menschengeschlecht beglücken wollten, endlich mit blutendem Herzen ein geringes Glück für uns selbst suchen. Diese Zeit war für Jonas längst gekommen, er war bescheiden geworden in seinen Wünschen; Erzsi wohnte mit ihm in einem Hause, die Zukunft war gesichert, und er mit seiner Stellung zufrieden. Sein Schicksal hatte es aber anders beschlossen. Das Haus, wo er nun als Erzieher lebte, war katholisch, er reformirt; so wie früher, als er Schulmeister war, und eine Katholikin heiratete, die ganze Gemeinde, so erhoben sich jetzt die Freunde und die Verwandten der Eltern seiner Zöglinge gegen diesen Glaubensscandal, und Tengelyi wurde abermals entlassen, und begann als Wirthschaftsbeamter eine neue Laufbahn.
Tengelyi war einer jener Menschen, die bei jeder Sache die poetische Seite derselben schon im ersten Augenblicke auffassen; die bei jeder Beschäftigung, sie mag noch so gering und alltäglich scheinen, den Zusammenhang auffinden, in welchem sie mit einer schönen oder großartigen Idee steht, und daher kam es, daß, wie er sich einerseits sehr leicht zu einer neuen Lebensweise entschloß, und ihre schönen Seiten schon im Vorhinein in der Phantasie durchlebte, so anderseits sich Niemand öfter getäuscht fühlte, als eben er. Als er sich entschloß, Wirthschaftsbeamter zu werden, erfüllten Virgils Georgica seine ganze Einbildungskraft; später aber blieben von seinen Träumereien nichts als der große Misthaufen vor seinem Fenster, und jene noch schmutzigeren Verhältnisse, in die er durch sein Amt gerieth. Virgil hatte in seinem Gedichte das Urbarium vergessen, und dennoch war die Nutzanwendung desselben Tengelyi's höchste Aufgabe; noch glücklich, wenn sein Herr – ein sehr freigesinnter, hochgeborner Herr, der Voltaire und Rousseau beinahe auswendig wußte – sich mit der Vollstreckung des Urbariums begnügt, und nicht tagtäglich schönere Verbesserungen eingeführt hätte, durch die Jonas beinahe in Verzweiflung gerieth.
Nachdem die Bauern weniger Feld besaßen, als sie nach dem Urbarium besitzen sollten, der hochgeborne Herr aber die Nachtheile des Faulenzens an sich selbst erprobt hatte, und wußte, daß seine Unterthanen die Zeit, die ihnen vom Gottes-, Herrn- und Comitats-Dienste noch blieb, auf ihre Grundstücke nicht verwenden konnten, sorgte er auch außer den Urbarial-Tagen mit gesunder Arbeit für sie. Jonas, das unwillkürliche Werkzeug alles dessen, aß sein tägliches Brod in der Bitterkeit seines Herzens, und nur die unwiderstehliche Philosophie der Noth konnte ihn in einer Stellung festhalten, die seiner Empfindungsweise und Ueberzeugung gleichmäßig widerstrebte. Aber Erzsi fühlte sich wenigstens glücklich, und hie und dort gab es doch eine Thräne, die zu trocknen, einzelne Leiden, die er zu lindern vermochte. Zwei Jahre verflossen, als plötzlich Brandbriefe im Umlauf kamen, in denen jedem herrschaftlichen Gebäude der rothe Hahn verheißen wurde. Am Pfingsttage standen Scheunen und Ställe und auch jenes Haus, in welchem Jonas wohnte, in Flammen. Die Wohnungen der übrigen Beamten waren mit Ziegeln gedeckt, litten also keinen Schaden. Einer der Mordbrenner wurde auf der That ertappt und gestand unter dem Galgen, daß er sich zu dem Verbrechen nur entschlossen habe, um Rache zu nehmen für alle Ungerechtigkeiten und Plackereien, die sie von der Herrschaft erdulden mußten, und wenn die Beamten ihr bisheriges Verfahren nicht änderten, würden später gewiß Andere sich finden, die für ihre Angehörigen das Geschehene wiederholten. Der hochgeborne Grundherr, in dem das Comitat einen seiner aufgeklärtesten, freisinnigsten Beisitzer verehrte, der nie in die Kirche ging, und wenn er die Gasse entlang wandelte, jedem Kinde herablassend auf die Wange schlug (später, wenn diese Kinder zu Reitknechten oder anderem Dienste heranwuchsen, wuchs auch das Schlagen mit ihnen), ein solcher Grundherr, wie könnte er solche Urbarialexcesse veranlassen? natürlich sind die Beamten die einzige Ursache jener Erbitterung, die unter den Bauern herrschte. Hier war ein Beispiel nöthig, das sah Jeder ein, und am allermeisten der hochgeborne Herr selbst, und weil unter seinen Beamten Tengelyi der Einzige war, der dem Güter-Regenten zu widersprechen wagte, als derselbe in Bezug auf die Urbarialverhältnisse bestimmte aber nur mündliche Befehle gab, da endlich Tengelyi's Haus in Brand gerathen und er dadurch vom Mordbrenner selbst als Jener bezeichnet wurde, gegen den die Aufregung auf den höchsten Gipfel gestiegen, so ist nichts natürlicher, als daß er zum Opfer auserlesen, und, trotz allen Bittens, Knall und Fall entlassen wurde.
Seine geringe Einrichtung, und was er sich während des Dienstes erspart, war den Flammen zum Raube geworden, und ärmer als er es verlassen, kehrte er nach Porvár zurück.
Hier beginnt unseres Helden traurigste Periode; er mußte mit unzähliger Noth und Selbstverläugnung um das tägliche Brod ringen; ich will den Leser mit all dem Jammer verschonen. Tengelyi war zu allem bereit, er hätte jeden Dienst angenommen, sich vor keiner Arbeit gescheut; umsonst, das Schicksal wollte nicht, daß er irgendwo Ruhe fände. Wenn er nicht für diesen oder jenen Advocaten ein Paar Repliken verfaßt, oder zuweilen eine Bittschrift geschrieben, und die Frau nicht durch Waschen und Nähen einige Gulden verdient hätte, würde Tengelyi bei all seiner Wissenschaft haben betteln müssen. So vergingen abermals 3 Jahre, ohne daß Réty, der indessen das Erbe seines Vaters angetreten und Vicegespan geworden war, für seinen Freund auch nur das Geringste gethan hätte. Er achtete seinen Freund zu sehr, als daß er ihn selbst in der größten Noth durch eine Gabe oder ein Geschenk hätte verletzen wollen; was aber den Einfluß anbelangt, durch den er unserem Helden zu irgend einem Amte oder einer Beschäftigung hätte verhelfen können, gehörte Réty zu jenen Männern, die mit der seltenen Tugend begabt sind, ihren Einfluß zu Gunsten ihrer Freunde nicht zu mißbrauchen; und, so durch seine Grundsätze gebunden, sah er sich in der traurigen Lage, für seinen treuesten Freund nichts thun zu können. Aber der Wille lebte dessenungeachtet gleich stark in seinem Herzen, und nachdem Jonas, durch 3 Jahre mit so viel Kummer und Noth ringend, beinahe jeder Hoffnung entsagt hatte, erscheint plötzlich in dem kleinen Zimmer der edelherzige Vicegespan, sagt, daß der Notär von Tiszarét gestorben, fragt, ob er diese Stelle annehmen wolle, und setzt im Ueberströmen der Hochherzigkeit hinzu, daß er, wie den vorigen Notär, so auch Jonas hinsichtlich der Grundstücke, deren Nutznießung dem Notär zusteht, von jeder Urbarial-Verpflichtung enthebe.
Jonas dankte Réty für diese Gunst und zog noch dieselbe Woche nach Tiszarét, wo wir ihn am Beginn unserer Erzählung schon im zwanzigsten Jahre seines Dorfnotariats mit weißen Haaren, aber noch an Geist und Körper kräftig finden. Wenn die Leser von dieser Zeit etwas Interessantes wissen wollen, so kann ich höchstens sagen, daß Tengelyi ein paar Jahre vor dem Beginne dieser Geschichte zu Tiszarét ein kleines Curiathaus Kuria, hier adeliger Freisitz. sammt Grund gekauft habe, außer dem Amte sich mit der Landwirthschaft beschäftigte, daß ihm eine Tochter Vilma und ein Sohn Pista Vilma, Wilhelmine; Pista, Stephan. geboren wurden, mit denen wir als dem schönsten Mädchen und muthwilligsten Knaben der ganzen Gegend nächstens Bekanntschaft anknüpfen werden; daß die einstige Erzsi, jetzt Frau Elisabeth, seit einiger Zeit viel mehr brummt, und daß die Freundschaft zwischen Jonas und Réty seit der letzten Deputirten-Wahl Zum Reichstage. bedeutend erkaltet war. Tengelyi hat sich in dieser langen Zeit nicht verändert; so viele Leiden gaben ihm wohl einen Geschmack von Bitterkeit, aber jene Gerechtigkeitsliebe, die dem Jünglinge eigen war, der Muth, mit dem er gegen jede Unterdrückung, gegen jede Ungesetzlichkeit gesprochen, waren dieselben geblieben, und Frau Elisabeth hatte Recht, wenn sie kopfschüttelnd sagte: »Mein Mann wird nie gescheidt werden, und nie vorwärts kommen.«
Tengelyi's Aeußeres erweckte schon Ehrfurcht, aber diese Empfindung wurde noch gehoben durch den Ernst, ich möchte sagen, die Feierlichkeit, die das Benehmen dieses Mannes auch im engsten häuslichen Kreise bezeichnete. Gegen Vornehmere (die ihn aufsuchten wegen seines Einflusses beim kleinen Adel) beobachtete Niemand die Regeln des Anstandes strenger, aber Niemand konnte die Freundschaftsäußerungen mit mehr Kälte aufnehmen oder erwidern. – Die Höhergestellten, so pflegte er zu sagen, schätzen uns Niederstehende nur insofern, als sie uns benützen können, wir sie bloß, weil wir sie fürchten; hierzu habe ich keine Ursache, warum soll ich also ihre Freundschaft suchen oder annehmen? Daß diese Eigenheit Tengelyi keine Freunde verschaffte, werden die Leser leicht einsehen. Ich kenne jedoch kein unabhängigeres Geschöpf als einen Dorfnotär, der durch jenen Einfluß, den er auf den kleinen Adel ausübt, gesichert ist, daß er sein Amt nicht verliert, und der noch obendrein das kleine Haus, das er bewohnt, als Eigenthum, als adeliges Grundstück besitzt; und so konnte auch mein Held ruhigen Gemüthes jene Abneigung betrachten, die vom Vicegespan angefangen bis zum letzten Geschworenen herunter in Bezug seiner vorwaltete. Tengelyi war, wie man zu sagen pflegt, einer von denen, die zum Cäsar oder Dorfnotär geboren sind, d. h. die, wenn sie nicht zufällig Cäsare geworden, es nie höher bringen, als höchstens bis zum Dorfnotär; und er strebte schon lange nach nichts Anderem als was er besaß. Klug war es auf jeden Fall; denn der Weg, auf welchem wir in die Höhe gelangen können, kann nur durch den gefunden werden, der ihn mit gebücktem Haupte suchen will. Aber so wie diese Fehler oder guten Eigenschaften Tengelyi's (ich weiß nicht, wie ich sie nennen soll, und überlasse meinen Lesern die Entscheidung) ihn bei seinen Vorgesetzten verhaßt machten, so war anderseits vielleicht im ganzen Lande kein Notär, der unter dem Volke, dessen Angelegenheiten ihm vertraut waren, so viel Popularität, so viel freiwillige Verehrung, und in Folge dessen so große Macht besessen hätte. Es gab auch hier Viele, welche die Strenge seiner Grundsätze mit einem üblen Namen bezeichneten, aber am Ende war zehn Meilen in der Runde vielleicht kein Mensch, der von Tengelyi nicht gesagt hätte: er ist ein rechtschaffener Mann.
In enger Freundschaft war Tengelyi mit einem einzigen Menschen, mit Balthasar Vándory, mit dem ihn die Leser zuerst auf dem Türkenhügel gesehen haben. Diese Freundschaft war eine Hauptfreude seines Lebens, und ließ beide Männer die übrigen Unannehmlichkeiten ihrer sonstigen Stellung vergessen.
Vándory und Tengelyi waren übrigens die unähnlichsten Menschen, die man sich nur vorstellen kann, und dies war vielleicht die Ursache ihrer wandellosen Freundschaft. Die Neigungen und Eigenschaften dieser beiden Freunde ergänzten sich gleichsam wechselseitig. Nach Tengelyi's strengen Urtheilen über die Menschen klang Vándory's heitere Lebensansicht, der in Allem die gute Seite hervorhob, in Jedem etwas Liebewerthes fand, gleich wohlthuendem Troste.
Vándory war ein paar Jahre früher als unser Held nach Tiszarét gekommen, und seither waren ihm die Tage in ruhiger Einförmigkeit dahin geflossen. Von seiner Vergangenheit wissen wir nur, daß er in Heidelberg studirt, und daselbst, obschon beinahe um 10 Jahre älter, und der Theologie beflissen, dennoch fast ausschließlich mit Tengelyi umging. Von seiner Familie und der Kinderzeit sprach er nie; daß er ein Magyare, bezweifelte Niemand, der ihn reden hörte, und wer nach Tiszarét kommend, den alten Prediger unter seinen Gläubigen sah, der mußte wähnen, er sehe den Vater unter seinen Kindern; so viel Verehrung umgab den Greis, so viel Liebe lachte ihm aus jedem Angesichte entgegen. Selbst die Familie Réty theilte diese allgemeine Würdigung, und es gab vielleicht keinen Menschen, der in diesem Hause so viel Ansehen genossen hätte, als der bescheidene Prediger von Tiszarét.
Dies ist Alles, was ich von der Vergangenheit meiner Helden mitzutheilen habe; war es zu lang, habe ich einige Leser gelangweilt, so erwäge man hinwieder, daß meine Erzählung nur ein Lebensbild sein will, und das ist nicht immer unterhaltend.
Die Sonne war schon zur Ruhe gegangen, und nur ein paar röthliche Wolken bezeichneten den Ort, wo sie verschwunden, als die beiden Freunde ans Dorf gelangten und Vándory, eine gute Nacht bietend, von Jonas schied. Unser Held blieb allein, und sei es, daß die Gerichtsscene, deren Zeuge er auf dem Türkenhügel gewesen, sein Gemüth verletzt, sei es, daß er der Vergangenheit dachte, er traf ernster als gewöhnlich vor seinem Hause ein; als er aber am Thore Vilma sah, die ihm froh entgegentrat, und als er das liebe Kind an die Brust drückte, verschwanden jene Gedanken, die seine Stirne in Falten gelegt, und nur Wonnegefühl durchströmte sein Herz.
Er wollte in das Haus treten, aber das Mädchen hielt ihn sanft zurück. »Ich habe zuvor eine Bitte an dich,« sagte sie anmuthig lächelnd, »ich lasse dich nicht hinein, ehe du mir gelobst, daß du sie erfüllst.«
»Und was wäre dies?« fragte Jonas, die Wangen des Mädchens mit Wohlgefallen streichelnd.
»Daß du nicht zürnst,« antwortete Vilma bittend.
»Ich, und warum?«
»Wir haben ohne dein Vorwissen etwas gethan.«
»Wenn es nur das ist, verspreche ich dir, daß ich nicht zürnen werde.«
»Und daß du es gut heißen wirst?«
»Das ist eine andere Frage; aber wenn du es gethan hast,« fuhr er sanft fort, »sei auch dies zugesagt.«
Und Vater und Tochter gingen in das Haus, beide glücklich, und wir müssen es gestehen, der Notär nicht ohne alle Neugierde.