Otto Ernst
Semper der Jüngling
Otto Ernst

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XXXII. Kapitel.

Semper der Jüngling als Heldenvater und Liebhaber.

Kurz nach Weihnachten sollte wieder Konzert und Theater sein, und zwar sollte Gutzkows »Zopf und Schwert« gegeben werden. Obwohl Asmus im Seminar weder als Mime noch als Regisseur jemals irgend einen Posten bekleidet hatte, war man doch einstimmig der Meinung, daß er den König Friedrich Wilhelm I. geben und die Regie führen müsse. Man glaubte, Rezitieren und Komödie spielen sei dasselbe.

Die Proben im Musiksaal begannen, und Asmus stürzte sich mit Begeisterung in seinen neuen Beruf. Er hatte harte Arbeit; denn unter den Mitwirkenden gab es einige übertriebene Talentlosigkeiten. Da war einer, der die Prinzessin geben sollte, – denn auch die weiblichen Rollen mußten der Feuersicherheit wegen von Jünglingen gespielt werden, ein Zopf, den der neue Direktor im Jahre darauf mit einem Schwertstreich abhieb, – und dieser Prinzessinnendarsteller hatte offenbar beim Spielen das Gefühl, daß er mindestens acht Hände habe, von denen er dann immer zwei in die Hosentaschen steckte.

»Mensch,« rief Asmus, »bedenk doch, daß du als Prinzessin nicht die Hände in die Hosentaschen stecken kannst!«

Und dann zog Lau, so hieß er, die Hände wieder heraus; aber beim nächsten Satze staken sie schon wieder drin. Asmus gab ihm endlich eine kleinere Rolle und dann eine noch kleinere; aber es half nichts; Laus starke Persönlichkeit brach sich durch jede Rolle Bahn; er war ein penetrantes Talent.

Aber es waren auch zweifellose Begabungen darunter, und im ganzen fühlte sich Asmus in dieser ganz ungewohnten Tätigkeit unbeschreiblich wohl. Er hätte seinen Zustand mit einem Champagnerrausch vergleichen können, wenn er die für diesen Vergleich erforderlichen Kenntnisse gehabt hätte. Als der Abend der Aufführung herangekommen war, ging es ihm genau wie Meister Bruhn: er war zwei Stunden vor Beginn zur Stelle und hatte nach zehn Minuten schon auf sämtlichen Stühlen gesessen, aber auf keinem länger als zwei Sekunden; er mußte gehen, gehen wie immer, wenn er erregt war, immer auf und ab, wie der Tiger des Zoologischen Gartens im Käfig. Dabei hatte er das Gefühl, daß er fest auftreten müsse, damit ihn nicht ein Lufthauch davontrage. Und wog doch gewiß seine 120 Pfund. Er war nervös wie ein sichernder Hirsch, der ein Knacken im Gezweig vernommen hat; aber es war eine wohlige, prickelnde Nervosität. Der König hat seinen ersten Auftritt hinter der Szene zu sprechen, und das war gut; denn wenn er an das Auditorium dachte, dann war es, als ob plötzlich etwas furchtbar Schweres furchtbar tief in seinen Leib hinunterfiele und ein Emporfliegen war dann nicht mehr zu fürchten.

Der Vorhang ging endlich auf, und schon nach den ersten Szenen war der Erfolg des ersten Aktes gesichert; denn der Darsteller der Königin hatte in der Erregung unter den königlichen Kleidern seine männlichen Dessous und seine Zugstiefeletten anbehalten, und das genügte für den 1. Akt. Jedesmal, wenn die hohe Frau sich setzte und ihr Reifrock sich hob, brauste ein Sturm des Entzückens durch das vollbesetzte Haus. Asmus lief wie besessen hinter der Szene auf und ab.

»Was hat das Publikum? Was hat das Publikum?« flüsterte er. Stelling, der hinter der ersten Kulisse stand, rief:

»Kneist hat die Stiefeletten anbehalten« und wollte bersten vor Lachen. Er konnte lachen; über dies schwere Unglück konnte er lachen. Asmus war außer sich, und als Ihre Majestät die Bühne verlassen hatte und ihm in den Wurf kam, da fluchte er wie ein altgedienter Oberregisseur.

»Eine Schlamperei ist das einfach, eine skandalöse Schlamperei!« flüsterte er; denn laut durfte er ja nicht werden; aber er flüsterte sehr vehement.

»Gott, was ist denn dabei?« versetzte Kneist, die Königin, mit bewundernswerter Ruhe. »Das Ganze ist doch nur 'n Spaß.« Das verschlug Asmussen die Rede allerdings gründlich. Gegen eine so bodenlos frivole Auffassung von der Kunst war er nicht gewappnet. Er war so verstört ob dieser Antwort, daß er fast seinen Auftritt versäumt hätte. Als er dann mit seinen Worten beim Publikum Heiterkeit erweckte, sagte er sich: Gott sei Dank, deinem Aussehen kann das nicht gelten; sie sehen dich ja gar nicht.

Aber auch als sie ihn sahen, hörten sie ihm freundlich und mit öfterem Lachen zu, und als er in der Szene des Tabakkollegiums zu den Worten gekommen war:

»Die Kreaturen zittern? – Ich will allein sein.«

da war das Auditorium eine einzige Stille, und als er dann im nächsten Akte wieder auftrat, bekam er einen großen Schreck; denn sie empfingen ihn mit stürmischem Händeklatschen. Ja, ein großer Schreck war es; aber es war der freudigste, den er empfangen hatte seit jenem Weihnachtabend, als er plötzlich vor dem Puppentheater, dem Geschenk seines Bruders Johannes, gestanden hatte. O ja, ja, es mußte herrlich sein, so jeden Abend, vom Beifall der Menge umbraust, auf der Bühne zu stehen! Der Beruf des Schauspielers war ihm immer in einem märchenhaften Glanze erschienen; jetzt war er tief davon überzeugt, daß es keinen freudenreicheren, verlockenderen gebe als ihn.

Er sollte auch für den Rest des Abends auf diesem kindlichen Wahne nicht aufgeschreckt werden. Murow, der Direktor, kam ihm mit beiden dargebotenen Händen entgegen und rief:

»Alle Watter, mein lieber Samper, harzlichen Glückwunsch! Sie sind ja der jäborne Haldenvater!«

»Na, dazu reicht doch wohl meine Länge nicht,« meinte Asmus zaghaft.

»Nu – es hat auch kleine Haldenväter jäjäben! Sie sind 'n Napoleon-Darstaller! Überhaupt, mein lieber Samper« – und dabei legte er seine mächtige Hand auf die Schulter des Jünglings – »Talant ersatzt jede Körperlänge.« Und mit behaglichem Lachen schritt er weiter, um auch den andern Darstellern freundliche Worte zu sagen; denn er war als preußischer Landtagsabgeordneter beim Reichskanzler und bei Hofe gewesen und verstand sich auf die Courtoisie eines Herrschers.

Als aber Asmus nun auf Flügeln des Triumphes weiter durch den Saal schritt, da erblickte er gar an einem Tische hinten im Winkel neben ihren Logisgebern Hilde Chavonne. Sie war also da! Sie hatte ihn spielen sehen! O, wenn er das gewußt hätte, dann hätte er noch ganz anders gespielt! Er bildete sich ein, daß er dann besser gespielt hätte; aber sehr wahrscheinlich würde er dann den Gamaschenkönig mit dem tanzenden Krückstock als Romeo gespielt haben. Er wußte noch immer nicht, ob er irgendein Mädchen auf der Welt »liebe«; er war noch ganz in jenem dunklen Vorstadium der Liebe, wo die Jünglinge den Jungfrauen im allgemeinen imponieren wollen und die Jungfrauen den Jünglingen im allgemeinen gefallen möchten. Dieser Hilde Chavonne zu imponieren, hielt er freilich für einen besonders berechtigten Ehrgeiz; denn sie war hübsch und vornehm und stellte hohe Ansprüche, die höchsten allerdings an sich selbst. Und dieser Asmus Semper, dieser unglaubliche Tölpel, merkte nichts, als ihm das Fräulein nun ein kleines Veilchenbukett, das sie im Haar getragen hatte, zum Geschenk machte und errötend hinzufügte: »Für den König!« Er nahm es für eine Ehre, der Dummkopf, für eine Ehre! Er freute sich unendlich über dieses Sträußchen; aber er hatte keine Ahnung davon, daß es eine hohe Gunst des Herzens ist, wenn ein Mädchen sich eines Blumenschmucks beraubt und ihn einem jungen Manne schenkt. So unheilbar beschränkt war er, daß er nicht einmal die Verstimmung merkte, die das Mädchen darüber empfand, daß seine Gabe nicht so aufgenommen wurde, wie sie es erwarten konnte. Du lieber Gott, was sollte Asmus von jungen Mädchen wissen! Seine beiden Schwestern waren schon bei fremden Leuten gewesen, als er noch auf dem Fußboden spielte und den hölzernen Schemel voll tausend Nägel schlug. Als größerer Knabe hatte er dann freilich öfters mit Mädchen gespielt, und jede, mit der er gespielt, hatte er auch geliebt, ja, jenes braune Kind, das er einst vor dem Wirtshause zwischen den Bahndämmen gefunden hatte, hatte er sogar mit schmerzlichem Sehnen geliebt; aber es war doch Kinderliebe gewesen. Und nun, als Präparand und Seminarist, hatte er fast ein mönchisches Dasein geführt. Gewiß: er hatte Präparandinnen und Lehrerinnen gesehen und hatte alle diese Leonoren, Lauren und Beatricen selbstverständlich geliebt; aber keiner einzigen war er gesellschaftlich näher getreten. Die Damen des Lehrberufs haben meistens keine den Mann ermunternden Gewohnheiten, und für Asmus war nun vollends alles Weibliche eine unnahbare Welt. Die germanische Ehrfurcht vor dem Weibe lag ihm tief im Blut, und seine Armut machte diese Ehrfurcht zur Schüchternheit. Wenn er auf den Liebesromanen sah, daß zur Anbahnung eines Liebesverhältnisses eine längere Liebeserklärung gehöre, noch dazu eine im schwierigeren Periodenbau, auf den er sich sonst wohl verstand, dann sagte er sich: »Das wird mir nie gelingen, nie; ich werde wohl Junggeselle bleiben.«

Zum Glück hatte Hilde Chavonne kein Gänseherz, sondern ein ganz echtes großes Mädchenherz, und so vergaß sie bald ihre Verstimmung und unterhielt sich mit Asmussen so lebhaft und gutherzig wie immer.

»Wissen Sie, was Sie von den andern unterschied?« sagte sie.

»Nun?«

»Sie spielten immer, auch wenn Sie nichts zu sprechen hatten; die andern spielten nur, während sie sprachen. Auch wenn Sie kein Glied rührten, sah man, daß Sie ununterbrochen mit der Handlung gingen. Ja, sogar, wenn Sie dem Publikum den Rücken kehrten, sah man, daß Sie innerlich spielten. Ich habe einmal von »durchsichtigen Schauspielern« gehört. Das Wort trifft auf Sie zu.«

Asmus war so glücklich, daß er nur eine ganz banale Bescheidenheitsphrase stottern konnte. Er war glücklich wegen der »Ehre«. Daß sie ihn sehr genau und sehr andauernd beobachtet haben müsse, darauf verfiel er nicht. Als sie noch sprachen, kam eilends ein Seminarist aus Sempern zu. »Du möchtest mal zu Herrn Doktor Kieselberg kommen.«

Doktor Kieselberg hatte den Literaturunterricht; bei ihm hatte Semper die längsten und schönsten Sachen rezitiert.

»Hören Sie, lieber Semper, wenn es Ihnen recht ist, schreib' ich über Sie an Cheri Maurice. Maurice muß Sie kennen lernen. Sie müssen für die Bühne gerettet werden. Die Jungens unterrichten, das können schließlich viele andere Leute auch. Aber so spielen, das können nicht viele. Also soll ich ihm schreiben?«

»Wenn Sie die Güte haben wollen, dann bitte ich darum.«

»Gut. Meine Frau läßt Sie bitten, morgen mit uns zu speisen. Zwei Uhr, bitte. Sind Sie noch frei?«

Du lieber Gott! Ob er noch frei war! Für sämtliche Mittage seines Lebens war er noch frei.

Also Schauspieler! Bei der bekannten Geschwindigkeit, mit der er seine Schlösser baute, spielte er schon im nächsten Augenblick den »Faust« auf der Bühne des Wiener Burgtheaters. Und bei einem seiner Lehrer eingeladen zum Essen! Was konnte das Leben einem noch mehr bieten! Er schwamm in der vollen, naiven Freude eines ersten öffentlichen Erfolges. Ihm war, als ob alle Menschen aller Länder ihm hold gesinnt wären und ihm von Herzen das Beste wünschten. Er hatte nicht die leiseste Ahnung davon, daß Lau erzählte, Semper habe ihm die Rolle der Prinzessin nur aus Neid weggenommen, und wenn ihm jemand gesagt hätte, daß Lau das erzähle, so würde er gesagt haben: »Du lügst.«

Als er sich wieder dem Platze Hildens näherte, war sie nicht da. Er ließ die Blicke durch den Saal schweifen – da – sie tanzte! O weh, sie tanzte!


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