Otto Ernst
Semper der Jüngling
Otto Ernst

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LI. Kapitel.

Von rauschenden Bächen im Winter.

Heute soll es sich entscheiden,« hatte sich Asmus gesagt. Er hatte sie eingeladen, mit ihm in Zacharias Werners »Martin Luther oder die Weihe der Kraft« zu gehen. Er liebte das Stück durchaus nicht, fand es schwülstig, verworren und langweilig; aber jetzt war ihm schon jedes Mittel recht; er wäre mit ihr ins Theater gegangen, und wenn man dort den Jahresbericht der Handelskammer rezitiert hätte. Auf dem Heimwege sprachen sie nur wenig; jede Unterhaltung kam bald ins Stocken; wie eine Vorahnung lag es auf beiden. Sie waren der Wohnung Hildens schon ziemlich nahe, als Asmus, das Herz im Halse, mit leiser Stimme fragte:

»Sind Sie mir eigentlich böse, Fräulein Chavonne?«

»Warum sollte ich Ihnen böse sein?« fragte sie ebenso leise, mit starren Augen geradeausblickend. Und alles, was sie noch sprachen, klang leise wie der Regen, der gleichmäßig herabtroff und gegen den sie keinen Schutz begehrten.

»Sie haben mir eigentlich kein Wort über mein letztes Gedicht gesagt,« begann Asmus wieder. »Da glaubte ich, daß Sie mir zürnten.«

»Wie wäre das möglich?« sprach sie noch leiser, mit bebender Stimme.

Wiederum schwiegen sie eine kurze Weile.

Ihr Kopftuch hatte sich verschoben, und um es zu ordnen, zog sie leise ihren Arm aus dem seinen. Im selben Augenblick ließ er seinen Arm sinken; ihre Hände berührten sich, und Asmus faßte Hildens Hand.

Nun ist es ein seltsames Ding: Arm in Arm gehen die fremdesten Menschen miteinander; aber Hand in Hand gehen nur Kinder und Liebende. Ein höherer Wille hatte ihre Hände ineinander gelegt und gesagt: Ich will, daß ihr euch findet.

Das gab Asmus Sempern einen heiligen Mut, und zitternd sprach er:

»Fräulein Chavonne – haben Sie mich lieb?«

Sie blieb stehen und schien zu wanken. Sie konnte nicht sprechen.

Da legte er den Arm um sie, damit er sie stütze, und sprach noch leiser:

»Hilde, hast du mich lieb?«

Ihr Kopf sank an seine Schulter, und sie sagte: »Ja.«

Und er wagte nicht, ihr den Kopf aufzuheben; denn es schien ihm, daß sie ruhte. Aber dann hob sie von selbst den Kopf und sah ihn aus leuchtenden, weinenden Augen an. Und er zog sie fester an sich und preßte seine Lippen in einem langen, langen Kusse auf ihren edlen, frischen, roten Mund.

Sie waren nur noch zehn Minuten von Hildens Hause entfernt; aber sie brauchten zu diesem Wege noch zwei Stunden. Denn immer wieder gingen sie in weitem Bogen um das Haus herum, obwohl ein unaufhörlicher feiner Regen herabrieselte. Sie freuten sich unbewußt dieses Regens; er kam herab wie sanfte Linderung einer langen Sehnsucht. Es schien ihnen auch, als brauche man nun um nichts mehr zu sorgen, als hätten sie nun des Glückes genug und brauchten nichts mehr als solch ein stilles, seliges ewiges Wandern.

Sie sprachen nur wenig, und wenn sie sprachen, so war es fast immer dasselbe:

»Hast du mich lieb, hast du mich wirklich, wirklich lieb?«

»Ja, ich hab' dich lieb – so lange schon, ach, wie lange schon.«

Ganz, ganz anders waren sie schon wenige Tage darauf. Frost und Schnee waren hereingebrochen mit Macht, und Asmus schlug ihr einen Ausflug »ins Grüne« vor. Nach dem »Quellental« wollten sie wandern und die Elbe hinab. Ludwig Semper würde zu diesem Ausflug »bei dieser Kälte« lange den Kopf geschüttelt haben, wenn er darum gewußt hätte; aber darin folgte sein Sohn ihm nicht; Winterwanderungen, die liebte er vor allen andern; da gab es einen Kampf mit Frost und Wind, und wenn er dann durchgekämpft war, dann glühte in Wangen und Herzen eine ganz besondere, eine ganz wundersame Wärme auf, die war ganz anders als Lenz und Sommerglut. Es war eigenes, selbstentzündetes Feuer! Und wie heilig schön die Winterwelt! Seltsam: die ersten Lieder, die der Zauber der Natur ihm entrungen hatte, waren Winterlieder gewesen. Aber er sang sie nicht in Wehmut und Trauer; der Winter war ihm Andacht und Stille, niemals Tod; denn in seinem Herzen glomm wie eine ewige Lampe die Gewißheit des Frühlings. So kam es denn ganz von selbst, daß Asmus, als sie auf frostklingenden Wegen dahinschritten und sein schüchternes Schnurrbärtchen von lauter Eisnadeln starrte, also zu singen anhob:

Die linden Lüfte sind erwacht,
Sie säuseln und weben Tag und Nacht;
Sie schaffen an allen Enden.

und daß er erschrak, als Hilde in ein lautes Lachen ausbrach.

»Herr Professor, Herr Professor, es ist Winter!« rief sie; da verstand er sie und lachte nun auch aus vollem Halse; weil sie aber so ganz besonders schön lachte, küßte er sie sieben Mal auf den winterfrischen Mund, und dabei lachten sie, weil das Lied so gar nicht paßte, und ihre Augen wurden feucht, weil es doch so gut paßte.

Nun fand er Gefallen an dieser Antithese, und während der Schnee unter ihren Füßen knirschte, sang er:

Wie herrlich leuchtet
Mir die Natur,
Wie glänzt die Sonne,
Wie lacht die Flur!

Es dringen Blüten
Aus jedem Zweig
Und tausend Stimmen
Aus dem Gesträuch!

und dann warf er ihr ganz sachte und heimtückisch ein Häuflein Schnee zwischen Hals und Kragen.

Sie kreischte auf und schüttelte sich, und dann sah sie ihn mit einem langen Blick, mit einem Lächeln voll Wehmut und Staunen in die Augen. Sie bestaunte dies Wunder einer Fröhlichkeit, die sie in ihrem Leben noch nie gesehen hatte, die sie auch bei ihm nicht vermutet hatte; denn er war ihr meistens in ernster Stimmung entgegengetreten. Diese Lustigkeit berauschte sie, daß sie mit beiden Händen seinen Kopf ergriff und ihm das Gesicht mit Küssen bedeckte. – –

Ich hört' ein Bächlein rauschen
Wohl aus dem Felsenquell

sang er.

»Wo?« rief sie lachend.

Da legte er wieder den Arm um sie und sagte: »Überall. Überall hör' ich Quellen rauschen. Hörst du sie nicht?«

Sie hatte den Kopf an seine Schulter gelegt und die Augen geschlossen. »Hier laß mich liegen bleiben und träumen und immerfort deine Stimme hören und gar nicht wieder aufwachen.«

Er neigte sich zu ihrem Ohr, wiegte sie sanft in seinen Armen hin und her und sang mit leiser, leiser Stimme:

Horch, horch, die Lerch' im Ätherblau!
Und Phöbus, neu erweckt,
Tränkt seine Rosse mit dem Tau,
Der Blumenkelche deckt,
Der Ringelblume Knospe schleußt
Die hellen Äuglein auf:
Mit allem, was da reizend ist,
Du süße Maid, wach auf!

Da machte sie langsam – weit – weit die Augen auf, und ihre Augen waren tiefernst.

»Du bist ein böser Mensch,« sagte sie. »Weißt du, daß du ein böser Mensch bist? Ein Zauberer bist du!« und sie riß sich fast ängstlich von ihm los und lief ein groß Stück Weges voraus.

Kurz vor dem Quellental hatte er sie wieder eingeholt und den Arm um ihre Hüfte gelegt. Und so schritten sie andächtig hinein in einen kristallenen Dom von uralten Bäumen.

Hier wohnt ein Gedicht, dachte Asmus; denn die Gedichte wohnten ihm wie Dryas und Oreas in Bergen, Bäumen und Grotten, in Wiesen und Quellen. Wenn es sich zeigen wollte, dachte er. Da hauchte es ihm ins Ohr:

Wo vom nahen Strauch ein Vöglein schwebt
Stummen Fluges durch die träge Luft,
Und vom kaum gebog'nen Zweig der Schnee
Lautlos fällt auf Schnee . . . . .

Und Asmus lächelte dankbar und heimlich. Dann kamen sie vor die auf geringer Erhöhung liegende Mooshütte mit der Inschrift: »Hoc erat in vocis« und gingen hinein. Aber es war ihnen zu warm und dumpfig drinnen; sie mußten wieder hinaus. Und bei der eingefrorenen Quelle, die am Abhang der kleinen Erhöhung entspringt, warf er seinen Mantel in den Schnee, lud sie zum Niedersitzen und setzte sich ihr zu Füßen. Er mußte heute immerfort singen. Und während von den Zweigen ringsherum von Zeit zu Zeit der Schnee in silbernen Trauben fiel, sang er:

Der Reimer Thomas lag am Bach,
Am Kieselbach bei Huntley-Schloß.
Da sah er eine blonde Frau,
Die saß auf einem weißen Roß.

»Eine braune Frau!« rief sie mit anmutig gespieltem Schmollen.

»Eine blonde Frau,« versetzte er.

»Eine braune Frau.«

»Eine blonde Frau.«

»Hast du schon einmal eine blonde Frau geliebt?« fragte sie ängstlich forschend.

»Ich habe keine Frau geliebt vor dir.«

Dann sah sie lange vor sich hin und sagte:

»Wie schrecklich dumm bin ich gewesen.«

»Du?«

»Ja. Weißt du, daß ich einmal furchtbar eifersüchtig gewesen bin?«

»Eifersüchtig?«

»Ja, auf das reizende blonde Mädchen, mit dem du zusammen sangst, auf dem Fest in der ›Treue‹ –«

»Auf die kleine Lizzy?«

»Ja. Ich hatte ja immer geglaubt, daß ich dir gleichgültig sei; aber als ich euch sah und singen hörte, mit solcher Begeisterung, und als eure Stimmen so innig zusammenklangen – das gab mir den Gnadenstoß. Bald darauf verlobte ich mich, weil ich mich von allen verlassen fühlte – aus Trauer – aus Bangigkeit – aus Trotz – ich weiß es nicht mehr.«

»Auch aus Trotz?« fragte er.

»Ja, ja, – o, du darfst mich um des Himmels willen nicht für so gut halten wie du es tust – ich bin lange nicht so gut, wie du glaubst –«

»Du?« sagte er langsam, indem er das edle Oval ihres Gesichtes mit schwärmenden Blicken umschrieb:

Du bist die Himmelskönigin,
Du bist von dieser Erde nicht.

Da lachte sie laut auf, und mit warnend erhobenem Finger sang sie:

Ich bin die Himmelsjungfrau nicht,
Ich bin die Elfenkönigin.
Nimm deine Harf' und spiel und sing
Und laß dein schönstes Lied erschall'n!
Doch wenn du meine Lippe küßt,
Bist du mir sieben Jahr verfall'n.

Asmus sprang auf und warf sich auf die Knie:

Wohl, sieben Jahr zu dienen dir,
O Königin, das schreckt mich kaum!
Er küßte sie –

da küßte er sie –

                  sie küßte ihn –

da küßte sie ihn.

»Kein Vogel singt im Eschenbaum,« rief Asmus, »aber das schadet nichts; wir können's ja selbst.«

Dann sprangen sie auf; Asmus schüttelte seinen Mantel, daß die Flocken stoben, warf ihn sich um und stürmte im Galopp den abschüssigen Weg hinab ins dichtere Gehölz hinein, und im Galoppieren sang er laut:

Sie ritten durch den grünen Wald,
Wie glücklich da der Reimer war!
Sie ritten durch den grünen Wald
Bei Vogelsang und Sonnenschein –

und als sie ihn einholte und von hinten her die Arme um seinen Hals schlang, da legte er den Kopf zurück, daß Wange an Wange lag, und sang:

Und wenn sie leis am Zügel zog,
Dann klangen hell die Glöckelein.


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