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XXVIII.
Bootsfahrt

Nicht so frohgemut als Emil sah Doktor Imhoff schon nach der ersten Woche nach der Ankunft des neuen Lehrers die Lage der Dinge in seinem Hause an. Er war einer der stillen Naturen, denen eine schwankende Gesundheit keine andere Form der Energie erlaubt, als jene feine und vornehme Zähigkeit, gegen die ein Aufkommen so schwer fällt. Auch bei Emil wandte er diese ihm natürliche Methode freundlicher und ausdauernder Bearbeitung an, jedoch nicht mit dem gleichen Erfolg, wie in anderen Fällen bei den ihm unterstehenden Lehrern und Schülern. Er hatte es sich schon in Grindelwald in den Kopf gesetzt, Emil als Lehrer für die Anstalt zu gewinnen, und er versprach sich von seiner Mitarbeit einen erneuten Aufschwung seines Erziehungsheims. Aber seine sonst unauffällig wirkende suggestive Macht stieß bei Emil auf unbestimmten, aber starken Widerstand.

Triftige Gründe, warum er nicht für immer oder wenigstens für einige Jahre seine ganze Kraft der Sache der Landerziehungsheime widmen wolle, gab Emil nicht an, sondern antwortete nur mit allerhand halb ernst gemeinten, halb scherzhaften Ausflüchten. Es gehe ihm zu gut in diesem Schulkapua sagte er lachend, er habe schon gemerkt, daß seine Konstitution gröbere Widerstände nötig habe, und er sei überhaupt ein Mensch, dem es schlecht gehen müsse, damit er sich wohlfühle und etwas leiste. Sonst werde er gar zu leicht übermütig.

Imhoff schaute bei solchen seltsamen Reden mit seinem liebenswürdig häßlichen Gesicht und seinen rührenden großen Augen seinen Freund an und wußte nicht, was er dazu sagen solle.

Der Gedanke, daß er sich mit dem Vertreter seines erkrankten Lehrers einen Menschen ins Haus geholt, der imstande war, die Base fortzunehmen, die sich als ein die ganze Anstalt belebendes und freundlich ordnendes Element erwiesen hatte, dieser Gedanke war schon mehr als einmal leise an Doktor Imhoff herangetreten; und es war nicht nur der leise verliebte Vetter, sondern auch der weitschauende Leiter der Anstalt, der sich entschloß, alles aufzubieten, um sich die beiden Kräfte getrennt oder vereint zu erhalten.

Und daß Doktor Imhoff nicht ohne Grund in Besorgnis war, das wußte niemand besser als die beiden, um die es sich handelte.

Als Emil nach der zweiten, wunderseltsamen Überraschung bei seinem Empfang an der Mauerpforte hinter Sabinens leicht schwebender Gestalt einherschritt und ihr Vetter ihm bald darauf ahnungslos bekannte, daß er hoffe, Sabine noch lange Zeit unverheiratet als Mitarbeiterin behalten zu können, da hatte es in Emils Herz laut und klar gesagt:

»Die oder keine!«

Und als Imhoffs Bäslein nach dem Ringen auf der Wiese Emil den Eichenkranz auf die Stirn setzte, da segnete sie ihn unvermerkt mit dem ganzen stillen Segen einer großen, verschwiegenen Frauenliebe, und ihr Herz sagte dazu:

»Dich oder keinen.«

Wenn ein Mann in den Dreißigern mit zwei Liebschaften auf dem Gewissen innerhalb eines Jahres es unternimmt, sich durch eine dritte Liebe von seiner Vergangenheit erlösen zu lassen, so ist er entweder ein ausgemachter Don Juan, oder es liegt der nicht allzu seltene Fall vor, daß er sich bei den zwei ersten Malen einer mehr oder weniger angenehmen Täuschung, sowohl über die Erwählte als auch über den Ernst seines eigenen jeweiligen Zustandes, hingegeben hat.

Daß die Dinge bei ihm so lagen, darüber war sich Emil klar, nachdem er Sabine zum ersten Male gesehen. Aber als ob sie eine leise Ahnung von seinem belasteten Konto gehabt hätte, hielt sie sich zunächst in einiger Entfernung mehr des Betragens als des sichtbaren Abstandes von ihm. Ihre hellen Augen blickten zwar nicht mißtrauisch, aber doch wach und unbestechlich auf seine stattliche Gestalt, und ob sie für ihn ebensoviel Tiefes und Seliges empfand wie er für sie, das festzustellen erlaubte sie niemand, am allerwenigsten ihm selber. Man hätte sogar leichter das Gegenteil annehmen können, wenn man sah, wie sie allen Gesprächen mit ihrem Vetter über Emil klug aus dem Weg ging, wenn nicht eben dieser Umstand dem guten Doktor Imhoff seinerseits genügend belastend erschienen wäre.

Die wahre Liebe ist ein seltsam Ding. Sie bricht nicht nur unversehens durch die Augen, sondern auch durch alle Hüllen, und diesmal war Emil in die seligen festen Hände der wahren Liebe zum Weib geraten. Und Sabine, das Weib, ließ ihn in den glücklichen Banden einer hoffnungsreichen Ungewißheit schmachten, nicht aus Eitelkeit, die ihr ferner lag als alles andere, aber um Emil auf seinen tiefsten Gehalt zu prüfen. So gingen die beiden tagelang in dem tätigen Getriebe der Schule mit festgehaltenen Herzen aneinander vorüber, immer in der Hoffnung, daß das verborgene Feuer schon von selber einmal zum anderen hinüberschlagen werde. Die heimliche Seligkeit wuchs in beiden, und immer mehr schien sich das Leben von Schülern und Lehrern um sie wie um eine gemeinsame Achse zu drehen. Aber noch etwas anderes ließ Schule und Leben in dem Landerziehungsheim wie in einem neuen Schein erglühen.

Das Ende jeden Schuljahrs wurde seit Gründung der Anstalt mit einem großen Festzug und einem darauffolgenden Mahl gefeiert. Die Regie solcher Feste und der im Winter nicht seltenen Theateraufführungen war bisher in den Händen des Lehrers gewesen, der nun erkrankt im Spital der großen Stadt lag und über dessen Befinden die Nachrichten nicht besonders günstig lauteten. Emils Begabung für solche Dinge war nicht sehr groß, und so blieb nichts übrig, als die Zuflucht zu dem alten Onkel, dem Professor, zu nehmen, der drüben auf der anderen Seite des Sees das zerfallene Kloster Sankt Martin vor Jahren um einen Spottpreis gekauft und in steter, zäher Künstlerarbeit langsam restauriert hatte.

»Ihr beide könntet eigentlich einmal hinüber zu Onkel Arx fahren und euch Entwürfe zum Herbstfest machen lassen,« sagte eines Tages Doktor Imhoff zu Sabine und Emil beim Mittagstisch.

Emil sah zum Fenster hinaus auf den See. Ein leichtes Wellenkräuseln tanzte über das Wasser.

»Ich glaube, wir brauchen heut gar nicht zu rudern, sondern könnten das Segelboot nehmen.«

Es wurde verabredet, das schöne Wetter zu benutzen, und bald nachher sah Doktor Imhoff ein Segel über die weiße Wasserfläche fliegen, das zu einem immer kleineren Tupfen wurde und sich schließlich in dem leuchtenden Sonnendunst auflöste, in dem Luft und Wasser in der Ferne zusammenflossen.

Es war das erstemal, daß Emil und Sabine einen ganzen Nachmittag zusammensein konnten, und während das Segel in der leichten Brise knatterte, die sie ohne Kreuzung gerade hinüber und immer der Richtung des Klosters zutrieb, saßen sie einander stumm gegenüber, Emil am Steuer und Sabine am Bug, und genossen das erste Alleinsein zwischen den Weiten des Himmels und des Wassers in einer von vollkommener Wunschlosigkeit beglückten Ruhe. Sie konnten miteinander schweigen, weil sie sich nichts zu sagen brauchten.

Ob es eine Sekunde oder eine Ewigkeit gedauert hatte, daß er so dagesessen hatte, das Steuer im Arm und immer die leichte Wolke von Sabinens heller Gestalt vor sich, das wußte Emil nicht, als sie ihn auf einmal mit der Frage überraschte:

»Sie haben wohl viele Touren mit der Künstlerin zusammen gemacht, mit der Sie das Unglück an der Jungfrau hatten?«

»Nein,« antwortete Emil, »das war die einzige oder vielmehr das Ende einer mehrtägigen Tour mit Fräulein Kirsten und dem Führer zusammen.«

»Sie standen sich wohl sehr nahe?«

»Das könnte ich nicht gut sagen, aber ...«

»Aber?« fragte die helläugige Sabine gespannt, doch ruhig.

»Ich liebte ihre Kunst und konnte das nicht ganz von ihrer Person trennen. Es ist nicht angenehm, das nachträglich erst einzusehen, und noch weniger, es gestehen zu müssen.«

»Seien Sie mir nicht böse.«

»Das fiele mir schwer, selbst wenn ich wollte, Sabine!«

Das war das erstemal, daß er ihr den Vornamen allein gab. Sabine schwieg, und ein Leuchten ging über ihr Gesicht, so froh, so rein, so hell, daß Emil am liebsten vor ihr niedergekniet wäre. Aber der Wind blies schärfer, das Boot legte sich stärker auf die Seite, und der Mann mußte am Ruder bleiben.

Sie schwiegen wieder, und Emil sah, daß Sabinens Gesicht ernst und nachdenklicher wurde. Ganz unvermittelt sagte sie:

»Es muß doch etwas Wunderbares sein, so eine große musikalische Begabung zu haben und vorspielen zu können.«

»Es ist viel Zauber dabei, liebe Sabine,« sagte Emil fast bitter, und fuhr auf einmal in einem inneren Aufruhr fort:

»Hier draußen, wo der Wind pfeift und die Sonne scheint und nirgends Kulissen stehen, hier hat alles Spielen und Vormachen ein Ende, hier ist Wahrheit. In den Bergen und hier auf dem See habe ich mich wiedergefunden.«

»Es wird wohl wahr sein, daß der Mann von der Natur lebt.«

»Und die Frau?«

»Vom Manne, vom reinen, starken Mann ...«

Er drehte das Boot etwas mehr vor den Wind, und der Kiel schoß durch die dunkeln, schaumgekrönten Wellen.

Sie sah zu ihm auf. Jetzt war ihr ein schwerer Stein vom Herzen gefallen, jetzt wußte sie, was sie wissen mußte. Sie rückte so weit auf der Bank gegen Emil, daß seine ausgestreckte Hand die ihre gerade berühren konnte, und ein ungesehener Blitz entlud sich aus seinen Fingerspitzen in die ihren. Voll tiefer Dankbarkeit sah er ihr in ihre sonnigen braunen Augen, und dann rückte ein jedes wieder an seinen Platz. Das einzige Gespräch, das noch zu vernehmen war, führten die Wellen mit dem Kiel und der Wind mit dem Segel.

Über die beiden im Boot aber lachte die Sonne und die Vögel des nahenden Ufers und wahrscheinlich wußten auch die Fische im Wasser, daß hier zwei fuhren, die den Himmel im Herzen trugen.

Das sah mit seinen scharfen Maleraugen aber auch auf den ersten Schlag Sabinens Onkel, der Professor Arx, der die Identität Sabinens schon mit dem Fernrohr festgestellt hatte und, als sie vor Anker gelegt, den beiden aus seinem Atelier zum Willkommen entgegen gegangen war.

»Beim Eid, das lobe ich mir, Sabine, endlich einmal in Begleitung.«

Der alte, noch schlanke Mann mit dem weißen langen Bart und dem großen Kalabreser kühn über den gebleichten Locken betrachtete sich zuerst Emil ganz unbefangen, wie man einen Rekruten bei der Musterung ansieht, schlug ihm dann jovial auf die Schulter und sagte:

»Ich gratuliere, mein Freund, Ihr habt keinen üblen Geschmack.«

Durch Sabinens Wangen brach der helle Purpur, und sie schalt Onkel Arx: »Du bist doch noch immer der gleiche alte Neuntöter! So, jetzt sag ich dir überhaupt zuleid nicht Grüß Gott!«

»Aber ich dir, liebe Sabine,« sagte der Onkel und nahm die Nichte ohne alle Umstände beim Kopf und gab ihr einen Kuß auf die Wange, und Sabine ließ es ruhig geschehen.

Dann stellte sie vor: »Herr Doktor Himmelheber, ein Freund von Fritz und zurzeit Lehrer bei uns drüben an der Schule.«

Und zu Emil gewendet sagte sie:

»Hier mein Onkel von Arx, ein Künstler, wie Sie ja bereits bemerkt haben werden.«

»Was,« schrie der Professor Emil erstaunt an, »nur zurzeit sind sie drüben? Sie glauben wohl, da kämen sie überhaupt wieder los? Papperlapapp!«

Zu Sabine aber sagte er mit emporgehobenem Zeigefinger:

»Sabine, fest fassen und nicht loslassen!«

»Onkel, Onkel!« warnte Sabine lächelnd, »sollte es bei Euch im Juli schon Sauser im Stadium geben?«

»Bei mir gar nicht nötig, Sabine, in dem Kopf saust's immer noch ganz von selber,« lachte der Professor und zog nun seine beiden Gäste durch den Klostergang nach sich in sein Atelier. Kaum aber hatte er die Türe zu dem großen, weißgetünchten Raum geöffnet, als sich etwas Merkwürdiges ereignete.

Sabine und Emil sahen in dem Atelier eine Staffelei stehen mit einer halbfertigen Arbeit darauf. Mitten in den Blumen einer Wiese saß auf dem Ölbild ein nackter Amor und besah prüfend die Spitze eines Pfeils. Neben der Staffelei und auf einem Podest stand das Modell, ein kleiner Bub in Badhöschen, und spielte mit einem silbernen Bogen und Pfeil. Aber kaum hatte er Emil bemerkt, als er Hals über Kopf davonrannte und in der nächsten Türe verschwand.

Der Professor, des Kleinen Großvater, und Sabine, seine Tante, sahen dem flüchtenden Amor in Badhosen verwundert nach; nur Emil lachte laut auf.

»Der Bubi hat sich wohl geschämt,« sagte Sabine entschuldigend.

»Das wäre allerdings eine neue Eigenschaft an ihm,« bemerkte trocken der Großvater.

»Nein, die Sache liegt doch anders,« sagte Emil und erzählte, wie der Kleine vor ein paar Wochen auf ihn ins Boot geschossen und wie er ihm gedroht habe, er werde ihn schon einmal erwischen.

»So, geschossen hat das Amörle auf Euch, Herr Doktor,« meinte der Professor, sah Emil und Sabine mit tiefsinniger Miene an und fragte dann bedeutungsvoll:

»Ja, habe ich denn vielleicht vorhin etwas anderes gesagt?«

»Du bist fürchterlich, Onkel,« sagte Sabine und ging drohend auf den Alten zu, der aber retirierte und bat dann die beiden, mit ihm zu kommen, um auch für des Leibes Atzung zu sorgen. Dann gingen sie zusammen in das Zimmer des Abtes, das Emil schon kannte, und das der Professor zu seinem Wohnzimmer umgewandelt hatte. Dort trafen sie auch die Mutter des Lockenkopfs, der nun, angekleidet und im Schutz des Großvaters, nicht umhin konnte, Emil auch fernerhin trotzig und herausfordernd zu betrachten.

Die Frauen gingen zusammen in die Küche, um nach einem Imbiß zu sehen, Emil unterbreitete dem Professor den Auftrag Imhoffs.

»Eine gute, eine sehr gute, eine ausgezeichnete Idee! Machen wir!« antwortete der Alte. »In drei Tagen sind die Entwürfe, Kostümskizzen und Kostenüberschläge fertig, und ich werde sie höchstselbst hinüberbringen und über die möglichst billigste Ausführung mit Imhoff selber sprechen.«

Unter fröhlichem Essen, Trinken und Plaudern nahte die Zeit des Aufbruchs für Emil und Sabine. Die Sonne stand noch hoch am Himmel, aber der Wind hatte etwas nachgelassen, und Emil meinte, es würde mehrmaliges Kreuzen nötig sein und eine lange Fahrt werden.

Daß es die Elemente gut meinten mit den Liebenden, das bewies die Brise, die im Augenblick, wo Sabine und Emil das große Boot betraten, sich erhob, das Segel faßte und die beiden den Augen der am Ufer unter den Pappeln und Trauerweiden Winkenden rasch entführte.

Aber es war nur eine Bö gewesen, die abflaute, als das Boot weiter außen im See dahinschoß, und bald ließ die bauschige Spannung im Segel nach, das Tuch wurde immer schlapper und kaum merklich trieben sie dahin.

Emil hatte nun weder mit der Segelleine, noch mit dem Ruder besondere Arbeit und schaute nur manchmal über Bord hinweg danach aus, ob sich nicht in der Ferne der schwarzblaue Strich auf dem Wasser zeige, der nahende Windstöße immer schon von weitem ankündete. Aber bis an die Ufer hinüber wiegte sich das Wasser nur in weichen, langen Schwellungen, die keine Wellen und keine Wogen waren, sondern nur des Sees leises Atmen vor der völligen Ruhe.

Da glitt wie eine weiße Taube vom Steuer zum Bug der schöne Name: »Sabine.«

Und wie ein grauer Täuber flog die Antwort zurück: »Emil.«

Sie strahlten sich beide an aus heiligen Augen.

»Bist du mir gut, Sabine?« klang's fragend vom Steuer zum Bug.

»Ich bin dein, Emil!« kam's sanft und hell zurück.

In drei Sätzen war Emil bei Sabinen, lag zu ihren Füßen und bedeckte ihre Hände mit einem Feuerstrom von Küssen. Still lächelnd blieb sie sitzen, ließ ihn gewähren, und alle Winde schwiegen. Das dunkle Boot ruhte weich auf der veilchenblauen Abendflut, als wüßte es, daß es sich jetzt nicht regen dürfe, ob des Glückes, das es in seinem hölzernen Rumpfe trug.

»Sabine, willst du mein Weib werden?« fragte Emil und sah an der verklärten Gestalt hinauf.

»Ich bin's!« sagte Sabine, neigte demütiglich ihr Haupt und küßte Emil aufs Haar.

Da erhob er sein Gesicht, dankte ihr mit den Augen, und seine Lippen nahten sich den ihren. Ein süßer Wohllaut wie von einem unirdisch irdischen Glück schwebte durch die reine Luft. Der Himmel lächelte, die Winde schwiegen und die Ufer standen klar und farbig in der sonnigen Wärme.

Da neigte sich die Segelstange über dem Bootsrand, kleine Wellen schlugen aufmunternd an die Planken, und im nächsten Augenblick saß Emil wieder am Steuer, aber er brauchte nicht mehr allein dort zu sitzen. Mit der rechten Hand regierte er das knarrige Holz und mit dem linken Arm umfing er Sabinens Schulter, die sich leise an ihn lehnte.

Der Wind kam und ging, gerade als wollte er ihnen nur Zeit lassen, um sich das wichtigste zu sagen. Und wenn sie keine Worte mehr wußten, um das andere mit der eigenen Seligkeit zu überschütten, dann zerrte es auch einmal in den [Rasen?], knatterte im Segeltuch und Emil hatte seinen ganzen Mann zu stellen, um sie beide heil ans Ufer zu bringen.

Wieder war eine Stille gekommen und Emil fragte plötzlich:

»Was wird Fritz sagen?«

»Wenn du bleibst – antwortete Sabine – wird er sich freuen, wenn du aber wieder nach Deutschland gehst, so wird es ihm schon einen Stoß geben.«

»Und wenn ich dahin zurückkehre, wo mein Platz ist?« fragte Emil.

Da sprach Sabine mit festen hellausschauenden Augen:

»Es gibt im Buch Ruth eine schöne Stelle, an die denke ich jetzt.«

Emil sah sie etwas hilflos an, auf einmal aber ging ein Aufleuchten über sein Gesicht und während er Sabine innig an sich zog, sprach er die alten wunderbaren Worte in den lichtvollen Abend: »Wo du hingehst, da will ich hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch, dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott, und wo du stirbst, da sterbe ich auch. Da will ich auch begraben werden, der Tod muß dich und mich scheiden.«

Da versanken sie mit ihren Blicken ineinander und küßten sich lange umschlungen in stiller Wonne.

Emil brach das Schweigen.

»Aber jetzt, du Seligste, naht zuerst das Leben.«

»Unser Leben,« bekräftigte Sabine und erschauerte leicht.

»Und wir werden Kinder haben!« fuhr Emil weiter und strahlte sie an.

»Unsere Kinder« – vollendete Sabine.

»Söhne des Morgens und Töchter des Lichts –« brach es aus Emil.

»Durchglüht vom Blut der Ewigkeit« – erhöhte Sabine die Worte Emils.

Da kniete der Mann vor dem Weibe nieder, barg seinen Kopf in [ihrem] Schoße, und sie legte ihm die Hände segnend aufs Haupt.

Eine kühle Abendbrise hob wieder an zu wehen, das Wimpel am Mast flatterte und das Steuer drehte sich. Emil erhob sich und Sabine nahm wieder ihren alten Platz am Bug ein. In der Ferne tauchte das alte Herrenhaus auf der Landzunge auf. Immer forscher blies der Wind, Emil hielt scharf auf die Spitze der Landzunge hin. Bald schnitt der Keil durch den Gischt der Uferwellen, da ächzte der Mast unter dem gewaltigen Druck des Segels, das plötzlich über die beiden mit einem Knall hinwegfuhr und das Steuer knarrte, als ob es aus den Fugen gehen wollte. Emil hatte das Boot dicht vor der Landspitze in einer scharfen Kurve herumgerissen, vor den Wind gebracht, und im nächsten Augenblick saßen sie fest auf dem sicheren Sand der Landungsstelle.


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