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Als das Paradies im Prangen stand, war der größte Glanz, der es erhellte, des Mannes Liebe zum Weib. Nach dem Sündenfall aber kam wie ein reicher Trost für die Ausstoßung ein fast ebenso großes hinzu, die Liebe der Mutter zum Sohn. Es gibt nichts Schöneres auf der trüben Erde, als die ehrfürchtige Treue des Sohnes zu ihr, in deren Schoß und Schutz sich sein Leben aufgebaut. Durch Sturm und Gewitter, durch Kälte und Entfremdung mag es gehen, die größte Treue zwischen Männlichem und Weiblichem ist doch stets die zwischen Mutter und Sohn. So ist es schwer zu beschreiben, was Frau Salomea Himmelheber empfand, als sie nach dem Festzug sich durch die Menge gearbeitet hatte und den schon wieder umgekleideten Emil von Angesicht zu Angesicht wiedersah; und was Emil bewegte, als er zum erstenmal wieder vor der tapferen alten Mutter stand mit ihrem wohl heller gewordenen Scheitel, aber den noch immer glänzenden Augen, daraus die unverwüstliche Lebenskraft des Geschlechts der Pfefferle sprach.
Sie standen einander im Turmzimmer gegenüber und betrachteten sich auf die Zeichen hin, welche die Monate seit der Trennung in ihre Züge geschrieben hatte.
»Du hast dir die Locken kurz schneiden lassen?« sagte Frau Salomea Himmelheber; »es steht dir aber auch so nicht schlecht.«
Dann nahm sie den langen vor ihr stehenden Menschen an beiden Armen; aber das durch das gegenüberliegende Fenster scheinende Gegenlicht blendete sie; da drehte sie den Sohn so lange herum, bis sie ihm in die Augen sehen konnte, und meinte dann: »Du hast früher interessantere Augen gehabt, aber jetzt ist mehr Gutheit drin und doch Schneid!«
Emil lenkte die Mutter ab auf die schöne Aussicht durch die vier Fenster hinaus über alles Land.
»Schön ist's, sehr schön,« antwortete Frau Salomea Himmelheber ausweichend, steuerte aber mit Sicherheit auf ihr nächstes Ziel los.
»Und jetzt,« sagte sie, indem sie sich auf einen Stuhl gesetzt, »möchte ich wissen: wer ist auch nur die Dame gewesen mit dem Mond im Haar und der Lanze in der Hand? Das muß eine sehr Vornehme sein. Lieber Gott, ich bin doch in meiner Jugend auch das gewesen, was man schön heißt – daß es aber so etwas gibt an Nobelheit und Anstand und trotzdem so wenig Kleider an, das hätte ich mir nicht träumen lassen.«
Emil konnte sich des Lächelns nicht enthalten.
»So, Mutter,« sagte er dann, »jetzt nimm einmal deine ganze Courage zusammen.«
Frau Himmelheber sah ihren Sohn in höchster Erwartung mit kugelrunden Augen an.
»Was würdest du sagen, wenn diese noble Dame deine künftige Schwiegertochter wäre?«
Da sprang die noch federnde Rundlichkeit von Frau Himmelhebers irdischem Gehäuse auf, und etwas beleidigt klangen die Worte: »Emil, man soll seine alte Mutter nicht zum Narren haben!«
Da klopfte es an der Tür, und Sabine trat in ihrem leicht geblümten Tüllkleid ein.
»Ich möchte nicht stören,« sagte sie, »aber ich soll zum Festmahl rufen.«
Die gänzliche Fassungslosigkeit der Mutter über die plötzliche Erscheinung Sabinens, über ihre Schönheit und ihre vertraute Sprache mit Emil drohte beängstigende Formen anzunehmen, aber Emil half ihr darüber hinweg mit den einfachen Worten zu beiden:
»So, nun gebt euch erst die Hand. Das, liebe Sabine, ist meine Mutter, und das, liebe Mutter, ist meine zukünftige Frau!«
Sabine ging frei und froh auf Frau Salomea Himmelheber zu und begrüßte sie mit einem herzlichen Kuß auf die Wange.
Da atmete Frau Himmelheber mit einem tiefen Seufzer, der mehr Beseligung als Bedrückung war, auf, aber es lag noch nahezu Ehrerbietung in ihrem Ton, als sie zu Sabine sagte:
»Dann gratuliere ich!« und nach einigen Atemzügen setzte sie hinzu:
»Sie werden gewiß sehr glücklich werden mit meinem Sohn, Fräulein –«
»Sabine,« ergänzte Emil.
»Sabine Feuerstein,« vervollständigte Sabine.
»Aber nicht mehr lange,« vollendete Emil triumphierend.
Ein Blick voll unsäglicher Hochachtung glitt aus Frau Salomea Himmelhebers Augen an Emil hinauf, und Sabine beugte allem weiteren vor, indem sie beide sanft zur Tür hinausdrängte und sagte, es sei höchste Zeit zum Essen.
Drunten auf der Spielwiese standen gedeckte Tische, und auf langen Bänken davor saßen in ihren Sonntagskleidern Schüler und Lehrer. Nichts war mehr zu sehen von Schminke, Perücken und bunten Fähnchen, und der Festzug war mit seinem ganzen Glanz versunken wie ein schöner Traum.
Noch länger als auf Emil und seine Mutter, die ihren Platz links und rechts von Doktor Imhoff angewiesen bekamen, während Sabine gegenüber saß, mußte man auf den Onkel Arx warten. Der war gleich nach dem Fest mit einigen Sekundanern und Primanern spurlos verschwunden, und kein Mensch wußte, auf welchen abenteuerlichen Wegen er wieder wandelte.
Aber endlich sah man auch den großen Kalabreser des Onkel Arx in der Ferne auftauchen und dahinter die roten Mützen seiner Gesellen. Als er den leeren Platz zur Linken der Frau Himmelheber eingenommen und die Schüler sich gesetzt hatten, gab Doktor Imhoff das Zeichen zum Auftragen.
Sabine hatte nicht übertrieben. Es war ein richtiges Festmahl, was da in einzelnen Gängen auf gewaltigen Platten auf die Tische getragen wurde. Da fehlte es weder an Geflügel noch an Wildbret, und anstatt des Weines flossen Fruchtsekte in ungefährlichen Strömen.
Einige kundige Thebaner unter den Primanern raunten sich zu, der Onkel Arx müsse wieder einmal in die Tasche gegriffen haben, und das schien auch der Fall gewesen zu sein, denn der alte Haudegen gebärdete sich heute wie der Herr des Festes, und Doktor Imhoff befand sich in einem ihm ungewohnten Halbdunkel, zu dem er aber gute Miene machte. Frau Himmelheber war mit ihrem in der Rede gleichermaßen gut beschlagenen Nachbarn mit dem weißen Bart in einen sprudelnden Diskurs gekommen und wandte sich nur zwischenhinein, wie entschuldigend, mit anerkennenden Lobsprüchen über das herrliche Fest an den einsilbig dasitzenden Imhoff, dem auch mit Sabine und Emil kein rechtes Gespräch gelingen wollte.
Das Fest hatte erst nach sechs Uhr begonnen, aber es war ein so warmer Sommertag, daß die Knaben nach und nach die Röcke auszogen und in Hemdärmeln weiter aßen. Der See auf beiden Seiten der Wiese mit der tafelnden Festgesellschaft lag spiegelglatt. Kein Lüftchen regte sich, und in stiller Glorie sank des Abends Goldnetz auf die Flut. Bevor es jemand bemerkt hatte, war die Dämmerung angebrochen, und Frau Himmelheber suchte nach ihrer Mantille; aber der galante Onkel Arx hatte das Kleidungsstück schon zu diesem Zweck bereitgelegt und ihr mit einigen artigen Bemerkungen umgelegt.
Bevor es aber auch jemand gemerkt hatte, waren die zu Anfang des Mahles verspäteten Primaner wieder aufgestanden, und bald nach ihrem Verschwinden drängte der rote Schein von ringsum aufflammenden Freudenfeuern das nahende Dunkel zurück. Auf dem Wiesenrand wie auf den Hügeln hinter dem Wald loderte es hell auf, und selbst auf dem See brannten schwimmende Pechkränze, doppelt schön, weil sich ihr Feuer in der Flut spiegelte.
»Hurra!« rief die ganze Korona der Schüler, und die Hügel gaben das Echo wieder.
»Hussa!« da stiegen pfeifende Raketen in die Nacht, und ihr Feuer tröpfelte in kleinen Zungen herab auf die Wiese.
»Heil!« da knatterten Frösche und schwirrten Feuerräder.
»Hoiho!« da donnerten Böller, und der See widerhallte von ihren Schlägen.
Auf einmal wurde es ruhig, und man vernahm das Klingeln eines Messers am Glas. Onkel Arx erhob sich in seiner ganzen stattlichen Länge, nahm den Filzhut vom Kopf und sprach:
»Eidgenossen! Erdgenossen! Festgenossen!
Ihr alle habt heute den Herbst im Zuge gesehen, wie er sich nach dem Winter umdrehte und ihm vergebens eine Faust machte. Vergebens! sage ich; denn er wird kommen! Und in diesem Herbst befinden wir zwei uns, meine verehrte Tischnachbarin, Frau Salomea Himmelheber und meine unvermeidliche Wenigkeit. Aber es gibt noch einen anderen Herbst. Das ist der Jünglings- und Jungfrauenherbst, der keck den Winter überhopst und der umschlägt in den Männer- und Frauenfrühling! Und in dieser herrlichsten aller Jahreszeiten befinden sich zwei andere Festgenossen!
Ihr alle kennt meine Nichte Sabine, meines Neffen, des Direktors Imhoff getreue Helferin, Euer aller, Ihr Kleinen, sorgliches Schulmütterlein! Und Ihr kennt auch alle den Herrn Doktor Emil Himmelheber, den Sohn meiner werten Nachbarin und Euren Lehrer und Freund. Diese zwei trefflichen Menschenkinder haben sich heute verlobt, was so viel heißt, daß nach einer Zeit des Sauser im Stadium die allerschönste Witterung des Lebens, die herrliche Frühsommerzeit über sie anbrechen wird, was seinerseits hinwiederum nichts anderes besagen will, als daß sie demnächst heiraten, Mann und Frau und damit glücklich sein werden.
Auf daß dieses Glück blühe, wachse und gedeihe, Eidgenossen, Erdgenossen, Festgenossen, ruft mit mir alten Kameraden und Brautvater und meiner verehrten Nachbarin als Bräutigamsmutter ein währschaftes donnerndes Hoch in die schöne Sommernacht! Ich habe gesprochen!«
Raketen stiegen in die Luft, Böller krachten, und alle Feuer loderten noch einmal auf. Das Hoch brauste durch die Lüfte und stieg bis zum Himmel, und während Emil mit Sabine durch die Reihen ging und allen dankend die Hände drückte, umarmte der begeisterte Onkel seinen Neffen, den Doktor Imhoff. Als dieser sich von der ersten Überraschung erholt hatte, heulte er still in sich hinein, und dem Onkel liefen mit dem Neffen zusammen die Tränen in den Bart.