Gabriel Ferry
Der Waldläufer
Gabriel Ferry

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

13 Wie Tragaduros, obgleich er seine Rechnung mit dem Wirt macht, doch in Gefahr ist, zweimal zu rechnen

Tiburcio erwartete auf seinem Zimmer ungeduldig die Stunde der Zusammenkunft, die ihm Rosarita gewährt hatte. Er warf einen Blick von seinem Fenster auf die schlafende Landschaft. Der Mond schien hell und erleuchtete wie ein langer Faden den Weg, den er verfolgt hatte und der sich durch die Ebene hinschlängelte und sich mitten im umliegenden Wald verlor. Der Wald selbst war in tiefes Schweigen eingehüllt, und der Windhauch bewegte die silberglänzenden Wipfel. Die Quellen in seinem Schutz waren den Bewohnern der Wälder preisgegeben, und von Zeit zu Zeit zeugte ein dumpfes Brüllen von der Angst eines Stiers, der den scharfen Geruch von nächtlichen Raubtieren witterte. Diese Töne, vereint mit den Akkorden einer Mandoline, die im Innern der Hacienda erschollen, störten allein das melancholische Schweigen der Nacht.

Die Stunde war ebenso günstig verliebten wie ernsten Gedanken, und die einen und die anderen überwogten den Geist Tiburcios. Wie alle, die in der Einsamkeit gelebt haben, besaß sein Herz einen Schatz träumerischer Poesie, die sich bei ihm mit der tatkräftigen Energie des Mannes verband, für den diese Einöde mit Gefahren angefüllt ist. Seine gegenwärtige Lage stand somit in Wechselwirkung mit dieser zwiefachen Fähigkeit. Seine Liebe war bedroht – die Kälte Dona Rosaritas sagte es ihm klar genug –, und ein Vorgefühl ließ ihn auch erkennen, daß er von Feinden umgeben sei. Mitten in der Traurigkeit seiner Seele zog ein wirkliches Ereignis seine Aufmerksamkeit auf sich. Ein Lichtglanz blitzte fern unter dem Laubdach des Waldes. Dieser Lichtglanz, ein wenig durch die Klarheit des Mondes verdunkelt, zitterte geheimnisvoll durch die schwankenden Zweige, blieb aber wirklich auf einem Punkt. Er bewies also, daß Reisende dort übernachteten. »So nahe bei der Hacienda?« sagte er sich, indem er bei diesem Anblick seinem Nachdenken ein Ende machte. »Was soll das heißen? Warum kommt man nicht hierher und bittet um gastliche Aufnahme? Die Reisenden haben also einen Grund, sich fernzuhalten? Sind es Feinde, die ich zu den meinigen hinzuzählen muß? Gehören sie vielleicht zu jenen unbekannten Freunden, die der Himmel zuweilen denen schickt, die ihrer bedürfen? Cuchillo, Don Estévan, dieser anmaßende Senator sind ebenso viele Feinde für mich! Alle haben Schutz gefunden unter diesem Dach; warum sollten diese Menschen nicht Freunde sein?«

Unterdes verging die Zeit; Tiburcio nahm seinen Zarapa und hüllte sich hinein, steckte sein Messer in den Gürtel – es war die einzige Waffe, die er besaß – und machte sich bereit, ohne Geräusch hinauszugehen, mit pochendem Herzen wie ein Mann, über dessen Glück wenige Minuten entscheiden sollen. Ehe er sein Zimmer verließ, warf er noch einen Blick auf den hellen Punkt, der immer an derselben Stelle glänzte. Während Tiburcio mit lauerndem Auge, vorsichtigem Fuß und wachsamem Ohr leise den schweigenden Hof durchschritt und am Hauptgebäude, hinter dem sich das Zimmer Dona Rosaritas befand, entlangging, fanden auch noch andere Ereignisse statt, die notwendig hier erwähnt werden müssen.

Seit seiner Ankunft in der Hacienda del Venado hatte Don Estevan in Gegenwart aller Gäste kaum Zeit gehabt, in einer kurzen Unterhaltung mit dem Hacendero diesem oberflächlich den Erfolg seiner Verhandlung mit Cuchillo mitzuteilen. Bei dem Wort »Goldmine« hatte Don Agustin eine Gebärde enttäuschter Erwartung gemacht; aber bei der Unmöglichkeit, mehr darüber zu sagen, hatte er den Spanier gebeten, noch am selben Abend die Fortsetzung ihrer vertraulichen Eröffnung wiederaufzunehmen.

Arechiza hatte also gewartet, bis jeder nach Beendigung des Abendessens auf das für ihn bestimmte Zimmer gegangen war, dann führte er den Senator in die Vertiefung eines Fensters, und indem er ihm das von Sternen blitzende Gewölbe des Himmels zeigte, sprach er: »Ihr seht dort den ›Wagen‹, der schon im Morgen steht. An der Seite dieses strahlenden Sternenbildes bemerkt Ihr jenen Stern, der, in nebliger Ferne, kaum einen Schein herwirft. Das ist das Bild Eures Sterns, der, jetzt noch bleich, morgen vielleicht strahlender aufgehen wird als irgendeiner von denen, die das glänzende Gefolge des Wagens bilden.«

»Was muß ich also tun, Señor Arechiza?«

»Ich will es Euch heute abend sagen, und vielleicht ist der Augenblick weniger fern, als Ihr glaubt, in dem Ihr durch die Heirat mit dem prächtigen Mädchen, das deren Erbin ist, der zukünftige Herr dieser Hacienda sein werdet. Erwartet mich in meinem Zimmer; meine bevorstehende Unterhaltung mit Don Agustin wird entscheidend sein, und ich werde Euch so bald wie möglich von deren Ergebnis in Kenntnis setzen.« Mit diesen Worten verabschiedete der Spanier den Senator, dessen Herz zugleich vor Hoffnung und Furcht heftig schlug. Dann ging er zu dem Hacendero, der ihn erwartete.

Der Eigentümer der Hacienda del Venado hatte, wie wir schon gesagt haben, dem Spanier die ausgezeichnetste Aufnahme zuteil werden lassen, doch war in seinem Empfang vor Zeugen immer noch weniger Ehrfurcht zu bemerken, als die Haltung des Hacenderos zeigte, wenn er sich dem Spanier allein gegenübersah. Don Estévan schien seinerseits die Huldigungen Don Agustins zu empfangen wie etwas, das ihm zukam. Es lag in der artigen Herablassung Señor Arechizas gegen den reichen Eigentümer und in dessen vollständiger, ehrerbietiger Unterwürfigkeit eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Verhältnis eines hochgestellten, mächtigen Oberherrn zu einem edlen Vasallen.

Nur auf die wiederholten Bitten – wir müßten fast sagen, auf den dringenden Wunsch – des Spaniers willigte Don Agustin ein, sich zu setzen, während der erstere sich in einen mit Leder ausgeschlagenen Lehnsessel mit einer Nachlässigkeit geworfen hatte, die mit der vornehmen Haltung seiner Persönlichkeit ganz übereinstimmte.

Der Hacendero wartete schweigend, bis Don Estévan das Wort nehmen würde.

»Nun, wie gefällt Euch Euer zukünftiger Schwiegersohn?« fragte der Spanier. »Ihr habt ihn, denke ich, noch niemals gesehen?«

»Niemals!« antwortete Don Agustin. »Aber wäre er auch von der Natur weniger begünstigt, als er es ist, so wißt Ihr, daß dies unter uns kein Hindernis für unsere Pläne gewesen wäre.«

»Ich weiß es; denn man muß es anerkennen, es liegt in jedem rohen Klotz der Stoff zu einem Edelmann; um wieviel mehr erst in der Person eines Senators des ruhmvollen Kongresses von Arizpe!« fügte der Spanier mit einem leichten Anflug von Verachtung hinzu. »Aber das Hindernis liegt nicht darin; entscheidend ist, daß Eure Tochter ihren Bewerber nach ihrem Geschmack findet.«

»Meine Tochter wird nur nach meinem Willen handeln«, sagte der Hacendero.

»Selbst in dem Fall, daß ihr Herz nicht mehr frei sein sollte?«

»Das Herz Rosaritas ist frei, Don Estévan!« erwiderte Don Agustin. »Wie sollte es auch anders sein? Ihre Kindheit und ihre Jugend sind in unseren Einöden verflossen.«

»Und dieser junge zerlumpte Mann, dieser Tiburcio Arellanos, den Ihr schon zu kennen scheint?« fragte Don Estévan. »Er liebt Eure Tochter!«

»Ich weiß es seit heute morgen.«

»Wenn Ihr erst seit einigen Stunden das Geheimnis seiner Liebe wißt, könnte Euch das Geheimnis Doña Rosaritas nicht entgangen sein?«

»Freilich«, antwortete Don Agustin lächelnd, »verstehe ich mich besser darauf, der Spur eines Indianers zu folgen und auf seinem schlauen Gesicht seine geheimsten Gedanken zu lesen, als den Grund des Herzens eines jungen Mädchens zu erforschen; aber ich wiederhole: Ich habe Grund, zu glauben, daß das Herz Rosaritas frei ist von jeder früheren Liebe. Es obwaltet aber ein ernstlicheres Hindernis, Don Estévan – ich meine nicht gegen die zwischen uns verabredete Verbindung, sondern gegen die Expedition, die Ihr tief in die Steppen hinein unternehmen wollt.«

Der Hacendero teilte nun Don Estévan die Einzelheiten mit, die ihm von dem Franziskanermönch in betreff des Tiburcio hinterlassenen Geheimnisses von einer unermeßlichen Goldmine anvertraut waren.

Wir schweigen jedoch vorerst über den Eindruck, den diese vertrauliche Mitteilung auf den Spanier machte. Die Unterhaltung zwischen dem Hacendero und ihm dauerte noch lange. Was hatten sie sich zu sagen? Wir werden es später erfahren. Unterdessen ist es nötig, den Senator wieder aufzusuchen, der voll Angst die Minuten zählte bis zur Rückkehr Don Estévans in das für ihn bereitete Gemach.

Das Don Estévan de Arechiza angewiesene Zimmer war ohne Widerspruch das reichste der Hacienda, und doch hat der Luxus im Hausgerät noch so geringe Fortschritte in der Provinz Sonora gemacht, daß dieser Reichtum an Nacktheit grenzte. Kein Vorhang verhüllte die Eisenstäbe, die das im ersten Stockwerk gelegene Fenster schützten. Die Mauern waren einfach mit Kalk geweißt, einige Sessel, wie Pfühle mit Schilf geflochten, Koffer aus dem Holz des Kampferbaumes, die als Schränke dienten – das war das Gerät, das das Zimmer schmückte. Das einzige Stück von einiger Auszeichnung darin war eine mit Ölfarbe angestrichene Bettstelle, lackiert und mit goldenen Arabesken geschmückt. Über die breite Steppdecke von Indianerzeug, die das Oberbett vertrat, breiteten sich lange Besätze von Musselin und Spitzen in wallenden Falten. Das Kopfende des Bettes war mit drei flachen, viereckigen Kopfkissen versehen, die an beiden Enden und durch den luftigen Batist ihres Überzugs die purpurrote Seide hindurchschimmern ließen, mit der sie darunter wieder überzogen waren. Sie waren mit ähnlichen Behängen von Spitzen und Musselin verschwenderisch ausgeschmückt.

Hier finden wir den Spanier und Tragaduros wieder. Auf dem schilfgeflochtenen Sofa sitzend, folgte Don Estévan mit den Augen dem Senator, der in lebhaftester Erregung in der Stube auf und ab ging.

»Nun was haltet Ihr von der Tochter unseres Wirtes, Don Vicente?« fragte Arechiza, der mit der Unruhe Don Vicentes sein Spiel zu treiben schien. »Habe ich Rosaritas Schönheit übertrieben geschildert?«

»Oh, mein Gönner«, rief der Senator mit den lebhaftesten Gebärden des Südens, »die Wirklichkeit hat die Erwartungen übertroffen – sie ist ein Engel! In unserem durch die Schönheit seiner Frauen so berühmten Land ist Doña Rosarita gewiß die schönste.«

»Und die reichste«, meinte der Spanier lächelnd.

»Wer hätte vermuten können, daß sich mitten in dieser Einöde eine so vollkommene Schönheit verberge? So viel Frische, Reiz und Jugend sind dazu geschaffen, auf dem edelsten Schauplatz zu glänzen.«

»Am Hof eines Königs zum Beispiel«, sagte Arechiza nachlässig.

»Oh, Don Estévan«, rief der Senator, »laßt mich nicht so lange in Ungewißheit; soll die göttliche, die reiche Doña Rosarita mein Weib werden?«

»Ein Wort von mir, ein Versprechen von Euch, und sie wird es! Ich habe das Wort des Vaters. Nach vierzehn Tagen werdet Ihr der Gatte seiner Tochter sein.«

»Das ist ebenso süß als leicht.«

»Später werdet Ihr reich sein.«

»Das verdirbt nichts.«

»Dann werdet Ihr ein großer Herr werden!«

»Oh, das ist prächtig; wahrhaftig, Señor de Arechiza! Das ist eine Kaskade von glücklichen Ereignissen; man könnte nicht lieblicher anfangen, um besser zu enden. Es ist ein Traum, es ist ein Traum!« rief der Senator, indem er abermals die Stube mit großen Schritten durchmaß.

»Beeilt Euch doch, eine Wirklichkeit daraus zu machen!« erwiderte Don Estévan.

»Ist es denn so eilig?« fragte der Senator, indem er plötzlich still stand.

»Warum diese Frage? Kann man sich etwa zu sehr beeilen, glücklich zu sein?«

Der Senator war nachdenklich geworden. Ein Anfall von Mißtrauen schien plötzlich die Quelle seiner Trunkenheit zu vertrocknen, und mit besorgter und bestürzter Miene erwiderte er: »Ich hatte mich darein ergeben – ich gestehe es –, eine Erbin zu heiraten, deren Häßlichkeit, wie es gewöhnlich so ist, ihren Reichtum aufhöbe, und nun seht Ihr mich verwirrt von deren Schönheit.«

»Wäre Euch das zufällig unangenehm?«

»Nein, aber dieses Glück erschreckt mich. Es scheint mir, daß irgendein Grund, den ich nicht erraten kann – wie soll ich sagen? –, irgendeine traurige Enttäuschung sich unter dieser verführerischen Aussicht verbirgt.«

»So ist das Herz der Menschen«, sprach Don Estévan. »Ich würde auf diesen Einwurf von Seiten eines jeden anderen gefaßt gewesen sein, aber ich hätte nicht gedacht, daß Ihr über die Vergangenheit unruhig sein könntet, wenn man Euch die Gegenwart und die Zukunft so schön zubereitet hat. Ach, ach, über den armen Despilfarro«, fuhr der Spanier lachend fort; »ich hätte ihn, bei meiner Ehre, für stärker gehalten!«

»In der Tat«, erwiderte der Senator, indem er einen hohen Beweis diplomatischer Fassungskraft zu geben meinte. »Warum – unter uns gesagt – an andere diesen Schatz von Schönheiten zu verschwenden, ohne von den Reichtümern zu reden, über die dieses verführerische Wesen zu verfügen hat, wenn Ihr selbst ...«

»Wenn ich sie selbst heiraten könnte, nicht wahr? Was wollt Ihr? Ich habe keinen Geschmack am Heiraten. Ich habe den Trieb dazu gehabt – früher – wie jedermann. Meine Geschichte ist die vieler Männer gewesen: Meine Herrin hat einen anderen geheiratet. Freilich habe ich mich darüber sehr ... freilich habe ich mich darüber sehr bald getröstet«, sagte Arechiza, sich verbessernd. »Aber was glaubt Ihr denn, wer ich bin?«

»Wer Ihr seid? Nun, wahrhaftig, Ihr seid Don Estévan de Arechiza.«

»Nun, das macht Eurem Scharfsinn Ehre! Wohlan – da ich einmal die Hand Doña Rosaritas für den edlen Senator Tragaduros y Despilfarro gefordert habe, so kann ich jetzt seine Stelle nicht mehr einnehmen.«

»Aber warum habt Ihr denn«, erwiderte der Senator, »diese Forderung nicht für Euch getan?«

»Warum? Weil Doña Rosarita – wäre sie auch noch dreimal schöner und dreimal reicher – doch weder schön noch reich genug für mich wäre.«

Despilfarro fuhr erstaunt zurück. »Aber wer seid Ihr denn, so frage ich Euch nun meinerseits«, rief er, »um eine solche Verbindung verächtlich auszuschlagen?«

»Nun, wie Ihr sagtet: Don Estévan de Arechiza«, antwortete der Spanier einfach.

Der Senator ging dreimal in der Stube auf und ab, ehe er seine Gedanken sammeln konnte; aber treu dem System des Mißtrauens, das plötzlich in ihm wach geworden war, erwiderte er: »Es ist in alledem etwas, was ich mir nicht erklären kann; und wenn ich mir die Dinge nicht erklären kann, so begreife ich sie nicht!«

»Das ist sehr folgerichtig«, antwortete Don Estévan mit spöttischem Ton. »Aber sollte ich mich in Euch getäuscht haben, mein lieber Senator? Ich tat Euch die Ehre an, Euch über gewisse Vorurteile erhaben zu glauben; und wenn in der Vergangenheit der schönen Rosarita – wie soll ich sagen? – irgendein ... Vorurteil unter die Füße zu treten wäre, heißt das, daß eine Million als Mitgift und drei Millionen in Zukunft in Euren Augen von keinem Gewicht sein würden?« fuhr er fort, als ob er die moralische Kraft eines Mannes ergründen wollte oder vielmehr die Stärke und die Tragweite eines Werkzeugs, dessen er sich bedienen mußte.

Despilfarro antwortete nichts.

»Laßt hören! Ich erwarte eine Antwort!« sagte Don Estévan, der an der Verwirrung des Senators Vergnügen zu finden schien.

»Ihr seid wirklich grausam, Don Estévan«, nahm Despilfarro das Wort, »die Leute so in Verlegenheit zu setzen; ich ... ich ... Caramba – das ist sehr ärgerlich ...«

Don Estévan unterbrach ihn. Dieser Zweifel sagte ihm, was er wissen wollte; ein ironisches Lächeln umschwebte seinen Mund, dann ließ er ab vom spöttischen Ton und sagte ernsthaft: »Hört, Tragaduros, es wäre eines Edelmanns unwürdig, noch längere Zeit einen Scherz fortzusetzen, wenn es auf Kosten der Ehre einer Frau geschieht. Die Vergangenheit Doña Rosaritas ist rein wie ihre Stirn.«

Der Senator atmete wieder auf.

»Übrigens«, fuhr Don Estévan fort, »ist es nötig, daß Ihr ein unbegrenztes Vertrauen zu mir habt. Ich werde Euch also zuerst das Beispiel einer rückhaltlosen Offenherzigkeit geben; der Erfolg der edlen Sache, die ich unternommen habe, hängt davon ab. Wisset also zuerst, wer ich bin. Arechiza«, fuhr er lächelnd fort, »ist nur mein angenommener Name; was den Namen betrifft, den ich wirklich trage und den ich Euch sogleich sagen will, so habe ich seit meiner Jugend einen Eid geleistet, daß keine Frau – wäre sie auch schöner und reicher als Doña Rosarita – ihn jemals mit mir teilen soll. Soll ich jetzt, da meine Schläfen anfangen, weiß zu werden, einen Eid brechen, den alles mir zu halten befiehlt? Denn wenn auch zuweilen eine Frau wie diejenige, die ich Euch vorschlage, ein Fußschemel zum Ehrgeiz sein kann, so ist sie doch noch viel öfter ein Hindernis.« So sprechend, schritt Don Estévan seinerseits mit aufgeregter Miene auf und ab, während sich noch ein Rest von Mißtrauen auf dem Gesicht seines Begleiters lesen ließ. Dann nahm er wieder das Wort: »Ihr wolltet genauere Erklärungen – Ihr sollt sie haben!«

Don Estévan schloß das Fenster, damit nichts von dem, was er zu sagen im Begriff stand, in der Stille der Nacht gehört werden könnte. Er lud den Senator ein, sich zu setzen, und blieb aufrecht vor ihm stehen. Tragaduros sah ihn mit lebhafter Neugierde an; aber er senkte bald die Augen vor den Feuerblicken des Spaniers. Es schien, als ob die Gestalt Don Estévans eine andere wurde und sich plötzlich vergrößerte. »Ich habe zu Euch von Geheimnissen gesprochen, deren Kenntnis denjenigen schwindlig macht, der sie anhört«, sagte er. Der Senator erbebte.

»Als der Versucher den Menschensohn auf den Gipfel eines Berges führte und ihn alle Reiche der Welt sehen ließ und sie ihm versprach, wenn er ihn anbeten wolle«, fuhr der Spanier fort, »da bot er dem Herrn der Welt kaum mehr an, als ich dem Senator von Arizpe anbieten will. Wie der Versucher will ich zu Euren Füßen die Ehre, die Macht und den Reichtum legen, wenn Ihr Euch vor meinen Bedingungen beugen wollt. Hört mich also an, ohne daß Euer Herz erzittert, ohne daß der Schwindel Eure Augen blendet!«


 << zurück weiter >>