Gabriel Ferry
Der Waldläufer
Gabriel Ferry

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

76 Nach dem Sieg

Von dem Augenblick an, der auf Main-Rouges und Sang-Mêlés Tod folgte und wo das Triumphgeschrei der Weißen und der Komantschen den Apachen, die noch Widerstand leisteten, zeigte, daß ihre beiden furchtbaren Verbündeten unterlegen waren, war es, um die Wahrheit zu sagen, kein Kampf mehr, sondern eine gänzliche und blutige Niederlage der Apachen. Wenige von ihnen konnten die Ufer des Rio Gila wiedersehen; aber der Verlust auf Seiten der Weißen war ebenfalls furchtbar. Die Hälfte der Vaqueros Don Agustins blieb auf dem Schlachtfeld, wo von ungefähr achtzig Streitern, die hier zusammentrafen, vierzig gefallen waren, ohne diejenigen zu zählen, deren Leichen in der Ebene verstreut oder im dichten Wald verborgen lagen. Unter den Toten zählte man zwei Büffeljäger und sechs unter dem Befehl Rayon-Brûlants stehende Komantschen. Rayon-Brûlant selbst war schwer verwundet. Bois-Rosé und Pepe, die durch eine lange Erfahrung die Wunden von blanken Waffen und von Feuerwaffen zu verbinden gelernt hatten, waren zuerst um den jungen Krieger beschäftigt gewesen.

Die Beerdigung der Toten, die man in eine nicht sehr tiefe, mit der Axt im morastigen Boden ausgehöhlte Gruft legte, und die Fortschaffung der Verwundeten in die Nähe des Büffelsees nahmen lange Stunden in Anspruch. Die Sonne hatte schon zwei Drittel ihres Laufs vollendet, als die tiefste Stille in der Lichtung auf das Getümmel des Kampfes und auf den Lärm bei den Vorbereitungen zum Begräbnis folgte.

Das waren die verschiedenen Entwicklungspunkte des Tages, dem das Tal der Red Fork seine traurige Berühmtheit verdankt.

Wir wollen keinen Versuch machen, das Glück Bois-Rosés zu beschreiben; nicht darum, weil wir zu denen gehörten, die behaupten, daß der Schmerz mehrere Saiten im menschlichen Herzen habe, während die Freude deren nur eine hat. Nach unserer Meinung hat Gott dem Menschen ein gleiches Verständnis für die Gefühle gegeben, die sich in sein Leben teilen; nur schwingen die ersteren geräuschvoller als die zweiten, gleichsam, um das Herz durch ein weiteres Ausströmen des Schmerzes, der es zerreißt, zu erleichtern. Das Glück ist schweigsamer als der Schmerz, und seine Schwingungen haben nicht nötig, sich außerhalb des Herzens, das sie mit süßen, geheimen Melodien erfüllen, zu verbreiten. Darum kann auch der Dichter und Erzähler bei der Entwicklung der menschlichen Leidenschaften die schmerzlichen Saiten viel leichter ertönen lassen.

Wir gestehen ganz einfach, daß es über unsere Kräfte geht, das Glück zu schildern, das der Kanadier empfand, als sein junger Fabian nach so vielen überstandenen Gefahren wieder neben ihm saß, und wir überlassen es darum der Phantasie des Lesers, sich dieses Glück vorzustellen.

Der junge Komantsche ruhte auf einem weichen Lager von Mänteln am Biberteich, und um ihn gruppierten sich unruhig und schweigend Bois-Rosé, Fabian, Pepe, Gayferos, Wilson, Sir Frederick und die drei Indianer, die allein noch von den zehn Kriegern, die der Häuptling mitgebracht hatte, übriggeblieben waren. Seinem Mut, seiner Geistesgegenwart verdankte der Waldläufer zum Teil die Befreiung Fabians; er allein hatte um den Preis seines Blutes die Tochter Don Agustins befreit; er war die Ursache des Todes der beiden Piraten gewesen, und zwar dadurch, daß er ihre Flucht verhinderte.

Rayon-Brûlant lag jetzt auf seinem Schmerzensbett; Gesicht und Körper waren vom Kanadier gewaschen und die häßlichen, sonderbaren Malereien vertilgt worden. Er war ganz das, was die Natur aus ihm gemacht hatte: kräftig und schön. Ein trauriges Bild bot mitten in der schweigenden Lichtung dieser junge verwundete Krieger dar, von Männern umgeben, die während des Kampfes so energisch, nach dem Sieg so niedergeschlagen waren.

Die Blicke des Kanadiers wandten sich mit lebhaftem Interesse von Fabian auf den Komantschen, während er seinem Adoptivsohn alles erzählte, was der Krieger für sie getan hatte, der unter ihren Augen fast sterbend dalag. Fabian brauchte nicht von allen Einzelheiten, die der Erzähler ihm berichtete, unterrichtet zu werden, um für Rayon-Brûlant unermeßliche Dankbarkeit zu fühlen. Er hatte gesehen, wie der Indianer die ohnmächtige Rosarita ihrem Vater wiedergab, und das war genug für ihn, um die lebhafteste Zuneigung für den jungen Komantschen zu empfinden.

»Sein Zustand verschlimmert sich nicht, und das ist ein gutes Zeichen«, sagte Pepe, als der Kanadier eine gedrängte Erzählung aller Ereignisse vor dem Kampf an der Red Fork gegeben hatte. »Wenn nicht irgendein edler Teil verletzt ist und Gayferos einige Stengel des indianischen Krautes, das ihn selbst so rasch geheilt hat, finden kann, werden wir ihn nach drei Tagen in sein Dorf bringen können.«

»Ich will im Augenblick danach suchen«, antwortete der skalpierte Gambusino und erhob sich, um sein Versprechen zu erfüllen; »wir haben noch beinahe zwei Stunden Tag.«

Indessen schien Fabian von einem geheimen Gefühl der Mißstimmung ergriffen zu sein. Dem Kanadier, der allen seinen Bewegungen mit eifrigster Zärtlichkeit folgte, konnte die Ursache dieses Mißbehagens nicht entgehen. Der Waldläufer schien zwar ebenso wie Pepe ganz damit beschäftigt, die Büchse von Main-Rouge, deren er sich durch das Recht der Eroberung wie der spanische Jäger der des Mestizen bemächtigt hatte, Stück für Stück auseinanderzunehmen und zu putzen, er verlor dabei aber Fabian nicht aus den Augen. Dieser stand leise von seinem Platz auf, als ob er seine so lange Zeit hindurch untätigen Gliedmaßen wieder geschmeidig machen wollte, entfernte sich aber unmerklich aus dem Kreis seiner Freunde und wandte sich, nachdem er einen Blick auf den Komantschen, seinen unbewußten Nebenbuhler, geworfen hatte, zu den Biberhütten.

Fabian suchte die Spuren derjenigen wiederzufinden, mit der er einen Augenblick lang die Gefangenschaft geteilt hatte; vielleicht hoffte er mitten in dem blutbesudelten Gras unter den Eindrücken der Füße, die der erbitterte Kampf tief in den feuchten Boden geprägt hatte, die Spuren der leichteren Füße Rosaritas zu unterscheiden. Obgleich jedoch in der Hütte, in die die Tochter Don Agustins gebracht worden war, ihr Haar den Staub hatte kehren müssen, so hatten doch an deren Eingang die Füße ihrer Räuber allein Spuren zurückgelassen, die sich mit denen des Pferdes, das sie fortgetragen hatte, mischten. Nur in der Phantasie vermochte Fabian in Ermangelung jeder wirklichen Spur die Erscheinung Doña Rosaritas wieder hervorzuzaubern, deren wallendes Kleid er einen einzigen Augenblick halb gesehen hatte und die dann ebenso schnell verschwunden war wie die süßen Bilder eines Traums beim Erwachen.

Fabian hatte den Kopf auf die Erde geneigt und war in die schwermütige Betrachtung eines Ortes, der alle seine teuersten Erinnerungen wieder ins Leben rief, so versunken, daß er nicht bemerkte, wie der Kanadier hinter ihm stand.

»Suchst du auch nach dem indianischen Kraut?« sagte eine Stimme in Fabians Ohr, die ihn durch die plötzliche Erinnerung an die Wirklichkeit erbeben ließ.

Er wandte sich lebhaft um und sah den Waldläufer an seiner Seite, auf dessen Lippen ein Lächeln spielte, das nicht frei von Traurigkeit war. »Nein«, antwortete der junge Mann errötend, »ich suchte mich zu erinnern; und doch würde ich vielleicht besser daran tun, zu vergessen.«

»Das sagte ich mir gerade auch, Fabian, als ich mich auf dem Meer und im Wald immer des kleinen Knaben erinnerte, den ich verloren hatte; aber ich habe mich immer wieder erinnern müssen und niemals vergessen können; Gott hat mich für meine Standhaftigkeit belohnt. Es gibt Dinge, die das Herz nicht aus seiner Erinnerung der Vergangenheit zu streichen vermag, wie es der Wanderer auf seinem Weg tun kann, der eine zu schwer gewordene Last zurückläßt.«

In Bois-Rosés Worten lag ein Sinn, den Fabian nicht erkannte. War es eine Ermutigung? War es ein versteckter Vorwurf? Ahnte der Kanadier die Wahrheit, und hatte er sich darein ergeben, um die zweite Stelle in seinem Herzen einzunehmen?

Fabian konnte sich nicht darüber klarwerden; aber der klagende Abendwind, der auf seinen Flügeln die Seufzer der auf dem Schlachtfeld Sterbenden davonzutragen schien, flüsterte nicht trauriger auf der Oberfläche des Teichs als die Stimme des alten Jägers, da er Fabian anredete.

»Es ist noch Tag«, begann Bois-Rosé wieder nach kurzem Schweigen. »Willst du, so wollen wir zusammen zum Büffelsee gehen. Vielleicht ... finden wir dort ...« Der Waldläufer beendete seine Rede nicht, aber diesmal hatte ihn Fabian verstanden, und ohne den schmerzlichen Schatten zu sehen – in diesem Alter ist man zu entschuldigen –, der plötzlich die Augen seines Adoptivvaters verdunkelte, rief er lebhaft: »Vorwärts!«

Der ungeduldige junge Mann und der alte Kanadier, der einen Seufzer unterdrückte, machten sich auf den Weg.

Die Sonne begann hinter den Bergen zu versinken, deren hohe Spitzen in goldenem Licht glänzten, als sie beide durch den Hohlweg in die Ebene traten. Das lange Gras, das sie bedeckte, wogte hin und her, während alles im tiefsten Schweigen dalag, und nichts hätte an den Kampf des Morgens erinnert, wenn nicht lange, in der riesenhaften Vegetation des Tales entstandene Lichtungen in den Lücken und mitten unter zertretenen Halmen hier den Leichnam eines Indianers, dort den eines Pferdes, weiterhin die Leichen von Reitern und Pferden nebeneinander hätte erblicken lassen.

Die beiden Reisegefährten marschierten schweigend weiter, mehr mit der Zukunft als mit dem blutigen Gemälde der vergangenen Kämpfe beschäftigt. Der Kanadier hatte leicht aus den halben Bekenntnissen Fabians über seine verschmähte Liebe und mittels des Namens der Tochter des Hacenderos die zerstreuten Angaben sammeln und daraus zu der Gewißheit gelangen können, daß Rosarita das junge Mädchen sei, das anscheinend hoffnungslos geliebt wurde; eine Liebe, die darum nicht weniger in ihrer ganzen Glut fortbestand.

Immer schweigend durchwateten die beiden Wanderer die Furt des Red River und schritten auf dem durch das Gras gebahnten Fußpfad weiter, der nicht weit vom Büffelsee aufhörte. Es war derselbe Fußpfad, dem wenige Stunden zuvor Doña Rosarita folgte, indem sie auch an Fabian dachte und vor dem belebenden, verschwiegenen Morgenwind ihre süßen Träume von der Zukunft und die geheimsten Gedanken ihres Herzens ausbreitete.

Der auf dem rechten Ufer des Flusses, wo sich jetzt Fabian und Bois-Rosé befanden, angefachte Brand war einige Schritt von hier – ohne Zweifel durch einen entgegengesetzten Wind zu seinem Ursprung zurückgedrängt – erloschen, und zuweilen senkten sich noch schwarze Rauchwolken auf die beiden Wanderer nieder.

»Laß uns schneller gehen, Fabian«, sagte endlich der Kanadier; »dieser Rauch erinnert mich zu sehr an die schreckliche Angst, die ich deinethalben empfunden habe, als ich glauben konnte, daß der Brand der Ebene auch dich vielleicht mit seinen Flammen umhüllen könnte.«

Fabian wollte gar nichts Besseres, als seinen Marsch beschleunigen, und nachdem die Wanderer einige Minuten mit raschen Schritten durch den Wald gegangen waren, führte sie das Bellen Ohos auf den richtigen Weg zum Büffelsee.

»Hörst du, Fabian?« rief Bois-Rosé. »Das ist die Stimme deines Befreiers! Ohne den Instinkt dieses edlen Tieres wären wir vielleicht zu spät gekommen; er hat die Öffnung und den Durchgang bis in den Mittelpunkt der Lichtung entdeckt. Dieses Willkommen eines treuen Freundes ist eine glückliche Vorbedeutung, mein Sohn.«

Fabian nahm diese Vorbedeutung zitternd vor Aufregung an; denn ein Vorhang von Laub, ein schmaler Gürtel von Bäumen war jetzt die einzige Schranke zwischen Rosarita und ihm.

»Wer da?« rief Encinas' rauhe Stimme.

»Ein Freund!« antwortete Bois-Rosé.

Einige Minuten nachher traten die beiden Wanderer in den Waldsaum am Büffelsee. Encinas, noch ein anderer Büffeljäger – der einzige Gefährte, der ihm geblieben war – und die Dogge befanden sich hier; sonst war die Lichtung verlassen. Das himmelblaue Zelt Rosaritas, das ihres Vaters und des Senators spiegelten sich nicht mehr im Teich. Herrschaft und Diener – alle hatten eiligst eine Gegend verlassen, die ihnen so verderbenbringend geworden war. Selbst die Schranken des Corrals standen offen, und die wilden Pferde waren der Freiheit der Wälder zurückgegeben worden.

Fabian mußte sich mit brechendem Herzen gegen einen Baum lehnen, um die Schwäche seiner zitternden Knie zu verbergen, und Bois-Rosé wich zum erstenmal seinem Blick aus. Wir wollen hier nicht den Versuch machen, auf dem Grund der Seele des Waldläufers zu lesen; vielleicht würden wir darin eine geheime Freude finden, die er, wenn er sie empfand, sich lebhaft vorwerfen mußte.

Der herzliche Empfang von seiten des Büffeljägers gab Fabian Zeit, die Kraft seines Willens wiederzugewinnen, ohne daß jedoch die Blässe seiner Wangen ebenso schnell verschwunden wäre. Bois-Rosé nahm es statt seiner auf sich, den Büffeljäger über die plötzliche Abreise des Hacenderos und seines Gefolges zu befragen, obgleich deren Gründe leicht zu erraten waren.

»Als ich mit zwei oder drei Vaqueros«, antwortete Encinas, »auf inständiges Bitten Don Agustins ihn und seine Tochter bis hierher begleitet hatte, blieb er kaum lange genug, um Doña Rosarita Zeit zu lassen, sich ein wenig zu erholen. Die Nähe der Indianer flößte ihm einen so lebhaften Schrecken ein, daß er aus Furcht, seine Tochter neuen Gefahren auszusetzen, selbst ein Pferd für sie sattelte, sie so bequem wie möglich auf einen Männersattel setzte, aus dem wir mit Stricken eine Art Frauensitz gemacht hatten, und vom Senator und von seinen drei Dienern begleitet im Galopp den Weg zum Presidio einschlug. Sie müssen jetzt in dessen Nähe und außer aller Gefahr sein. Dort will er die Vaqueros erwarten, die den Indianern entkommen sind. Wie ich haben diese armen Teufel die Hälfte ihrer Kameraden verloren«, schloß Encinas traurig, »und ihre Verwundeten mitgenommen.«

»Ach, der vergangene Tag war schrecklich, und das Andenken daran wird sich noch lange in der Gegend erhalten«, sagte der Kanadier. »Vielleicht aber hätte Don Agustin sich weniger beeilen sollen, die Nähe eines Schlachtfelds zu verlassen, auf dem sich, wenn wir es recht nehmen, tapfere Leute nur für seine Sache und die seiner Tochter haben töten lassen.«

»Wahrhaftig, Bois-Rosé, Ihr führt da ganz dieselbe Sprache wie jenes junge Mädchen das nicht weniger Mut wie Schönheit zu besitzen scheint. Aber ihr Vater wollte nicht auf sie hören.«

»Also hat sie den Büffelsee wider ihren Willen so eilig verlassen?«

»Ja. Sie behauptete, man dürfe treue Diener nicht so verlassen, da sie nach der Schlacht sorgfältiger Pflege bedürften!«

»Und hat Doña Rosarita unter diesen Leuten, die sich für sie tapfer dem Tod aussetzten – ich meine nicht ihre Diener, sondern diejenigen, deren Hilfe uneigennütziger war –, niemand ... namentlich erwähnt?« fügte der Kanadier hinzu.

»O nein!« antwortete Encinas. »Sie sprach im allgemeinen.«

Fabian hörte dieses Gespräch mit dem dumpfen Zorn eines Mannes an, der die Gedanken einer Frau unter dem Schleier verschwiegener Zurückhaltung, womit die Schüchternheit sie umhüllt, noch nicht zu erraten vermag. Er wußte nicht, daß, hätte Rosarita auch gewußt, daß er sich unter den Kämpfenden befand; hätte sie auch die Fürsorge ihres Vaters für alle nach der Reihe aufgerufen, er – der einzige, dessen Namen sie nicht erwähnt hatte – gerade der Gegenstand ihrer Zuneigung gewesen war. Der arme Fabian liebte mit der ungestümen Glut; aber auch mit der ganzen Unerfahrenheit des jungen Komantschen, seines wilden Nebenbuhlers. Tausend bittere Gedanken drangen auf ihn ein; tausend zusammenhanglose, unsinnige, einander widersprechende Pläne tauchten in ihm auf und erstarben einer nach dem anderen in seiner Seele, ohne ihn über den einzigen Weg, den er einschlagen mußte, aufzuklären. So kreuzen sich an einem stürmischen Himmel die Blitze von den entgegengesetzten Punkten des Horizonts aus, ohne daß ihr blendendes Licht die Finsternis zerstreuen könnte, wie dies ein einziger bleicher Sonnenstrahl vermag.

»Als ich nun«, nahm Encinas wieder das Wort, »den Büffelsee verlassen fand, habe ich den wilden Pferden, die wir eingefangen hatten, die Schranken geöffnet, und in dem Augenblick, wo ihr ankamt, wollte ich gerade zum Biberteich gehen, um etwas von dem jungen edlen Komantschenkrieger zu hören, den ich wie einen Sohn liebe.«

Unterdessen dachte Fabian, anstatt sich ganz einfach zu entschließen, sich in der Hacienda del Venado zu zeigen, bald daran, mit der Büchse in der Faust den Senator zu verfolgen, der ihm Rosarita entführte, und dann wieder, tief in der Steppe selbst der Erinnerung zu entfliehen.

»Laßt uns zusammen zu dem Komantschen zurückkehren, wenn es Euch recht ist«, sagte Bois-Rosé. Encinas nahm das Anerbieten des Kanadiers an, um Rayon-Brûlant ein letztes Lebewohl zu sagen, wenn das Ende seiner Tage nahe wäre, oder, in dem Fall, daß seine Wunde nicht tödlich wäre, ihn ins Leben zurückkehren zu sehen.

Sie machten sich auf den Weg, als Ohos Stimme die Ankunft eines Fremden ankündigte, dessen Pferd den Boden des Waldes widerhallen ließ.

»Wer da?« rief Encinas und spannte seine Büchse.

»Ich bin es, bei Gott, Señor Encinas!« antwortete ein Reiter, der einen Mantel aus Büffelhaut nach indianischer Sitte trug, auf dem die Sonne und der Mond prächtig in glänzenden Strahlen von Ocker und Zinnober abgemalt waren.

»Ach, Ihr seid es, mein Junge«, sagte der Büffeljäger, über den Aufputz des Reiters lachend, der kein anderer war als der Novize, der Encinas' Geschichten so liebte. »Und woher kommt Ihr denn so vermummt?«

»Caramba, Señor Encinas, ich komme tief aus dem Tal, wo ich – dafür bürge ich Euch – eine anstrengende Jagd auf Indianer gemacht habe.«

»Habt Ihr dort diesen Mantel erobert?«

»Ja«, sagte der Neuling stolz, »und ich werde nun ebenfalls prächtige Geschichten von dem blutigen Kampf an der Red Fork erzählen können. Doch halt – wo sind denn die anderen?«

»Diejenigen, die noch am Leben sind, befinden sich auf dem Weg zum Presidio, wo Don Agustin Euch erwartet.«

»Gut! Ich gehe auch dorthin.«

»Was! Habt Ihr denn keine Furcht, Indianern zu begegnen?«

»Ich? Geht doch! Das wäre mir gerade recht.« Und mit diesen Worten drang der angehende Vaquero, nachdem er Abschied von seinen Freunden genommen hatte, im Galopp in den Wald mit der Sicherheit eines Veteranen der Steppe und ganz stolz auf die Feuertaufe, die er an diesem Tag erhalten hatte.

Auf dem Weg vom Büffelsee zum Biberteich nahm Fabian keinen Anteil an der Unterhaltung der beiden Jäger. Eine düstere Schwermut war in seiner Seele an die Stelle der sanften Traurigkeit getreten, die er bis jetzt empfunden hatte; dies hatte seinen Grund darin, daß er wieder zu hoffen angefangen hatte und nun abermals das kräftiger als je in seinem Herzen wieder angefachte Feuer erlöschen lassen mußte. Mehr als jemals glaubte sich Fabian von Rosarita verschmäht. Er bedachte nicht, daß es dem jungen Mädchen unmöglich gewesen war, sich den Befehlen ihres Vaters zu widersetzen; er wagte nicht zu glauben, daß sie bei ihrem plötzlichen Aufbruch vom Büffelsee die süße Gewißheit mitnahm, ihn jetzt, da sie ihn am Leben wußte, fast unmittelbar nach ihnen in der Hacienda ankommen zu sehen. Fabians Herz jedoch war von einer ungerechten Überzeugung erbittert, und er beschloß abermals, seine hoffnungslose Leidenschaft mit seinen Gefährten tief in der Steppe zu vergraben.

Die Nacht war schon angebrochen, als sich Fabian nach der traurigen, erfolglosen Wanderung, die er unternommen hatte, wieder in der Nähe des Biberteichs befand.

Der junge Komanische war wieder ein wenig zum Bewußtsein gekommen und hatte sich auch etwas erholt. Er erkannte Encinas wieder und drückte seine Hand und verfiel dann wieder in einen ziemlich ruhigen Schlaf. Sir Frederick ließ sein Zelt über dem jungen Verwundeten aufschlagen, um ihn gegen die Kühle der Nacht zu schützen, worauf die Sieger sich bei ihrem Feuer auf dem Schlachtfeld ausstreckten.

Die Nacht wurde durch kein anderes Ereignis unterbrochen als durch den vorübergehenden Lärm, den das von dem amerikanischen Jäger verwundete weiße Pferd machte; dieser hatte es mit dem in einem dichten Gebüsch des Tals zurückgelassenen Gepäck des Engländers herbeigeholt. Das edle Tier hatte seine Gefangenschaft nicht ertragen können, und trotz der Stärke des Strickes, mit dem es festgebunden war, hatte es auf die Gefahr hin, sich zu erdrosseln, seine Bande zerrissen. Als Wilson herbeilief, war es zu spät, und der Sohn der Wälder hatte schon seinen windschnellen Lauf zu seiner Querencia genommen.

Encinas wurde vom Krachen der Gesträuche, die von dem sich losreißenden Pferd niedergetreten wurden, und besonders durch den Chor von Flüchen geweckt, die Sir Frederick und der Amerikaner um die Wette ausstießen. Er versuchte sie damit zu trösten, daß es geradeso wäre, als gerieten sie in Verzweiflung, daß sie nicht den Wind festhalten und die Wolken am Himmel fangen könnten; aber die beiden Ketzer, wie der Büffeljäger sie nannte, wollten sich nicht trösten lassen.

Der Tag war kaum angebrochen, als der Amerikaner und der Engländer sich bereitmachten, in der Richtung, die der Weiße Renner der Prärien genommen hatte, aufzubrechen. Encinas schüttelte den Kopf: »Nehmt Euch in acht, Señor Engländer«, sagte er; »diejenigen, die dieses wunderbare Tier zu eifrig verfolgen, sehen ihr Vaterland und ihre Familie nicht wieder.«

»Mein lieber Freund«, antwortete Sir Frederick, »wir sind ganz und gar verschiedener Ansicht. Ihr glaubt an den Teufel, und ich glaube nicht daran. Was die gewöhnlichen Gefahren der Steppe anlangt – sofern es nämlich andere gibt als die, die man selbst sucht –, so kümmere ich mich darum nicht mehr, da mein Kontrakt mit Wilson von heute an wieder in Kraft tritt; ich fange wieder an, mit mehr Sicherheit zu reisen als an den Ufern der Themse, wo man einer Menge von Taugenichtsen begegnet, denen man nicht immer aus dem Weg gehen kann. Wilson!«

»Sir?«

»Habe ich nicht recht?«

»Eure Gnaden erweisen mir wirklich viel Ehre, daß Sie auf mich allein ein größeres Vertrauen setzen als auf alle Polizisten Londons zusammengenommen.«

»Seid Ihr fertig?«

Wilson fand, daß er die Antwort hätte sparen können, und seine Antwort war darum die, daß er aufs Pferd stieg. Sir Frederick Wanderer machte es schweigend ebenso wie sein Leibgardist, drückte allen Umstehenden die Hand, schwang sich in den Sattel, und die beiden schweigenden Reisegefährten waren bald im Hohlweg hinter den Bäumen verschwunden. Obgleich man nicht mehr von ihnen hat reden hören, so glauben wir doch gern, daß die finstere Prophezeiung des Büffeljägers nicht in Erfüllung ging. Wir glauben lieber, daß der Engländer, da er so wenig sprach, noch weniger schrieb; und hätte er auch geschrieben, so ist doch der Postdienst in der Steppe noch nicht vollständig geordnet.

Der Zustand des jungen Komantschen, der am vorhergehenden Abend schon beruhigender gewesen war, hatte sich gegen Morgen noch gebessert. Als der Kanadier den ersten auf die Wunde gelegten Verband abnahm, war deren Aussehen zufriedenstellend genug, daß das Auge in Ermangelung einer Sonde daraus schließen konnte, daß kein edler Teil verletzt sei, und die allmähliche Rückkehr der Kräfte des Indianers bestätigte diese Voraussetzung. Erst am folgenden Tag jedoch durfte man hoffen, ihn zu Wasser zum Dorf der Komantschen bringen zu können, das an den Ufern des Flusses in Texas lag.

Zu diesem Zweck gingen die drei Krieger Rayon-Brûlants suchend den Strom entlang. Das Kanu aus Büffelhaut, das sie hergetragen hatte, war von der Strömung mit fortgerissen worden und verschwunden; aber die viel schwerere indianische Piroge war im Schilf hängengeblieben, und die Komantschen bedauerten ihr gebrechliches Fahrzeug nicht, da sie dafür die feste und schnelle Barke eingetauscht hatten. Noch blieb der wichtigste Punkt zu bestimmen: Welche Richtung sollten die drei Jäger einschlagen? Sollten sie den verwundeten Krieger, dem sie für so große Dienste verpflichtet waren, zu seinem Dorf geleiten? Hatte die letzte, schreckliche Prüfung, die sie eben bestanden hatten, den Entschluß Fabians geändert? Sollte der Kanadier seinem Sohn davon abraten, dieses Leben voll steter Gefahren – ein Leben, so reich an Aufregungen jeder Art – mit ihm fortzusetzen, oder ihm das Anerbieten machen, ein ruhiges Dasein mit ihm zu teilen? Über diesen ernsten, feierlichen Gegenstand berieten sich Bois-Rosé und der spanische Jäger in geheimer Sitzung, als Fabian gerade abwesend war.

»Wir müssen die Entscheidung des Jungen selbst abwarten.«

Damit schloß der Waldläufer, und dieser Tag ging noch hin, ohne daß Fabian hätte erraten lassen, wofür er sich entschied. Der Grund war ganz einfach der, daß er entschlossen war, sich aus der Gegend zu entfernen, die ihn zu lebhaft an Rosarita erinnerte, und darum beschloß, an dem Entschluß festzuhalten, den sie gemeinschaftlich im Val d'Or gefaßt hatten: nämlich ihr abenteuerndes Leben als Waldläufer fortzusetzen.

Am anderen Morgen ganz früh, als man eben Rayon-Brûlant in die Piroge getragen hatte und die Indianer bereit waren, abzustoßen, blieben Bois-Rosé und Pepe regungslos am Ufer stehen.

»Nun, wie denn, mein Vater?« rief Fabian erstaunt. »Wollen wir denn so denjenigen verlassen, der sein Leben für die Sache der Weißen gewagt hat? Wollen wir ihn nicht zu seinem Dorf geleiten?«

»Willst du es, mein Sohn?« sagte der Kanadier.

»Willst du es denn nicht auch?« fragte Fabian.

»Ohne Zweifel, aber nachher ...«

»Das Nachher gehört uns nicht.« Dann neigte sich Fabian an das Ohr Bois-Rosés und fügte hinzu: »Ich mache gemeinschaftliche Sache mit diesem jungen, edlen Krieger; wir werden beide von der Blume des Sees sprechen.«

Fabian hatte Rayon-Brûlant den Namen der Blume des Sees murmeln hören und hatte erraten, daß es nur Rosarita sein könne, die ein anderer ebenso wie er vergessen mußte.

Alle drei setzten sich in die Piroge an die Seite der Indianer. Encinas und sein Gefährte nahmen Abschied von ihnen und folgten lange mit den Augen dem Fahrzeug, das den Red River hinunterflog. Der Schattenriß Fabians, der traurig hinten im Fahrzeug saß, verwischte sich nach und nach ebenso wie die gigantische Gestalt des Kanadiers; dann war in der Ferne kaum noch ein kleiner Punkt sichtbar.

Einige Augenblicke darauf verbargen die von einem Strahl der Sonne gefärbten Nebel des Flusses den Augen der Büffeljäger die drei Abenteurer gänzlich, die sich noch einmal ohne zu zittern den Launen eines unbekannten Schicksals anvertrauten.

Die beiden Jäger entfernten sich nun ebenfalls, überließen die Lichtung den Toten, von denen sie bedeckt war, und den Biberteich den Bibern, die wieder von ihm Besitz nehmen würden.


 << zurück weiter >>