Gabriel Ferry
Der Waldläufer
Gabriel Ferry

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

79 Die Rückkehr

Als Don Agustin Peña in den Saal zurückkehrte, fand er seine Tochter allein und immer noch auf den Knien liegend; er wartete, bis sie ihr Gebet beendet hatte. Die sichere Nachricht vom Tod Don Estévans nahm den Hacendero so in Anspruch, daß er natürlich der frommen Handlung Rosaritas einen ganz anderen Zweck, als sie wirklich hatte, unterlegte. Er dachte, daß sie heiße Gebete für die Ruhe desjenigen gen Himmel sandte, dessen geheimnisvolles Ende man eben erfahren hatte.

»Jeden Tag«, sagte er, »soll der Kaplan ein ganzes Jahr lang auf meinen Befehl eine Messe für Don Estévan lesen, denn dieser Mann hat von der Gerechtigkeit Gottes gesprochen, die sich in der Steppe erfüllt hat. Das sind gewichtige Worte, und die Art, wie er sie ausgesprochen hat, läßt keinen Zweifel an deren Wahrheit zu.«

»Gott sei seiner Seele gnädig«, erwiderte Rosarita aufstehend; »er gewähre ihr Barmherzigkeit, wenn sie deren bedarf!«

»Gott sei seiner Seele gnädig!« wiederholte Don Agustin feierlich. »Die Seele des edlen Don Estévan de Arechiza war keine gewöhnliche Seele oder vielmehr, damit du es endlich erfährst, Rosarita, die Seele Don Antonios von Mediana, zu seinen Lebzeiten Marquis von Carsarcel und Herzog von Armada.«

»Mediana, sagst du, Vater?« rief das junge Mädchen aus. »Wie? Dann wäre er also sein Sohn?«

»Von wem sprichst du?« fragte Don Agustin erstaunt. »Don Antonio war niemals verheiratet. Was willst du also damit sagen?«

»Nichts, mein Vater; wenn nicht, daß deine Tochter heute sehr glücklich ist!«

Mit diesen Worten schlang Rosarita ihre Arme um den Hals ihres Vaters, lehnte ihren Kopf an seine Brust und begann, ihn mit Tränen überströmend, zu schluchzen. Aber ihr Schluchzen hatte nichts Bitteres; die Tränen des jungen Mädchens flossen sanft wie der Tau, den der Jasmin des Morgens aus seinen purpurnen Blütenkelchen herabträufeln läßt.

Der Hacendero war wenig bewandert in der Kenntnis des menschlichen Herzens und wußte nicht, daß die Tränen der Frauen auch zuweilen vor Freude fließen; er begriff also auch nichts von dem Glück, das seiner Tochter dieses Seufzen entriß.

Er fragte sie abermals; aber sie begnügte sich, ihm mit lächelndem Mund und noch feuchten Augen zu antworten: »Morgen will ich dir alles sagen, Vater.«

Der ehrliche Hacendero bedurfte in der Tat sehr einer Erklärung dieses ganzen Geheimnisses, von dem er kein Wort begriff. »Wir haben noch eine andere Pflicht zu erfüllen«, sagte er. »Der letzte Wunsch, den mir Don Antonio bei seiner Trennung von mir aussprach, war der, dich mit dem Senator Tragaduros vermählt zu sehen. Diese Heirat nicht länger aufzuschieben, heißt dem Willen eines Toten gehorchen. Siehst du dabei irgendein Hindernis, Rosarita?«

Diese erbebte bei den Worten, die sie an ein verhängnisvolles Versprechen erinnerten, dessen Andenken sie aus ihrem Gedächtnis zu verbannen gesucht hatte. Ihre Brust hob sich, und ihre Tränen fingen wieder an zu fließen.

»Gut«, sagte der Hacendero lächelnd zu ihr; »das ist auch noch Glück, nicht wahr?«

»Glück?« antwortete Rosarita mit Bitterkeit: »O nein; nein, mein Vater!«

Don Agustin war mehr als jemals auf falschem Weg! Er hatte sich sein ganzes Leben hindurch mehr darauf verlegt, die Kriegslist der Indianer zu erraten, gegen die er lange sein Besitztum hatte verteidigen müssen, als das Herz der Frauen zu erforschen.

»O nein, Vater«, rief Rosarita aus; »diese Heirat wäre heute das Todesurteil deines armen Kindes!«

Bei dieser plötzlichen Erklärung, die er durchaus nicht vorhersah, blieb Don Agustin ganz verwirrt und konnte kaum die Aufregung beherrschen, die sie in ihm hervorrief. »Wie?« rief er lebhaft aus. »Hast du nicht selbst vor einem Monat in die Heirat gewilligt? Hast du nicht zu ihrer Vollziehung den Zeitpunkt bestimmt, wo wir wußten, daß Don Estévan nicht wieder zurückkehren würde? Er ist tot; was willst du also jetzt?«

»Ja, Vater, es ist wahr, ich hatte diesen Zeitpunkt festgesetzt.«

»Nun?«

»Aber ich wußte damals nicht, daß er noch lebte.«

»Don Antonio von Mediana?«

»Nein, Don Fabian von Mediana!« erwiderte leise Rosarita.

»Don Fabian? Wer ist denn dieser Don Fabian, von dem du sprichst?«

»Derjenige, den wir, du und ich, Tiburcio Arellanos nennen. Als ich in diese Heirat gewilligt habe«, sagte sie, »glaubte ich, daß Don Fabian auf immer für uns verloren wäre; ich wußte nicht, daß er mich noch liebte, und dennoch ... Urteile, ob ich dich liebe, mein Vater, urteile, welch ein schmerzliches Opfer ich meiner Liebe für dich brachte ... Ich wußte wohl ...« Bei diesen Worten näherte sich Rosarita ihrem Vater, die Augen mit dem ganzen Zauber ihres süßen, von Tränen verschleierten Blicks bewaffnet; sie lehnte sich an seine Schulter und verbarg am Kopf des Vaters ihre Wangen, die so rot waren wie die halb aufgebrochene Granate. »Ich wußte jedoch, daß ich ihn immer noch liebte«, flüsterte sie leise.

»Aber von wem sprichst du denn?«

»Ich spreche von Tiburcio Arellanos, vom Grafen Fabian von Mediana, die beide nur ein und dieselbe Person sind.«

»Vom Grafen von Mediana?« wiederholte Don Agustin.

»Ja, aber«, rief Rosarita leidenschaftlich aus, »ich liebe in ihm nur Tiburcio Arellanos, so edel, so mächtig, so reich heute Fabian von Mediana auch sein mag.«

Edel, mächtig, reich – das sind die drei Worte, die im Ohr eines ehrgeizigen Vaters immer einen guten Klang haben, wenn sie einem jungen Mann gebühren, den er achtet, den er jedoch für arm hält. Tiburcio Arellanos hätte von Don Agustin nur eine ablehnende Antwort erhalten – freilich durch liebreiche Worte gemildert; hatte aber jetzt Fabian von Mediana nicht viele Aussichten für sich?

»Willst du mir wohl sagen, wie Tiburcio Arellanos Fabian von Mediana sein kann?« fragte Don Agustin mit mehr Neugierde als Zorn. »Wer hat dir diese Erzählung mitgeteilt?«

»Du bist nicht bis zum Schluß der Erzählung des Gambusinos hier geblieben«, antwortete Doña Rosarita, »sonst würdest du wissen, daß jener junge Gefährte der beiden unerschrockenen Jäger, deren Gefahren er so hochherzig geteilt hat, kein anderer war als Tiburcio Arellanos unter dem Namen Fabian. Als er allein und verwundet sich aus der Hacienda entfernte, durch welches Zusammentreffen von Umständen hat er so unverhoffte Beschützer gefunden? Welche Verwandtschaft besteht zwischen Tiburcio und dem Herzog von Armada? Ich weiß es nicht; aber dieser Mann, der es weiß, wird es dir sagen.«

»Man rufe ihn augenblicklich!« sagte lebhaft Don Agustin. Und er rief einen Diener, dem er den Auftrag gab, ihn herbeizuholen; dann wartete er mit großer Ungeduld auf Gayferos' Rückkehr; aber man suchte ihn vergeblich – der Gambusino war nirgends auffindbar.

Wir wollen sogleich den Grund dieses Verschwindens mitteilen. Fast in demselben Augenblick, wo man den Hacendero und seine Tochter von diesem Verschwinden benachrichtigte, trat ein anderer Diener ein, um zu melden, daß Tragaduros eben im Hof der Hacienda vom Pferd steige. Das Zusammentreffen der Rückkehr des Senators mit der bevorstehenden Ankunft Fabians war eines jener Ereignisse, die durch den Zufall häufiger im wirklichen Leben vorkommen, als man glauben sollte.

Rosarita beeilte sich, um sich ihres Vaters als eines Verbündeten zu versichern, ihn zärtlich zu umarmen und ihm ihr ganzes Erstaunen über ein Wunder zu bezeigen, das aus dem Adoptivsohn eines Gambusinos den Erben einer mächtigen spanischen Familie gemacht hatte. Nachdem sie wie ein Indianer diese beiden Pfeile abgeschossen hatte, flüchtete sie aus dem Saal ebenso leicht wie der Vogel, der von einem Baum zum anderen fliegt.

Tragaduros trat herein wie ein Mann, der fühlt, daß die Meldung seiner Gegenwart immer willkommen ist. Seine Haltung war die eines künftigen Schwiegersohns; er hatte das Wort des Vaters, die Einwilligung der Tochter, obgleich diese Einwilligung nur eine stumme gewesen war. Indessen konnte der Senator trotz seiner Zufriedenheit mit sich selbst und seiner Sicherheit über die Zukunft nicht umhin, die ernste und feierliche Miene Don Agustins zu bemerken; er glaubte ihn darüber befragen zu müssen.

»Don Estévan de Arechiza, der Herzog von Armada, ist nicht mehr!« sagte der Hacendero. »Wir haben, Ihr und ich, einen edlen teuren Freund verloren!«

»Wie? Tot?« rief der Senator aus und verhüllte sein Gesicht mit seinem Taschentuch von besticktem Batist.

»Armer Don Estévan; ich weiß nicht, ob ich mich jemals darüber trösten werde.«

Seine Zukunft jedoch sollte nicht durch eine ewige Trauer verdüstert werden, denn das Bedauern, das er aussprach, war weit davon entfernt, mit seinen geheimsten Gedanken übereinzustimmen. Er erkannte zwar die zahlreichen Verpflichtungen, die er Don Estévan schuldig war, konnte aber doch nicht umhin, zu denken, daß er, wenn er gelebt hätte, genötigt gewesen wäre, die Hälfte der Mitgift seiner Frau für politische Umtriebe zu verwenden ... Eine halbe Million, die er gezwungen gewesen wäre, auf die Straße zu werfen! »Freilich«, sagte er zu sich selbst, »werde ich weder Graf noch Herzog, noch Marquis von irgend etwas sein, aber bei der Art und Weise, wie ich lebe, ist eine halbe Million angenehmer als Titel und wird meine Genüsse verdoppeln ... Dieses verhängnisvolle Ereignis rückt außerdem noch den Zeitpunkt meiner Verheiratung näher heran ... Am Ende ist es vielleicht gar kein Unglück, daß Don Estévan tot ist. – Armer Don Estévan«, wiederholte er laut, »welch ein unerwarteter Schlag!«

Tragaduros sollte später erfahren, daß es viel glücklicher für ihn gewesen wäre, wenn Don Estévan gelebt hätte. Wir wollen ihn bei dem Hacendero lassen und Gayferos folgen; denn wir glauben, daß der Leser gern wieder von ihm hören wird. –

Der Gambusino hatte sein Pferd gesattelt, ohne von jemand gesehen zu werden, war durch die Ebene geritten und hatte abermals den Weg, der zum Presidio führte, eingeschlagen. Auf dem Weg, dem er schon seit langer Zeit folgte, war er nur selten Reisenden begegnet, und wenn zufällig irgendein Reiter sich in der Ferne zeigte, so grüßte der Gambusino in dem Augenblick, wo er an ihm vorüberritt, mit ungeduldiger Miene; offenbar war es nicht derjenige, den er suchte.

Der Tag ging hin, und es war schon spät, als Gayferos drei Reisende im Trab auf sich zukommen sah. Bei ihrem Anblick stieß er einen Freudenruf aus: es waren der Kanadier, Pepe und Fabian von Mediana. Der Riese saß auf einem kolossalen Maultier. Fabian und Pepe ritten die prächtigen Pferde, die sie den Indianern abgenommen hatten.

Der junge Mann hatte sich sehr verändert, seit man ihn zum erstenmal in der Hacienda del Venado gesehen hat. Schmerz und Trauer hatten seine Wangen gebleicht, seine Stirn mit Runzeln durchzogen, und in seinen Augen brannte ein düsteres Feuer, entzündet von der Leidenschaft, die sein Herz erfüllte. Mußte dieses Antlitz, dessen Züge die Sonne und die Anstrengungen veredelt hatten, Doña Rosarita nicht jene Liebe ins Gedächtnis rufen, die sie glücklich und stolz gemacht hatte?

Im übrigen sahen die Jäger ganz unverändert aus, und die sieben Monate eines tollen Abenteuerlebens hatten ihre männlichen Gestalten, ihre braunen Gesichter nicht ermüdet. Sie zeigten sich nicht im geringsten überrascht, als sie den Gambusino erblickten. Nur eine gewisse Neugier sprach aus ihren Augen, die Gayferos durch einen einzigen Blick befriedigte.

Nur Fabian schien erstaunt, den alten Begleiter hier wiederzufinden. »Hast du uns also bei Tubac nur verlassen, um uns hier voraus zu sein?« fragte er.

»Gewiß. Sagte ich's denn damals nicht?« antwortete Gayferos.

»Ich hatte es anders aufgefaßt«, murmelte Fabian und verfiel dann wieder in das düstere Schweigen, das ihm eigentümlich geworden war.

Gayferos wandte sein Pferd, und die vier Reisenden setzten schweigend ihren Ritt fort.

Ungefähr noch eine Stunde, in der Gayferos und der Kanadier allein einige Worte mit leiser Stimme wechselten, ohne daß Fabian, der immer noch in Gedanken versunken war, darauf geachtet hätte, boten sich die Erinnerungen einer Vergangenheit, die noch nicht sehr fern lag, in Menge dem Gedächtnis der drei Reiter dar. Sie ritten abermals durch die Ebene, die sich jenseits des Salto de Agua ausdehnte; dann kamen sie einige Augenblicke nachher an den Waldstrom selbst, der immer noch zwischen den Steinen seiner Ufer dahinrauschte; eine ebenso plumpe Brücke als die frühere hatte diejenige ersetzt, die die Männer, die nun den ewigen Schlaf in jenem Val d'Or, dem Gegenstand ihres ehrgeizigen Strebens, schliefen, in den Waldstrom gestürzt hatten.

Der Kanadier war einen Augenblick vom Pferd gestiegen. »Sieh Fabian«, sagte er, »hier hielt Don Estévan; die vier Banditen – ich verstehe darunter jedoch nicht den armen Diaz, den Schrecken der Indianer – befanden sich dort. Sieh, da ist noch die Hufspur deines Pferdes, als es auf dem Felsen ausglitt und dich in seinem Fall mit hinabzog. Sieh, Fabian, mein Kind, ich sehe noch, wie das Wasser über dir schäumt; es ist mir, als ob das Echo noch einmal den Angstschrei wiederholte, den ich ausgestoßen habe. Welch ein ungestümer junger Mann warst du doch damals!«

»Und heute«, sagte Fabian traurig lächelnd, »bin ich also nicht mehr derselbe?«

»O nein! Heute ist deine Stirn männlich und unempfindlich wie die eines indianischen Kriegers, der bei den Martern am Pfahl lächelt; dein Gesicht ist ruhig diesen Orten gegenüber; und doch zerreißen dir diese Erinnerungen das Herz, das weiß ich gewiß. Nicht wahr, Fabian?«

»Du irrst dich, mein Vater«, erwiderte Fabian; »mein Herz ist wie dieser Felsen, auf dem ich, was du auch darüber sagen magst, die Spur der Hufe meines Pferdes nicht mehr erblicke; und mein Gedächtnis ist stumm wie das Echo deiner eigenen Stimme, die du noch zu hören wähntest. Ich habe dir gesagt, als du mir – ehe wir zurückkehrten, um für immer fern von den Menschen in der Steppe zu leben – als letzte Prüfung die auferlegt hast, alle Orte meiner Erinnerungen wiederzusehen, daß diese Erinnerungen gar nicht mehr da sind.«

Eine Träne benetzte die Augen des Kanadiers, aber er verbarg sie, indem er Fabian den Rücken zukehrte, um sein Maultier wieder zu besteigen. Die Reisenden ritten über die Brücke von Baumstämmen.

»Findest du hier auf diesem Moos, auf dieser Erde die Spur der Schritte meines Pferdes wieder, als ich Don Estévan und seine Schar verfolgte?« fragte Fabian Bois-Rosé. »Nein, die von den Bäumen im letzten Winter gefallenen Blätter haben sie bedeckt; das Gras der Regenzeit ist auf ihnen gewachsen.«

»Ach, wenn ich diese Blätter aufheben, dieses Gras entfernen wollte, so würde ich diese Spuren wiederfinden, Fabian, wie wenn ich die verborgenen Falten deines Herzens durchforschen wollte ...«

»So würdest du nichts darin finden, du, sage ich«, unterbrach ihn Fabian mit einiger Ungeduld. – »Ich irre mich; du würdest eine Erinnerung aus der Kindheit darin finden, eine von denjenigen, in der du selbst vorkommst, mein Vater.«

»Ich glaube dir, Fabian, ich glaube dir; du bist ja die Liebe meines ganzen Lebens gewesen. Aber ich habe dir gesagt, daß ich dein Opfer nur morgen zu derselben Stunde annehmen werde, wenn du alles wiedergesehen haben wirst; selbst die Öffnung in der Ringmauer, über die du, Herz und Körper verwundet und blutend, gestiegen bist.«

Ein Schauder gleich dem, der einen Verurteilten beim Anblick eines letzten schrecklichen Torturwerkzeugs überläuft, schüttelte Fabians Körper.

Die Reisenden machten endlich in dem zwischen dem Salto de Agua und der Hacienda gelegenen Teil des Waldes halt, und zwar in der Lichtung, auf der Fabian den Kanadier und den Spanier wiedergefunden hatte wie Freunde, die Gott ihm vom Ende der Welt hersandte.

Diesmal bedeckten die Schatten der Nacht noch nicht diesen Ort, wo das Schweigen der Wälder Amerikas herrschte; ein feierliches Schweigen, wenn die Sonne, im Zenit angekommen, ihre glühenden Strahlen heiß wie eine rotglühende Stahlklinge herabsendet; wenn die Lianenblüte ihren Kelch verschließt, wenn der Grashalm sich durstig der Erde zuneigt, als ob er dort Erfrischung suchte, und wenn die ganze Natur, stumm und in Erstarrung versunken, ohne Leben zu sein scheint. Das ferne Brüllen des Waldstromes, der seine Gewässer rauschend dahinrollt, war das einzige Geräusch, das um diese Stunde die ehrfurchtgebietende Ruhe des Waldes störte.

Die Reiter zäumten und sattelten ihre Pferde ab und banden sie in einiger Entfernung an. Da sie die ganze Nacht hindurch geritten waren, um die Hitze des Tages zu vermeiden, so hatten sie beschlossen, ihre Siesta im Schatten der Bäume zu halten.

Gayferos war der erste, der einschlief. Seine Liebe für Fabian war vor der Zukunft nicht besorgt. Pepe folgte ihm bald nach. Nur der Kanadier und Fabian schlossen kein Auge.

»Du schläfst nicht, Fabian«, sagte Bois-Rosé mit leiser Stimme.

»Nein; aber du, warum ruhst du dich nicht ein wenig aus wie unsere beiden Gefährten?«

»Man schläft nicht an einem geheiligten Ort, Fabian«, antwortete der alte Jäger. »Diese Stelle ist heilig für mich geworden. Hat sich nicht hier ein Wunder zugetragen, nachdem ich dich auf dem unermeßlichen Ozean verloren hatte? Ich würde mich für undankbar gegen Gott halten, wenn ich hier, selbst um den Schlaf zu genießen, den er uns zu genießen befiehlt, alles vergäße, was er für mich getan hat.«

»Ich denke wie du, mein Vater, und höre auf dich«, antwortete der junge Graf.

»Dank, Fabian; Dank auch Gott, der mich dich mit einem ebenso edlen als liebenden Herzen hat wiederfinden lassen. Sieh, hier sind noch die sichtbaren Spuren des Feuers, an dem ich saß; hier sind die Feuerbrände – immer noch schwarz, obgleich sie vom Wasser einer ganzen langen Regenzeit gewaschen sind. Dies ist der Baum, an den ich mich am Abend des schönsten Tages in meinem Leben lehnte; es ist durch dich verschönert, denn seitdem du wieder mein Sohn geworden bist, ist jeder Tag meines Daseins ein Tag des Glücks für mich gewesen, bis zu dem Augenblick, wo ich einsehen mußte, daß meine Liebe für dich nicht die war, wonach das Herz der Jugend dürstet.«

»Warum kommst du immer auf diesen Gegenstand zurück, mein Vater?« antwortete Fabian mit jener ergebenen Sanftmut, die schmerzlicher ist als die bittersten Vorwürfe.

»Gut, sprechen wir nicht mehr von dem, was dir peinlich sein muß; wir werden nach der Prüfung, der ich dich habe unterwerfen müssen, weiter darüber sprechen.«

Vater und Sohn – wir dürfen sie wohl so nennen – schwiegen abermals, um nur den Stimmen der Einöde zu lauschen. Wer vermöchte zu sagen, was diese Stimmen alles einem verwundeten Herzen zuflüstern?

Die Sonne neigte sich nach Westen, ein leichter Zephyr liebkoste schon mit sanftem Wehen das Laub der Bäume; schon begannen die Vögel, von Zweig zu Zweig hüpfend ihren Gesang wieder; die Insekten eilten unter dem Gras hin und her, das Brüllen des Rindviehs ließ sich in der Ferne hören – die Bewohner des Waldes begrüßten die Rückkehr der Abendkühle.

Die beiden Schläfer erwachten. Nach einem kurzen, kräftigen Mahl, zu dem Gayferos die einzelnen Bestandteile aus der Hacienda del Venado mitgebracht hatte, warteten die vier Reisenden ruhig und gesammelt auf die wichtigste Stunde der Prüfung.

Mehrere Stunden verflossen, ehe der tiefblaue Himmel, der sich über der Lichtung wölbte, dunkler wurde. Nach und nach kehrte die Natur in das Schweigen der Nacht zurück. Tausende von Sternen glänzten am Firmament wie ebenso viele von der Sonne nach Vollendung ihres Laufes ausgestreute Funken, und endlich kam auch der Mond, um sein bleiches Licht auf den Gipfel der Bäume und das Moos der Lichtung zu werfen, gerade wie an jenem Abend, der so viele Erinnerungen in sich schloß, an dem Fabian verwundet zum Feuer des Kanadiers kam.

»Werden wir Feuer anzünden?« fragte Pepe.

»Ohne Zweifel. Was auch kommen möge, wir werden die Nacht hier zubringen«, antwortete Bois-Rosé. »Ist das nicht auch deine Meinung, Fabian?«

»Ich kümmere mich wenig darum«, antwortete der junge Mann; »hier oder dort – sind wir nicht immer beieinander?«

Fabian hatte, wie gesagt, schon seit langer Zeit begriffen, daß der Kanadier nicht im Schoß der Städte – selbst in seiner Gesellschaft nicht – leben könnte, ohne stets die Freiheit und die Luft der Steppe zu vermissen; er wußte auch, daß ein Leben ohne ihn noch viel weniger möglich wäre, und opferte sich edelmütig für die letzten Jahre des alten Jägers.

Bois-Rosé hatte die ganze Größe dieses Opfers von seiten Fabians begriffen; war jene Träne, die er am Morgen verbarg, nicht eine Träne der Dankbarkeit? Wir werden sogleich noch deutlicher im Herzen des Kanadiers lesen.

Die Sterne zeigten, daß es elf Uhr sei.

»Geh nun, mein Kind«, sagte Bois-Rosé zu Fabian. »Wenn du an den Ort gekommen bist, wo du dich von einer Frau, die dich vielleicht liebte, getrennt hast, dann lege die Hand aufs Herz; wenn du es nicht rascher klopfen fühlst, dann kehre zurück, denn dann hast du die Vergangenheit besiegt.«

»Ich werde zurückkehren, mein Vater«, antwortete Fabian mit festem, schwermütigem Ton; »die Erinnerungen sind für mich wie der Hauch des Windes, der ohne Aufenthalt und spurlos vorüberfährt.«

Er machte sich langsamen Schrittes auf den Weg. Ein frischer Luftzug mäßigte die heißen Ausstrahlungen der Erde. Der Mond beleuchtete mit blendendem Licht das Feld, als Fabian, nachdem er den Wald verlassen hatte, das weite Gebiet betrat, das zwischen dem Wald und der Ringmauer der Hacienda lag.

Bis hierher war er, wenn auch langsam, doch mit festem Schritt gegangen; als er aber mitten in dem silbernen Duft der Nacht die weiße Mauer bemerkte, in deren Mitte die immer noch offene Stelle sichtbar wurde, wurden seine Schritte langsamer, seine Füße zitterten unter ihm. War es seine bevorstehende Niederlage, die er fürchtete – denn eine innere Stimme rief ihm schon im voraus zu, daß er besiegt sei –, oder waren es etwa seine Erinnerungen, die in diesem Augenblick lebhafter und mächtiger als eine Meereswoge emporstiegen?

Tiefes Schweigen deckte die klare, wenn auch etwas dunstige Nacht. Plötzlich stand Fabian bebend still wie ein verirrter Wanderer, der glaubt, daß ein Gespenst sich vor ihm aufrichtet. Eine schlanke, weiße Gestalt schien über der Öffnung der Ringmauer zu schweben. Sie erschien wie eine jener Feen aus den alten nordischen Sagen, die für die heidnischen Skandinavier über dem Nebel schwebten. Für einen Christen schien es der Engel der ersten und einzigen Liebe zu sein.

Einen Augenblick lang schien diese anmutige Erscheinung vor Fabian zu versinken; allein es war nur eine Täuschung seiner Augen, die sich wider seinen Willen mit einem Schleier bedeckten. Die Erscheinung blieb immer auf derselben Stelle. Als er sich stark genug fühlte, weiterzugehen, schritt er vor – die Erscheinung verschwand nicht.

Das Herz des jungen Mannes wollte zerspringen in seiner Brust, denn ein schrecklicher Gedanke flog durch seine Seele: er dachte, daß er nur noch den Schatten Rosaritas vor sich hätte ... und er hätte es tausendmal lieber gesehen, wenn sie ihn verschmähte und unbarmherzig gegen ihn wäre, aber doch noch lebte, als zu sehen, daß sie sich ihm nach ihrem Tod als eine anmutige, wohlwollende Erscheinung zeigte.

Eine Stimme, deren entzückender Klang sein Ohr wie ein vom Himmel fallender Ton traf, konnte seine Täuschung noch nicht zerstören, denn diese Stimme sagte: »Bist du es, Tiburcio? Ich erwarte dich!«

Konnte ein hellsehender Geist aus der anderen Welt seine Rückkehr aus so weiter Ferne wissen?

»Bist du es, Rosarita?« rief Fabian mit bestürzter Stimme aus. »Oder ist es nur eine trügerische Erscheinung, die wieder verschwinden wird?« Und Fabian blieb regungslos und wie festgewurzelt stehen, so sehr fürchtete er, dieses Bild verschwinden zu sehen.

»Ich bin es wirklich«, sagte die Stimme.

»O mein Gott! Die Prüfung wird noch schrecklicher werden, als ich es zu denken wagte«, sagte Fabian in seinem Innern.

Und er tat einen Schritt vorwärts; doch blieb er sogleich wieder stehen – der arme junge Mann hoffte nichts mehr.

»Durch welch ein Wunder des Himmels finde ich dich hier?« rief er aus.

»Ich komme jeden Abend hierher, Tiburcio«, erwiderte das junge Mädchen.

Diesmal begann Fabian viel heftiger vor Liebe und Furcht zu zittern.

Wir haben gesehen, daß Rosarita bei ihrem Zusammentreffen mit Fabian sich lieber der Gefahr, zu sterben, ausgesetzt hatte, als ihm zu gestehen, daß sie ihn liebe. Seitdem hatte sie so viel gelitten und so viel geweint, daß die Liebe diesmal stärker war als die Scham. Die Jungfrau zeigt zuweilen eine Kühnheit, die von ihrer Züchtigkeit geheiligt wird. »Komm doch näher, Tiburcio«, sagte sie; »siehe, da ist meine Hand.«

Mit einem Sprung lag Fabian zu ihren Füßen und drückte krampfhaft die Hand, die sie ihm reichte; aber vergebens versuchte er zu sprechen.

Das junge Mädchen senkte einen Blick unruhiger Zärtlichkeit auf ihn. »Laß mich sehen«, sagte sie, »wie sehr du dich verändert hast, Tiburcio ... O ja, der Schmerz hat seine Spur auf deiner Stirn zurückgelassen, aber der Ruhm hat sie edler gemacht. Du bist ebenso tapfer wie schön, Tiburcio; ich habe mit Stolz erfahren, daß die Gefahr dich niemals hat erbleichen lassen.«

»Du weißt, sagst du?« rief Fabian aus. »Aber was weißt du denn?«

»Alles, Tiburcio, bis auf deine geheimsten Gedanken. Ich habe alles gewußt, sogar dein Kommen heute abend ... Begreifst du das? ... Und da bin ich!«

»Ehe ich dich zu verstehen wage, Rosarita – denn diesmal würde mich ein Mißverständnis töten«, sprach Fabian, der von den Worten und der zärtlichen Miene des jungen Mädchens bis auf den Grund seiner Seele erschüttert war, »– willst du mir eine Frage beantworten ... wenn ich sie an dich zu richten wage?«

»Wage es nur, Tiburcio«, antwortete Rosarita, deren keusche, reine Stirn vom Mond erleuchtet wurde; »ich bin hierher gekommen, um dich anzuhören.«

»So höre denn«, sagte der junge Graf. »Vor sechs Monaten hatte ich zugleich den Tod meiner Mutter und den des Mannes zu rächen, der mein Vater gewesen war: Marcos Arellanos – denn wenn du alles weißt, so weißt du auch, daß ich nicht mehr ...«

»Du bist für mich immer nur Tiburcio«, unterbrach ihn Rosarita; »ich habe Don Fabian von Mediana nicht gekannt.«

»Der Unglückliche, der seine Verbrechen büßen sollte, der Mörder von Marcos Arellanos – mit einem Wort Cuchillo – bat mich, ihm das Leben zu schenken. Ich konnte seine Bitte nicht gewähren, aber er rief: ›Ich fordere es im Namen Doña Rosaritas, die Euch liebt, denn ich habe gehört ...‹ Der Flehende hing über einem Abgrund; ich wollte ihm aus Liebe zu dir vergeben, als einer meiner Gefährten ihn hinunterstürzte. Hundertmal habe ich mich in der Stille der Nacht dieser flehenden Stimme erinnert, ich habe mich ängstlich gefragt: ›Was hat er denn gehört?‹ Jetzt richte ich heute abend dieselbe Frage an dich, Rosarita.«

»Einmal, ein einziges Mal hat mein Mund das Geheimnis meines Herzens verraten; es war hier an derselben Stelle, als du unsere Wohnung verlassen hattest. Ich werde dir wiederholen, was ich gesagt habe.«

Rosarita schien ihre Kräfte zu sammeln, um einem Mann zu sagen, daß sie ihn liebe, und es ihm in klaren, leidenschaftlichen Ausdrücken zu sagen. Ihre keusche, von jener jungfräulichen Unschuld strahlende Stirn, die nichts fürchtet, weil sie nichts kennt, richtet sich auf Tiburcio. »Ich habe zuviel an einem Mißverständnis gelitten«, sagte sie, »als daß noch ein solches unter uns stattfinden dürfte; ich werde also meine Hände in deine Hände legen, meine Augen auf deine Augen richten und so dir wiederholen, was ich gesagt habe. Du flohst vor mir, Tiburcio; ich wußte, daß du fern warst; ich glaubte, daß Gott allein mich hörte, und habe ausgerufen: ›Komm zurück, Tiburcio, komm zurück! Du allein bist es, den ich liebe!‹«

Fabian schauderte vor Liebe und Glück, er kniete fromm vor diesem heiligen jungen Mädchen nieder, wie er es vor einer Madonna, die von ihrem Altar herabgestiegen wäre, getan haben würde. In diesem Augenblick verschwand die ganze Welt vor seinen Augen: Bois-Rosé, die Vergangenheit, die Zukunft – alles verschwand wie die Erscheinungen eines Traums beim Erwachen, und er rief mit bebender Stimme: »Dein für immer! Dir gehört mein ganzes Leben!«

Rosarita stieß einen leichten Schrei aus; Fabian wandte sich um und blieb wie vom Donner gerührt stehen. Ruhig auf den Lauf seiner langen Büchse gestützt, stand Bois-Rosé zwei Schritt von ihnen und schaute mit einem Blick inniger Zärtlichkeit auf die beiden jungen Leute. Das war die Verwirklichung seines Traums auf der Insel des Rio Gila.

»O mein Vater!« rief Fabian schmerzlich aus. »Wirst du mir verzeihen, daß ich besiegt worden bin?«

»Wer wäre nicht besiegt an deiner Stelle, mein vielgeliebter Fabian!« sagte der Kanadier lächelnd.

»Ich habe meinen Schwur gebrochen, mein Vater«, erwiderte Fabian; »ich hatte dir versprochen, nur dich allein noch zu lieben. Verzeihung! Verzeihung!«

»Mein Sohn, du bittest da um Verzeihung, wo ich es tun sollte«, sagte Bois-Rosé. »Du bist viel hochherziger gewesen als ich, Fabian. Niemals hat eine Löwin, die ihr Junges den Händen der Jäger entreißt, es mit wilderer Liebe tief in ihre Höhle getragen, als ich dich den Ansiedlungen entrissen habe, um dich in die Steppe mitzunehmen. Ich war dort glücklich, weil sich alle Gefühle meines Herzens in dir vereinigten; ich habe gedacht, du mußt es auch sein. Du hast nicht gemurrt, du hast ohne Zögern die Schätze deiner Jugend, die viel kostbarer sind als die des Val d'Or, geopfert. Ich bin es, der nicht gewollt hat, daß es so geschehe, und ich bin dabei doch nur egoistisch gewesen, anstatt hochherzig zu sein; denn wenn der Gram dich getötet hätte, so wäre ich auch gestorben.«

»Was willst du damit sagen?« rief Fabian.

»Was ich damit sagen will, mein Sohn? Wer hat deinen Schlaf lange Nächte hindurch belauscht, um auf deinen Lippen die geheimen Wünsche deines Herzens zu lesen? Ich habe es getan. Wer hat den Mann bis hierher begleiten wollen, den deine Vermittlung mich aus den Händen der Apachen hat retten lassen? Wer hat ihn zu diesem schönen, anmutigen jungen Mädchen gesandt, um zu erfahren, ob in seinem Herzen noch eine Erinnerung an dich lebte? Das habe ich abermals getan, mein Sohn, denn dein Glück ist mir tausendmal teurer als das meinige. Wer hat dich überredet, diese letzte Prüfung zu versuchen? Immer bin ich es gewesen, der ich wußte, daß du dabei unterliegen würdest! Morgen, sagte ich dir, würde ich dein Opfer annehmen; aber Gayferos hatte auch die letzte Seite der geheimen Gedanken in der Seele dieses keuschen Kindes gelesen. Was sprichst du also zu mir von Verzeihung, wenn ich dich doch darum bitten muß?«

Der Kanadier streckte bei diesen Worten seine Arme gegen Fabian aus, der sich mit heißer Liebe an seine Brust warf. »O mein Vater«, rief er aus, »soviel Glück erschreckt mich, denn noch nie war ein Mensch so glücklich wie ich.«

»Das Bittere wird auch kommen, wenn es Gottes Wille ist«, sagte der Kanadier feierlich.

»Aber du – was wird aus dir?« fragte Fabian ängstlich.

»Deine Entfernung würde für mich der Tropfen Galle in dem vollen Becher meines Glücks sein!«

»Das wolle Gott nicht, mein Sohn!« rief der Kanadier aus. »Ich kann zwar nicht in den Städten leben; aber liegt denn diese Wohnung, die die deinige sein wird, nicht an der Grenze der Steppe? Habe ich nicht die Unermeßlichkeit rings um mich her? Ich werde mit Pepe ... Hallo, Pepe«, rief der Jäger mit lauter Stimme, »komm her und bestätige mein Versprechen!«

Pepe und Gayferos näherten sich auf den Ruf des alten Jägers.

»Ich werde mit Pepe«, fuhr dieser fort, »eine Hütte aus Baumrinde und Stämmen an der Stelle bauen, wo ich dich wiedergefunden habe. Wir werden freilich nicht immer da sein; aber wenn es dir später einfallen sollte, den Namen und die Güter deiner Väter in Spanien wieder in Anspruch zu nehmen oder eines Tages in jenes Tal zu gehen, das du kennst, so wirst du dort immer Freunde finden, die bereit sind, dir bis ans Ende der Welt zu folgen. Nun, Fabian, ich wage es zu hoffen, noch glücklicher als du zu sein, denn ich werde ein doppeltes Glück genießen: das meine ... und das deine.«

Wozu soll es nützen, noch länger bei solchen Szenen zu verweilen? Das Glück ist so flüchtig, so unerfaßlich, daß man es weder auseinandersetzen noch beschreiben kann.

»Es bleibt jetzt nur noch ein Hindernis übrig«, nahm der Jäger das Wort. »Der Vater dieses jungen Mädchens ...«

»Erwartet morgen seinen Sohn«, unterbrach ihn mit leiser Stimme Rosarita, und diesmal schien der Mond auf ihr errötendes Gesicht.

»Nun, so laß mich den meinen segnen«, sagte der Kanadier.

Fabian kniete vor dem Jäger nieder.

Dieser nahm seine Pelzmütze ab, hob seine feuchten Augen zum bestirnten Himmel und sagte: »O mein Gott, segne meinen Sohn und laß seine Kinder ihn lieben, wie er seinen alten Bois-Rosé geliebt hat ...«

Am folgenden Tag kehrte der berühmte Senator ziemlich traurig nach Arizpe zurück. »Ich wußte es wohl«, sagte er zu sich, »daß ich diesen armen Don Estévan immer beweinen würde. Es würde mir doch wenigstens von der Mitgift meiner Frau immer noch ein Ehrentitel und ein halbe Million übriggeblieben sein. Seine Abwesenheit hat alles verdorben. Es ist gewiß ein großes Unglück, daß Don Estévan tot ist.«

Einige Zeit darauf erhob sich eine Hütte aus Baumrinde und Stämmen auf einer dem Leser wohlbekannten Lichtung. Sehr oft machte Fabian von Mediana, von der jungen Frau, die nun die seinige geworden war, begleitet, eine fromme Pilgerfahrt dahin.

Hatte etwa später – viel später – eine von diesen Pilgerfahrten den Zweck, den Arm der beiden unerschrockenen Jäger zu einem Ausflug ins Val d'Or oder zu einer Reise nach Spanien in Anspruch zu nehmen? Wir werden es vielleicht eines Tages erzählen; aber was kümmert es uns jetzt? Für den Augenblick sagen wir nur, daß, wenn das Glück in dieser Welt kein leerer Traum ist, man es in der Wirklichkeit in der Hacienda del Venado bei Fabian und dem »Waldläufer« finden kann.

ENDE


 << zurück weiter >>