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Umringt von Feinden, die hinter den Bäumen am Ufer vor den Kugeln der drei Jäger gedeckt standen, konnten diese letzteren nicht hoffen, deren Wut wie am vorhergehenden Tag dadurch anzustacheln, daß einige von ihren Kugeln niedergestreckt wurden. Bois-Rosé und der Spanier kannten die unversöhnliche Hartnäckigkeit der Indianer zu gut, als daß sie noch erwartet hätten, der Schwarze Falke würde, einer erfolglosen Belagerung müde, seinen Kriegern eine Erwiderung ihrer Angriffe nicht verwehren und ihnen somit die Möglichkeit lassen, durch ein mörderisches Gewehrfeuer das Leben zu verlieren.
Ein solcher Soldatentod auf dem Schlachtfeld wäre dem Haß des Apachenhäuptlings zu sanft vorgekommen. Er wollte seine Feinde, an Leib und Seele durch den Hunger entkräftet, lebendig haben.
Unter dem Eindruck dieser traurigen Gedanken sprachen die drei Jäger kein Wort mehr, aber sie fügten sich viel eher in ihr Schicksal, als daß sie daran gedacht hätten, den unglücklichen Verwundeten zurückzulassen und einen Fluchtversuch nach einem Ufer des Stromes zu machen. Fabian war ebenso zum Sterben entschlossen wie seine Gefährten; er war in seinen Hoffnungen betrogen; eine tiefe Mutlosigkeit hatte sich seiner bemächtigt, und darum hatte auch der Tod für ihn nichts Schreckliches mehr. Nichtsdestoweniger aber hätte sein heißes Blut einen raschen Tod mit den Waffen in der Hand dem schmachvollen und langsamen, der sie alle am Marterpfahl der Indianer erwartete, vorgezogen. Er entschloß sich zuerst, die Totenstille zu brechen, die mitten im nächtlichen Nebel über der Insel zu schweben schien.
Die tiefe Ruhe auf dem Fluß und auf seinen Ufern war in den Augen der beiden erfahrenen Jäger – des Kanadiers und des Spaniers – nur ein um so gewisseres Zeichen vom unerschütterlichen Entschluß ihrer Feinde. Aber Fabian erschien sie wie ein beruhigendes Zeichen, wie eine Gunst des Himmels, die man nützen müsse. »Alles schläft jetzt um uns«, sagte er; »nicht nur die Indianer auf dem Ufer, sondern alles, was Leben hat, in den Wäldern und in der Steppe; selbst der Fluß scheint langsam zu strömen. Seht nur, der Widerschein der Feuer erstirbt in ziemlich weiter Entfernung von uns. Wäre dies nicht der Augenblick, einen Fluchtversuch auf dem einen oder anderen Ufer zu machen?«
»Die Indianer schlafen?« unterbrach ihn Pepe mit Bitterkeit. »Ja, wie dieses Wasser, das stehenzubleiben scheint, aber nichtsdestoweniger seinen Lauf bis zu den unbekannten Abgründen fortsetzt, in denen es sich verliert. Ihr könnt nicht drei Schritte im Fluß tun, ohne zu sehen, wie die Indianer sich euch nachstürzen, gerade wie ihr die Wölfe sich zur Verfolgung des Hirsches habt hineinstürzen sehen. Hast du nichts Besseres vorzuschlagen, Bois-Rosé?«
»Nein«, erwiderte der Kanadier kurz, während seine Hand still die Hand Fabians suchte. Dann zeigte er mit der anderen auf den Verwundeten, der sich immer noch im Schlaf auf seinem Schmerzenslager hin und her warf. Diese Gebärde antwortete allen Einwürfen Fabians.
»Wenn wir keine andere Aussicht haben«, fuhr dieser fort, »so bliebe uns doch wenigstens die, ehrenvoll Leib an Leib zu sterben, wie wir haben sterben wollen. Wenn wir siegen, so können wir diesem Unglücklichen, der nur uns allein zu seiner Verteidigung hat, zu Hilfe kommen. Wenn wir fallen, würde uns dann wohl selbst Gott, wenn wir vor ihm erscheinen, den Vorwurf machen können, daß wir das Leben des Mannes, den er unserem Schutz anvertraut hat, geopfert hätten, während wir doch selbst das unsrige für die Rettung aller aufs Spiel setzen?«
»Gewiß nicht«, antwortete Bois-Rosé; »aber hoffen wir noch auf den Gott, der uns durch ein Wunder wieder vereinigt hat. Was heute nicht geschieht, kann morgen geschehen; wir haben noch Zeit vor uns von jetzt bis zu dem Augenblick, wo unsere Lebensmittel ausgehen. Auf irgendeinem Punkt ans Ufer zu steigen, das hieße jetzt, da die Anzahl der Indianer sich wahrscheinlich mehr als verdreifacht hat, einem sicheren Tod entgegengehen. Der Tod würde nicht viel zu bedeuten haben – denn er ist immer das letzte Hilfsmittel, über das wir verfügen, solange wir noch ein Messer in der Hand haben. Aber vielleicht würden wir gefangengenommen, und ich schaudere bei dem Gedanken an den schrecklichen Todeskampf, der uns bevorstünde. O mein vielgeliebter Fabian, diese Indianer wollen uns nur lebendig fangen und verlängern dadurch wenigstens für mich das Glück bei dir zu sein, um einige Tage.«
Abermals herrschte Schweigen unter der bestürzten Gruppe. Dieser Gedanke, noch bei seinem Kind zu leben, war für den Kanadier das, was für den Verurteilten die Frist vor der Hinrichtung ist. Wie aber der Verurteilte im Gedanken an den furchtbaren Augenblick, der auf diese Frist folgen muß, wütend an den Eisengittern seines Kerkers rüttelt, so trat auch bald vor Bois-Rosés Einbildungskraft der Tag, wo er auf diesen Trost, so schrecklich er auch war, verzichten mußte, und er schüttelte krampfhaft einen der Stämme, aus denen das Eiland bestand. Unter dem gewaltigen Stoß zitterte die Insel, als ob sie sich von ihrem Grund losreißen wollte.
»Ach, die Hunde! Die Teufel!« rief im selben Augenblick der Spanier, der einen Ausbruch der Wut nicht unterdrücken konnte. »Seht nur!«
Ein rötliches Licht durchdrang nach und nach den Dunstschleier, der auf dem Fluß lag, und schien bei seiner Annäherung immer größer zu werden wie der Widerschein eines sich immer mehr ausdehnenden Feuers. Und – sonderbar genug! – das Feuer schwamm auf dem Wasser. So dicht auch der Nebel war, der sich aus dem Fluß erhob, dessen warme Ausdünstungen die Kühle der Nacht zusammenballte – so dicht, daß man ihn fast mit den Händen greifen konnte –, die Feuermasse, die auf dem Wasser dahertrieb, zerstreute ihn wie die Sonne die Finsternis.
Die drei Jäger hatten noch nicht Zeit gehabt, über das Erscheinen dieses plötzlichen Lichtes zu erstaunen, als sie auch schon dessen Ursache erraten konnten.
Eine lange Erfahrung während eines Lebens in der Steppe und unter den stets wiederkehrenden Gefahren, die ein solches Leben hervorruft, hatte dem Kanadier eine solche Festigkeit der Muskeln gegeben, die der Spanier noch nicht besaß. Anstatt sich durch seinen Zornausbruch fortreißen zu lassen wie Pepe, hatte Bois-Rosé seine gewöhnliche Ruhe beibehalten. Er wußte, daß eine Gefahr, wenn man ihr nur kaltblütig ins Antlitz blickt, fast schon halb überwunden ist, so schrecklich sie auch erscheinen mag; und sein kaltes Blut wurde beim Nahen der Gefahr noch kälter als gewöhnlich. »Ja«, sagte er als Antwort auf den Ausruf des früheren Grenzsoldaten, »ich sehe gerade ebensogut, was es ist, als ob die Indianer es mir im voraus gesagt hätten. Du sprachst doch eben von Füchsen, die man aus ihrer Höhle räuchert; wohlan, die Schelme wollen uns in unserer Höhle verbrennen.«
Der Feuerball, der den Fluß heruntertrieb, vergrößerte sich mit erschreckender Schnelligkeit und bestätigte die Worte des Kanadiers. Schon wurden mitten im flammenroten Wasser die Schilfbüschel und Weidenschößlinge, von denen die Insel stromauf und stromabwärts umgeben war, vom Schein des schwimmenden Feuers erleuchtet.
»Das ist ein Brander«, sagte Pepe, »mit dem sie unsere Insel anzünden wollen.«
»Gott sei Dank!« fügte Fabian hinzu. »Es ist immer noch besser, mit dem Feuer zu kämpfen, als so den Tod ohne Kampf zu erwarten.«
»Das ist wahr«, sagte Bois-Rosé, » aber das Feuer ist ein schrecklicher Gegner. Ach, wenn ich doch ein Feuer dagegen anzünden könnte; unglücklicherweise sind wir nicht in einer Prärie, und aller Vorteil ist auf Seiten dieser Teufel.«
Der Kanadier spielte auf eine Kriegslist an, die oft in den Prärien von den Indianern gegen ihre Feinde angewandt wird. In den unermeßlichen Steppen Amerikas, wo der Wind das lange Gras wie die Wellen des Ozeans hin und her wogen läßt, verbreitet sich die Flamme mit der Schnelligkeit des Pulvers. Der weiße Jäger jedoch oder der erfahrene Indianer, den der Brand zu verschlingen droht, bekämpft das Feuer durch das Feuer. Eilig zündet er selbst auf einem großen Raum dieses trockene Gras an, und wenn das durch seine Hand entstandene Feuer allen brennbaren Stoff rings um ihn verzehrt hat, steht die feindliche Flamme vor dem leeren Raum, den er geschaffen hat, still.
Hier aber konnten die Belagerer nicht der Glut die Glut entgegenstellen, und der von den Indianern abgeschickte Brander mußte das Floß vernichten, ohne daß denen, die sich darauf befanden, eine andere Aussicht, dem Feuer zu entgehen, übrigblieb, als sich in das Wasser zu stürzen. Dort aber waren sie in der Gewalt der Indianer, die sie entweder mit Flintenschlüssen töten oder lebendig gefangennehmen konnten.
Darauf war der Plan des indianischen Läufers berechnet. Auf seinen Befehl hatten die Indianer die Zweige einer harzigen Fichte abgehauen, hatten sie auf einen Baumstamm, der noch alle seine Zweige besaß, geschichtet, Feuer daran gelegt und ihre Brandmaschine dem Strom überlassen. Die Richtung war so genau, daß die schwimmende Flamme gerade auf die Insel losgetrieben wurde.
Pepe warf einen bitteren Blick auf Bois-Rosé und Fabian. Man sah, daß die rachsüchtigen Leidenschaften des Spaniers sich der Gefahr gegenüber entflammten. Sein Blick traf die ruhigen, leidenschaftslosen Züge des Kanadiers und das unbewegte Gesicht Fabians. Der edle junge Mann hatte in seinem Herzen schon ein schmerzlicheres Opfer als das des Lebens gebracht.
Die prasselnde Flamme des harzigen Holzes strahlte unglückbringend von der Oberfläche des Stroms zurück, und unter der schwarzen Rauchwolke, die sich mit dem Nebel mischte, waren die Insel und die Ufer des Flusses erleuchtet wie bei vollem Sonnenlicht, doch waren die Bewohner des Floßes unsichtbar hinter der grünen Einfassung; von Zeit zu Zeit aber konnte man den roten Schattenriß einer indianischen Schildwache bemerken.
Pepe konnte einer plötzlichen Versuchung nicht widerstehen. »Warte, du Dämon der Hölle«, sagte er halblaut; »du wenigstens wirst nicht zurückkehren und deinem Dorf von den letzten Augenblicken im Todeskampf eines Christen erzählen!« Bei diesen Worten leuchtete ein roter Blitz aus der Büchse des erzürnten Spaniers durch das Schilf hindurch, und man sah den Federbusch eines indianischen Kriegers im selben Augenblick zu Boden sinken, wo der Schuß das Schweigen der Nacht unterbrach.
»Eine traurige und verspätete Rache«, sagte Bois-Rosé feierlich, als er den Indianer fallen sah.
In der Tat schienen die Apachen die Kugeln eines besiegten Feindes nicht mehr zu beachten; das Ufer blieb in sein düsteres Schweigen gehüllt, ohne daß ein einziges Geheul, wie es doch gewöhnlich der Fall ist, die letzten Seufzer eines Kriegers begleitete. Die Flamme der brennenden Reisbündel, die sich nur noch in kurzer Entfernung von der Insel und in gerader Linie mit ihr befanden, ließ die von machtloser Wut verzerrten Züge des Spaniers hervortreten. »Demonio!« sagte er, mit dem Fuß stampfend. »Ich werde mit um so größerer Seelenruhe sterben, je mehr von diesen rothäutigen Teufeln ich vor mir in die andere Welt gesandt habe.« Und während er seine Büchse wieder lud, suchten seine Augen überall auf beiden Ufern nach einem Gegenstand, den er seinem Rachedurst opfern könnte.
Während dieser Zeit prüfte der Kanadier kaltblütig den Feuerball, der an der Insel stranden und deren trockene Bäume in Brand setzen mußte.
»Wahrhaftig«, sagte Pepe, bei dem die Wut die Urteilskraft verdunkelte, »betrachte nur immerzu diesen Brander! Hast du vielleicht auch ein Mittel in Bereitschaft, um diesen schwimmenden Scheiterhaufen, der sich an die Seiten unserer Insel klammern wird, aus seiner Richtung zu bringen?«
»Vielleicht«, erwiderte der Kanadier, der seine Prüfung fortsetzte, lakonisch.
Der ehemalige Grenzsoldat fing an, mit einer gleichgültigen Miene zu pfeifen – ein vergeblicher Versuch, um seinen Zorn nicht durchblicken zu lassen.
»Halt!« sagte Bois-Rosé. »Hier sehe ich etwas, was beweist, daß die Berechnung dieser Söhne der Wälder nicht untrüglich ist. Wenn es nicht in zwei Minuten einen Hagel von Kugeln und Pfeilen auf uns regnen würde, um uns zu zwingen, während der Zeit, da der Brander unsere Insel in Flammen setzt, eine gedeckte Stellung einzunehmen und ihn nicht wegzustoßen, so wollte ich dieses brennende Floß beseitigen wie eine Feuerfliege, die im Gras schwirrt.«
Auf einer dicken Unterlage von feuchtem Heu, die gleichsam einen Boden in den Baumzweigen bildete, auf dem der Haufe harziger Reisbündel ruhte, näherte sich das schwimmende Feuer der Insel. Die Indianer hatten die Stärke dieses Bodens so berechnet, daß er durch die Berührung mit dem Feuer trocken werden und sich selbst ebenso wie die Baumzweige gerade in dem Augenblick entzünden sollte, wo der Brander gegen die Insel stieß. Aber das Heu tauchte oft ins Wasser, und die Feuchtigkeit, die es in jedem Augenblick durchdrang, hatte seine Verbrennung verzögert. Die großen Zweige des Baums hatten ebenfalls noch nicht Zeit gehabt, in Brand zu geraten; nur die kleinen Zweige und Nadeln waren in Flammen aufgegangen. Dieser Umstand war dem Späherauge des Kanadiers nicht entgangen, und er entschloß sich, mit einer langen Stange in der Hand die Unterlage aus feuchtem Gras auseinanderzuwerfen, wie es der Heumacher mit dem abgemähten Gras tut; im selben Augenblick jedoch, wo er dieses gefährliche Unternehmen versuchen wollte, ging seine Voraussage in Erfüllung. Einige Kugeln und Pfeile fuhren zischend in den geringen Zwischenraum, der sich noch zwischen der Insel und dem Brander befand. Die Salven schienen mehr den Zweck zu haben, die Jäger zu erschrecken, als sie zu treffen.
»Es ist einmal beschlossen«, sagte Bois-Rosé mit leiser Stimme, »uns nur lebendig zu fangen; wohlan, wir müssen einen Versuch machen.«
Der Feuerberg berührte beinahe die Insel; noch einige Augenblicke, und die Flammen mußten sich der Insel selbst mitteilen. Heißer Rauch umhüllte schon deren Bewohner, als der Kanadier sich plötzlich mit der Schnelligkeit des Blitzes in den Fluß stürzte und gänzlich verschwand.
Ein Geheul ertönte auf beiden Ufern des Flusses, und die Indianer ebenso wie der Spanier und Fabian, die allein zurückgeblieben waren, sahen den schwimmenden Baum unter dem mächtigen Stoß des Kanadiers hin und her schwanken. Das große Feuer warf einen noch glänzenderen Schein umher; aber bald zischte das Wasser, die Heumasse löste sich auf und versank in einer Flut von Schaum.
Die tiefste Dunkelheit folgte plötzlich dem Glanz des Feuers; Finsternis und Nebel hatten abermals ihre düstere Decke über den ganzen Lauf des Flusses ausgebreitet. Der Baum, dessen Zweige vom Feuer geschwärzt waren, hatte seine Richtung geändert und schwamm, das Schilf zerknickend, an der Insel vorüber, als mitten unter dem Geheul der bestürzten Indianer Bois-Rosé wieder zu seinen Gefährten kam. Die Insel zitterte nach unter den Anstrengungen des Kanadiers, sie wieder zu ersteigen.
»Heult nach Belieben«, sagte Bois-Rosé, indem er Atem schöpfte; »ihr habt uns noch nicht! Aber«, fügte er ganz leise hinzu, »werden wir immer so glücklich sein?«
In der Tat war auch diese Gefahr beseitigt; wie viele blieben ihnen nicht noch zu überwinden übrig? Wer konnte die neuen Ränke voraussehen, die die Indianer gegen sie anwenden würden? Diese Gedanken hatten bald die erste Trunkenheit des Triumphes zerstreut; ein düsteres Schweigen folgte auf die Glückwünsche, die die beiden Jäger an Bois-Rosé richteten.
Plötzlich sprang Pepe auf seine Füße, einen Schrei unterdrückend – aber diesmal einen Freudenschrei. »Bois-Rosé, Don Fabian«, sagte er, »wir sind gerettet, ich stehe euch dafür!«
»Gerettet?« wiederholte der Kanadier mit zitternder Stimme. »O sprich doch, Pepe, sprich doch, schnell!« »Hast du nicht bemerkt«, fuhr der ehemalige Grenzjäger fort, »wie vor wenigen Stunden die ganze Insel unter unseren Händen zitterte, als wir einige große Äste zu unserer Deckung abrissen? Wie sie eben noch unter dir selbst zitterte, Bois-Rosé? Wohlan! Ich hatte einen Augenblick daran gedacht, ein Floß aus den Stämmen zu machen, die unter unseren Füßen liegen, aber jetzt verzichte ich darauf; wir sind unserer drei, wir können durch die Kraft unserer Arme die Insel selbst entwurzeln und flottmachen. Der Nebel ist dick, die Nacht schwarz, und morgen, wenn der Tag anbricht ...«
»Werden wir weit von hier fortgetrieben sein«, sagte Bois-Rosé. »Ans Werk! Ans Werk! Der Wind weht schon frisch und kündigt die Nähe des Morgens an; wir haben nicht mehr zuviel Zeit vor uns! Wenn ich nicht meinen seemännischen Blick verloren habe, so wird uns der Fluß nicht schneller als drei Knoten in der Stunde treiben.«
»Desto besser«, sagte Pepe; »unsere Entfernung wird um so weniger sichtbar sein.«
Der brave Kanadier nahm sich nur Zeit, seinen beiden Gefährten die Hand zu schütteln, und erhob sich.
»Was willst du tun?« fragte Fabian. »Können wir nicht alle drei, wie es Pepe vorgeschlagen hat, die Insel mit vereinten Kräften losreißen?«
»Losreißen, gewiß, Fabian; aber wir laufen auch Gefahr, sie wie ein Reisbündel, dessen Band man zerrissen hat, auseinanderzuwerfen, und unsere Rettung hängt von der Erhaltung der Insel in dem Zustand ab, wie sie die Natur gemacht hat. Vielleicht hat sich nur irgendein Hauptast oder irgendeine große Wurzel an den Boden des Flusses festgeklammert und hält sie unbeweglich zurück. Viele Jahre haben verfließen müssen, seitdem diese Bäume sich hier festgepflanzt haben, sofern ich nämlich richtig von der Erdschicht aus schließe, die sich auf ihnen gebildet hat. Auf die Länge müssen diese Wurzeln oder Zweige im Wasser morsch geworden sein, und das will ich zu erfahren suchen.«
In diesem Augenblick unterbrach die traurige Stimme einer Eule den Kanadier. Diese klagenden Töne, die plötzlich die tiefe Stille der Nacht störten, klangen gerade in dem Augenblick, wo ein Strahl von Hoffnung in den Augen der Jäger blitzte, den Ohren Pepes wie eine traurige Vorhersagung. »Ach«, sagte der Spanier, bei dem die Gefahr abergläubische Gedanken weckte, traurig, »die Stimme der Eule in einer solchen Lage wie dieser bedeutet nichts Gutes.«
»Die Nachahmung ist vollkommen, ich gebe es zu«, erwiderte Bois-Rosé; »aber du solltest dich nicht so täuschen lassen. Eine indianische Schildwache stößt diesen Ruf aus, vielleicht um seine Gefährten zu warnen, die Augen offenzuhalten; oder es ist – was noch wahrscheinlicher ist – eine Erfindung ihrer teuflischen Niederträchtigkeit, um uns in Erinnerung zu bringen, daß sie über uns wachen. Es ist eine Art Todesgesang, mit dem sie uns belustigen wollen.«
Der Kanadier hatte kaum geendet, als sich vom entgegengesetzten Ufer derselbe Ton wiederholte, aber mit bald spöttischen, bald klagenden Modulationen, die die Voraussage des alten Jägers Punkt für Punkt bestätigten. Aber diese Stimmen waren darum doch nicht weniger schrecklich, denn sie zeugten von den Gefahren und Nachstellungen, die die Dunkelheit der Nacht verhüllte.
»Ich habe Lust, ihnen hinüberzurufen, sie sollten lieber wie Jaguare brüllen, die sie doch sind«, sagte Pepe.
»Tue es ja nicht; das hieße ihnen genau die Stelle bezeichnen, wo wir uns befinden. Die Schelme wissen es nicht mehr genau.« Bei diesen Worten trat Bois-Rosé mit der größten Vorsicht ins Wasser.
Nicht ohne einige Unruhe folgten die auf der Insel zurückgebliebenen zwei Jäger mit dem Auge der Untersuchung des Kanadiers. Dieser tauchte ins Wasser und verschwand von Zeit zu Zeit unter der Oberfläche des Flusses wie der Taucher, der längs der Wände des Schiffes die Stelle sucht, wo das einströmende Wasser das Schiff sinken zu machen droht.
»Nun?« fragte Pepe lebhaft, als der Kanadier wieder auftauchte, um Atem zu schöpfen. »Liegen wir an mehreren Ankern fest?«
»Ich glaube, alles geht gut«, antwortete Bois-Rosé.
»Ich bemerke bis jetzt nur einen, der die Insel auf der Stelle festhält; aber es ist der Notanker!«
»Nimm dich nur besonders in acht, zu weit vorzugehen!« sagte Fabian. »Du könntest dich in die Wurzeln und in das Netz von Zweigen unter dem Wasser verwickeln.«
»Sei ohne Furcht, mein Kind«, erwiderte der Kanadier. »Ein Wal würde eher an einem Fischerboot, das er zwanzig Fuß hoch in die Luft schleudern kann, hängenbleiben, als ich unter dieser Insel, die ich mit einem Schulterstoß in Stücke umherstreuen würde.«
Der Fluß rauschte abermals über dem Haupt des Kanadiers. Ein ziemlich langer Zwischenraum verfloß, währenddessen – als ob die Ahnungen Fabians sich erfüllen sollten – sich das Verweilen Bois-Rosés an den Wirbeln zeigte, die sich um die Insel bildeten, die bald wie ein Schiff mitten auf hochgehender See bis auf den Grund erbebte. Man fühlte, daß der Riese eine mächtige, letzte Anstrengung machen mußte. Fabians Herz stand einen Augenblick in seiner Brust bei dem Gedanken still, daß Bois-Rosé vielleicht mit dem Tod ringe, als ein dumpfes Krachen wie das der Rippen eines Schiffes, das an einem Felsen zerbirst, sich fast unter seinen Füßen vernehmen ließ.
Im selben Augenblick erschien der Kanadier wieder auf der Oberfläche des Stromes mit triefenden Haaren und einem Gesicht, das vom heftig zum Kopf dringenden Blut gerötet war. Mit einem Sprung war er auf der Insel, die sich langsam um sich selbst zu drehen begann und dann sanft dem Strom folgte. Eine ungeheure Wurzel hatte sich tief in das Bett des Flusses gesenkt, war aber in den kräftigen Händen des Kolosses zerbrochen, dessen Kraft sich in der Verzweiflung verzehnfacht hatte. »Gott sei gelobt!« sagte er. »Das letzte und einzige Hindernis, das uns festhielt, ist überwunden, und wir sind flott.« In der Tat bewegte sich die Insel schon, während er sprach, unter dem Eindruck des Stromes vorwärts; zwar kaum merklich, aber doch vorwärts.
»Jetzt«, sagte Bois-Rosé, »liegt unser Schicksal in der Hand Gottes. Wenn die Insel sich in der Mitte des Flusses hält, so werden wir bald mit Hilfe des Nebels, der seine Oberfläche bedeckt, den Indianern aus dem Gesicht und aus dem Bereich ihrer Hand sein. O mein Gott«, sagte er mit Inbrunst, »noch einige Stunden Nacht, und deine Geschöpfe sind gerettet!«
Die drei Jäger schwiegen. Sie folgten mit unruhigen Augen den Bewegungen der schwimmenden Insel, als daß sie miteinander hätten ein Wort wechseln können. Freilich mußte der Tag bald anbrechen; aber bei der Kälte der Nacht, die sich gewöhnlich ein oder zwei Stunden vor Sonnenaufgang noch vergrößert, werden die aus dem Fluß aufsteigenden Dünste noch dicker und ballen sich noch mehr zusammen.
Die Feuer am Ufer erschienen nur noch wie Sterne, die am Firmament bei der Rückkehr der Morgenröte erbleichen. Auf dieser Seite des Flusses war die Gefahr weniger groß und die Aussicht, dem Blick der indianischen Wachen zu entgehen, fast gewiß; aber eine andere Gefahr bedrohte die drei Jäger: Die schwimmende Insel, so sanft sie auch vom Lauf des Flusses mitgenommen wurde, folgte der Strömung doch nur, wobei sie sich um sich selbst drehte, und es stand zu befürchten, daß sie bei diesen ständigen Umdrehungen von der geraden Richtung abweichen und am Ufer stranden würde. Zur Rechten oder zur Linken– die Indianer waren überall.
Wie die Matrosen eines seiner Masten und seines Steuers beraubten Schiffes, das von der wogenden See nach dem Riff geschleudert wird, wo es zerschmettert werden muß, so verfolgten die drei Jäger mit angstvollen Augen die ungewisse und schweigende Fahrt des Eilands. Zuweilen kam ein sanfter Lufthauch von der Seite des Landes und säuselte durch die Einfassung von Weidenschößlingen, verdorrten Zweigen und Schilfbüschen. Die schwimmende Insel schien sich nach rechts oder links zu neigen und beschrieb einen weiten Kreis. Zuweilen bemächtigte sich auch eine durch die Ungleichheit des Flußbettes gebildete Strömung des Floßes aus Baumstämmen und brachte es wieder in gerade Richtung; aber in keinem Fall konnten diejenigen, die sich darauf befanden, durch ihre Anstrengungen dessen Lauf lenken. Das geringste Geräusch wäre durch seinen Widerhall am Ufer eine Warnung für die Indianer gewesen. Glücklicherweise war der Nebel so dicht, daß selbst die Bäume, die die abschüssigen Ufer des Flusses beschatteten, nicht mehr sichtbar waren.
»Nur Mut!« sagte Pepe. »Solange wir die Bäume am Ufer noch nicht sehen können, sind wir auf gutem Weg. Ach, wenn Gott uns gnädig noch weiterhin beschützt, so wird vielfaches Geheul an diesen jetzt so ruhigen Ufern widerhallen, wenn beim Anbruch des Tages die Indianer weder die Insel noch die, die eine Zuflucht darauf gesucht haben, wiederfinden.«
»Ja«, antwortete der alte Jäger, »du hast da einen glänzenden Gedanken gehabt, Pepe! In der Verwirrung, in der ich mich befand, wäre mir dieser Gedanke nicht eingefallen – ein so einfacher Gedanke!«
»Die einfachen Gedanken kommen dem Geist immer zuletzt; aber weißt du, was dies beweist, Bois-Rosé?« flüsterte der frühere Grenzsoldat seinem Gefährten ins Ohr. »Es beweist, daß in der Steppe die Furcht vor dem Tod schon ein ziemlich ernstes Vorurteil ist und daß es unklug handeln heißt, wenn man sich darin lange Zeit mit denen herumtreibt, die man mehr liebt als sein Leben; das ist etwas, wodurch ein Mann um alle Hilfsmittel kommen kann, die ihm sonst zu Gebote stehen. Ich sage es dir offen heraus, Bois-Rosé: Seit einiger Zeit erkenne ich dich nicht mehr.«
»Das ist wahr; ich erkenne mich auch nicht mehr«, antwortete der Kanadier mit leiser Stimme. »Und doch ...«
Bois-Rosé sprach nicht weiter, denn ein tiefes Nachdenken hatte sich seiner bemächtigt, und währenddessen schien er – wie ein Mensch, der wohl körperlich vorhanden ist, dessen Geist sich aber anderswo befindet –nicht mehr an die unbestimmten Bewegungen der schwimmenden Insel und an ihre Überwachung zu denken. Für den Jäger, der seit zwanzig Jahren in der schrankenlosen Freiheit der Steppen lebte, war ein Verzichten auf diese Art Leben soviel wie der Tod; ein Verzichten aber auf den Trost, Fabian täglich zu sehen, zu wissen, daß sein Adoptivsohn ihm einst die Augen zudrücken würde, hieß ebenfalls, dem Glück Lebewohl sagen. Fabian und die Wildnis waren die beiden beherrschenden Leidenschaften seines Lebens; den einen oder die andere zu verlassen, das schien ihm eine unmögliche Anstrengung. So fand in der Seele des Jägers ein Kampf zwischen dem zivilisierten Menschen und dem Mann statt, den eine lange Gewohnheit fast zum Wilden gemacht hatte.
Pepe unterbrach bald die Träumereien des Kanadiers. Schon seit einiger Zeit warf der erstere unruhigere Blicke nach einem der beiden Flußufer hinüber. Es kam ihm vor, als ob er in verwirrten Umrissen die weißen und phantastischen Formen der Bäume durch den Nebel hindurch bemerkte. Sie sahen aus wie formlose Gestalten der Einbildungskraft, die, von langen Dunstgewändern umwallt, sich weinend über den Fluß zu beugen schienen.
»Wir kommen aus der Richtung, Bois-Rosé«, sagte Pepe ganz leise. »Jene Nebelmassen dort, die noch dichter als sonst erscheinen, können nur die Wipfel der Uferweiden sein.«
»Das ist wahr!« erwiderte der Kanadier, der sich aus seinem Nachdenken herausriß. »An den Feuern, die noch rechts und links leuchten, können wir leicht sehen, wie kurz der Weg ist, den wir seit einer halben Stunde zurückgelegt haben.«
An dieser Stelle schien die schwimmende Insel einen Anstoß zur schnelleren Bewegung zu erhalten. In einigen Sekunden hatte sie zwei Kreise beschrieben, die sie vorher nur in einem viel beträchtlicheren Zeitraum zurücklegte; der Wipfel der fernen Bäume wurde darum auch bald weniger undeutlich. Die beiden Jäger wechselten einen unruhigen Blick.
Das Floß näherte sich immer mehr der Uferseite des Flusses. Eins von den Feuern, die eben noch so schwach mitten im Nebel glänzten, bekam nach und nach vor den Augen des erbebenden Bois-Rosé einen immer größeren Lichtkreis. Bei dem noch unbestimmten Schein der Glut konnte man eine von den indianischen Wachen aufrecht und unbeweglich in ihrer schrecklichen Kriegstracht stehen sehen. Die lange Mähne eines Büffels bedeckte den Kopf, und darauf schwankte ein Federbusch wie ein römischer Helmschmuck.
Der Kanadier zeigte Pepe den an die Lanze gelehnten Krieger. Glücklicherweise war der Nebel zu undurchsichtig, als daß der Apache, den nur das Feuer sichtbar werden ließ, die dunkle Masse der Insel hätte bemerken können, die leicht wie ein Seevogel auf der Oberfläche des Flusses dahintrieb. Doch als ob der Instinkt dem Wilden ein Zeichen gegeben hätte, daß seine unerschrockenen und gewandten Feinde seine Wachsamkeit täuschen wollten, richtete er seinen gebeugten Kopf empor und schüttelte die flutende Mähne zurück, mit der er geschmückt war.
»Sollte er irgendeinen Argwohn haben?« sagte der Kanadier zu Pepe.
»Ach, wenn eine Büchse nicht mehr Lärm machte als ein Pfeil, wie würde ich mich beeilen, diesen menschlichen Bison in jener Welt auf Posten stehen zu lassen!« antwortete der Spanier.
Die beiden Jäger sahen bald, wie der indianische Krieger seine Lanze, an der er lehnte, in die Erde stieß, den Körper vorwärts beugte und seine beiden Hände wie einen Schirm über die Augen hielt, um die Schärfe des Blickes zu verstärken.
Ein plötzliches Gefühl der Angst durchflog das Herz der Flüchtlinge, die beim Anblick des Indianers einen Augenblick lang gar nicht mehr zu atmen wagten. In gebückter Haltung stand der grimmige Häuptling da wie ein wildes Tier auf der Lauer; sein Gesicht war halb von den langen Flechten seines Haarbusches bedeckt und hatte ein fürchterliches Aussehen. Ein Mann von gewöhnlichem Mut hätte ihn nicht ohne Schaudern betrachten können. Die drei Flüchtlinge indes hätten diese schreckliche Erscheinung ebensowenig beachtet wie die eines Kindes, wenn in diesem kritischen Augenblick ein Kind nicht ebenso gefährlich gewesen wäre wie der Indianer. Mitten im dichten Nebel beleuchtete das Feuer, bei dem der wilde Posten wachte, nur einen engen Kreis.
Plötzlich machte der Apache, nachdem er einige Augenblicke in der Stellung eines Menschen verblieben war, dessen Auge einen fernen Gegenstand mitten in der Dunkelheit zu erkennen sucht, zwei oder drei Schritte in der Richtung nach dem Wasser und verschwand. Er hatte die Lanze auf dem Platz, den er eben einnahm, stehenlassen; der Abendwind bewegte nur noch die nach Art eines Fähnchens an ihrem Schaft hängenden Skalpe.
Dies war ein Augenblick noch lebhafterer Angst, denn die Nacht verhüllte die Bewegungen des Indianers. Die Flüchtlinge hielten selbst ihren Atem an, und das Floß glitt langsam auf der düsteren Oberfläche des Stromes weiter.
»Sollte uns der Dämon bemerkt haben?« flüsterte Pepe dem Kanadier ins Ohr.
»Ich fürchte es fast«, antwortete Bois-Rosé.
Ein klingendes Geschrei ließ die Jäger erbeben; der Ruf wurde auf beiden Ufern wiederholt: es waren die Signale, die die Wachen einander gaben, indem sie den Ruf der Eule nachahmten. Dann wurde alles wieder still.
Endlich seufzte Bois-Rosé aus erleichtertem Herzen und zeigte mit dem Finger auf das Feuer, das am Ufer brannte. Der Indianer war eben in den Lichtkreis zurückgekehrt, und nachdem er seine Lanze wieder ergriffen hatte, nahm er die Stellung wieder ein, die er einen Augenblick verlassen hatte. Die Angst war nicht nötig gewesen; aber die Insel näherte sich nichtsdestoweniger immer mehr dem Ufer.
»Wenn es so weitergeht«, sagte Bois-Rosé, »dann werden wir zwei Minuten später im Lager dieses indianischen Teufels sein. Ach, wenn wir doch mit Hilfe dieses großen Zweiges ein wenig rudern könnten – wir würden bald wieder auf den richtigen Weg kommen. Aber das Rauschen des Wassers würde unsere Flucht verraten!«
»Und doch werden wir uns dazu entschließen müssen; vielleicht ist die Gefahr, uns zu verraten, immer noch der Gewißheit vorzuziehen, in die Hände unserer Feinde zu fallen. Doch zuvor müssen wir untersuchen, ob auch diese Strömung, in die wir geraten sind, ihren Lauf nach dem Ufer nimmt; in letzterem Fall dürfen wir nicht länger zögern, und obgleich ein Baumzweig mehr Lärm im Wasser macht als ein mit Leinen umwickeltes Ruder, so wirst du doch dein Bestes tun, um leise zu rudern.«
Als Pepe diese Ansicht ausgesprochen hatte, brach er leise ein Stück trockenes Holz ab und warf es in den Fluß. Über Bord geneigt forschten Pepe und Bois-Rosé nach der Richtung, der das Holz folgen würde. Es befand sich an dieser Stelle infolge des Einflusses irgendeines tiefen Loches im Flußbett ein heftiger Wirbel. Einen Augenblick kreiste das Holz Stückchen, als ob es untergehen wollte; dann schwamm es rasch nach der dem Ufer entgegengesetzten Richtung. Die beiden Jäger stießen einen schweren Seufzer und einen leisen Ruf der Freude aus, wechselten aber bald einen bestürzten Blick miteinander. Der Zweig wurde von einer unteren Strömung zurückgeworfen und schwamm plötzlich zum Ufer. Es war keine Täuschung möglich – es mußte der Insel ebenso gehen wie dem Stückchen Holz, das ihr Vorläufer gewesen war. Wirklich schien die schwimmende Insel einen Augenblick unbeweglich stehenzubleiben; allein sie gehorchte endlich dem Einfluß der ersten Strömung und entfernte sich bald abermals vom Ufer. Der Nebelvorhang, der zugleich rechts und links immer dichter wurde, war für die beiden Jäger ein Beweis, daß ihr Floß wieder eine günstige Richtung eingeschlagen hatte.
So verfloß unter ängstlichem Wechsel von Furcht und Hoffnung ungefähr eine Stunde; dann verloren sich die indianischen Biwaks in nebliger Ferne. Die Flüchtlinge waren beinahe außer aller Gefahr. Indes mußte man sich nun selbst forthelfen. Beruhigt durch die zurückgelegte Strecke, stellte sich der frühere Matrose an das hintere Ende der Insel und begann bald mit dem Zweig in seiner Hand kräftig zu rudern.
Wie ein lange Zeit seinen Launen überlassenes Pferd endlich die Hand und den Sporn eines geschickten Reiters fühlt, so hörte auch die schwimmende Insel auf, sich nach allen Richtungen im Kreis zu drehen, und folgte viel schneller der Strömung. Wo das Wasser tiefer war, wurde ihre Bewegung vom Kanadier beschleunigt und gelenkt, und so hatte sie bald einen beträchtlichen Weg zurückgelegt. Von jetzt an konnten die drei Freunde annehmen, daß sie, wenn nicht ganz gerettet, doch wenigstens in größerer Sicherheit waren.
»Der Tag wird bald erscheinen«, sagte Bois-Rosé. »Wir müssen nun an dem einen oder dem anderen Ufer landen und das Weite suchen, denn wir machen zu Fuß einen doppelt so großen Weg als auf diesem Floß, das noch langsamer geht als ein holländischer Huker – und das will viel sagen.«
»Wohlan –lande, wo du willst, Bois-Rosé«, antwortete Pepe; »wir wollen dann zu Fuß im Wasser weitergehen, um den Indianern unsere Spuren zu verbergen. Wir tragen, wenn es nötig ist, den Verwundeten auf den Armen und werden wenigstens zwei Meilen in der Stunde zurücklegen. Denkt Ihr, Don Fabian, daß das Val d'Or noch sehr weit ist?«
»Ihr habt ebenso wie ich die Sonne hinter den Nebelbergen, in denen es liegt, untergehen sehen«, antwortete Fabian; »wir müssen kaum noch einige Stunden davon entfernt sein und werden es ohne Zweifel noch vor Tagesanbruch erreichen.«
Bois-Rosé gab mit Pepes Hilfe dem Floß, auf dem sie sich befanden, eine schräge Richtung nach dem linken Ufer, und nach einer Viertelstunde etwa stieß die Insel so heftig an den Rand des Flusses, daß ein Riß mitten durch ihren Boden entstand. Während Pepe und Fabian auf ein Ufer sprangen, wo keine Feinde mehr waren, nahm der Kanadier den immer noch bewegungslosen Gambusino in seine Arme und legte ihn ins Gras.
Der Verwundete erwachte. Beim Anblick einer Gegend, die von der, wo er eingeschlafen war, ganz verschieden war – was ungeachtet des Nebels und der Nacht leicht bemerkt werden konnte –, sah er sich erstaunt um. »Virgen santa!« sagte er. »Muß ich immer noch das schreckliche Geheul, das mich im Schlaf störte, vernehmen?«
»Nein, mein Sohn, die Indianer sind jetzt fern, und wir befinden uns in Sicherheit. Gott sei gelobt, daß ich alles, was mir teuer ist – meinen Fabian und meinen alten Begleiter–, in allen Gefahren durch seine Gnade habe retten können.« Bei diesen Worten entblößte der Kanadier ehrfurchtsvoll sein ergrauendes Haupt und reichte Pepe und Fabian von Mediana herzlich die Hand.
Nachdem man dem skalpierten Gambusino einige Augenblicke zur Besinnung gelassen hatte, machten sich die drei Jäger bereit, ihren Weg fortzusetzen.
»Wenn Ihr nicht imstande seid, mit uns zu marschieren«, sagte der Kanadier zu ihm, »so wollen wir eine Art Tragbahre machen, um Euch fortzuschaffen. Wir haben keine Zeit zu verlieren, wenn wir diesen Räubern entgehen wollen, die, sobald der Tag anbricht, Jagd auf uns machen werden.
Gayferos' Verlangen, so schnell wie möglich einem neuen Zusammentreffen mit den Indianern zu entgehen, war jedoch so groß, daß er fast die heftigen Schmerzen vergaß, die er litt. Er erklärte, daß er seinen drei Befreiern ebenso schnell folgen wolle, als sie selbst nur marschieren könnten, und schlug vor, sogleich aufzubrechen.
»Wir müssen vorher noch einige Vorsichtsmaßnahmen treffen«, sagte Bois-Rosé. »Ruht Euch noch einige Augenblicke aus, bis wir dieses Floß, das uns so nützlich gewesen ist, zerstückelt und es der Strömung des Flusses überlassen haben. Es ist nötig, daß die Indianer keine Spur von uns wiederentdecken.«
Alle drei machten sich ans Werk. Die schwimmende Insel war schon durch das Zerreißen der Wurzel, von der sie im Fluß festgehalten wurde, und durch den Stoß, den sie an dem abschüssigen Ufer, wo sie landete, empfangen hatte, auseinandergegangen und widerstand den vereinten Kräften der drei Jäger nicht lange. Die Baumstämme, aus denen sie bestand, wurden nach und nach losgerissen und in die Strömung gestoßen, die sie mit fortriß; bald blieb keine Spur des Floßes mehr übrig, auf dessen Bildung die Natur so viele Jahre verwandt hatte.
Als der letzte Zweig aus den Augen der Jäger verschwunden war, richtete Bois-Rosé mit Pepes Hilfe die Grashalme wieder auf, um so den etwa hinterlassenen Eindruck ihrer Füße zu verwischen, und gab das Zeichen zum Aufbruch.
Als der größte und stärkste von den vier Flüchtlingen ging er zuerst ins Wasser, und zwar weit genug vom Ufer, daß die Spur ihrer Füße verdeckt wurde und die Indianer voraussetzen mußten, sie wären auf der Insel weitergefahren. Der Marsch war zu beschwerlich, als daß er hätte sehr beschleunigt werden können; dennoch aber kamen sie nach einer Stunde in dem Augenblick, wo ihre schmerzenden Füße sie trotz der beibehaltenen Fußbekleidung zwangen, haltzumachen, an die Stelle, wo die beiden Flüsse das Delta bildeten und wo das Val d'Or liegen mußte.
Der Tag brach an. Die Morgendämmerung begann den Horizont im Osten zu erhellen; ein graues Halbdunkel folgte der Finsternis. Glücklicherweise war der Arm des Flusses, durch den man waten mußte, nicht sehr tief; die Wassermasse strömte in den anderen Arm hinein. Das war ein glücklicher Zufall, denn der verwundete Gambusino würde einen langen Aufenthalt verursacht haben, ehe er schwimmend das andere Ufer erreicht hätte. Bois-Rosé nahm ihn auf seine Schultern. Alle drei Männer gingen ins Wasser, das ihnen kaum bis ans Knie reichte.
Die Bergkette der Nebelberge war nur etwa eine Meile von dem Punkt des Deltas entfernt, wo sie sich eben befanden, und nach einem kurzen Halt wurde der Marsch mit neuem Eifer wiederaufgenommen.
Bald bekam der Boden ein anderes Aussehen. Auf den feinen Sand des angeschwemmten Erdreichs – denn während eines Teils des Jahres war das durch die Trennung der beiden Stromarme gebildete Delta zur Zeit des Steigens der Gewässer überschwemmt – folgten tiefe Löcher und manches ausgetrocknete Flußbett, wie es sich die Gießbäche wühlen, wenn sie während der Regenzeit von den Bergen herabstürzen. Anstatt der langen, schmalen Einfassung von Weiden und Baumwollstauden, die die Ufer ausgetrockneter Flüsse beschatten, erhoben sich von Strecke zu Strecke grüne Eichen, und die ganze umgewühlte Gegend war durch die Bergkette, die man die »Nebelberge« nennt, begrenzt.
Hier machten die Wanderer einen Augenblick halt. Der Anblick dieser Landschaft aus der Nähe war sonderbar und großartig zugleich. Selten hatten wohl die Füße des weißen Mannes diese noch mit ihrer unberührten, jungfräulichen Wildheit geschmückte Steppe betreten. Marcos Arellanos und Cuchillo waren allein bis hierher vorgedrungen. Wie in den unermeßlichen Domen, die ganz von der Majestät Gottes erfüllt sind, so ließ auch hier, dem übernatürlichen Zauber gegenüber, der auf dieser rauhen Landschaft zu ruhen schien, aus einem unbestimmten Gefühl ehrfurchtsvollen Schreckens die Stimme des Menschen sich unwillkürlich nur leiser vernehmen.
Diese von einem ewigen Nebel eingehüllten Hügel waren auch jetzt, wo die Ebenen ringsumher von den Strahlen der Sonne glänzten, damit bedeckt und schienen auf ihrem Gipfel undurchdringliche Geheimnisse zu verbergen. Zuweilen dringen, nach der Aussage der Reisenden, unter dem Gewölk eines wolkenfreien Himmels leuchtende Blitze durch den Nebel, der auf den Höhen lagert; die Echos senden einander ein dumpfes Geräusch wie das eines fernen Donners zu und übertönen mit ihrer ehrfurchtgebietenden Stimme die Wasserfälle, die sich in gähnende Abgründe stürzen. Man könnte sagen, daß Geister unter der Erde, unsichtbare Wächter verborgener Schätze, miteinander in den Tiefen der Erde kämpfen und daß nach den indianischen Sagen diese Nebeldecke die unverletzliche Wohnung des Herrn der Berge verbirgt.