Gabriel Ferry
Der Waldläufer
Gabriel Ferry

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67 Unbequeme Uferbewohner

Der gigantische Maßstab, nach dem die amerikanische Natur vom Schöpfer gebildet zu sein scheint; ihre fünfzehnhundert Meilen langen Flüsse, die breit sind wie Meere; ihre Seen gleich Ozeanen; ihre ungeheuren Bäume; das baumhohe Gras in den Prärien; ihre riesenhaften Häfen –wie zum Beispiel der von San Francisco, wo sämtliche vereinigten Flotten Europas vor Anker liegen könnten –, weissagt dies alles nicht Amerika einen Grad von Glanz und Macht, der dem, den Europa jemals erreicht hat, überlegen ist? Wir gehören – mit Recht oder Unrecht – zu denen, die daran glauben, wenn es wahr ist, daß die Zukunft, für die immer die Gegenwart Bürgschaft leistet, die kühnen Anstrengungen eines Volkes glorreich krönen muß, das mit jedem Tag sich bestrebt, so groß zu werden wie die Natur, von der es umgeben ist.

In gewissen Perioden strotzen die Flüsse und Gewässer der Prärien bis in die kleinsten Bäche hinein von ungeheuren Salmen, gedrängt wie unsere Herings- und Sardellenbänke; die Gewässer vermögen sie nicht mehr zu fassen und werfen sie aus ihrem Schoß, und hier teilen die in diesen Ebenen umherstreifenden Indianer mit fleischfressenden Tieren der Steppe das Mahl, das ihnen die Vorsehung sendet.

In anderen Zeitabschnitten durchziehen Büffelherden– zahlreich wie die Salme in den Flüssen und von einer Größe, die ebenso mit der unserer Stiere verglichen werden kann wie der Mississippi mit dem Rhein – die Prärien und fliehen vor dem Indianer und dem Grauen Bären, die sie verfolgen.

Mit welchem jagenden Tier könnte man wohl in der ganzen Welt den Grauen Bären vergleichen? Mit keinem, denn er ist fast so groß wie der Büffel; seine Krallen sind so lang und scharf wie die Hauer des Ebers; die Kugeln der Jäger prallen von ihm ab wie der Hagel von einem Ziegeldach; er trägt in scharfem Trab einen ganzen Büffel in seine Höhle. Der Tod eines solchen schrecklichen Kolosses ist der Sieg, auf den der rote Krieger der Prärien am meisten stolz ist.

Eine solche wandernde Büffelherde hatten die Reiter eben über den Fluß setzen gesehen, nicht weit von dem Ort, wo sie zuerst gelagert hatten.

»Glaubt denn mein Sohn an Träume und Prophezeiungen?« fragte Bois-Rosé den Komantschen, als man das Getöse der fliehenden Büffel nicht mehr hörte.

»Die Stimme des Wolfs der Prophezeiungen täuscht niemals!« antwortete Rayon-Brûlant mit einer Miene der Überzeugung, über die der Kanadier lächelte. »Die Träume, die der Große Geist dem schlafenden Krieger schickt, täuschen ihn ebenfalls niemals. Glaubt denn der Adler der Schneegebirge, daß die Büffel in dieser Stunde der Nacht ihren Ruheplatz im hohen Gras verlassen, um während der nächtlichen Kühle zu wandern?«

»Das ist nicht wahrscheinlich; Gott sendet den Tieren wie uns den Schlaf in der Nacht. Büffel sind weder Wölfe noch Jaguare, die in der Dunkelheit umherstreifen und während des Tages schlafen; und Indianer haben ohne Zweifel auf diese Herde von fliehenden Tieren, die eben vorüberkam, Jagd gemacht.«

»Gut! Die Träume sind das für meinen Geist, was für meine Ohren das Geheul des Wolfs der Prophezeiungen, was für meine Augen die nächtliche Flucht des Büffels ist: ein Zeichen, daß uns Gefahr umgibt.«

»Wenn Ihr recht habt, wie ich glaube«, erwiderte Bois-Rosé, »– denn obwohl Ihr kaum halb so alt seid als ich, so sprechen doch für Euch die Erfahrung Eurer Väter, die man in den Steppen nicht wie in den großen Städten verachtet, und die ersten Eindrücke Eurer Kindheit –, so bin ich der Ansicht, daß wir unsere Fahrt so schnell wie möglich wieder beginnen.«

»Das Kanu ist bereit; aber wir haben noch einige Vorsichtsmaßnahmen zu treffen. Wir wollen hinter diesen Hügeln sechs Feuer in einiger Entfernung voneinander anzünden. Auf der entgegengesetzten Seite des Flusses, wo die Truppe lagert, die unseren Spuren folgt, und auf dieser Seite, wo der Schwarze Falke haltgemacht hat, werden die Apachen diese Feuer sehen, ohne unterscheiden zu können, ob Krieger um diese wachen. Während sie ihre Zeit damit verlieren werden, ein Mittel ausfindig zu machen, um sich ungesehen zu nähern, werden Rayon-Brûlant, der Adler und der Spottvogel Zeit haben, den sie verfolgenden Feinden den Vorsprung abzugewinnen.«

Dieser weise Rat überraschte Bois-Rosé und den Spanier. Die Feuer wurden hinter Gesträuchen und kleinen Hügeln, die nur den Widerschein erblicken ließen, das Feuer selbst aber verbargen, angezündet; das Kanu aus Büffelhaut, mit seinem wasserdichten Überzug versehen, wurde wieder ins Wasser gelassen, und die Schar setzte eifrig rudernd ihre fast zwei Stunden unterbrochene Fahrt wieder fort.

Voll Vertrauen auf die vier Komantschen, die sich abwechselnd ausruhten und die Ruder wieder ergriffen, nützten die drei Jäger die Zeit, um sich auf den Boden des Kanus niederzustrecken und einige Augenblicke zu schlafen. Pepe und Bois-Rosé fühlten, daß sie bei einer solchen Tag und Nacht fortgesetzten Fahrt die Stunden wieder einholen würden, die sie einzubüßen genötigt gewesen waren, und kämpften ebenso wie Gayferos bald nicht mehr gegen die unüberwindliche Schläfrigkeit, die auf ihren Augen lastete.

Lange schon waren die zur Täuschung des Feindes auf dem Ufer angezündeten Feuer in der Ferne verschwunden; die drei ermüdeten Jäger lagen im tiefen Schlaf. Während die beiden Indianer schweigend ruderten, saß der junge Komantsche auf dem Hinterteil des Fahrzeugs und hörte nicht auf, mit den Augen alle Punkte der Einöde zu durchspähen, die sie durchschifften.

Rayon-Brûlant schien dem Schlaf unzugänglich, obgleich die Baumstämme und die Felsen am Ufer des Flusses nicht unbeweglicher schienen als er. Sein Gesicht mit dem energischen Profil, seinen leuchtenden Augen, die nervige Brust, die sein Mantel aus Büffelhaut in ihrer Nacktheit sehen ließ, das vollkommene Ebenmaß seines Kopfes und seiner breiten Schultern machten aus dem jungen Renegaten der Apachen ein schönes Muster des menschlichen Geschlechts im Naturzustand. Schaute der junge Krieger in sein eigenes Herz, um dort das Bild der Blume des Sees oder das des Abendsterns wiederzufinden, für den er das Land seiner Väter verlassen hatte? Wir wissen es nicht, und es liegt für den Augenblick wenig daran.

Sosehr er aber auch von seinen Gedanken in Anspruch genommen war, so blieb doch kein Geräusch von ihm unbemerkt, das sich – mit Ausnahme des Rauschens des Kanus am Schilf des Flusses und des Hineintauchens der Ruder ins Wasser – nur von Zeit zu Zeit vernehmen ließ. Indessen folgten seiner unbeweglichen Haltung, die bewies, daß alle diese Töne der Steppe nichts anderes waren, als sie sein mußten, nach und nach einige Bewegungen des Körpers oder des Kopfes, als ob andere Zeichen sich in die Stimmen der Nacht und der Steppe mischten.

Eine Art dumpfen, vom Lufthauch getragenen Brummens, das mitten aus dem Fluß selbst zu kommen schien, bestätigte bald die Ahnung des Komantschen. Er gab seinen beiden Ruderern einen Wink, aufzuhören, und beugte sich über den Körper des Kanadiers, der, als er fühlte, daß man seine Schulter berührte, die Augen öffnete und um sich blickte. Er sah, wie die beiden Indianer ihre Ruder regungslos in der Hand hielten, und vermutete eine noch verborgene Gefahr.

Der Fluß, der da, wo Bois-Rosé eingeschlafen war, durch eine Ebene floß, war hier, wo er aufwachte, zwischen zwei ziemlich hohen Ufern eingeengt.

»Soll ich Pepe rufen?« fragte der Waldläufer.

»Laßt ihn schlafen«, erwiderte der Komantsche; »wir wollen ihn wecken, wenn es nötig ist. Ich habe sagen hören, daß die Kugel des Adlers der Berge niemals ihr Ziel verfehlt.«

»Ja, mein Sohn, das war der Fall mit der Büchse, die ich in meinen Händen habe zerschmettern lassen; mit dieser hier könnte ich, da ich sie noch nicht versucht habe, nicht für den ersten Schuß stehen. Warum habt Ihr mich aber geweckt?«

Ein längeres Brummen, ähnlich dem Brausen eins Blasbalges, ersparte dem Indianer die Antwort.

»Ah«, sagte der Kanadier, »ich frage Euch nicht weiter. Was ist aber am Ende daran gelegen? Laßt uns vorüberfahren, und sofern Ihr noch nicht vom Rudern zu müde seid, laßt mich weiterschlafen.«

»Wir können ohne seine Erlaubnis nicht vorbeikommen. Hinter dieser Krümmung ist der Fluß sehr schmal, und das Tier hält eine kleine Insel mitten in der Strömung besetzt. Was Rayon-Brûlant einmal gesehen hat, vergißt er nicht wieder. Er kennt die geringste Krümmung des Red River.«

Unterdessen war das Boot, sich im Kreis drehend, immer weitergeschwommen, und da es dringend notwendig war, einen Entschluß zu fassen, ehe man sich in den gefährlichen Engpaß hineinwagte, ergriff Bois-Rosé die Ruder und fuhr stromauf.

»In der Tat«, sagte er, während er es unbeweglich festhielt, nachdem er einige Klafter gewonnen hatte, »wir dürfen die Büchsenschüsse in diesen Einöden nicht verschwenden, ohne unsere Feinde, die ganz in unserer Nähe sein können, zu alarmieren. Ein einziger Schuß selbst würde dazu hinreichend sein. Wohlan, Komantsche, ich bin der Meinung, daß wir ohne weitere Umstände alle Eigenliebe beiseite setzen, an Land steigen und das Kanu auf die Schultern nehmen, um mit diesem teuflischen Tier keinen Kampf zu beginnen. Später können wir den Fluß wieder benützen.«

»Die drei Indianer haben eine scharfe Streitaxt und kräftige Arme; die weißen Jäger haben ihre spitzen, schneidenden Messer!« erwiderte Rayon-Brûlant.

»Die Eigenliebe eines jungen Mannes bequemt sich nicht leicht zur Flucht, ich weiß es. Wollt Ihr Euch lieber der Gefahr aussetzen, daß unser Kanu umschlägt – was keine Sache von Bedeutung wäre –, oder wollt Ihr es zerreißen lassen wie eine trockene Kürbisflasche, was nicht wiedergutzumachen wäre? Hört, Rayon-Brûlant, opfert der Liebe eines Vaters, der seinen Sohn sucht, dessen Minuten gezählt sind, die armselige Ruhmsucht eines jungen Mannes; ein Greis mit grauen Haaren und traurigem Herzen bittet Euch darum.«

»Die Blume des Sees«, sagte der Indianer, der die Eindrücke seines jungen Herzens nicht mehr verbergen konnte, »hätte gebebt beim Anblick der Haut des ungeheuren Tieres und hätte dem Krieger zugelächelt, der sie ihr gebracht haben würde; das Herz Rayon-Brûlants würde sich gefreut haben.«

»Ja, mein Kind, es ist etwas Süßes, ein Lächeln von derjenigen zu erhalten, die man liebt; es ist süß für einen Indianer wie für einen Weißen; aber es ist auch süß, einen Greis, der seinen Sohn beweint, zu verpflichten. Der Große Geist wird Eure Jagden segnen.«

Der Komantsche erwiderte nichts mehr. Man weckte Pepe und Gayferos, um ihnen zu sagen, daß ein Grauer Bär aus den Prärien einen Engpaß bewache, den man nicht passieren könne, ohne mit ihm anzubinden, und daß man mit Ladung und Kanu einen Umweg zu Lande machen und so das gefährliche Getöse eines Kampfes mit dem furchtbaren Wächter vermeiden müsse.

Die Nachricht, daß ein Grauer Bär den Fluß versperre, versetzte Pepe in sehr üble Laune. »Der Teufel drehe diesem Gezücht den Hals um!« sagte er gähnend und beschimpfte aus Groll mit einem verächtlichen Ausdruck, den die Jäger nur bei Tieren von untergeordneter Stellung anwenden, den schrecklichsten und kolossalsten Bewohner der Prärien. »Ich schlief so ruhig.«

Der stets vorsichtige Kanadier entschloß sich, nachdem man an einem Ufer gelandet war, einen raschen Blick in die Ebene zu werfen, ehe er die ganze Schar aus dem Boot steigen ließ; er erklomm leise das steile Ufer, das den Fluß einengte. Hohes Gras stand auf dem Gipfel und bot dem Auge einen undurchdringlichen Wall dar. Der Kanadier rückte also kriechend, mit der Büchse in der Hand, durch die Halme vor und verschwand einige Minuten aus den Augen seiner Gefährten.

Diese waren auf ihrer Hut, denn es war nicht genug, dem wilden Tier auszuweichen, um sich vor einem Angriff seinerseits sicherzustellen. Es war klar, daß der Bär den Geruch von Menschen witterte und sich in seinem öden Gebiet nicht mehr allein fühlte. Wie jene furchtbaren Burgherren, die früher von der Höhe ihres Felsens oder ihres Turms den Lauf eines Flusses beherrschten, so war auch hier zu befürchten, daß dieses am Ufer hausende Tier einen Versuch machen würde, vorher einen Jäger oder einen Indianer als Tribut zu erheben, wenn es schon in seinem Leben das Fleisch des einen oder des anderen gekostet hatte. Mit dem stoßweisen Schnauben seiner Nase mischte sich von Zeit zu Zeit das Knirschen seiner furchtbaren Zähne und der Krallen, die am Felsen der Insel scharrten.

In diesem Augenblick kam der Kanadier eiligst zurück. »Fort! Fort!« sagte er mit leiser Stimme, sobald er die Schar wieder erreicht hatte. »Dort sind ein Dutzend Indianer zu Pferd, die die Prärien durchstreifen.«

»Die Wölfe der Prophezeiung täuschen niemals«, antwortete der Indianer. »In welcher Richtung durchstreifen diese Apachenhunde die Ebene?«

»Rechts und links; aber sie scheinen von der Seite zu kommen, wo wir unsere angezündeten Feuer gelassen haben. Vorwärts, Rayon-Brûlant, jetzt müssen wir ohne Zögern zu den indianischen Streitäxten und den Messern der Weißen gegen den Grauen Bären unsere Zuflucht nehmen. Was sich auch ereignen mag, wir können hier nicht eine Minute länger ohne Gefahr bleiben. Einer von den Reitern kann von einem Augenblick zum anderen ans Ufer kommen.«

Das Kanu wurde abermals in der Richtung nach der Insel mitten in den Strom getrieben, trotz des schrecklichen Brummens, das sich hören ließ. Unter allen anderen Umständen würden sich die Schiffer trotz der Stärke und der Wildheit des Tieres, das sich nach dem Ausdruck des Indianers auf der kleinen Insel festgesetzt haben mußte, um den Engpaß, den sie nach jeder Seite des Flusses hin bildete, zu beherrschen, wenig über dieses Zusammentreffen beunruhigt haben.

Mit Ausnahme von Gayferos hatten alle ihr Leben in der Steppe zugebracht und waren daran gewöhnt, deren Gefahren zu bekämpfen; dieser jedoch schien nicht mehr als seine Gefährten darüber zu erschrecken– aber nur darum, weil er nicht wußte, mit welchem Feind sie es zu tun hatten. Die beiden Jäger und die Indianer wußten es und konnten die Gefahr beurteilen, der sie durch die Nähe der Apachen bei einem an sich selbst schon so gefährlichen Kampf ausgesetzt waren. Nur die blanken Waffen konnten für den Fall, daß das Tier nicht in Laune war, sie passieren zu lassen, in Anwendung kommen. Der dicke Pelz des Grauen Bären machte einen solchen Kampf sehr ungewiß. Sein Brüllen, wenn er verwundet war, konnte die jagdlustigen Indianer herbeiziehen; ihr Kanu lief Gefahr, durch die geringste Berührung seiner scharfen Krallen zerrissen zu werden; fast unvermeidlich war es, damit umzuschlagen.

Bois-Rosé bat zur größeren Sicherheit und um den Komantschen von irgendeinem Angriff abzuhalten, Rayon-Brûlant, ein Ruder in die Hand zu nehmen, während er selbst sich des zweiten bemächtigte; dann trieb er, auf die Gefahr hin, die für ihn selbst daraus entstehen konnte, das Kanu zum rechten Ufer, um auf dieser Seite durch den Paß zu fahren und dem wilden Tier so wenig nahe wie möglich zu kommen. Das Kanu folgte der ziemlich schnellen Strömung des Flusses und hatte bald den Raum wiedergewonnen, den es durch das Stromauffahren Bois-Rosés verloren hatte. Es war ein erwartungsvoller Augenblick, als es durch die Krümmung fuhr, die der Fluß beschrieb.

Die Streitaxt in der Hand, standen die Indianer im Vorderteil des Bootes bereit, den Koloß mit dreifachem Schlag zu treffen, und Pepe und der Gambusino befanden sich, jeder sein Messer in der Hand, hinter ihnen. Die kleine Barke glitt leise dahin, und das dumpfe Brummen drang immer noch aus dem Schoß des Flusses, als ob irgendein Seeungeheuer auf der Untiefe gescheitert wäre. Bald erschien die Insel auf der düsteren Oberfläche des Stromes vor den Augen der Schiffer, und auf dem sandigen und felsigen Eiland ließ sich eine ungeheure schwarze Masse erblicken.

»Jesus, Maria!« sagte mit leiser Stimme der entsetzte Gambusino beim Anblick des Feindes, dessen gigantische Gestalt er nicht geahnt hatte.

»Verlaßt Euch mehr auf Euer Messer als auf ein Gebet«, sagte Pepe lebhaft.

Das Kanu näherte sich langsam, und beim Anblick der Männer, die darin saßen, ließ der Bär ein schreckliches Brummen hören, scharrte mit einer seiner Tatzen den Boden und rollte eine wahre Sandlawine in den Fluß; dann begann er sich langsam auf seinen Hinterfüßen wie ein sich bäumender Büffel zu erheben.

»Vorwärts, Komantsche, von einem tüchtigen Ruderschlag hängt vielleicht das Leben von sieben Männern ab!« sagte Bois-Rosé.

Das Kanu hatte den verhängnisvollen Engpaß erreicht, und diejenigen, die darin waren, hielten sich bereit. Der unerschrockene Waldläufer tauchte mit festem Arm sein Ruder ins Wasser, um das Fahrzeug schneller vorwärts zu bringen und es so weit wie möglich von dem Tier entfernt zu halten, das aufrecht dastand und mit dem Beginn des Angriffs zu zögern schien. Der Indianer unterstützte den Jäger nicht weniger mutig und hob sein Ruder in dem Augenblick in die Luft, als die Barke wie ein Pfeil kaum einen Klafter weit von dem wilden Hüter der kleinen Insel vorüberflog.

Dieser schien noch unentschieden, ob er sich auf das Kanu stürzen solle, und Bois-Rosé hoffte schon, glücklich diese gefährliche Stelle zurückgelegt zu haben, als einer von den Komantschen mit einer Schnelligkeit, daß ihm der alte Jäger nicht zuvorkommen konnte, seine Streitaxt weglegte und einen Pfeil in den Leib des Bären schoß, der tief in seine Eingeweide drang. Bois-Rosé konnte einen Ausruf des Zorns nicht unterdrücken und das verwundete Tier stürzte mit einem wütenden Gebrüll gleich dem eines von einem Lanzenstoß getroffenen Büffels, indem es seine ungeheuren Kinnladen mit schrecklichem Getöse krachen ließ, ins Wasser wie ein Felsblock, der von steilen Ufern herabrollt.

Der Kanadier war nicht weniger rasch gewesen als der Komantsche, und ein zweiter Ruderschlag ließ das Fahrzeug noch schneller dahinfliegen; der Bär erreichte das Boot nicht, und seine beiden Tatzen trafen nur die Oberfläche des Stromes.

»Hurra!« rief Pepe, halb erstickt durch die Wirbel von Schaum, die sein Gesicht peitschten. »Fest, Bois-Rosé! Fest, Komantsche! Ihr habt manövriert wie zwei brave Matrosen. Heda, ihr dort unten! Eure Streitäxte, wenn ihr nicht wollt, daß dieses Gezücht uns in den Grund bohrt.«

Die drei Indianer waren zwischen den beiden Ruderern hindurch zum Hinterteil geschlüpft, und in dem Augenblick, wo das wütende Tier, heulend und schäumend vor Wut, mit keuchendem Atem und flammenden Augen nur noch einen halben Fuß von dem Kanu entfernt war, das in dem durch seine furchtbaren Anstrengungen hervorgebrachten Strudel auf und nieder tanzte, befanden sie sich am Hinterteil, und die geschwungenen Streitäxte glänzten in ihren Händen.

»Schlagt doch zu!« heulte Pepe.

Die Indianer bedurften seines Zurufs nicht – die drei Streitäxte klangen auf dem Schädel des Kolosses wie drei Hammerschläge auf dem Amboß.

»Noch einmal! Noch einmal!« rief Pepe abermals.

»Solches Gezücht hat ein zähes Leben!«

»Still doch, um Gottes willen!« sagte Bois-Rosé. »Die Indianer sind nicht...«

Plötzlich warf ein Blitz einen Flammenstrahl auf die von Blut gerötete Oberfläche des Stromes und auf den abermals verwundeten Bären. Sein wütendes Geheul mischte sich mit einem Knall, der in den Ohren der Indianer und der beiden im Hinterteil beschäftigten Jäger wie die Posaune erklang, die der Engel des Jüngsten Gerichts über ihrem Haupt erschallen ließ.

»Demonio!« rief der Spanier aus beim Anblick eines Körpers, der vom abschüssigen Ufer herab dicht bei dem Tier ins Wasser stürzte, unter dessen Anstrengungen es immer noch brauste, während das Kanu dahinflog. »Was ist das?«

»Das ist ein Apache, der in den Fluß stürzt! Ein heißhungriger Hund, der sich ersäuft!« antwortete der Indianer.

Bald brach ein Geheul in der Ebene jenseits des hohen Stromufers los; die Komantschen antworteten, und ein schreckliches Getöse erhob sich – ein Gemisch von menschlichen Stimmen, seltsam moduliert von der des kolossalen Bewohners der Prärien, wie wenn eine Wasserhose über den Fluß zöge. Die Wut des Grauen Bären schien durch den Pfeil, der seinen Leib durchbohrt hatte, und durch die drei Axtschläge, von denen sein Schädel getroffen war, noch vermehrt worden zu sein.

»Mut, Bois-Rosé, Mut!« rief Pepe aus, der im Hinterteil des Kanus kniete und mit den Indianern die beunruhigenden Fortschritte des schwimmenden Tieres beobachtete, das jeden Augenblick eine Tatze wie ein Katapult hob, um das gebrechliche Fahrzeug in den Grund zu bohren. »Bei Gott, wir sind ihm noch glücklich entkommen!« fuhr er fort, als das Wasser wieder sein Gesicht peitschte.

Das Kanu schwamm jetzt zwischen niedrigen Ufern, die trotz der Dunkelheit einen Blick auf die Ebene zu werfen gestatteten. Schwarze Schatten von Pferden und Reitern bewegten sich im hohen Gras. Eine andere unmittelbare Gefahr drohte die mißliche Lage der Schiffer noch gefährlicher zu machen.

Der Bär hatte, wie eben erwähnt, in seinen Anstrengungen nachgelassen – aber nur, um die Taktik zu ändern. Er hatte sich schräg zum Ufer gewandt.

»Fahr schräg an Land, Bois-Rosé«, rief Pepe, der die Bewegungen des wütenden Ungeheuers verfolgte, »oder das Tier wird uns den Weg abschneiden und uns von vorn angreifen!«

Rayon-Brûlant warf einen Blick seitwärts und sah in der Tat den Bären in einiger Entfernung vom Land das Wasser teilen. Der Komantsche trieb das Fahrzeug nach rechts, unterstützt von Bois-Rosé, den die Warnung des Spaniers schon bereit gefunden hatte, sich danach zu richten. Das Kanu flog ebenfalls in schräger Linie dem Ufer zu, und in dem Augenblick, wo der Bär an Land stieg, sprang der junge Komantsche, seine Büchse in der Hand, ebenfalls ans Ufer.

»Fort!« sagte er zu Bois-Rosé. »Der Adler lasse einen furchtlosen Krieger handeln!« Der Indianer und der Bär waren etwa zwanzig Schritt voneinander auf dasselbe Ufer gesprungen.

Die Vorbereitungen zum Kampf waren beim Komantschen zu einfach, als daß er damit mehr als einige Sekunden verloren hätte. Während sich der Bär in dem dieser Gattung eigentümlichen Trab näherte, setzte sich Rayon-Brûlant so ruhig auf den Sand wie ein ermüdeter Fußgänger, der sich ausruht. Selbst bei Bois-Rosé erregte diese Ruhe Bewunderung, denn das Leben des jungen Mannes hing von einer falschen Bewegung, von einem zu späten Losgehen seiner Büchse und von anderen Umständen ab, die auch der unerschrockenste Mann nicht in seiner Gewalt hat. Der Indianer legte rasch den Kolben seiner Büchse an die Schulter, drückte seine Wange an den Lauf und wartete unbeweglich.

Beinahe von gleicher Größe wie ein Büffel näherte sich das gigantische, wilde Tier, der Schrecken der Prärien, und zeigte zwischen seinen blutigen Lippen die schrecklich weißen Zähne, die flammenden Augen unter seinem dicken Pelz.

Die Büchse des Komantschen folgte langsam den Bewegungen des Bären; als die Mündung des Laufs fast die verwirrten Haarbüschel seines Kopfes berührte, ging der Schuß los. Der Koloß brach zusammen; aber von der Bewegung seines Ganges fortgerissen, hätte er den Indianer unter seiner Leiche erdrückt, wenn dieser nicht, als er kaum den Drücker berührt hatte, sich in sich selbst mit der wunderbaren Elastizität eines Clowns zusammengezogen und sechs Schritte von da mit dem Messer in der Hand auf seinen Füßen gestanden hätte. Er warf einen stolzen Blick auf seinen im blutigen Sand liegenden Feind, schnitt rasch mit der ganzen Fertigkeit eines geschickten Jägers die ungeheure Tatze des Grauen Bären beim ersten Gelenk ab und nahm seinen Platz im Kanu wieder ein.

»Rayon-Brûlant ist tapfer wie ein Häuptling«, sagte Bois-Rosé und drückte dem Komantschen die Hand.

»Der Adler und der Spottvogel sind stolz auf ihren jungen Freund. Die Blume des Sees wird lächeln, wenn sie die Proben seines Mutes sieht.«

Die Augen des jungen Komantschen funkelten vor freudigem Stolz, den das Kompliment Bois-Rosés in seinem Herzen hervorrief, verbunden mit der Hoffnung, die es darin weckte. Er stieß einen kurzen Ruf aus und begann wieder zu rudern, denn die Apachen sprengten durch die Ebene und schienen – wie vor ihnen der Graue Bär – den Schiffern den Weg auf dem Fluß abschneiden zu wollen.


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