Gabriel Ferry
Der Waldläufer
Gabriel Ferry

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38 Der Parlamentär

Seit einiger Zeit schon hatten die vier Flüchtlinge das Ufer bestiegen, wo sie die Insel, die sie hierhergebracht hatte, zertrümmerten, als der Abgesandte der Apachenhäuptlinge, der dem Schwarzen Falken den Oberbefehl anbieten sollte, die Augen dem Licht des Morgens öffnete. Einige Stunden Schlaf waren hinreichend gewesen, seine ermüdeten Glieder wieder zu kräftigen; der Steppenkrieger auf seinem harten Lager bedarf keiner langen Ruhe. Der Häuptling war immer noch regungslos und erschien im Licht des Feuers, das nach und nach erlosch, ebenso düster und unversöhnlich wie am vergangenen Tag.

»Die Vögel fangen an zu singen«, sagte der Läufer in der poetischen Bildersprache, die die Indianer mit den Orientalen, von denen sie auch abzustammen scheinen, gemeinsam haben; »der Nebel entflieht vor der Sonne. Hat die Nacht dem Häuptling einen Rat erteilt, der günstig für den Stamm lautet, der seiner Ankunft wartet?«

»Die Nacht spricht gar viel zu dem, der nicht schläft«, erwiderte der Häuptling, »und die ganze Nacht hindurch hat der Schwarze Falke die Seufzer seiner Schlachtopfer gehört; er hat das Grollen des Hungers in ihrem Innern vernommen, er hat allen Stimmen seiner Gedanken gelauscht, aber die Bitten der Krieger seiner Nation hat er nicht gehört.«

»Gut! Der Bote wird denen, die ihn schicken, treu die Worte überbringen, die er gehört hat.«

Der Läufer schickte sich an, aufzubrechen, und zog den ledernen Gurt um seine Hüften enger zusammen, als der Häuptling ihn bat, ihm aufstehen zu helfen. Der Apache gehorchte. Nicht ohne Anstrengung richtete sich der Schwarze Falke empor, unterdrückte den stechenden Schmerz, den ihm die Bewegung in seiner zerschmetterten Schulter verursachte, und stützte sich auf den Arm des Läufers.

»Es ist gut«, sagte der Häuptling, »wenn wir erst die Posten befragen, die in der Nacht die Wache gehabt haben.« Und der Schwarze Falke wandte sich, begleitet und unterstützt von dem Indianer, mit langsamem, aber ziemlich festem Schritt nach den verschiedenen noch brennenden Feuern.

Andere Wachen hatten die Stelle der ersten eingenommen, die nun ebenfalls auf ihrer Büffelhaut schliefen. Nur der Schwarze Falke allein von allen seinen Kriegern hatte die Augen nicht geschlossen. Die Späher waren auf ihren Posten unbeweglich wie eherne Statuen.

Der erste wurde über die Vorfälle der Nacht befragt und antwortete: »Der Nebel ist nicht schweigsamer als der Fluß; die weißen Krieger, die dem Feuer entgangen sind, hätten nicht schwimmend entfliehen können, sofern sie nicht stumm und still wie die Fische unter dem Wasser gewesen sind.«

Alle anderen antworteten in demselben Sinn.

»Gut«, sagte der Häuptling, dessen Augen vor wilder Freude funkelten. Dann wandte er sich an den Abgesandten, zeigte mit dem Finger auf den Verband seiner Schulter und fuhr fort: »Die Rache spricht zu laut in mein Ohr; es kann keine andere Stimme als diese vernehmen.«

Das war eine neue Bestätigung seiner abweisenden Antwort, die der Häuptling dem Abgesandten gab. Dieser führte schweigend den Schwarzen Falken wieder zu seiner Feuerstelle. Dennoch beeilte der Läufer trotz dieser zweiten Andeutung seinen Aufbruch nicht; sein Auge schien die dichte Nebelwolke, die auf dem Fluß lagerte, durchdringen zu wollen. Der Wind wehte etwas lebhafter vor Sonnenaufgang und öffnete zuweilen breite Durchblicke darin. Man sah leicht, daß die schwarze Nebelmasse von einem Augenblick zum anderen zerreißen mußte. Soviel Aufmerksamkeit aber auch der Indianer auf seine Prüfung verwandte, hätte er doch durch diese leichten Stellen hindurch die vom Häuptling bezeichnete Insel nicht entdeckt.

Eine Ahnung, daß die Wachsamkeit der Späher aus irgendwelchen unbegreiflichen Gründen getäuscht worden sein könnte, durchflog plötzlich die Seele des Abgesandten, denn in seinem Blick leuchtete eine schlecht verhehlte Freude. »Ich habe gesagt, daß ich erst beim Aufgang der Sonne aufbrechen werde.« Dieser Gedanke war dem indianischen Läufer infolge des plötzlich entstandenen Argwohns gekommen.

Das erste dämmernde Licht wurde bald bestimmter. Nebelwogen rollten übereinander wie der von einer Büffelherde aufgewirbelte Staub. Dann erglänzte der graue Schleier von den noch schrägen Strahlen der Sonne im rötlichen Feuer des Opals. Dann bebte die Nebelwand wie ein ungeheurer Vorhang, von dem bald jeder Sonnenstrahl, jedes Säuseln der Luft ein graues Stückchen abriß.

Kaum noch einige Dunstflocken tanzten auf der azurenen Decke des Flusses, als der Schwarze Falke einen schrecklichen Schrei getäuschter Wut ausstieß. Die Insel war vollständig verschwunden; die Stelle, wo sie sich am Abend zuvor befunden hatte, war glatt wie ein Spiegel; auch nicht ein Schilfbusch von ihrem Rand, auch nicht eine grüne ausgeschlagene Wurzel ragte über die Oberfläche des Stromes.

»Die Hand des Bösen Geistes hat sich über den Fluß gebreitet«, sagte der indianische Läufer. »Er hat nicht gewollt, daß die weißen Hunde, die seine Kinder sind, den Tod durch die Hand eines berühmten Häuptlings wie des Schwarzen Falken finden sollen.«

Aber der Indianer hörte nicht auf die erkünstelten Beileidsbezeugungen des Gesandten, der sich im Grund seines Herzens zu dem Verschwinden der Flüchtlinge Glück wünschte. Diesmal hatte der wilde Häuptling sich allein auf seine Füße erhoben, sein Auge war verstört, sein Gesicht bleich trotz der Tätowierung und der roten Malerei; die geschwungene Streitaxt in der Hand, ging er schwankend auf den Wachtposten los, der am nächsten im Bereich seines Armes war.

Aber der bedrohte indianische Krieger machte keine Bewegung. Er blieb mit vorgebeugtem Kopf und halberhobenem Arm stehen, ganz in der Haltung eines Mannes, der lauscht, als ob er dadurch zeigen wollte, daß er selbst bis zu diesem schrecklichen Augenblick nicht aufgehört hätte, treu zu wachen.

Die Streitaxt jedoch war im Begriff, auf seinen Kopf zu fallen, als der Arm des Gesandten den des Häuptlings aufhielt. »Die scharfen Sinne des Indianers haben ihre Grenze«, sagte er; »er kann nicht das Gras wachsen hören; sein Auge konnte nicht durch die Wolken dringen, die den Fluß bedeckten. Der Schwarze Falke hat getan, was möglich war, er hat keine Vorsichtsmaßnahmen vernachlässigt. Der Geist oben hat nicht gewollt, daß ein Häuptling seine Zeit damit verliere, das Blut von drei Weißen fließen zu lassen, weil er ihm vorbehalten hat, es stromweise dort unten zu vergießen.« Der Indianer zeigte mit dem Finger in die Richtung nach dem mexikanischen Lager.

Der Schwarze Falke war erschöpft durch die Anstrengung, die er gemacht hatte, und durch die Wut, die ihn verzehrte; er konnte nicht antworten. Seine Wunde hatte sich wieder geöffnet, und sein Blut floß abermals durch den ledernen Verband. Er wankte, seine Knie beugten sich, und der Abgesandte war genötigt, ihn auf das Gras niederzulegen, wo er schließlich das Bewußtsein verlor.

Die Zeit, die bis zu dem Augenblick verfloß, wo der Schwarze Falke wieder zu sich kam, rettete die vier Flüchtlinge, die sonst von den Apachen mitten auf ihrem langsamen Marsch im Fluß gewiß noch eingeholt worden wären.

Ein langes Geheul, das vom entgegengesetzten Ufer herüberscholl, sagte dem wilden Häuptling in dem Augenblick, wo er die Augen wieder öffnete, daß auch seine Begleiter das Verschwinden der schwimmenden Insel eben bemerkt hatten.

»Wir werden die Spuren der Flüchtlinge suchen«, sagte der Läufer, »dann wird der Schwarze Falke auch die Stimme der Vernunft hören; seine Ohren werden nicht mehr taub sein.«

Die am anderen Ufer postierten Apachenkrieger erhielten den Befehl, sich um ihren Häuptling zu sammeln, und als sie alle – etwa dreißig an der Zahl – beisammen waren, half man dem verwundeten Indianer auf sein Pferd. Der Bote, der zu Fuß gekommen war, da er bei dem Angriff sein Pferd verloren hatte, stieg hinter dem Schwarzen Falken auf, um ihn im Sattel zu halten.

Der wilde Reiterzug folgte nun dem Lauf des Flusses. Nachdem der erste Augenblick der Überraschung vorüber war, wurden die Indianer zu der Annahme gezwungen, daß die schwimmende Insel von ihrem Grund losgerissen worden sein müsse, und sie hofften sie nicht weit vom Punkt ihrer Abfahrt gestrandet wiederzufinden.

Aber die Indianer marschierten lange Zeit, ohne irgendeine Spur von denen zu bemerken, die sie suchten. Es ist wahr, daß einer von ihnen ein Freudengeschrei beim Anblick der Spuren der Flüchtlinge ausstieß, die sich an der Stelle zeigten, wo sie den steilen Uferrand betreten hatten – die Vorsichtsmaßnahmen Bois-Rosés hatten sie den Augen der Apachen nicht verbergen können –, aber die Sorgfalt, mit der er die Holzblöcke des Floßes zerstreut hatte, um es ganz und gar zu vernichten, täuschte die Krieger. Das Wasser hatte das Gras, die Zweige und die Wurzeln schon weit mit fortgenommen, und die Indianer bemerkten, so weit sie sehen konnten, nichts, was die bekannte Gestalt der Insel an sich getragen hätte. Die dem Ufer eingedrückten Spuren führten nur einige Schritte weit; es war also klar, daß die Flüchtlinge ihre Fahrt noch weit darüber hinaus fortgesetzt und den Vorteil eines Vorsprungs hatten, den man ihnen nur ohne Erfolg streitig machen konnte.

Trotz seiner Erbitterung bei diesem neuen Beweis, daß es nicht in seiner Macht lag, die drei Jäger, die Gegenstände seines Hasses, zu erreichen, hatte der Schwarze Falke doch Zeit gehabt, die Herrschaft über sein Gesicht wiederzugewinnen. Es blieb also unbewegt. Die in ihm erregte Blutgier war nicht erstickt, aber da die Flüchtlinge doch einmal verschwunden waren, so führte sie ihm ein anderes Ziel zur Verfolgung vor die Augen. Er fügte sich mit Anstrengung der Notwendigkeit, seine Rache aufzuschieben, und ließ seinem ungestümen Ehrgeiz freien Spielraum.

Zum zweitenmal fühlte er das Bedürfnis, sich in den Augen des Abgesandten zu rechtfertigen. Der verschlagene Indianer stieß einen Seufzer der Erleichterung aus wie ein Mann, der einen schrecklichen Traum gehabt hat, in dem Augenblick, wo er die Augen öffnet. Nachdem er einen Blick getäuschten Hasses auf den Fluß geworfen hatte, streckte er den Hals nach der entgegengesetzten Seite hin und blieb unbeweglich.

»Was hört der Häuptling, dessen Gehör so fein ist?« fragte der Läufer.

»Der Schwarze Falke hört das Schweigen; die Stimme des Blutes braust nicht mehr in seinen Ohren.«

»Ist das alles, was er hört?« fuhr der Abgesandte fort.

Der indianische Häuptling setzte seine diplomatische Posse fort. Er antwortete nicht, aber sein Gesicht bekam einen freudigen Ausdruck, als ob eine ferne Melodie an sein Ohr summte. »Meine Ohren«, fuhr er fort, »sind nicht mehr taub. Die Hand des Bösen Geistes liegt nicht mehr auf ihnen. Ich höre die Stimme der Krieger, die mich rufen, um die Ehre meines Stammes zu rächen; ich höre das Knistern des Beratungsfeuers. Der Gute Geist, der Beschützer der Apachenstämme, habe Dank. Brechen wir auf!« Der Indianer lenkte sein Pferd nach der Gegend, wo nach dem Bericht des Läufers die versammelten Krieger seine Antwort erwarteten.

Die Sonne ergoß Fluten von Licht über die Steppe, als der Schwarze Falke und sein Reitertrupp zu der Oase von Gummibäumen kamen, wo wir die Indianer bei ihrer Beratung am vorigen Tag gesehen haben. Sie hatten nach der Niederlage, die sie erlitten hatten, und nach der nächtlichen Verfolgung, deren Gegenstand sie gewesen waren, das Beratungsfeuer an derselben Stelle wieder angezündet. Beim Anblick des gefürchteten Häuptlings, auf dessen Rückkehr man so lebhaft gewartet hatte, brach ein Freudengeschrei von allen Seiten aus.

Der ehrgeizige Indianer nahm den Zuruf mit Würde wie eine Huldigung auf, die er verdiente; dann wandte er sich an all die vereinten Krieger: »Nur der Geist des Schwarzen Falken«, sagte er, »wird mit seinen Kriegern sein, denn sein Leib ist krank und sein Arm schwach.« Und er zeigte auf seine blutige Schulter.

Ein schmerzliches Geheul trat an die Stelle des Freudengeschreis, und nachdem sich diese Trauerbezeugungen gelegt hatten, half man dem Häuptling, vom Pferd zu steigen und einen Sitz am Feuer einzunehmen. Als er sich gesetzt hatte, verbeugten sich seine Pairs und setzten sich im Kreis nieder. Der Schwarze Falke rauchte das Kalumet, das man ihm reichte, gab es einem anderen, und die Pfeife ging so mitten im tiefsten Schweigen durch die ganze Versammlung. Alle bereiteten sich durch Nachdenken auf die Beratung vor, die stattfinden sollte. –

Wir wollen die wilden Häuptlinge erst die Pfeife rauchen lassen, wie es Kriegern geziemt, deren Geist langsam, deren Hand rasch sein muß, und einen Blick auf das mexikanische Lager werfen, das ohne Führer und ohne Chef geblieben war.

Hier herrschte die größte Verwirrung. Das Gerücht hatte sich verbreitet – wie es fast immer so kommt, man mag ein Geheimnis so sorgfältig verheimlichen, wie man will –, daß die Goldsucher dem Ziel ihrer Expedition nahe seien; daß sich dicht beim Lager eine Mine von unberechenbarem Reichtum befände; daß endlich die Rekognoszierung, um derentwillen sich Don Estévan de Arechiza entfernt hatte, aus keinem anderen Grund vorgenommen worden sei, als die Lage dieser Mine genau zu ermitteln.

Während der ersten Frühstunden war die Verwirrung im Lager nur durch die fieberhafte Ungeduld entstanden, mit der sie die Rückkehr ihres Chefs, der gute Nachricht mitbringen mußte, erwarteten. Als aber die Sonne fast die Hälfte ihres Laufes zurückgelegt hatte, ohne daß einer der vier Reiter, die sich am Morgen entfernt hatten, zurückgekehrt wäre, folgte die Unruhe der Ungeduld. In diesem zweiten Zustand finden wir die Goldsucher wieder.

Das nach dem Befehl des Chefs auf dem kleinen Hügel, der das Lager beherrscht, aufgerichtete Zelt ist verlassen. Das Kriegsbanner der Mediana hängt, anstatt lustig zu wehen, traurig an seinem Schaft herunter; nicht ein Windhauch bewegt mitten in diesem Sandmeer seine Falten. Vergeblich durchspähen die mexikanischen Schildwachen jeden Augenblick den Horizont – sie sehen niemand zurückkehren; nicht ihren Chef, nicht ihren Führer, dessen geheimnisvolles Verschwinden sie in Schrecken setzt, nicht die drei Begleiter Don Estévans.

Die Pferde sind an ihre Pfähle gebunden und senken den Kopf vor Durst. Die Männer fühlen diesen ebenfalls, und dazu bedroht sie noch der Hunger, denn die Jäger wagen es nicht mehr, zur Verfolgung der Damhirsche oder der Büffel das Lager zu verlassen; die bestimmtesten Befehle sind gegeben, daß sich niemand aus den Verschanzungen entfernen soll. In dem Maße, wie die Zeit vergeht, verdoppeln sich die Unruhe und der Mißmut – das ist der Zustand des Lagers.

Außerhalb – nicht weit von der Wagenreihe, aber unter dem Wind – verwesen die Leichname von Pferden und Indianern auf dem Boden. Auf der Ebene, in entgegengesetzter Richtung, zeigt der frisch aufgegrabene Sand den Ort an, wo diejenigen der Abenteurer, die beim Kampf am Tag vorher getötet wurden, eine ewige Ruhestätte gefunden haben. Dieser schmerzliche Anblick vermehrte noch den düsteren Eindruck der ganzen schon so traurigen Landschaft.

Es war fast dieselbe Stunde, wo die Goldsucher am vorigen Tag an dieser Stelle haltgemacht hatten – etwa vier Uhr –, als die Schildwachen in der Ferne eine leichte Staubwolke bemerkten. Alle stürzten sich um die Wette nach dieser Seite, in der Hoffnung, Don Estévan und seine Begleiter zurückkehren zu sehen.

Die Täuschung dauerte nicht lange. Die Federbüsche der Indianer und die Lanzen, an denen nach der Art der Fähnchen die Skalpe herabhingen, wurden bald mitten in der Staubwolke sichtbar.

»Zu den Waffen! Zu den Waffen! Die Indianer!«

Die schon so große Verwirrung war nichts im Vergleich mit der, die bei dieser unerwarteten Nachricht im Lager herrschte. Wer sollte kommandieren? Wer gehorchen? Indes beeilte sich doch jeder, so gut es ging, sich in Reih und Glied zu stellen und den Posten einzunehmen, der ihm am vergangenen Tag bezeichnet worden war. Die Angst lag auf jedem Gesicht.

Kurz darauf aber faßte jeder wieder Mut. Die Indianer waren nur sechs, und anstatt im Galopp heranzusprengen und ihr Kriegsgeschrei auszustoßen, marschierten sie ruhig auf die Wagenburg zu. Einer von ihnen schwang an der Spitze seiner Lanze einen weißen Lappen, der die Stelle der Fahne vertrat, die in allen Ländern das Symbol des Friedens ist.

Als sie noch zwei Büchsenschüsse weit entfernt waren, trennte sich der Reiter mit dem weißen Fähnchen von der Gruppe; die übrigen hielten an. Nach einigen Schritten hielt auch der Parlamentär an und schwenkte abermals sein Fähnchen.

Einer von den Abenteurern war aus dem Presidio von Tubac und hatte in einiger Verbindung mit den Apachenstämmen gestanden; er wußte genug von ihrer Sprache, um den an der Grenze gebräuchlichen indianisch und spanisch gemischten Dialekt zu verstehen und zu sprechen. Er war ein kleiner, magerer Mann, der in den Augen der Indianer, die wie alle rohen Völker Bewunderer äußerlicher Schönheit sind, die höchste Autorität ziemlich schlecht repräsentieren mußte. Auch sträubte er sich mit aller Gewalt, diese Rolle zu übernehmen, mußte jedoch endlich einwilligen. Die Abenteurer durften sich im Interesse ihrer eigenen Wohlfahrt und des glücklichen Erfolgs der Konferenz nicht den Anschein geben, als ob sie ihren Chef verloren hätten. Ein weißes Tuch mußte ihrerseits die Parlamentärfahne darstellen.

Der Abenteurer – sein Name war Gomez – verließ sehr aufgeregt die Verschanzungen, um dem Indianer entgegenzureiten, dessen feste Haltung seinem furchtsamen Wesen gegenüber sehr abstach. Indes faßte er sich doch beim Anblick des blutigen Verbandes, der die eine Schulter des Apachenkriegers verhüllte. – Man hat an dieser Wunde schon den Schwarzen Falken erkannt.

Der Mexikaner und der Indianer grüßten sich, und der Schwarze Falke nahm zuerst das Wort. »Es sind ohne Zweifel zwei Häuptlinge, die miteinander sprechen wollen«, sagte der Indianer artig. Der Mexikaner antwortete nicht weniger höflich, aber eine gewisse Verwirrung strafte seine Bejahung ein wenig Lügen.

»Ein großer Geist wohnt manchmal in einem kleinen Körper; mein weißer Bruder muß ein großer Häuptling sein!«

In dieser zweideutigen Antwort lag mehr Ironie als Freimütigkeit, aber der Ton des Indianers zeugte nur von einer vollständigen Überzeugung, obgleich sein Feingefühl durch den Goldsucher nicht befriedigt war. Der Schwarze Falke heftete ein paar Augen auf Gomez, die bis auf den Grund seines Herzens dringen zu wollen schienen. Der Mexikaner konnte diesen forschenden, schrecklichen Blick nicht aushalten; er schlug die Augen nieder, als der Indianer begann: »Mein Bruder lügt nicht, wenn er sich für einen Häuptling ausgibt; aber im Lager der Weißen sind ohne Zweifel mehrere, und er ist einer von ihnen.«

»Ich bin der einzige«, antwortete der Abenteurer sichtlich verwirrt.

Beim Anblick eines Chefs von so wenig imponierendem Äußeren fühlte der Schwarze Falke, daß er mit einem armen Teufel, der so unfähig war, es mit ihm an List und Entschlossenheit aufzunehmen, leichtes Spiel haben würde; sein Auge blitzte darum mit einem noch unheimlicheren Glanz. Er faßte den Entschluß, sich über die Wahrhaftigkeit des sogenannten Chefs Gewißheit zu verschaffen.

»Die Worte, die ich überbringe, sind Worte des Friedens; alle Krieger des Südens sollten um mich versammelt sein, sie zu hören. Die Indianer würden den Abgesandten der Weißen an ihrem Beratungsfeuer empfangen; er würde unter das Zelt des Häuptlings treten. Warum läßt der Häuptling der Weißen den Indianer, der zu ihm kommt, so weit vom Lager halten?«

Gomez zögerte; er wollte den Wolf nicht in den Schafstall führen.

Der Schwarze Falke sah dieses Zögern; seine Augenbrauen zogen sich zusammen; eine dunkle Wolke wie beim Drohen eines Gewitters zog über die Stirn des Indianers; seine Augen leuchteten wie die Blitze, die die Wolke entsendet. »Der Häuptling der Apachen ist kein Häuptling, den man nicht in sein Zelt lädt. In der einen Hand hält er den Krieg, die andere umschließt den Frieden; welche von beiden soll er öffnen?«

Diese Drohung mit einem Bruch und der Ton, mit dem es gesagt wurde, schüchterten den Mexikaner ganz und gar ein. Er stand auf dem Punkt, zu antworten, daß er seine Gefährten fragen wolle, aber er besann sich noch zeitig genug.

Der verschmitzte Indianer fuhr mit etwas spöttischem Ton fort: »Ein einziger von meinen Kriegern wird mich begleiten. Sind die Weißen so gering an Zahl, daß sie sich vor zwei Kriegern fürchten müssen, die unter sie treten? Ist ihr Lager nicht befestigt? Sind ihre Vorräte an Pulver und Kugeln nur gering?«

Von der diplomatischen Gewandtheit des Indianers umgarnt, fühlte der arme Gomez, daß er dem Parlamentär den Eintritt in sein Lager nicht länger verweigern konnte, ohne sich der Gefahr auszusetzen, die Hoffnungen auf Frieden zu zerstören, und auch, ohne ein Mißtrauen zu zeigen, das die offenbar günstige Meinung des Indianers über die Hilfsmittel herabstimmen mußte.

»Mein roter Bruder mag sich einen Gefährten wählen – aber nur einen!« sagte er.

Der Schwarze Falke wollte gar nicht mehr. Wenn der Abenteurer, indem er sich für den Chef der Weißen ausgab, die Wahrheit gesprochen hatte, so ließ der Takt des roten Kriegers ihn vom Kapitän auf die Tüchtigkeit der Soldaten schließen; wenn er gelogen hatte, so mußte er wenigstens den wirklichen Chef der Weißen sehen und danach seinen Angriffsplan feststellen.

In unseren Kriegen in Europa ist ein Parlamentär immer eine geheiligte Person, weil Herz und Mund bei ihm dasselbe sagen; aber bei den wilden Völkerschaften dient ein Friedensvorschlag fast immer nur dazu, einen nachfolgenden Verrat zu verdecken.

Der Indianer machte ein Zeichen, und derjenige von seinen Kriegern, der sich auf diese Gebärde hin näherte, war niemand anderer als die Antilope – der Läufer, den wir schon als einen ebenso großen Diplomaten kennengelernt haben, als der wilde Diplomat war, zu dem er kam, um ihm das Kommando über den ganzen Stamm anzubieten. Der Läufer war außerdem auch der einzige von allen Apachenkriegern, der den wirklichen Chef Don Estévan, den er nicht wiederfinden sollte, von Person kannte, da er ihn während des Kampfes gesehen hatte.

Die beiden Indianer folgten Gomez und wechselten mit leiser Stimme folgende Worte: »Was ist das für ein Schakal, der sich mit der Haut des Löwen geschmückt hat?« sagte der Läufer.

»Es ist der Häuptling, der das Auge des Schwarzen Falken täuschen will; aber das Auge des Schwarzen Falken hatte schon unter seine Haut geblickt«, antwortete der schlaue Häuptling.

Und beide begaben sich ins Lager wie das Schwert und das Feuer, die ihre Verheerungen vereint beginnen wollen.


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