Gabriel Ferry
Der Waldläufer
Gabriel Ferry

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32 Steppenbilder

Zur selben Stunde des Tages, wo die Indianer vereint um das Beratungsfeuer saßen und über die Mittel zum Angriff auf das Lager der Goldsucher berieten, müssen wir drei Personen wieder aufsuchen, die wir schon zu lange, wie man uns vorwirft, vergessen haben.

Es ist ungefähr vier Uhr nachmittags. Die Steppe ist noch ruhig; der Nebel fängt an, sich langsam vom Fluß zu erheben, in dessen Mitte das kleine Eiland liegt, das den drei Jägern Bois-Rosé, Fabian und Pepe einen Zufluchtsort geboten hatte. Große Weiden und Zitterpappeln wuchsen an den Ufern des Rio Gila, etwa einen Büchsenschuß von der kleinen, in Rede stehenden Insel und dem Wasser so nahe, daß ihre Wurzeln den Uferrand durchbrachen und vom Fluß benetzt wurden. Der Zwischenraum zwischen den Bäumen war überdies ausgefüllt durch die kräftigen Schößlinge der Wasserweide oder durch sonstigen ineinander verschlungenen jungen Nachwuchs.

Der Insel aber beinahe gegenüber öffnete sich ein ziemlich weiter vegetationsloser Raum. Das war der Weg, den sich die Herden wilder Pferde und Büffel gebahnt hatten, um am Fluß ihren Durst zu löschen. Man konnte also von der Insel aus durch diese Öffnung einen freien Blick auf die Ebene werfen. Die Insel, auf der sich die drei Jäger befanden, war in ihren ersten Anfängen durch Baumstämme gebildet, die durch ihre Wurzeln auf dem Grund des Flußbettes festgehalten wurden. Andere Bäume waren durch dieses Hindernis aufgehalten worden – die einen noch mit ihren Zweigen und ihrer Blättermasse versehen, die anderen schon trocken seit langer Zeit –, und aus der Verschlingung ihrer Wurzeln hatte sich etwas wie ein plumpes Floß gebildet.

Seit dieser Anschwemmung hatten aber noch viele Winter und Sommer vergehen müssen, denn trockenes Gras, das durch großes Wasser von den Flußufern weggerissen worden war und sich in den Zweigen verwickelt hatte, füllte die Zwischenräume dieses Floßes aus. Dann hatte der Staub, den der Wind aufjagt und weithin mit sich fortnimmt, dieses Gras mit einer Erdkruste bedeckt und bildete so auf dieser schwimmenden Insel eine Art festen Bodens. Wasserpflanzen waren an ihrem Rand entlang aufgeschossen. Weidenstämme hatten kräftige Schößlinge getrieben, die samt dem Rohr und dem Schilf diese Insel mit einer grünen Einfassung umgaben, die sich sonderbar genug um die trockenen Baumskelette und die großen Zweige ohne Rinde geschlungen hatte.

Diese Art von Floß konnte fünf bis sechs Fuß im Durchmesser haben, und ein Mann, der sich niedergelegt hatte oder selbst nur kniete, verschwand gänzlich, wie groß er auch sein mochte, hinter dem Vorhang, den die Schößlinge und die Zweige der Weiden bildeten.

Die Sonne senkte sich gegen Westen, und schon warf der Blätter- und Pflanzengürtel ein wenig Schatten, der sich über den ganzen Raum der Insel verlängerte. Unter dem Einfluß der Kühle des eben entstandenen Schattens und den Ausdünstungen des Flusses schlief Fabian, auf der Erde liegend. Bois-Rosé schien diesen kostbaren Schlaf zu überwachen, dem er sich nach den Beschwerden eines langen Tagesmarsches und mitten unter stets sich wieder erneuernden Gefahren in aller Hast überlassen hatte. Pepe suchte Erfrischung, indem er seine Beine im Wasser badete.

Wir wollen den augenblicklichen Schlaf Fabians nützen, um den Schleier aufzuheben, unter dem der junge Graf vor den Augen seiner beiden Freunde seine geheimsten und teuersten Gedanken verbarg.

In dem Augenblick, als Fabian in den Gießbach stürzte, hatte Pepe vergessen, daß der Feind, dem er Rache geschworen hatte, seinem Haß entging. Der Kanadier und er hatten nur daran gedacht, Fabian schnell zu Hilfe zu kommen. Als das Leben in ihn zurückkehrte, war sein Herz noch zerrissen von der Erzählung des früheren Grenzjägers, und seine erste Bewegung bestand darin, eine abgebrochene Verfolgung wiederaufzunehmen. Die Eroberung des Val d'Or, die stets lebende Erinnerung an Doña Rosarita waren einen Augenblick vor der gebieterischen Notwendigkeit, seine Mutter zu rächen, zurückgetreten. Pepe seinerseits war nicht der Mann, auf den Eid, den er geschworen hatte, zu verzichten. Was Bois-Rosé anlangt, so hatte er seine ganze Liebe auf seine beiden Gefährten übertragen und wäre ihnen bis ans Ende der Welt gefolgt.

Weit davon entfernt, durch diese augenblickliche Schlappe den Mut zu verlieren, hatte diese ihren Eifer nur noch mehr angespornt. In der Liebe wie im Haß sind die Hindernisse immer ein mächtiger Sporn bei Gemütern von kräftigem Schlag. Nach und nach war in dieser Verfolgung ein doppeltes Ziel vor Fabians Augen getreten. Er näherte sich durch diese dem Val d'Or, das in der Steppe lag, in die Don Antonio eben eindrang, und belebte zugleich eine unbestimmte Hoffnung: Vielleicht war die Goldmine, deren Geheimnis ihm entdeckt war, die gleiche wie diejenige, die die durch den Herzog von Armada geführte Expedition in Besitz nehmen wollte. Bei ruhiger Überlegung sagte sich nun Fabian, daß die Tochter Don Agustins sich ohne Zweifel nur den ehrgeizigen Plänen ihres Vaters fügte und daß es ihm, von edler Geburt und reich, ein leichtes sein würde, den Sieg über einen Nebenbuhler wie den Senator Tragaduros davonzutragen.

Aber nach und nach war auch die Mutlosigkeit zurückgekehrt und hatte sich Fabians bemächtigt. Er liebte die Tochter des Hacenderos mit allen Kräften, von ganzem Herzen. Er hätte lieber das Herz Rosaritas allein besessen, als daß er ihre Person und nicht ihre Liebe mit dieser gekauft hätte, und das Bewußtsein, diese Liebe nur den Schätzen, denen er nachjagte, zu verdanken, hatte die Mutlosigkeit bei ihm hervorgebracht, deren Opfer er geworden war.

Fabian hatte ebensogut begriffen, daß die glühende und eifersüchtige Liebe des Kanadiers ihn zum Mittelpunkt seines Lebens gemacht hatte; daß Bois-Rosé, der wie alle seine Genossen, die Waldläufer, dem zivilisierten Leben für immer entsagt hatte, ähnlich dem Adler, der sein Junges der Hand des Menschen entreißt, um es auf seinen Horst zu tragen, der ihm nur allein zugänglich ist, aus ihm seinen unzertrennlichen Gefährten in der Steppe machen wollte und daß es hieß, einen Trauerschleier über die Zukunft des alten Mannes zu werfen, wenn er in dieser Hoffnung getäuscht würde. Indessen hatte noch keinerlei vertrauliche Besprechung über ihre zukünftigen Pläne zwischen Fabian und Bois-Rosé stattgefunden. Aber einer – wie er glaubte – hoffnungslosen Liebe gegenüber hatte Fabian den glühenden, wenn auch geheimen Wünschen des Mannes, der zwei Jahre hindurch Vaterstelle bei ihm vertreten hatte und dem eine Trennung das Herz brechen mußte, großmütig und stillschweigend seine Wünsche und Hoffnungen, die sich noch gegen den Tod stemmten, zum Opfer gebracht.

Wir könnten mit einem Wort die Lage Fabians, der sozusagen nur die Hand auszustrecken brauchte, um Güter, die jedermann beneidet – Reichtum, Titel, Ehren – in Besitz zu nehmen, mit nichts besser vergleichen als mit dem Zustand eines Mannes, dessen Leben durch eine unglückliche Liebe allen Reiz verloren hat, der die Zukunft verschmäht und in einem Kloster Vergessen der Vergangenheit sucht. Für Fabian de Mediana war die Steppe dieses Kloster; und hatte er erst Rache für seine Mutter genommen, so blieb ihm nichts mehr übrig, als sich für immer darin zu begraben. Die Einöde mit ihren geheimnisvollen Stimmen; mit den glühenden Betrachtungen, die sie weckt; mit den endlosen Aufregungen, in die sie stürzt, ist nur ein trauriges und wirkungsloses Heilmittel für eine Leidenschaft, die die Einsamkeit selbst so tief in dem jungen Herzen Fabians entwickelt hatte.

Eine einzige Hoffnung blieb ihm: nämlich daß mitten unter den stets wiederkehrenden Gefahren eines abenteuerlichen Lebens der Tag vielleicht nicht fern war, wo er sein Leben in irgendeinem Zusammentreffen mit den Indianern oder bei einem verzweifelten Unternehmen verlor, das er gegen den Mörder seiner Mutter versuchen würde.

Er hatte vor dem Kanadier sorgfältig die Liebe verborgen gehalten, die noch in der Tiefe seines Herzens begraben lag, und nur in dem Schweigen der Nächte wagte Fabian, während er wachte, zuweilen verstohlene Blicke in die geheimen Falten seines Herzens zu werfen. Dann erhob sich wie der strahlende Widerschein, den der Verbannte am Horizont eines dunklen Himmels über den großen Städten bemerkt, von denen er scheiden muß, vor den Augen Fabians ein ferner Glanz in der unermeßlichen Steppe und zeigte ihm ein ewig strahlendes Bild in jener Maueröffnung der Hacienda, an die sich seine letzten Erinnerungen knüpften. Oder wie die dumpfe Stimme eines Mannes, den man lebendig begraben hat, vom Lärm des Tages erschreckt wird, so sprach Fabians vergeblich bekämpfte Liebe leise in sein Ohr, während diese Nächte voll banger, trauriger Klagen langsam vergingen.

Am Tag jedoch suchte der heroische junge Mann unter einer anscheinenden Ruhe die Melancholie zu verbergen, die ihn verzehrte. Er begnügte sich, mit trauriger Ergebung bei den Plänen für die Zukunft zu lächeln, die der Kanadier zuweilen vor ihm aufzurollen nicht unterließ. Dieser fühlte sich glücklich, den wiedergefunden zu haben, und zitterte, den noch einmal zu verlieren, dessen Hand eines Tages seine Augen zudrücken sollte, wenn er sich zu einem ewigen Schlaf in diesen Steppen niederlegte, in denen sein Leben verlaufen mußte.

Die blinde Zärtlichkeit Bois-Rosés ahnte nicht den Abgrund auf der ruhigen Oberfläche des Sees. Pepe allein schien klarer zu sehen. Unter dem Eindruck solcher Gedanken begegnen wir den drei Gefährten auf der Insel des Flusses Gila wieder.

»Gewiß«, sagte der spanische Jäger, »würden die Einwohner von Madrid einen Wasserstrom wie diesen hier im Manzanares teuer bezahlen; aber es ist auch nicht weniger gewiß, daß wir hier einen ganzen Tag verlieren, der nützlicher hätte angewandt werden können, wenn wir uns dem Val d'Or genähert hätten, von dem wir zur Zeit nicht mehr fern sein können.«

»Ich gebe es zu«, antwortete Bois-Rosé, »aber das Kind« – und mit diesen Worten meinte er den kraftvollen jungen Mann, der unter seinen Augen schlief– »ist nicht so wie wir daran gewöhnt, lange Tagemärsche zu Fuß zu machen; und obgleich sechzig Meilen in zwölf Tagen für uns keine Anstrengung sind, so bedeuten doch für ihn sechzig Meilen schon etwas, da er niemals weite Strecken anders als zu Pferd zurückgelegt hat. Aber er wird noch kein Jahr bei uns sein, so ist er imstande, ebenso lange zu marschieren, als wir selbst es nur vermögen.«

Pepe konnte sich nicht enthalten, bei dieser Antwort des Kanadiers zu lächeln; aber dieser bemerkte es nicht, und der frühere Grenzjäger fuhr fort, mit den Füßen im kühlen Flußwasser zu plätschern. »Sieh nur«, sagte der Spanier, indem er auf den schlafenden Fabian zeigte, wie sehr sich der arme Junge seit wenigen Tagen verändert hat. Ich finde es ganz begreiflich; als ich mich in seinem Alter befand, hätte ich das einfachste hübsche Gesichtchen einer Manola und die Puerta del Sol zu Madrid allen Herrlichkeiten der Steppe vorgezogen. Die Anstrengung allein hat diese Veränderung bei ihm nicht hervorgebracht. Es steckt ein Geheimnis dahinter, das der junge Mann uns nicht sagt!« Aber ich werde es eines Tages erfahren, schloß Pepe in Gedanken. Bei diesen Worten wandte der Kanadier lebhaft sein Gesicht nach seinem heißgeliebten Kind, und ein freudiges Lächeln verjagte die Wolke, die plötzlich seine Stirn umlagert hatte.

Fabian lächelte wirklich; er träumte, daß er vor Rosarita kniete und ihrer süßen Stimme lauschte, die ihm von ihrer Angst während seiner langen Abwesenheit erzählte, und daß hinter ihm, auf seine Büchse gestützt, Bois-Rosé sie beide segnend betrachtete. – Aber es war nur ein Traum.

Die beiden Jäger waren einen Augenblick still und betrachteten den schlafenden Fabian.

»Das ist also der letzte Sprößling der Mediana«, sagte der Spanier seufzend.

»Was gehen uns jetzt die Mediana und ihr mächtiges Geschlecht an?« unterbrach ihn der Kanadier. »Ich kenne hier nur ganz einfach Fabian. Als ich ihn gerettet, als ich mich so seiner angenommen habe, als wäre er ein Knabe von meinem eigenen Blut gewesen, habe ich da etwa nach seinen Ahnen gefragt?«

»Du wirst ihn aufwecken, wenn du in solchem Ton sprichst; deine Stimme rauscht wie ein Wasserfall«, sagte Pepe. »Das ist wahr!«

Und der Riese fuhr mit leiserem Ton fort: »Du willst mich immer an Dinge erinnern, die ich gar nicht zu wissen wünschte oder die ich wenigstens vergessen möchte. Ich weiß gewiß, daß einige Jahre in der Steppe ihn daran gewöhnen werden ...«

»Du bildest dir wahrhaftig sonderbare Dinge ein, Bois-Rosé«, unterbrach ihn seinerseits der Spanier, »wenn du meinst, daß mit den Hoffnungen, die Don Fabian in Spanien erwarten, und mit den Rechten, die er dort wieder in Anspruch nehmen kann, dieser junge Mann sich entscheiden sollte, sein ganzes Leben in den Steppen zuzubringen. Das ist gut genug für uns, die wir weder Haus noch Hof haben; aber er ...«

»Wie denn? Ist nicht die Steppe den Städten vorzuziehen?« antwortete lebhaft der frühere Matrose, der es sich vergeblich auszureden suchte, daß der Spanier recht hatte. »Ich nehme es auf mich, ihn über die Vorzüge eines unsteten Lebens vor einer sitzenden Lebensart aufzuklären. Ist nicht der Mensch geboren, um sein ganzes Leben hindurch zu kämpfen und die mächtigen Aufregungen der Steppe zu empfinden?«

»Ganz gewiß ist es so«, sagte Pepe ernsthaft; »darum sind auch die Städte so öde und die Steppen so volkreich!«

»Scherze nicht; ich spreche von ernsten Dingen«, antwortete der Kanadier. »Ich lasse Fabian vollkommene Freiheit, seinen Neigungen zu folgen, aber ich werde es schon dahin bringen, daß er dieses berauschende Leben von Mühseligkeiten und Gefahren lieben lernt. Sieh nur einmal: Ist nicht ein solcher in aller Eile in der Mitte von zwei Gefahren in der Steppe genossener Schlaf demjenigen vorzuziehen, den man nach einem sicher durchlebten, müßigen Tag in den Städten genießt? Würdest du wohl selbst, Pepe, einwilligen, jetzt in dein Vaterland zurückzukehren, nachdem du die Reize eines unsteten Daseins schätzen gelernt hast?«

»Es gibt zwischen dem Erben der Mediana – und ich nehme es auf mich, ihn seinen Onkel beerben zu lassen, ehe es noch Zeit dazu ist – und dem früheren Grenzjäger einen wesentlichen Unterschied. Ihm wird man schöne Besitzungen, einen großen Namen, ein schönes gotisches Schloß mit Türmchen, verziert wie die Kathedrale von Burgos, zurückgeben; während man sich beeilen würde, mich wieder nach Ceuta zu schicken, um Thunfische zu angeln, was wohl das abscheulichste Leben ist, das ich kenne. Ich hätte dann nur eine Aussicht, ihm zu entgehen: nämlich eines schönen Morgens in Tunis oder in Tetuan als Sklave unserer Nachbarn, der Mauren Afrikas, zu erwachen. Es ist wahr, ich habe hier täglich die Aussicht, von den Indianern skalpiert oder lebendig von ihnen geschunden zu werden, was mich viel eher zu der Behauptung brächte, daß die Städte ebenso gefährlich für mich sind wie die Steppen; aber für Don Fabian ...«

»Fabian hat immer in der Einöde gelebt«, unterbrach ihn der Kanadier, »und ich denke, er wird die Ruhe der Steppe dem Lärm der Städte vorziehen. Wie schweigend und feierlich ist nicht alles um uns! Sieh nur das Kind an« – er zeigte mit der Hand auf den schlafenden jungen Mann –, »es schläft sanft, eingewiegt vom Murmeln des Flusses, der dies kleine Eiland bespült, oder vom Lufthauch, der leise durch die Weiden rauscht. Sieh dort unten den Nebel« – und er zeigte auf den Horizont –, »den die Sonne zu färben beginnt; sieh die grenzenlose, unermeßliche Ebene, die der Mensch in seiner ursprünglichen Freiheit durchstreift wie der Vogel, der durch die Luftregionen schwebt!«

Der Spanier schüttelte das Haupt mit zweifelnder Miene, obgleich er von Herzen die Ansichten des Kanadiers teilte, da auch für ihn das umherschweifende Leben durch die Gewöhnung daran mit einem geheimen Zauber erfüllt war. »Sieh«, fuhr der alte Jäger fort; »diese Staubwolke, die sich am Ufer des Flusses erhebt, ist ein Haufe wilder Pferde, die ihren Durst löschen wollen, ehe sie für die Nacht ihren fernen Weideplatz wieder aufsuchen. Sieh doch, wie sie sich in der ganzen stolzen Schönheit nähern, die Gott den Tieren in der Freiheit gegeben hat! Das Auge glüht, die roten Nüstern sind weit geöffnet, die Mähne flattert durch die Luft! Ach, ich habe Lust, Fabian aufzuwecken, damit er sie sehe und bewundere ...«

»Laß ihn schlafen, Bois-Rosé! Vielleicht verleiht ihm sein Schlaf Träume, wie man sie in seinem Alter hat; anmutigere Erscheinungen, als ihm jemals die Steppe vorführen wird; Erscheinungen, an denen unsere Städte in Spanien reich sind auf den Balkonen oder hinter den vergitterten Fenstern.«

Der alte Jäger seufzte. »Indessen«, fügte er hinzu, »ist dies auch ein schöner Anblick! Ach, wie diese edlen Tiere vor Freude im Rausch ihrer Freiheit umherspringen!«

»Ja, bis zu dem Augenblick, wo die Indianer Jagd auf sie machen und sie dann vor Schreck fortrasen werden.«

»Da stürmen sie hin, schnell wie die Wolke, die der Wind vor sich hertreibt«, fuhr der Kanadier fort, der noch gegen seine eigene Überzeugung kämpfte. »Jetzt ändert sich die Szene. Halt! Siehst du den Hirsch, der von Zeit zu Zeit seine großen, leuchtenden Augen und sein schwarzes Maul in den Zwischenräumen der Bäume zeigt? Er wittert in der Luft, er lauscht. Ach, da kommt er ebenfalls, um zu trinken. Er hat Geräusch gehört, er hebt den Kopf empor; könnte man nicht sagen, daß diese Wasserfäden, die aus seinem Maul herabträufeln, flüssiges Gold sind, wenn die Sonne sie so glänzend färbt? Gewiß, ich werde das Kind wecken.«

»Laß ihn schlafen, sage ich dir; vielleicht zeigt ihm jetzt ein Traum statt dieses schönen Tieres schwarze Augen und lächelnde Rosenlippen hinter den Weiden oder irgendeine am Rand eines klaren Baches schlafende Nymphe gleich der dem Strauß entfallenen und im Gras vergessenen Blume.«

Der alte Kanadier seufzte abermals. »Ist dieser Hirsch nicht auch das Sinnbild unbegrenzter Unabhängigkeit?«

»Bis zu dem Augenblick, wo die Wölfe sich sammeln, um ihn zu verfolgen und zu zerreißen. Vielleicht würde er in unseren Tiergärten mehr Aussicht auf ein langes Leben haben. Jedes Ding zu seiner Zeit, Bois-Rosé: Das reife Alter liebt die Stille, die Jugend hat nur fröhliche Träume mitten im Lärm.«

Die Täuschung kämpfte bei Bois-Rosé noch gegen die Wirklichkeit. Das ist der Tropfen Galle, den Gott in jede Schale voll Glück träufelt: Er will nicht, daß es eine vollkommene Glückseligkeit gäbe, es würde uns sonst zu schwer werden, zu sterben; wie er ebensowenig das Unglück ohne Entschädigung dafür will, es würde uns sonst schwer werden, zu leben.

Der Kanadier senkte nachdenklich das Haupt auf seine Brust und warf, in traurige Träumereien versenkt, nur dann und wann einen verstohlenen Blick auf seinen schlafenden Ziehsohn, während Pepe wieder seine Halbstiefel aus Büffelhaut anzog.

»Ei sieh doch! Was sagte ich dir? Hörst du nicht dieses ferne Geheul? Ich wollte sagen dieses Bellen; denn jagende Wölfe bellen wie Hunde. Armer Hirsch! Er ist wahrlich, wie du sagtest, das Sinnbild des Lebens in der Steppe!«

»Soll ich diesmal Fabian aufwecken?« fragte der Kanadier mit triumphierender Miene.

»Ja, gewiß«, erwiderte der Spanier; »denn wenn seine Träume so gewesen sind, wie ich vermute, so ist, nachdem man von der Liebe geträumt hat, der Anblick einer schönen Jagd das sehenswerteste Schauspiel für einen großen Herrn, wie er es künftig sein wird; und gewiß wird er selten etwas Ähnliches sehen.«

»Das heißt, er wird in keiner Stadt etwas Ähnliches sehen!« rief der Kanadier ganz begeistert. »Solche Szenen werden ihm Liebe zur Steppe einflößen.« Und der alte Jäger rüttelte sanft den jungen Mann, nachdem er ihn schon vorher gerufen hatte, um ihm selbst ein plötzliches Auffahren beim Erwachen zu ersparen.

Das Geweih tief auf dem Rücken, den Hals geschwellt, den Kopf zurückgeworfen, um leichter durch die weit geöffneten Nüstern die seinen weiten Lungen nötige Luft einatmen zu können, floh der Hirsch wie ein Pfeil durch die unermeßliche Ebene; hinter ihm lief eine heißhungrige Schar von Wölfen – die einen weiß, die meisten aber schwarz – und verfolgte ihn mit der Schnelligkeit von Kanonenkugeln, die von einer Fläche abprallen.

Der Hirsch war ihnen sehr weit voraus; aber auf den Sanddünen, die die Savanne bedeckten und sich fast mit dem Horizont vereinigten, konnte das scharfe Auge eines Jägers andere, als Wachen aufgestellte Wölfe unterscheiden, die die Anstrengungen ihrer Gefährten, ihnen den Hirsch zuzutreiben, beobachteten. Das edle Tier schien sie nicht zu sehen oder ihre Gegenwart nicht zu beachten, denn es floh immer nach dieser Richtung hin.

Als er sich den Schildwachen, die ihm den Weg versperrten, bis auf eine gewisse Entfernung genähert hatte, stand der Hirsch einen Augenblick still. In der Tat war er durch einen Kreis von Feinden, der immer enger um ihn wurde, eingeschlossen, und er stand still, um ein wenig Atem zu schöpfen.

Plötzlich machte er kehrt, lief den Wölfen entgegen, die ihn in ihren Hinterhalt jagten, und versuchte eine äußerste und letzte Anstrengung, um diese Schar von Feinden zu durchbrechen. Aber er konnte über diesen Haufen heulender Köpfe nicht hinwegsetzen und fiel mitten unter seine Verfolger. Einige rollten zertreten unter seine Füße, zwei oder drei von ihnen beschrieben mit aufgeschlitztem Leib einen Kreis in der Luft. Dann näherte sich das arme Tier, an dessen Sprunggelenk sich ein Wolf festgebissen hatte, mit blutigen Weichen und heraushängender Zunge dem Rand des Flusses, gerade den drei Zuschauern dieser sonderbaren Jagd gegenüber.

»Das ist schön, das ist prächtig!« rief Fabian, indem er in die Hände klatschte und von jenem Jagdeifer fortgerissen wurde, der das zarte Gefühl in den Herzen fast aller Menschen schweigen läßt.

»Ist das nicht schön?« sagte seinerseits der alte Kanadier, ganz glücklich über die Freude Fabians und selbst glücklich in seiner Jagdlust. »Wohlan, mein Sohn, wir werden noch vieles andere der Art sehen. Du siehst hier nur die ärmliche Seite der Steppen Amerikas; wenn du aber erst mit Pepe und mir am Ufer der großen Ströme und der großen Seen des Nordens sein wirst...«

»Der Hirsch hat sich eben von seinem Feind befreit«, unterbrach ihn Fabian, »und wird sich in den Fluß stürzen!«

Das Wasser brauste und schäumte beim Sprung des Hirsches; hinter ihm schäumte und brauste es noch zehnmal; dann sah man aus den schäumenden Fluten den Kopf und das Geweih des Hirsches und die Köpfe der Wölfe auftauchen, die ihn gierig mit blutunterlaufenen Augen, heulend vor Hunger und Lüsternheit, verfolgten, während die anderen, die Furchtsamen, wie toll am Ufer hinrannten und ein klägliches Bellen hören ließen.

Der Hirsch war nicht mehr weit von der Insel entfernt, auf der sich die Zuschauer seines Todeskampfes befanden, als die am Ufer zurückgebliebenen Wölfe plötzlich zu bellen aufhörten, um bestürzt die Flucht zu ergreifen. »Nun? Was ist das?« fragte Pepe. »Woher kommt dieser panische Schrecken?«

Der gewesene Grenzsoldat hatte seine Frage noch nicht beendet, als das Schauspiel, das sich plötzlich seinen Augen darbot, selbst die Antwort darauf gab.

»Bückt euch! Bückt euch! Um Gottes willen nieder hinter das Schilf!« sagte er, indem er mit gutem Beispiel voranging. »Die Indianer jagen ebenfalls!«

In der Tat erschienen jetzt furchtbarere Jäger auf diesem weiten Tummelplatz, der allen, die in diese herrenlosen Steppen kamen, offenstand.

Etwa zwölf von den wilden Pferden, die der Kanadier und Pepe ihren Durst löschen gesehen hatten, galoppierten bestürzt durch die Ebene. Indianische Reiter, die ohne Sattel auf ihren Pferden saßen, um diese schneller zu machen, und die Knie fast bis zum Kinn heraufgezogen hatten, um ihnen ganz freien Lauf zu lassen, sprengten hinter den erschreckten Tieren her. Anfänglich waren nur drei Indianer zu sehen; aber nach und nach tauchten beinahe zwanzig an der Grenze des Horizonts empor. Die einen waren mit Lanzen bewaffnet, andere wiederum ließen ihre Lassos aus geflochtenem Leder durch die Luft kreisen; alle aber stießen jenes Geheul aus, wodurch sie ihre Freude oder ihren Zorn kundgeben.

Pepe warf einen fragenden Blick auf den Kanadier, wie um ihn zu fragen, ob er auch so schreckliche Aussichten berechnet hätte, um Fabian ihre abenteuerliche Lebensweise angenehm zu machen. Zum erstenmal in einem solchen Augenblick war die Stirn des unerschrockenen Jägers von einer tödlichen Blässe bedeckt. Ein düsterer, aber beredter Blick war die Antwort Bois-Rosés auf die stumme Frage des Spaniers.

Das heißt, dachte Pepe, daß eine zu große Liebe im Herzen des mutigsten Mannes ihn für den zittern läßt, den er mehr als sein Leben liebt, und daß Abenteurer, wie wir es sind, durch nichts an die Welt gefesselt sein dürfen. Ein Beispiel ist Bois-Rosé, der schwach wird wie ein Weib.

Indessen war es beinahe gewiß, daß selbst das so geübte Auge eines Indianers ihren geheimen Zufluchtsort nicht durchdringen konnte. Die drei Jäger beobachteten also, nachdem die erste Unruhe vorüber war, die Bewegungen der Indianer mit kälterem Blut. Einen Augenblick noch verfolgten die wilden Reiter die flüchtigen Pferde.

Die zahllosen Hindernisse, mit denen diese anscheinend so gleichen Ebenen besät sind – nämlich Schluchten, Hügel, Kakteen mit scharfen Spitzen –, konnten sie nicht aufhalten. Ohne sich nur die Mühe zu geben, ihren ungestümen Ritt zu mäßigen oder diese Hindernisse zu umgehen, setzten die indianischen Krieger mit einer Kühnheit, die vor nichts zurückbebte, darüber hinweg. Fabian betrachtete, da er selbst ein tollkühner Reiter war, die Kunststückchen dieser unerschrockenen Jäger mit Enthusiasmus; doch bewirkten die Vorsichtsmaßnahmen, die die drei Freunde zu treffen genötigt waren, um sich dem Auge der Indianer zu entziehen, daß ihnen ein Teil des großartigen und zugleich schrecklichen Schaupiels einer indianischen Jagd entging, deren Gegenstand man leicht selbst werden kann.

Diese weiten, eben noch so öden Savannen hatten sich plötzlich in eine Szene voll Verwirrung und Lärm verwandelt. Der halb zu Tode gejagte Hirsch, der gezwungen war, das Ufer wieder zu ersteigen, setzte seine windschnelle Flucht fort, während die durch ihre Anstrengungen gierig gemachten Wölfe ihn heulend verfolgten. Die wilden Pferde flohen vor den Indianern, deren Geheul dem der reißenden Tiere nichts nachgab, und beschrieben weite Kreise, um der Lanze oder dem Lasso zu entgehen. Zahlreiche Echos wiederholten das Bellen der Wölfe und das verwirrende, schreckliche Geheul der Apachen.

Beim Anblick Fabians, der mit funkelndem Auge all diesen geräuschvollen Bewegungen folgte, ohne, wie es schien, sich über die Gefahr zu beunruhigen, der er zum erstenmal gegenüberstand, rief Bois-Rosé vergeblich sein Selbstvertrauen zurück, das ihn wohlbehalten aus drohenderen Gefahren als dieser hier gerettet hatte, zumal sie sich nicht sorgen mußten, so leicht entdeckt zu werden. »Ach«, begann er, »das sind Szenen, wie sie die Bewohner der Städte niemals sehen werden. Nur in der Steppe begegnet man ihnen!« Aber seine Stimme zitterte wider seinen Willen, und er schwieg. Er fühlte recht gut, daß er ein Jahr seines Lebens darum gegeben hätte, wenn sein Kind nicht Zeuge davon zu sein brauchte. Eine Ursache zu noch größeren Befürchtungen vermehrte bald noch seine Angst.

Ohne sich äußerlich zu verändern, wurde die Szene noch ernster; ein neuer Spieler – ein Spieler, dessen Rolle kurz, aber schrecklich sein sollte – war eben aufgetreten. Es war ein Reiter, den die drei Freunde an seinem Anzug schaudernd als einen Weißen erkannten, für einen Christen wie sie selbst. Der Unglückliche, der plötzlich bei einer Schwenkung der indianischen Jagd entdeckt wurde, war nun seinerseits Gegenstand einer ausschließlichen Verfolgung geworden. Die wilden Pferde, die Wölfe, der Hirsch waren im fernen Nebel verschwunden. Es blieben nur noch zwanzig auf allen Punkten eines unermeßlichen Umkreises zerstreute Reiter zurück, in deren Mitte sich der Weiße zu Pferd befand. Einen Augenblick konnte man ihn, allein unter so vielen Feinden, einen Blick verzweiflungsvoller Angst nach allen Punkten des Horizonts werfen sehen. Aber überall waren Indianer – die Seite nach dem Fluß hin ausgenommen. Diese einzige Richtung war noch freigelassen, und hierhin mußte er fliehen; er warf also sein Pferd ungestüm herum in Richtung der Baumgruppe, die sich der Insel gegenüber erhob. Aber der kurze Augenblick, während dessen er unentschlossen stehengeblieben war, war für die Indianer genug gewesen; sie hatten sich schon näher zusammengezogen.

»Der Unglückliche ist verloren, wie er es auch anfangen mag«, sagte Bois-Rosé; »es ist nun zu spät, durch den Fluß zu schwimmen.«

»Bois-Rosé, Pepe«, rief Fabian, »wenn wir einen Christen retten können, sollen wir ihn dann vor unseren Augen ermorden lassen?«

Pepe befragte Bois-Rosé mit einem Blick.

»Ich bin Gott für dein Leben verantwortlich«, sagte der Kanadier feierlich; »das könnte es nicht mehr sein, wenn wir entdeckt würden; wir sind nur drei gegen zwanzig. Das Leben von drei Männern – das deine besonders, Fabian – ist mehr wert als das eines einzigen; wir müssen das Schicksal dieses armen Teufels sich erfüllen lassen.«

»Aber wir sind ja gedeckt!« fuhr der edelmütige Fabian fort.

»Wir sind gedeckt?« erwiderte Bois-Rosé. »Nennst du diesen schwachen Wall von Weiden, Rohr und Schilf eine gedeckte Stellung? Denkst du, daß diese Blätter undurchdringlich für die Kugeln sind? Und dann sind diese Indianer jetzt zwanzig an der Zahl; sobald eine Kugel aus unserer Büchse einen dieser roten Dämonen zu Boden gestreckt hat, wirst du bald hundert anstatt zwanzig erblicken! Gott verzeihe mir meine Härte, aber sie ist notwendig!«

Fabian bestand diesem letzten Grund gegenüber nicht mehr auf seiner Meinung. Er war nur zu wahrscheinlich, und Fabian wußte nicht, daß der Hauptteil der Indianerschar sich dem Lager der Weißen zugewandt hatte.

Während dieser Zeit floh der Weiße wie ein Mann, der als letztes Hilfsmittel nur noch die Schnelligkeit seines Pferdes kennt. Er wandte sich nach der in der Baumgruppe der schwimmenden Insel gegenüber befindlichen Öffnung. Schon konnte man den Ausdruck seiner schreckensbleichen Züge bemerken. Er war nur noch zwanzig Schritt vom Fluß, als der Lasso eines Indianers auf ihn niederfiel und der Unglückliche das Gleichgewicht verlor, heftig aus dem Sattel und auf den Sand geschleudert wurde. »Nun? Was ist das?« fragte Pepe. »Woher kommt dieser panische Schrecken?«

Der gewesene Grenzsoldat hatte seine Frage noch nicht beendet, als das Schauspiel, das sich plötzlich seinen Augen darbot, selbst die Antwort darauf gab.

»Bückt euch! Bückt euch! Um Gottes willen nieder hinter das Schilf!« sagte er, indem er mit gutem Beispiel voranging. »Die Indianer jagen ebenfalls!«

In der Tat erschienen jetzt furchtbarere Jäger auf diesem weiten Tummelplatz, der allen, die in diese herrenlosen Steppen kamen, offenstand.

Etwa zwölf von den wilden Pferden, die der Kanadier und Pepe ihren Durst löschen gesehen hatten, galoppierten bestürzt durch die Ebene. Indianische Reiter, die ohne Sattel auf ihren Pferden saßen, um diese schneller zu machen, und die Knie fast bis zum Kinn heraufgezogen hatten, um ihnen ganz freien Lauf zu lassen, sprengten hinter den erschreckten Tieren her. Anfänglich waren nur drei Indianer zu sehen; aber nach und nach tauchten beinahe zwanzig an der Grenze des Horizonts empor. Die einen waren mit Lanzen bewaffnet, andere wiederum ließen ihre Lassos aus geflochtenem Leder durch die Luft kreisen; alle aber stießen jenes Geheul aus, wodurch sie ihre Freude oder ihren Zorn kundgeben.

Pepe warf einen fragenden Blick auf den Kanadier, wie um ihn zu fragen, ob er auch so schreckliche Aussichten berechnet hätte, um Fabian ihre abenteuerliche Lebensweise angenehm zu machen. Zum erstenmal in einem solchen Augenblick war die Stirn des unerschrockenen Jägers von einer tödlichen Blässe bedeckt. Ein düsterer, aber beredter Blick war die Antwort Bois-Rosés auf die stumme Frage des Spaniers.

Das heißt, dachte Pepe, daß eine zu große Liebe im Herzen des mutigsten Mannes ihn für den zittern läßt, den er mehr als sein Leben liebt, und daß Abenteurer, wie wir es sind, durch nichts an die Welt gefesselt sein dürfen. Ein Beispiel ist Bois-Rosé, der schwach wird wie ein Weib.

Indessen war es beinahe gewiß, daß selbst das so geübte Auge eines Indianers ihren geheimen Zufluchtsort nicht durchdringen konnte. Die drei Jäger beobachteten also, nachdem die erste Unruhe vorüber war, die Bewegungen der Indianer mit kälterem Blut. Einen Augenblick noch verfolgten die wilden Reiter die flüchtigen Pferde.

Die zahllosen Hindernisse, mit denen diese anscheinend so gleichen Ebenen besät sind – nämlich Schluchten, Hügel, Kakteen mit scharfen Spitzen –, konnten sie nicht aufhalten. Ohne sich nur die Mühe zu geben, ihren ungestümen Ritt zu mäßigen oder diese Hindernisse zu umgehen, setzten die indianischen Krieger mit einer Kühnheit, die vor nichts zurückbebte, darüber hinweg. Fabian betrachtete, da er selbst ein tollkühner Reiter war, die Kunststückchen dieser unerschrockenen Jäger mit Enthusiasmus; doch bewirkten die Vorsichtsmaßnahmen, die die drei Freunde zu treffen genötigt waren, um sich dem Auge der Indianer zu entziehen, daß ihnen ein Teil des großartigen und zugleich schrecklichen Schauspiels einer indianischen Jagd entging, deren Gegenstand man leicht selbst werden kann.

Diese weiten, eben noch so öden Savannen hatten sich plötzlich in eine Szene voll Verwirrung und Lärm verwandelt. Der halb zu Tode gejagte Hirsch, der gezwungen war, das Ufer wieder zu ersteigen, setzte seine windschnelle Flucht fort, während die durch ihre Anstrengungen gierig gemachten Wölfe ihn heulend verfolgten. Die wilden Pferde flohen vor den Indianern, deren Geheul dem der reißenden Tiere nichts nachgab, und beschrieben weite Kreise, um der Lanze oder dem Lasso zu entgehen. Zahlreiche Echos wiederholten das Bellen der Wölfe und das verwirrende, schreckliche Geheul der Apachen.

Beim Anblick Fabians, der mit funkelndem Auge all diesen geräuschvollen Bewegungen folgte, ohne, wie es schien, sich über die Gefahr zu beunruhigen, der er zum erstenmal gegenüberstand, rief Bois-Rosé vergeblich sein Selbstvertrauen zurück, das ihn wohlbehalten aus drohenderen Gefahren als dieser hier gerettet hatte, zumal sie sich nicht sorgen mußten, so leicht entdeckt zu werden. »Ach«, begann er, »das sind Szenen, wie sie die Bewohner der Städte niemals sehen werden. Nur in der Steppe begegnet man ihnen!« Aber seine Stimme zitterte wider seinen Willen, und er schwieg. Er fühlte recht gut, daß er ein Jahr seines Lebens darum gegeben hätte, wenn sein Kind nicht Zeuge davon zu sein brauchte. Eine Ursache zu noch größeren Befürchtungen vermehrte bald noch seine Angst.

Ohne sich äußerlich zu verändern, wurde die Szene noch ernster; ein neuer Spieler – ein Spieler, dessen Rolle kurz, aber schrecklich sein sollte – war eben aufgetreten. Es war ein Reiter, den die drei Freunde an seinem Anzug schaudernd als einen Weißen erkannten, für einen Christen wie sie selbst. Der Unglückliche, der plötzlich bei einer Schwenkung der indianischen Jagd entdeckt wurde, war nun seinerseits Gegenstand einer ausschließlichen Verfolgung geworden. Die wilden Pferde, die Wölfe, der Hirsch waren im fernen Nebel verschwunden. Es blieben nur noch zwanzig auf allen Punkten eines unermeßlichen Umkreises zerstreute Reiter zurück, in deren Mitte sich der Weiße zu Pferd befand. Einen Augenblick konnte man ihn, allein unter so vielen Feinden, einen Blick verzweiflungsvoller Angst nach allen Punkten des Horizonts werfen sehen. Aber überall waren Indianer – die Seite nach dem Fluß hin ausgenommen. Diese einzige Richtung war noch freigelassen, und hierhin mußte er fliehen; er warf also sein Pferd ungestüm herum in Richtung der Baumgruppe, die sich der Insel gegenüber erhob.

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»Was sollen wir diesem Hund antworten?« sagte Bois-Rosé.

»Nichts«, erwiderte Pepe lakonisch.

Wirklich war auch der Windhauch, der im Schilf des Flusses säuselte, die einzige Antwort, die der indianische Häuptling erhielt.

Der Schwarze Falke begann abermals: »Der Adler kann seine Spur in der Luft dem Auge eines Apachen verbergen; der Lachs, der den Wasserfall hinaufschwimmt, läßt keine Furche hinter sich zurück; aber ein Weißer, der die Steppe durchstreift, ist weder ein Adler noch ein Lachs!«

»Ein Vogel ebensowenig«, murmelte Pepe der Schläfer; »und nur ein Vogel könnte sich jetzt verraten, wenn er anfinge zu singen.«

Der Indianer horchte abermals; aber die Antwort des Spaniers war nicht gegeben, um bis zu ihm zu gelangen.

»Die weißen Krieger des Nordens«, fing der Schwarze Falke wieder an, ohne die Geduld zu verlieren, »sind nur ihrer drei« – und er betonte das Zahlwort, um seinen Zuhörern recht begreiflich zu machen, daß er ihre Anzahl ebensogut wie ihre Stellung wisse –, »sie sind nur ihrer drei gegen zwanzig, und die roten Krieger verpfänden ihr Wort, ihre Freunde und Verbündeten zu sein!«

»Aha«, sagte der Kanadier leise zu Pepe; »zu welcher Verräterei mag uns der Indianer wohl gebrauchen wollen?«

»Lassen wir es ihn sagen, und wir werden es erfahren«, antwortete Pepe; »er ist noch nicht zu Ende, oder ich müßte mich sehr täuschen.«

»Wenn die weißen Krieger die Absichten des Schwarzen Falken kennenlernen wollen, so mögen sie aus ihrem Versteck hervorkommen!« fuhr der Apachenhäuptling fort. »Sie werden sie kennenlernen: Die weißen Männer aus dem Norden sind die Feinde derer aus dem Süden; ihre Sprache, ihr Gott sind nicht dieselben. Die Apachen halten in ihren Krallen ein ganzes Lager von Kriegern aus dem Süden.«

»Die Goldsucher werden einen schlechten Augenblick haben«, sagte Bois-Rosé.

»Wenn die Krieger aus dem Norden ihre langen Büchsen mit gezogenem Lauf mit denen der Indianer vereinigen wollen, so sollen sie mit diesen die Skalpe, die Schätze, die Pferde der Männer aus dem Süden teilen; und die Indianer und die Weißen werden um die Leichname ihrer Feinde tanzen.«

Bois-Rosé und Pepe sahen sich mit Erstaunen an. Auch Fabian wußte durch ihre Übersetzung, daß man ihnen ein Bündnis vorschlug, das ihr Gewissen zurückwies; und ihre leuchtenden Augen, der verächtliche Ausdruck ihrer Züge bewiesen, daß die drei edelmütigen Männer in diesem Punkt ganz einer Ansicht waren: nämlich lieber zu sterben als den Indianern zu einem Triumph selbst über ihre Todfeinde zu verhelfen.

»Hört ihr den Ungläubigen?« sagte Bois-Rosé, den seine Entrüstung fortriß, mit einem in der indianischen Sprache gebräuchlichen Bild. »Er hält Jaguare für Schakale. Ach, wenn Fabian nicht hier wäre«, schloß er ganz leise, »so würde die Kugel aus einem guten gezogenen Lauf meine Antwort überbringen.«

Unterdessen verlor der Indianer keineswegs die Überzeugung von der Gegenwart der Jäger auf der Insel; er fing indessen an, die Geduld zu verlieren, denn die Befehle der Häuptlinge im Kriegs rat waren entscheidend. Diese Befehle lauteten, die Weißen anzugreifen; aber wir haben schon gesagt, daß der indianische Diplomat sich seine eigene Politik gemacht hatte, die er zur Geltung bringen wollte. Er wußte, daß die Kugel eines Amerikaners oder eines Kanadiers niemals ihr Ziel verfehlt; und wie groß auch die Anzahl der Mexikaner sein mochte – die Verbündeten aus dem Norden schienen ihm nicht verschmäht werden zu müssen. Er hatte also versucht, sie für seine Sache zu gewinnen.

»Der Büffel der Steppe«, begann er abermals, »ist nicht leichter zu verfolgen als die Spur eines Weißen. Die Fährte des Büffels sagt dem Indianer, wie alt er ist; ob er fett oder mager ist; wohin er seinen Lauf richtet und sogar, wann er vorbeigezogen ist. Es befindet sich also hinter dem Schilf der schwimmenden Wiege ein Mann, stark wie ein Bison und größer als die längste Büchse; bei ihm sind ein Krieger von einer Rasse, die aus dem Süden und dem Norden gemischt ist, und ein junger Krieger aus der reinen Rasse des Südens. Aber das Bündnis der beiden letzteren mit dem ersteren beweist, daß sie Feinde der Weißen aus dem Süden sind; denn die Schwachen suchen die Freundschaft der Starken, und deren Streitsache ist immer die ihrige.«

»Der Scharfsinn dieser Hunde ist bewunderungswürdig«, sagte Bois-Rosé zu Pepe.

»Das denkst du, weil sie dir schmeicheln«, erwiderte der frühere Grenzsoldat, dessen Eigenliebe etwas verletzt schien.

»Ich warte auf die Antwort der Weißen!« begann der Schwarze Falke wieder. Und er lauschte. »Ich höre nur«, fuhr er fort, »das Rauschen des Stromes, das Wehen des Windes, der mir sagt: Die Weißen bilden sich tausend Irrtümer ein; sie glauben, daß der Indianer seine Augen hinten im Nacken habe, daß die Spur des Bisons unsichtbar ist, daß Schilfbüsche undurchdringlich für die Kugeln sind. Der Schwarze Falke spottet über die Antwort des Windes.«

»Aha«, sagte Pepe, »der Indianer spricht seine wahre Sprache; es war gar nicht so abgeschmackt, Verbündete, wie wir sind, aufzusuchen.«

»Ach«, sagte der Kanadier, »wären wir doch zwei Meilen weiter oben in den Fluß gestiegen!«

»Ein verschmähter Freund«, fuhr der indianische Häuptling spruchreich fort, »wird ein schrecklicher Feind.« »Wir sagen etwas Ähnliches bei uns«, fügte Pepe mit leiser Stimme hinzu:

»Ni pastel recalentado, Ni amigo reconciliado.«

Zu gleicher Zeit machte der Schwarze Falke dem Gefangenen ein Zeichen, zu ihm zu kommen. Dieser näherte sich. Der Häuptling zeigte ihm das Eiland mit dem Finger und bezeichnete ihm den Raum zwischen zwei Schilfbüscheln.

»Wird die Büchse des Bleichgesichts« – es war dies bei dem Indianer keine Anspielung auf die bleifarbige Blässe, die die Stirn des Unglücklichen bedeckte, sondern es ist eine gewöhnliche Bezeichnung der Hautfarbe der Weißen– »wohl eine Kugel in den Zwischenraum senden können, der jenes lange Schilf dort unten voneinander trennt?«

Aber der Gefangene hatte nur wenig von dem Spanischen verstanden, das dem indianischen Dialekt beigemischt war, und blieb stumm und zitternd stehen. Darauf sagte der Schwarze Falke einige Worte zu einem seiner Krieger, der dem Weißen die Büchse zurückgab, die man ihm genommen hatte; dann machte er endlich durch Gebärden dem Gefangenen begreiflich, was er von ihm verlangte. Der unglückliche Goldsucher zielte; aber der Schrecken ließ seine Glieder zittern, und seine Büchse schwankte in seiner Hand von der rechten zur linken Seite, von oben nach unten.

»Der arme Junge wird nicht einmal die Insel treffen«, sagte Pepe sorglos; »und wenn der Indianer kein besseres Mittel hat, uns zum Sprechen zu bringen, so will ich sicherlich bis morgen kein Wort reden.«

Der Weiße gab Feuer, und wirklich schlug die Kugel, die von seinen zitternden Händen abgesandt war, pfeifend einige Zoll diesseits der Insel ins Wasser.

Der Schwarze Falke machte eine Gebärde der Verachtung; dann wandte er sich um und ließ sein Auge rings umherschweifen.

»Jawohl!« sagte Pepe. »Suche nur Pulver und Kugeln unter den Lanzen und Lassos deiner Krieger!«

Als der gewesene Grenzjäger diesen tröstlichen Gedanken ausgesprochen hatte, kehrten die fünf Reiter, die sich auf Befehl des Häuptlings entfernt hatten, auf ihren wieder gesattelten Pferden zurück, selbst für den Kampf von Kopf bis zu den Füßen bewaffnet, mit Büchsen oder Köchern, die von Pfeilen strotzten. Sie hatten nur ihre Waffen wieder geholt, die sie abgelegt hatten, um ungehindert die wilden Pferde zu jagen. Fünf andere Krieger entfernten sich ihrerseits.

»Das verschlimmert sich«, sagte Bois-Rosé traurig. »Ob wir sie angreifen, solange ihrer nicht mehr als fünfzehn sind?« fragte Pepe. »Nein«, erwiderte der Kanadier, »bleiben wir stumm und still; der Indianer zweifelt noch, ob wir hier sind oder nicht.«

»Wie du willst!« Und Pepe blickte wieder durch den Raum zwischen den Baumstämmen.

Der Indianerhäuptling hatte selbst seine Büchse genommen und näherte sich abermals dem Ufer. »Die Hand des Schwarzen Falken zittert nicht wie das dürre Gras vor dem Wind«, sagte der Indianer, der seine Büchse hob und sie mit dem Lauf gerade nach der Insel in seinen kräftigen Händen festhielt. »Aber ehe er Feuer gibt«, fuhr er fort, »wird der Indianer die Antwort der auf dem Eiland verborgenen Weißen erwarten; er wird bis hundert zählen!«

»Leg dich hinter mich, Fabian«, sagte Bois-Rosé.

»Ich bleibe hier!« sagte Fabian mit entschlossener Miene. »Ich bin viel jünger, und mir kommt es zu, mich für dich der Gefahr auszusetzen.«

»Mein Kind«, sagte der Kanadier, »siehst du denn nicht, daß mein Körper in allen Punkten den deinigen überragt? Das hieße also den Kugeln der Indianer ein doppeltes Ziel darbieten!« Ohne auch nur einen einzigen von den Schilfstengeln, die die grüne Einfassung rings um die Insel bildeten, erzittern zu lassen, kam der Kanadier herbei und kniete vor Fabian nieder.

»Laßt alles mit Euch machen, Fabian«, sagte Pepe ruhig. »Niemals hat ein Mann einen besseren Schild gehabt als das Herz dieses Riesen, das nur um Euretwillen vor Furcht klopft.«

Der Häuptling lauschte zählend, die Büchse im Anschlag; aber nur das Wasser murmelte leise, indem es das Schilf vor seinen Füßen niederbog; nur ein warmer Lufthauch wehte über den Fluß – sonst herrschte überall tiefes Schweigen nah und fern.

Der Schwarze Falke gab Feuer, und Rohrstücke flogen in die Luft; aber die drei Jäger lagen einer hinter dem anderen auf den Knien, ohne ein breites Ziel darzubieten; die Kugel fuhr also pfeifend an ihnen vorüber.

Der Schwarze Falke ließ noch eine Minute vergehen, dann rief er wieder mit lauter Stimme: »Der Indianer hat sich getäuscht; er sieht seinen Irrtum ein und wird die weißen Krieger anderswo suchen.«

»Glaube das und trink Wasser dazu!« sagte Pepe. »Der Hund ist seiner Sache sicherer als je. Der Versucher wird uns endlich einige ruhige Minuten gönnen, bis er mit dem armen Teufel dort ein Ende gemacht hat; und das wird nicht lange dauern, denn der Tod eines Weißen ist ein Schauspiel, das ein Indianer eiligst zu genießen sucht.«

»Aber ist es jetzt nicht an der Zeit, einen Versuch zur Rettung dieses Unglücklichen, dem ein schrecklicher Tod bevorsteht, zu machen?« fragte Fabian.

Bois-Rosé befragte seinerseits seinen Gefährten mit einem Blick und antwortete: »Wir sagen nicht nein; aber unterdessen hoffe ich immer noch, daß irgendein unerwartetes Ereignis uns zu Hilfe kommt. Was auch Pepe dazu sagen mag – dieser Indianer kann immer noch seiner Sache nicht gewiß sein; zeigen wir uns aber, so wird er nicht mehr zweifeln.« Er wurde nachdenklich. »Ein Bündnis mit diesen Dämonen anzunehmen – selbst gegen Don Estévan – würde eine gemeine Feigheit sein. Was sollen wir tun? ... Was sollen wir tun? ...« fügte er unentschlossen hinzu.

Noch eine andere Besorgnis quälte ihn. Er hatte Fabian in der Gefahr gesehen, als sein Blut siedete unter der Glut der Leidenschaft. Besaß aber Fabian auch wohl den kalten, unbewegten Mut, der dem Tod trotzt, ohne aufgeregt zu werden? Besaß er jenen stoischen Gleichmut, von dem der Spanier und er, Bois-Rosé, tausend Proben gegeben hatten? Der Kanadier faßte einen plötzlichen Entschluß.

»Höre, Fabian, wirst du die Sprache eines Mannes verstehen? Werden die Worte, die durch die Ohren in dein Herz dringen, es nicht erstarren lassen?«

»Warum an meinem Mut zweifeln?« erwiderte Fabian im Ton sanften Vorwurfs. »Was du auch sagen magst, ich werde es hören, ohne zu erbleichen; was du auch tun magst, ich werde es tun, ohne zu zittern.«

»Don Fabian hat recht, Pepe!« sagte der Kanadier. »Sieh nur, wie stolz sein Auge seine einfache Sprache Lügen straft!« Und im Ausbruch seiner Freude drückte er Fabian an seine Brust und begann dann wieder mit einer gewissen Feierlichkeit: »Niemals haben sich drei Männer in einer größeren Gefahr befunden, als diejenige ist, die uns bedroht; unsere Feinde sind siebenmal stärker als wir. Wenn jeder von uns sechs Krieger getötet hat, so wird immer noch eine Anzahl übrigbleiben, die der unseren fast gleichkommt ...«

»Wir haben es schon gekonnt!« unterbrach ihn Pepe.

»Gut«, erwiderte Bois-Rosé; »was aber auch folgen möge – diese Dämonen sollen uns wenigstens nicht lebendig fangen. Laß hören, Fabian«, fügte der alte Mann mit einer Stimme hinzu, die nach Festigkeit rang, und entblößte zugleich ein langes breites Messer mit hornenem Griff. »Wenn wir kein Pulver mehr hätten und ohne Munition der Willkür dieser Hunde preisgegeben wären, was würdest du sagen, wenn in dem Augenblick, wo wir in ihre Hände fallen, dieser Dolch in meiner Hand die einzige Rettung wäre?«

»Ich würde sagen: ›Stoß zu, mein Vater; laß uns zusammen sterben!‹«

»Ja, ja«, sagte der Kanadier mit einem unaussprechlich zärtlichen Blick auf den Sprechenden, der ihn seinen Vater nannte, »das wäre noch ein Mittel, uns nicht mehr zu verlassen.« Und er reichte Fabian seine vor Aufregung zitternde Hand, der diese Hand eines Helden ehrerbietig küßte. Das Auge des Kanadiers leuchtete von einer stolzen Zärtlichkeit. »Jetzt«, sagte er, »mag kommen, was da will; wir werden uns nicht mehr trennen. Gott wird helfen – wir wollen die Rettung dieses Unglücklichen versuchen.«

»Ans Werk also!« sagte Fabian.

»Noch nicht, noch nicht, mein Kind; wir wollen erst sehen, was diese roten Dämonen mit ihrem Gefangenen vorhaben.«

Während dieses Gesprächs hatten die Indianer den Gefangenen herbeigeholt, ohne ihn jedoch am freien Gebrauch seiner Glieder zu hindern. In einer Entfernung von zwei Büchsenschüssen vom Ufer waren sie in einer geraden Linie aufgestellt. Der Weiße befand sich eine kurze Strecke diesseits seiner in gerader Linie stehenden Henker.

»Ich sehe, was sie tun wollen«, sagte Bois-Rosé; »so gut, als wäre ich bei ihrer Beratung zugegen gewesen. Sie wollen prüfen, ob die Füße des Unglücklichen fester sind als seine Hand. Diese Dämonen wollen sich das Vergnügen eines Wettlaufs machen.«

»Wieso?« fragte Fabian.

»Sie werden dem Gefangenen einen kleinen Vorsprung lassen, dann nimmt jeder auf ein gegebenes Zeichen seinen Anlauf. Die Indianer verfolgen ihn nun mit der Lanze oder der Streitaxt in der Hand. Wenn der Weiße schnellfüßig ist, so wird er eher als sie an den Fluß kommen, und wir wollen ihm dann zurufen, zu uns herüberzuschwimmen.

Einige Büchsenschüsse werden ihn beschützen, und er wird wohl und gesund auf die Insel gelangen. Das übrige ist unsere Sache. Wenn ihm aber seine Füße vor Schreck den Dienst versagen, wie es eben mit seiner zitternden Hand der Fall war, so wird der erste Indianer, der ihn einholt, seinen Kopf mit der Streitaxt zerschmettern oder ihn mit einem Lanzenstoß durchbohren. In jedem Fall wollen wir unser Bestes tun.«

In diesem Augenblick kamen die fünf Indianer, die sich entfernt hatten, ebenso wie ihre Vorgänger von Kopf bis zu den Füßen bewaffnet, zurück. Die zuletzt Gekommenen traten zu den übrigen.

Fabian preßte heftig den Lauf seiner Büchse und warf einen Blick innigen Mitleids auf den unglücklichen Weißen, der mit verstörten Augen und schreckentstellten Zügen in einer fürchterlichen Angst wartete, daß von dem indianischen Häuptling das Zeichen gegeben würde. Es war ein feierlicher Augenblick, denn die Menschenjagd sollte beginnen.

Auf dem Eiland wie auf der Ebene erwartete jedermann das Zeichen mit tiefer Beklommenheit, als der Schwarze Falke eine Gebärde mit der Hand machte, um den Augenblick der Eröffnung dieser schändlichen Jagd noch zu verzögern. Diese Gebärde war leicht zu begreifen. Mit dem Finger zeigte er auf die nackten Füße seiner Krieger und dann auf die Halbstiefel aus Korduanleder, die die Füße des Weißen bedeckten. Man sah nun, wie der Weiße sich auf den Sand niedersetzte und langsam und zögernd, um vielleicht noch einige Minuten zu gewinnen, sich seiner Fußbekleidung entledigte.

»Die Hunde! Die Dämonen!« sagte Fabian. Aber Bois-Rosé legte die Hand auf seinen Mund. »Still!« sagte er. »Nimm diesem Unglücklichen nicht, indem du dich zu früh zeigst, die letzte Aussicht, sein Leben zu retten; nämlich unseren Schutz im Bereich unserer Büchsen.«

Fabian begriff und schloß die Augen, um das schreckliche Schauspiel nicht zu sehen, das vor ihm aufgeführt werden sollte.

Endlich stand der Weiße zum zweitenmal aufrecht; die Indianer hatten den Fuß vorgestreckt und verschlangen ihn mit ihren Blicken. Der Schwarze Falke klatschte in die Hände.

Man könnte das Geheul, das auf dieses Signal folgte, nur mit dem Brüllen einer Schar Jaguare vergleichen, die auf eine Herde Damwild Jagd machen. Der unglückliche Gefangene schien die Füße des Hirsches zu haben, aber seine Verfolger setzten ihm wie jagende Tiger nach. Infolge des Vorsprungs, den er erhalten hatte, durcheilte der Gefangene wohlbehalten einen Teil der Entfernung, die ihn vom Ufer des Flusses trennte. Aber die Kieselsteine zerrissen seine Füße, und die scharfen Spitzen der Nopals, von denen sie durchbohrt wurden, ließen ihn bald hin und her schwanken.

Nichtsdestoweniger hatte er immer noch einigen Vorsprung, als einer der Indianer einen Sprung bis zu ihm machte und einen wütenden Stoß mit der Lanze auf den Läufer richtete. Die Waffe fuhr zwischen Arm und Leib hindurch; der Indianer verlor durch die Kraft seines verfehlten Stoßes das Gleichgewicht und stürzte unsanft in den Sand.

Gayferos – man erinnert sich, daß sein Name so lautete – schien einen Augenblick ungewiß zu sein, ob er die der Hand des gefallenen Indianers entschlüpfte Lanze aufraffen solle oder nicht. Dann ließ der Instinkt der Selbsterhaltung ihn seinen Lauf wieder fortsetzen. Dieses Zögern war ihm verderblich.

Die drei Jäger verfolgten, die Büchse im Anschlag, mit ängstlichen Augen die verschiedenen Aussichten auf den Erfolg des Kampfes eines einzelnen gegen zwanzig Feinde. Plötzlich blitzte mitten in der Staubwolke, die sich bei diesem verzweifelten Rennen erhoben hatte, eine Streitaxt über dem Haupt des unglücklichen Gayferos, der nun seinerseits zu Boden stürzte und durch seinen Fall beinahe bis ans Ufer geschleudert wurde.

Der Kanadier wollte Feuer geben; nur die Furcht allein, den zu töten, den er verteidigen wollte, hielt seinen Finger am Drücker fest. Einen Augenblick – einen einzigen Augenblick – öffnete der Wind die Staubwolke. Bois-Rosé gab Feuer – aber es war zu spät; der Indianer, den die Kugel des Jägers niederstreckte, schwang in der Hand den blutigen Skalp des unglücklichen Gefangenen, der verstümmelt am Ufer lag.

Auf diesen unerwarteten Schuß, dem ein vom Kanadier und vom Spanier zu gleicher Zeit ausgestoßener Kriegsruf folgte, antwortete das Geheul sämtlicher Indianer. Die Apachen zogen sich von dem zurück, der nur noch ein Leichnam zu sein schien. Bald jedoch sah man, wie der vermeintliche Tote sich blutend mit nacktem Schädel erhob, zwei Schritte vorwärts taumelte und, von dem herabströmenden Blut geblendet, erschöpft wieder hinstürzte.

Der kanadische Jäger bebte vor Entrüstung. »Ach«, sagte er, »wenn ihm noch ein Funke von Leben bleibt; wenn er nur skalpiert ist – denn man stirbt nicht davon –, so wollen wir ihn noch retten! Gott sei mein Zeuge!«


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