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V.
Die Buß- und Geissel-Fahrten während der Jahre 1334 und 1340.

Der Dominikanermönch Venturinus von Bergamo wurde der Urheber dieser neuen Bewegung in den obern und mittleren Provinzen. Eine zahllose Menge von Menschen, durch die schwärmerische Beredsamkeit dahingerissen, mit welcher er die Nothwendigkeit der Buße darthat, sammelte sich unter sein Banner. Die allgemeine Verwirrung und das große Elend auf der Halbinsel beförderte sein Unternehmen. Das beispiellos-liederliche Leben der Päpste zu Avignon und das durch ihr Beispiel auch anderwärts überhand nehmende Sittenverderbniß riefen einen grellen Gegensatz strengster Tugenden und Bußübungen hervor. Er vollbrachte Wunder von Bekehrung unter den frevelhaftesten und sündenvollsten Menschen. Bergamo war der Mittelpunkt, von dem der beschlossene Geißelzug ausgieng.

In lange Kutten von weißer Farbe gehüllt, mit einer Kappe, die bis auf die Kniee reichte, bedeckt, mit weißen Strümpfen und ledernen Halbstiefeln, auf dem Stirnband das Zeichen J. H. S., auf der Brust eine weiße Taube mit dem Oelzweige des Friedens im Schnabel, in der Rechten einen Pilgerstab, in der Linken ein Paternoster, zogen sie aus, in kleinen Schaaren von je zwei Büßende und ein dreizehnter schloß den Zug. Er trug auf seinem Stabe ein kleines Kreuz mit dem Bilde der Mutter Gottes und dem Jesuskinde auf der einen, und der heil. Martha auf der andern Seite. Sie durchwanderten also die Lombardei und Toscana; vor Rom erst stand die Masse still. Nicht überall wurden sie gleich freundlich aufgenommen; am meisten war man vor ihnen auf der Hut in befestigten Plätzen; denn viele, von Andacht weniger durchdrungene, muthmaßten hinter der scheinbaren Buße einen verrätherischen Plan und ein Condottieri-Unternehmen, wie denn zu jener Zeit überhaupt sowohl Anarchie als Tyrannei kein Mittel verschmähten, um zu ihren Zwecken zu gelangen. In allen, dem heil. Dominikus geheiligten Kirchen, welche die Bußpilger auf dem Zuge berührten, nahmen sie Geisselungen in angedeuteter Weise vor. Sie machten in Florenz das meiste Glück. Die kraftvollen Predigten Venturins übten eine magische Gewalt; Wunder gab es während der Fahrt in Menge. Venturin verstand sein Geschäft gut.

Aber auch die Römer erwiesen dem heil. Manne so große Ehrenbezeugungen, daß er, um den Teufelsstricken der Eitelkeit zu entgehen, heimlich sich flüchtete. Nachdem jedoch der erste Andachtsrausch vorüber, fingen die Spöttereien und Verläumdungen gegen ihn zu wirken an. In Avignon fand er schlechte Aufnahme. Die Stimmung und der Lebenswandel des heil. Vaters waren nicht von der Art, daß eine Erscheinung wie diese, große Freude erregen konnte. Sogar in Untersuchung wegen Ketzerei und allerlei Sünde gerieth Venturin; die schlimmste Ketzerei und Sünde hatte er wohl damit begangen, daß er den Papst, welcher statt zu Rom, gleich dem heil. Petrus und den übrigen Päpsten, die Kirche zu regieren, in Avignon hause, für einen unwürdigen Nachfolger Christi erklärte. Man verbot ihm daher von Seite der Kurie die Predigten und Geisselfahrten. Auch in anderen Gegenden hatte er viele Drangsale zu bestehen. Des Lebens müde, starb er zu Smyrna (1346) auf einem Kreuzzuge, an welchem Theil zu nehmen der Papst Clemens IV. ihm ohne Schwierigkeit erlaubt hatte. Der sittliche Geist, welchen Venturin seinen Jüngern eingehaucht, hatte die Probe nicht für lange Zeit und kaum unter einem Zehntheile bestanden. Die große Mehrzahl blieb liederliches Volk nach wie vor, und fast alles kehrte bald nach seinem Tode zur alten Lebensweise zurück.

Interessanter erschien die von einem schönen Mädchen, das für die Tugend selbst galt, in Oberitalien gestiftete Scola vom Jahr 1340. Ihr Mittelpunkt war Cremona; über 10,000 Menschen strömten zu frommen Bußübungen dahin. Als aber der Bischof die Sache näher untersuchte, ergab es sich, daß die angebliche Heilige die Konkubine eines Priesters sei, dessen politische Absichten gleich gefährlich, als die Sitten verderblich schienen. Man warf das mißbrauchte Geschöpf in Ketten und dachte ihr bereits den Scheiterhaufen zu; als die Herren des Hauses Gonzaga sich zu ihren Rittern aufwarfen und sie wieder in Freiheit setzten. Vermuthlich wollten sie mit ihrer Hülfe politische Absichten durchsetzen, oder hatte ihre große Schönheit andere Gefühle in ihnen geweckt.


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