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Unter allen Schriftstellern, welche der herrschenden Schwärmerei das Wort redeten und dieselbe mit Abquälung eines sonst trefflichen und einer bessern Sache würdigen Talentes, in eine Art System brachten, erwarb sich der spanische Dominikanermönch Vicente de Ferrer aus Valencia den größten Ruf. Seine Autorität und seine Zeugnisse waren eine mächtige Stütze für die Flagellanten als freiwillige Bußübung. Denn die reichen Kenntnisse und die wunderbaren Predigergaben, welche ihm zu Gebot standen sowie seine Kunst, auf die Gemüther der Menge durch psychologische Reizmittel einzuwirken, hatten ihm selbst gelehrte Stellen und bedeutende Kirchenämter verschafft; überdieß besaß er das ganze Vertrauen Benedikts XIII. (Pedro de Luna) welcher den zwei übrigen Päpsten gleich, die mit ihm das Schisma in der Kirche herbeigeführt, von Spanien aus, sich als Statthalter Christi geltend machte. Als Benedikt nach seiner Residenz Avignon reiste, nahm er Vencenzius mit sich als Beichtvater und Magister sacri Palatii.
In seinem bisherigen Leben hatte er die unerbittlichste Strenge gegen seinen Körper ausgeübt und fast jede Nacht mit Stricken sich gegeisselt oder von Andern sich geisseln lassen, wenn Krankheit seine Kräfte gelähmt. Diese überstrengen Bußübungen waren es aber gerade, die seinen Körper endlich völlig und auch die Phantasie und den Verstand theilweise zerrütteten. In einem hitzigen Fieber glaubte er sich von Christo unmittelbar zu einem neuen Predigtamte und zu dem Auftrage berufen, die in Sünden versunkene Menschheit durch Bußfertigkeit und harte Buße wieder empor zu richten. Er nahm vom Papste seinen Abschied und ward in seiner Würde als apostolischer Prediger und als Legat a latere mit unbeschränkten Vollmachten bestätigt und versehen. (1367 oder 1396.)
Er durchzog jetzt eine Menge Länder, zumal diejenigen, welche durch das unglückliche Schisma am meisten gelitten, bekehrte Ketzer, (Waldenser, Katharer) Mauren, Heiden, gab den Königen Rathschläge und suchte in Unterredungen mit Fürsten und Prälaten, die Einheit in der Kirche zu vermitteln. In dieser Hinsicht war seine schwärmerische Mission eine höchst edle und wohlthätige zu nennen. Auch in Konstanz erschien er und trug dem Konzilium seine Dienste an. An vielen Orten soll er auf freiem Felde gepredigt und allerlei Wunder verrichtet haben. Endlich, nach Ostern 1417 beschloß er sein Leben zu Vannes, wohin er auf Einladung des Herzogs Jean, gezogen war, nicht ohne ruhmvolle Erinnerungen in der Bretagne, wie in der Normandie, hinterlassen zu haben.
Auf diesen seinen missionarischen Wanderungen hatte er sich mit einer Art geistlichem Rathe, bestehend aus fünf ergebenen und von seinem Sinne durchdrungenen Mönchen seines Ordens umgeben. Sie leiteten seine Bekehrungs- und Versöhnungs- so wie die jederzeit damit verknüpften Bußakte. Unter dem Spiel von Orgeln, die man dem Zuge nachtrug, unter Absingung von Psalmen und andern Liedern, so er selbst verfaßt, endlich unter Hersagung von Gebeten geisselten sich die Reuigen auf die entblösten Schultern, zum Andenken an Christi Schmach und zur Erwirkung von Gnade für ihre begangenen Sünden. Bei der Geisselung, die zu jeder Jahreszeit und bei jeder Witterung, vorgenommen wurde, herrschte Polizei und Regelmäßigkeit. Laien und Priester, Männer und Weiber waren von einander abgesondert, so daß keine Versuchung zur Unsittlichkeit aus den Akten entstehen konnte. Man zählte unter den Bußanhängern seiner Mission nicht weniger denn 40,000 öffentliche Sünder, Mörder, Räuber, Diebe und Huren. Alle diese geisselten sich gemüthlich wieder zur Tugend heran.
Solche fromme Anstalt des heil. Vincentius stand mit der der Bianchi's so ziemlich in Verbindung und die beiden unterstützten sich gegenseitig. Allein der ehrwürdige Apostel war noch während seines Lebens auf einen Widerstand gestoßen, den er sich nicht geträumt, und welcher ihm die letzten paar Jahre außerordentlich trübte. Das Konzilium von Konstanz hatte, aus allerlei nichtigen Gründen gegen den Flagellantismus sich erklärt und die Strenge der in Deutschland gegen die Geißler angewendeten Maßregeln wirkte nachtheilig auf das Institut der Vicentisten und Bianchi's in den romanischen Ländern herüber. Vor allem aber schadete seinem Einfluß das Auftreten des berühmten Theologen, Kononisten und Moralisten, Johann Gersons, der als Kanzler der Universität Paris eine hohe Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft einnahm, und als Mann von anerkannter Frömmigkeit und Sittenstrenge über allen Verdacht von Schlaffheit im Glauben und Moral erhaben dastand.
Gerson, gemeinschaftlich mit dem Kardinal Peter von Combray, lud Ferrer in einem freundlichen Briefe zu einem Besuche nach Konstanz ein und ermahnte ihn zugleich auf eine schonende Weise, sein bisheriges Protektorat des Flagellantismus aufzugeben.
Der berühmte Gelehrte anerkannte in diesem Briefe die großen Eigenschaften des Verstandes und des Herzens, welche Vincentius auszeichneten, die vielen Kenntnisse, welche ihn schmückten und die zahlreichen Verdienste, welche er um Glauben und Kirchthum sich erworben; aber er setzte ihm auch das Nachtheilige und Verderbliche jener öffentlichen Geißlerschwärme auseinander, sowie die Reihe von Unordnungen, welche daraus für Einheit der Lehre und der Disciplin der Kirche entstünden.
Vincentius nahm die ihm gemachten Lobsprüche dankbar an, erschien aber nicht in Konstanz, sondern setzte sein Geschäft fort, wie sonst. Darauf reichte Gerson der Kirchenversammlung eine überaus merkwürdige Schrift über das Flagellantenwesen, mit besonderer Beziehung auf Vincenzius v. Ferrer und seine Anhänger, ein. Alles darin war mit schlagenden Gründen und mit vielen Beweisstellen aus der heil. Schrift und den Kirchenvätern belegt Dieselbe folgt in den Beilagen.. Die Kirchenversammlung sprach sich ganz im Geiste Gersons aus, wiewohl dieser von vielen Zeloten falsch verstanden wurde und es an Vorwürfen, Verdächtigungen und Verläumdungen keineswegs fehlte. Doch bildete Gerson in geistlicher Hinsicht eine überlegene Autorität gegen Ferrer, so daß dieser doch zuletzt ihr weichen mußte Bei diesen, wie bei einigen frühern Rubriken, die eigentlichen Geißlersekten des Mittelalters betreffend, ist, in Benützung der übrigen, von uns lange zuvor ebenfalls gesammelten Quellen über die Thatsachen, Förstemann, welcher hauptsächlich aus Schöttgen, de Secta Flagellant. geschöpft hat, unser Wegweiser gewesen..