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XXV.
Maria Magdalena von Pazzi.

Einer höchst merkwürdigen Erscheinung aus dem 16. Jahrhunderte, welche unter die Rubrick der Karmeliter gehört, haben wir zu erwähnen vergessen und tragen daher hier am Schlusse unserer Uebersicht der Mönchsdisciplin sie nach.

Magdalena de Pazzi, geboren im J. 1566 zu Florenz, aus jener, durch den Kampf mit den Medicäern so berühmten Familie, hatte schon im 10. Jahre alle Grade von körperlichen Abtödtungen versucht. Sie ließ sich ein Bett aus alten Säcken bereiten und geisselte sich zu verschiedenen Tagszeiten. Nicht selten holte sie weiße, stachlichte Zweige von wilden Orangen, band sich dieselben um die Schläfe und brachte also die Nacht unter fürchterlichen Schmerzen zu. Bisweilen gebrauchte sie solche auch statt eines Gürtels.

Im 17. Jahre begab sie sich in das Kloster der heiligen Engel von St. Friaus, Karmeliter-Ordens. Hier überschüttete sie der Himmel mit Gnade und Erleuchtung; mit Gaben der Weissage und der Wunder.

Sie schwang sich auf eine Stufe von Bußfertigkeit und Demuth, welche Staunen erregte. Jeden Augenblick stürtzte sie zu den Füßen ihrer Schwestern und küßte sie; oder sie ging im Refektorium herum und bettelte um ein Almosen. Ihre größte Herzensfreude war, wenn die Mutter Priorin ihr die Hände auf den Rücken binden ließ und in Gegenwart sämmtlicher Schwestern mit eigener Hand sie mit Ruthen auf die entblößten Lenden geisselte. Einst bat sie eine Nonne, sie mit einem Stricke zu binden, ihr die Augen mit dem Schnupftuch zu verhüllen und in solcher Stellung sie an das Gitter des Altars zu befestigen, damit man sie für toll halten möchte.

Niemals war sie im Winter wärmer gekleidet, als im Sommer. Ihr Rock war aus Flecken und Lumpen zusammengesetzt; ihre Hände und Füße beständig braun gefroren. Sie schlief immer nur auf der bloßen Erde und gab sich alle Nacht eine derbe Disciplin, entweder mit eigener Hand, oder durch die Hand einer ihrer Schwestern. In dem Gelübde der Armuth beobachtete sie die ungewöhnlichste Gewissenhaftigkeit. Eines Tages, als ihr die Priorin etwas Seide gegeben hatte, um ihr Kleid damit auszubessern, und sie hintennach fand, es sey gerade nicht durchaus nöthig gewesen, so gerieth sie schon in die bitterste Angst, eine schwere Sünde gegen das Gelübde der Armuth begangen zu haben; sie brachte der Oberin die Seide zurück, bat sich eine Pönitenz aus und dankte Jesu Christo, daß er sie nicht auf der Stelle mit einem schnellen Tode bestrafte. Sie fühlte eine unsägliche Bekümmerniß darüber, daß ihr nichts fehlte, ob ihr gleich in der That alles mangelte; ja sie weinte bisweilen heftig und beklagte ihren Unstern, ein Gelübde abgelegt zu haben, welches sie, ihrer Ansicht nach, nicht zu halten im Stande sei.

Wenige Heilige wird man finden, die so wunderbare und so häufige Entzückungen gehabt. Die erste ward ihr gleich nach der Kommunion, 40 Tage nach der Profeßablegung, zu Theil. »O Liebe!« – schrie sie darin unter Anderm – »wie soll ich deine unendlichen, deine herrlichen Eigenschaften genug loben! O Liebe! o Liebe! wenn du willst wiedergeliebt sein, so gieb dich mir selbst!« Einen dieser vierzig Tage brachte sie ganze sechzehn Stunden damit zu, daß sie unaufhörlich das Kruzifix in der Hand hielt, und über das Leiden Christi Betrachtungen anstellte. Im Geiste sah sie die Martern alle, eine nach der andern, welche der göttliche Erlöser erduldete, um die Menschen zu retten.

Dieser Anblick rührte ihr ganzes Herz so sehr, daß ihre beiden Augen Thränenquellen wurden; sie vergoß einen solchen Strom davon, daß ihr Bett förmlich naß wurde, als hätte man es in's Wasser getaucht; endlich sank sie in Ohnmacht; man spürte gar keine Bewegung mehr an ihr; ihr Gesicht wurde blaß und todtenfarbig, und jeden Augenblick erwartete man ihre Auflösung.

An einem andern Tage erlebte Maria Magdalena während ihrer Ekstase das Glück, Gott selbst mit klaren Augen zu sehen. Sie meldet darüber: ich kann es nicht recht sagen, ob ich todt oder lebendig war, ob ich noch einen Körper hatte, oder blos Geist war; ob ich mich noch auf Erden oder bereits im Himmel befand. Kurz, ich schauete Gott in seiner ureigenen Herrlichkeit und Schöne. Ich sah eine vollkommene Einheit in einer Dreifaltigkeit, einen Gott voll unendlicher Milde, Barmherzigkeit und Güte. Doch sah ich sonst gar nichts als Gott und auch mich selbst nur allein in Gott. Diese Seligkeit dauerte wohl ungefähr eine Stunde; da vernahm ich eine Stimme, die mit den Worten des Apostels mir zurief: Kein Auge hat es gesehen, kein Ohr gehört, und in keines Menschen Herz ist es gedrungen, was der Herr denen bereitet hat, welche ihn lieben.

Noch ein andermal, ebenfalls nach der Kommunion, als sie von der Entzückung wieder zu sich gekommen, sagte sie: ich sah während meines Zustandes, wie die vereinigende Liebe mich auf eine unzertrennliche Weise mit dem heiligen Jesus verbunden hatte. Er hat mir anbefohlen, der göttliche Bräutigam, unaufhörlich über die Verblendung der irdischen Kreaturen zu weinen und zu girren, gleich einer traurigen Turteltaube.

Diesen ersten himmlischen Gaben folgten bald andere nach. Im Jahre 1585, den Abend vor Mariä Verkündigung, als Magdalena über das Geheimniß der Menschwerdung nachdachte, und namentlich in ihrer Andacht sehr lange bei der Stelle verweilte: »Und das Wort ist Fleisch geworden,« verfiel sie von Neuem in eine Ekstase, welche von demselben Abend 5 Uhr bis zum kommenden Morgen dauerte. Anfänglich verbreitete sich in ihren Augen ein ganz ungewöhnliches Freudenlicht, und eine süße Herzensruhe war auf ihrem Antlitz abgemahlt. Nachdem sie eine Weile stillgeschwiegen, fing sie an auszurufen: »das ewige Wort ist in dem Schooße seines Vaters unermeßlich groß und unendlich; aber in Mariens Schoos ist es nur ein Pünktchen ... Deine Größe ist unergründlich und deine Weisheit unerforschlich, mein süßer, liebenswürdiger Jesus.« Unter diesen und andern Ausbrüchen innerer Glut, welche durch die Betrachtungen über die Menschwerdung in ihr erregt worden, fühlte sie ihr Herz durch und durch erschüttert; dem Geiste, der sie trieb, konnte sie nicht länger widerstehen; sie setzte sich auf einen Stuhl, entblößte ihre Brust, und zeigte dem heiligen Augustin (d. h. dem Bilde des Heiligen, das in ihrer Kammer hing) die Stelle, wo ihr Herz wäre, und bat ihn flehentlich, diese Worte: »das Wort ist Fleisch geworden,« daselbst einzuschreiben. »Das Blut ist schon bereit,« sagte sie, indem sie sich ihm zuneigte; »die Feder liegt fertig geschnitten; eile, großer Heiliger, und mache mir diese Freude!«

Das Feuer ihrer himmlischen Brust nahm so überhand, daß sie fast in einem fort schrie: »es ist genug, mein Jesus! entflamme nicht stärker diese Flamme, die mich verzehrt. Siehst du nicht, wie ein höherer Grad von Heftigkeit derselben mir gefährlich werden und meine Schwäche gezwungen sein könnte, solch' äußerster Gewalt zu unterliegen. Nicht diese Todesart ist es, so sich die Braut des gekreuzigten Gottes wünscht; sie ist mit allzuvielen Vergnügungen und Seligkeiten verbunden.«

Nach diesen Worten brach sie ab, wendete sich abermal zu dem heiligen Augustin, und sprach zu ihm: Nun hast du das hohe majestätische Wort meinem schlichten Herzen eingedrückt. St. Johann zeigte es einst dem jüdischen Volke mit dem Finger; du aber hast es mich mit einer Unterschrift fühlen und empfinden lassen. Der Lebensbeschreiber Magdalenens fügt hinzu: man habe auf ihrem Herzen wirklich das Wort »Verbum« mit goldenen und die übrigen Worte: »caro factum est« mit silbernen Buchstaben geschrieben gefunden.

Ein paar Tage nach dieser wunderbarsten unter allen bisherigen Verzückungen flehete sie den Erlöser demüthigst um die Gnade an, sie doch wenigstens einen Theil der Leiden empfinden zu lassen, welche er für die Sünden der Menschen erduldet. Ihr Gebet wurde erhört; alsbald verspürte sie die heftigsten, dringendsten Schmerzen, welche die ganze Nacht durch dauerten. Des folgenden Morgens wurde ihr Gesicht bleich und blaß; ihre Augen verloschen; ihr ganzer Leib war matt und völlig erschöpft; Jedermann glaubte, sie werde bald den letzten Seufzer von sich geben. Nachmittags gegen 2-3 Uhr ward sie jedoch zur erhabensten Anschauung dahingerissen; ihre Schmerzen verdoppelten sich; dicke Schweißtropfen fielen von ihrem Angesichte; aus den Augen rannen die Thränen stromweise und aus dem Munde kam eine gelblichte Feuchtigkeit; kurz, alle äusseren Zeichen deuteten auf die Heftigkeit der inneren Qualen. Zu gleicher Zeit ward sie von einer entsetzlichen Geschwulst befallen und ungewöhnlich dick aufgeschwollen, so daß man jeden Augenblick besorgte, sie würde zerplatzen.

Während dieses Zustandes völliger Entkräftung fühlte Magdalena blos noch den Schmerz, den ihr der Anblick ihres göttlichen Bräutigams verursachte. Sie schlug von Zeit zu Zeit die Augen gen Himmel auf, und sprach, von der Heftigkeit ihrer Martern überwältigt: Ach! mein Jesus! deine Martern sind doch gar zu unaussprechlich groß; und ich bin das allerverwegenste Geschöpf, daß ich gewünscht habe, dieselbe mit dir zu theilen.

Frühe Morgens nach dieser Scene, als sie gerade mit den andern Nonnen sich im Kloster befand, rief ihr der himmlische Gemahl mit den Worten: Komm und siehe, was ich in deiner Seele gewirkt habe; Wirkungen, die nur zwischen uns beiden, dir und mir allein, vorgehen müssen, und die Niemand sonst begreifen kann als jene, so reines Herzens sind! Diese Stimme machte auf Magdalenens Seele einen solchen Eindruck, daß sie betäubt dahinsank; endlich lehnte sie sich an einen Baum; ihr Gesicht ward ganz feurig und wechselte völlig die Farbe. Die Schwestern führten sie nach ihrer Zelle zurück; sobald sie darin angekommen, warf sie sich auf die Erde nieder, sah mit starren Augen nach einem Kruzifix und redete den Heiland mit den Worten an: »Verbirg mich in den Wunden deiner Liebe!« Fünfmal wiederholte sie diese Worte, und jedesmal erneuerte und verdoppelte sich die Farbe ihres Gesichtes.

Es wird unmöglich, alles das niederzuschreiben, was Magdalena noch ferner in den Anwandlungen solch' furchtbaren Wahnsinnes gesprochen; sie sah den Erlöser in allen Stufen seines Leidens, und duldete sie und andere Prüfungen in ihrer Einbildung mit, bis endlich Jesus der Seele seiner Braut die heiligen fünf Wundenmahle eindrückte: »Ich habe es empfunden – sagte sie – wie der liebe Heiland mich mit seinen heiligen Wundenmahlen beehrt, und wie er gewiße feurige Lichtstrahlen mitten durch meine Hände, durch meine Füße und durch meine rechte Seite hindurchblitzen ließ; sie drang so scharf und tief, daß sie einen überaus heftigen Schmerz mir verursachten.«

Am Gründonnerstag desselben Jahres hatte sie eine Verzückung, welche fünfundzwanzig Stunden währte. Die ganze Leidensgeschichte Jesu ging darin an ihrem geistigen und leiblichen Auge zugleich vorüber. In einer der verschiedenen Situationen sah sie Christum vor Herodes gestellt und von diesem verspottet; dieß rührte sie so mächtig, daß sie am ganzen Körper zitterte, blaß und kalt ward. In einer ferneren sah sie ihn an der Säule gebunden und von den Henkern gegeisselt. Dieß war ihre Lieblingsvorstellung von Christo. Sie nahm jetzt dieselbe Stellung an, lehnte sich an die Säule oder den Balken, der in ihrem Zimmer war, und machte solche Geberden und Bewegungen, daß man sah, sie glaube sich in Gesellschaft unsichtbarer Büttel, welche ihr eben so viele Geisselstreiche reichten, als der Heiland erhalten hatte. Sie freute sich ihrer völligen Nacktheit und Erniedrigung, wendete sich bald auf die eine, bald auf die andere Seite, vergoß bittere Thränen und stieß bei jedem Streiche, den ihr Körper unsichtbar erhielt, ein heftiges Geschrei aus.

Nachdem sie sich wieder zurecht gemacht hatte, nahm sie Habit und Schleyer, schleppte ein Kreuz durch mehrere Zellen, und kam endlich in's Oratorium, woselbst sie unserem Erlöser für die Sünden der Welt opferte. Nach geendigtem Gebete warf sie sich zur Erde nieder, und streckte Füße und Hände so aus, als ob sie sollte gekreuzigt werden. Längere Zeit hielten die Schwestern sie für todt, denn sie gab gar kein Zeichen mehr von sich; die allzustarke Ergießung der Lebensgeister hatte sie beinahe ganz erschöpft. Endlich ergriff sie mit inbrünstiger Liebe ein Kruzifix, drückte ihren Mund ganz fest auf die Wunden des Erlösers und sog daraus ein ganz himmlisches Manna, voll Leben, Kraft und Stärke.

Christus konnte einer solch' heiligen Leidenschaft den Lohn nicht länger versagen. An einem schönen Maitage rief er ihr nach Tisch mit sanfter, liebreicher Geberde: »Komm, meine Braut! ich bin es, der dich aus meinem ewigen Gedanken hervorgezeugt, der dich in deiner Mutter Leib hervorgebracht hat, auf daß du Gegenstand meiner Liebe und meines Wohlgefallens werden solltest.« Er gab ihr bei dieser Gelegenheit 20 Regeln, darunter aber auch die Regel des Ordens, unter deren Gehorsam sie sich begeben, eben so hoch und werth achten sollte als ihn selbst.

Endlich verlobte sich Christus förmlich mit Magdalenen, steckte ihr ein goldenes Ringlein an den Finger und bereitete eine förmliche Seelenhochzeit. Der heilige Augustin und die heilige Katharina von Siena waren Zeugen der heiligen Handlung, und Bräutigams- und Brautführer. Magdalenens Antlitz glänzte in blühend-jugendlicher Schönheit; ihre Augen, feuriger und lebhafter als sonst, blitzten wie zwei funkelnde Sterne. Ihr Busen ward von nie gefühlten Wollustwellen hin und her bewegt. Jesus Christus aber war ihr in vollem Glanze seiner Majestät und von aller Herrlichkeit der Himmel umgeben, erschienen. Die Trauung ging förmlich vor sich. Auf ihr inständiges Bitten gab er ihr seine Dornenkrone als Brautgeschenk. Auch die Aufsetzung dieser Krone ward durch ein eigenes Fest gefeiert. Die obengenannten zwei Heiligen wohnten abermal bei. Neue Segnungen und Geistesgenüsse floßen hierauf Magdalenen zu; vier Tage und vier Nächte brachte sie im Himmel zu. Die Engel und die seligen Geister waren ihr entgegengegangen und hatten sie feierlich empfangen. Sie mußte sich, dem himmlischen Gemahl zur Seite, auf einen erhabenen Thron setzen, und sie empfand nun die allerreinsten und unbeschreiblichsten Freuden der ewigen Seligkeit.

Am Pfingstfeste beehrte sie auch der heil. Geist mit einem Besuche und zwar jedesmal um 9 Uhr früh morgens, und unter verschiedenen Gestalten; bald in Gestalt eines Feuers, oder eines Flämmleins, bald in der einer Taube, oder einer Wolke, oder des Windes, oder einer Zunge. Acht Tage und acht Nächte kam er so, und er ließ ihr nur zwei Stunden Zeit, um die Pflichten ihres Amtes zu erfüllen und zu kommuniciren. Außer diesem war er stets bei ihr, und ihre Seele floß über vom Vorgeschmacke des Himmels, und ihr ganzer Leib war vom hellsten Licht erleuchtet.

Endlich erfolgte sogar auch ein Zuspruch des himmlischen Vaters selbst, zu Ende des Mais. Dieser unterhielt Magdalenen von nichts als von Kreuz und Leiden. Er zeigte ihr alles, was sie noch in der Zukunft um seinen Namen erdulden würde. Dadurch gerieth sie in eine Seelenangst, die nur mit derjenigen verglichen werden konnte, welche Christus auf dem Oelberge erduldete.

Fünf Jahre lang bestand die Märtyrin der Liebe Versuchungen jeder Art; bald waren es Gewissensscrupel, bald wollüstige Träume, bald Anfälle von Verzweiflung, bald Anwandlungen der Trägheit. Böse Geister peitschten oder stachen sie in Schlangengestalt; bald zeigten sie ihr das Lächerliche ihrer Einbildung wegen der himmlischen Brautschaft oder das Abgötterische der Anbetung einer Hostie. Der Teufel drohte ihr oft, wenn sie vor dem Priester stand, um das Abendmahl zu empfangen, die Brust mit Dolchen zu durchstoßen, oder er verführte sie zu Gotteslästerungen. Geheul der Verdammten umtönte und betäubte sie.

Die Prüfungen hinsichtlich der Keuschheit waren die allerhärtesten und gefährlichsten. Es gibt keine Gräuel und Abscheulichkeiten der Phantasie, die der Geist der Unreinigkeit ihr nicht einblies; er stellte, indem er sich in einen Engel des Lichts verwandelte, ihrer Tugend bisweilen auf erfinderische Weise nach, und war mehrmal nahe daran, sie zum Falle zu bringen. In solchen Augenblicken züchtigte sie sich so hart sie konnte, ging in den Holzstall, band einen Haufen Dornsträuche los, machte sich daraus ein Lager, zog sich ganz nackt aus, und wälzte sich darauf so lange, bis ihr ganzer Leib eine einzige Wunde war und das rings herausströmende Blut die Flamme der Geilheit auslöschte.

Der mystische Wahnsinn der Unglücklichen endigte erst mit ihrem Tode. Die fürchterlichen Geisselungen hatten all diese Desorganisation ihres Gefühl- und Denkvermögens und diese bis zur Gotteslästerung und Entweihung des Hochheiligsten sich steigernde Histerie hervorgerufen, in einem Grad, wie bei wenigen Devoten. Die Kirche natürlicherweise sprach sie heilig Vie de Marie Magdalène de Pazzi. Paris. 8..

Eine große Anzahl ähnlicher Erscheinungen findet man auch noch später bei den Widertäufern Vergl. v. Arr Geschichte des Kantons St. Gallen I. II. und den vielen Sekten, die der Protestantismus in seinem Schoose aufkeimen sah, und man kann dieselben, wenn sie auch quantitativ mit denen des katholischen Mönchsthums keine Vergleichung aushalten, immerhin diesen entgegenstellen und damit den Beweis führen, daß wenn bei dem äußeren Kultus irgend einer Religion das Gefühl zu wenig oder zu stark angeregt wird, dieselben schlimmen Dinge daraus hervorgehen. Die fessellose Phantasie erzeugt die Sensualität und diese wollüstigen Mysticismus und wahnsinnige Verirrungen der Sinne und des Geistes jeder Art. Ueberall, wo dergleichen stattgefunden, sehen wir den Flagellantismus in besonderer Wirksamkeit.

Wir erinnern beispielsweise in neuerer Zeit blos an die Geschichte der Wildensprucher-Schwärmer im Kanton Zürich und an die Scenen in manchen pietistischen Klubbs. Eine Menge frappanter Aehnlichkeiten mit dem, was von Magdalene de Pazzi u. A. erzählt wird, erscheinen darin. Ebenso möge man des Pöschlianismus sich entsinnen, welcher wenigstens in einzelnen Punkten genau mit den Wildensprucher-Gräueln zusammentrifft.


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