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Fünfzehntes Kapitel.
Frau Walsinghams Bekenntnisse

Frau Walsingham war der Unterhaltung zwischen den beiden Freunden mit einem Interesse gefolgt, das sie nicht merken ließ. Es kam ihr so vor, als ob Burgoyne sie beobachtete, während er sprach, um den Eindruck seiner Worte auf sie festzustellen. Und sie war überzeugt, daß Burgoyne, als Richard die Diamanten zum erstenmal erwähnte, sie scharf angesehen habe.

»Möglich«, dachte sie, »daß das alles Nervosität, Einbildung von mir ist. Sagte er nicht, seine Diamanten seien zwölftausend Pfund wert? Dann kann er doch nichts entdeckt haben, und alles ist in Ordnung.«

Aber sie war nicht die Frau danach, auch nur das geringste dem Zufall zu überlassen. Als sie daher mit Richard in einem vornehmen, ruhigen Restaurant zu Abend speiste, brachte sie das Gespräch auf die Ereignisse des Nachmittags, um sich Gewißheit zu verschaffen.

»Was hat es mit den Diamanten auf sich, von denen du mit Burgoyne sprachst, ehe wir in das Auto stiegen?« fragte sie mit gespielter Gleichgültigkeit.

»Ach!« erwiderte Richard, der die Geschichte schon wieder vergessen hatte, »habe ich es dir nicht erzählt? Burgoyne besitzt ein Diamantenhalsband, das einer der Frauen Napoleons gehört haben soll. Wie heißt sie doch gleich?«

»Keine Ahnung, in Geschichte bin ich nicht sehr firm.«

»Ich weiß jetzt, Marie Louise. Es ist seit hundert Jahren in Burgoynes Familie. Hast du nie davon gehört?«

Sylvia begnadete ihren Verlobten mit einem seelenvollen Blick aus ihren schönen Augen.

»Wie sollte ich? Ich kannte ja Kapitän Burgoyne bis dahin gar nicht.«

»Ich dachte, weil«, begann er, schwieg dann aber. Er hatte sagen wollen, daß der berühmte Schmuck in Levertons Geldschrank gelegen habe, aber er unterdrückte die Bemerkung, da außer ihm nur noch drei Menschen darum wußten. Er fuhr fort: »Was kümmern uns Burgoynes Privatsachen? Er sprach, als er heute bei mir frühstückte, davon, daß er das Halsband verkaufen wollte, und ich erbot mich, es zu kaufen. Das ist das ganze.«

»Er schätzte es auf zwölftausend Pfund. Zu welchem Zweck wolltest du ein so wertvolles Stück kaufen?«

»Natürlich für dich. Jeder schenkt seiner Frau Diamanten.«

»Nein, das tut nicht jeder. So etwas mußt du nicht tun, Richard«, sagte sie mit einem mütterlichen Unterton. »Ich wäre eine schlechte Frau, wollte ich auf dergleichen Geschenke Wert legen. Sei ein artiger Junge. Ich glaube, wenn Burgoyne einverstanden gewesen wäre, hättest du ruhig den Scheck ausgeschrieben?«

Richard lachte. Seit Carsdale die Aktien gekauft hatte, schien es ihm eine Bagatelle, zwölftausend Pfund für seine Zukünftige auszugeben.

»Wahrscheinlich«, sagte er.

»Wie töricht und gedankenlos!« rief Frau Walsingham. »Was versteht ihr beide von dem Wert solcher Dinge?«

»Ich freilich nichts«, erwiderte der junge Mann. »Aber wozu gibt es Juweliere? Burgoyne war heute morgen mit dem Schmuck bei Levanter. Der wird doch den Wert kennen.«

Sylvia, die gerade Eis aß und ihren Lieblingslikör dazu trank, nahm diese Nachricht mit anscheinender Gleichgültigkeit auf.

»Also Levanter schätzte den Schmuck auf zwölftausend? Er muß es freilich wissen. Aber versprich mir, daß du nie Diamanten kaufen wirst, ohne mich vorher zu fragen. Ich weiß, wie unbedacht du bist, und es gibt soviel unehrliche Leute.«

Richard war gerührt.

»Gut, Sylvia, ich gehorche. Ich weiß, daß du mehr davon verstehst.«

Levanter hatte die Steine geschätzt. Das beunruhigte sie. Als sie allein zu Hause war, dachte sie nach. Zweifellos hatte Burgoyne das Pfand von Franziska Leverton und Winch geholt. Er hatte es als das echte Halsband in Empfang genommen. Dann hatte er den Schmuck zu Levanter gebracht, und der hatte ihn auf zwölftausend Pfund geschätzt.

Das beunruhigte sie mehr, als je etwas in ihrem Leben sie beunruhigt hatte. Levanter konnte die Diamanten nicht geprüft, nur flüchtig gesehen haben. So mußte es sein, eine andere Erklärung war nicht denkbar.

Aber damit war die Frage nicht beantwortet, die sie sich vorlegte, seit sie wußte, daß der Schmuck sich in Burgoynes Händen befand. Diese Frage ließ sich in fünf Worte fassen: »Wie lange bin ich sicher?«

Wie lange war sie sicher? Burgoyne konnte seinen Sinn ändern und das Halsband verkaufen wollen. Dann war die Entdeckung unausbleiblich. Eine Untersuchung würde kommen, die sich auf alle erstreckte, die im Lauf der letzten drei Jahre mit Leverton in seinem Büro in Berührung gekommen waren. Und eine dieser Personen war die Braut eines jungen Mannes, der mehr als dreihunderttausend Pfund wert war, und sie hatte ebensowenig Verlangen, in ein Verhör verwickelt zu werden, wie etwa John Carsdale.

Bei dem Gedanken an diesen Mann warf sie die letzte Zigarette in den Aschebecher. Sie wurde ruhiger und bereitete sich für die Nachtruhe vor.

»Ich werde Hans alles erzählen«, dachte sie. »Zwei Köpfe haben mehr Gedanken als einer.«

Sie schlief einen ruhigen Kinderschlaf und wachte auf, neugestärkt für den Kampf. Zunächst teilte sie Richard telefonisch mit, daß sie eine Menge an Rückständen aufzuarbeiten habe, er solle sich deshalb nicht vor fünf Uhr in der Norfolkstraße einfinden. Sie sprach so bestimmt, daß ihr Verlobter keine Einwendungen machte. Mit derselben Bestimmtheit eröffnete sie Mittags, als Fräulein Rouseby und Griffkin fort waren, Carsdale, daß sie ihn sprechen müsse.

Carsdale merkte sofort an ihrer Ausdrucksweise, daß sie in einer ernsthaften Angelegenheit seinen Rat brauchte. Er folgte ihr in ihr Zimmer und rückte sich einen Stuhl an den Tisch.

»Hans«, begann sie, »wir sind ungestört. Ich bin in einer verteufelten Lage. Wir können beide in die Tinte geraten. Wir müssen sehen, wie wir den Kopf aus der Schlinge bekommen.«

Carsdale zündete sich eine Zigarre an, ein Beweis, daß er ganz Ohr war. Und sie fuhr fort:

»Du erinnerst dich, wie Kapitän Burgoyne hier zuerst vorsprach?«

»Natürlich.«

»Aber du weißt nicht, weshalb er kam.«

»Er wollte Leverton aufsuchen – der zufällig schon gestorben war.«

»Er wollte ein Pfand einlösen, auf das ihm Leverton Geld geliehen hatte. Es war selbstverständlich nicht da. Franziska und der alte Winch hatten es am Tage, da Leverton starb, abgeholt.«

»Was war es denn?« fragte Carsdale mit nur mäßigem Interesse. »Etwas Wertvolles?«

»Ein Diamantenhalsband im Werte von zwölftausend Pfund.«

Carsdale fuhr zusammen.

»Lieber Himmel«, rief er aus, »ich wußte gar nicht, daß Leverton derartige Geschäfte gemacht hat. Woher hast du es denn erfahren?«

»Ich kam dahinter. Er gab Burgoyne fünftausend für seine Expedition und behielt dafür den Schmuck als Sicherheit. Burgoyne kam neulich, um Kapital und Zinsen zu bezahlen, und mußte natürlich zu Winch gehen, da Leverton nicht mehr am Leben war.«

»Ich erinnere mich«, erwiderte Carsdale. »Richtig, Shrewsbury ging mit ihm zu Winch.«

Die Frau sah ihr Gegenüber scharf an.

»Das hat mir Richard bestätigt. Der Junge und Burgoyne sind Freunde.«

»Ja«, sagte Carsdale. »Aber weiter? Burgoyne zahlte das Geld und bekam sein Pfand. Nicht wahr?«

»Er bezahlte die fünftausend Pfund samt den Zinsen und empfing dafür das angebliche Diamantenhalsband.«

Carsdale sprang auf und sah sich erschreckt um.

»Das angebliche?« rief er aus. »Dann war es nicht das richtige?«

»Nein«, sagte Frau Walsingham.

»Ja, wo ist denn das wirkliche?«

Sylvia beugte sich zu ihm und dämpfte ihre Stimme zu einem Flüstern.

»Ich habe das Halsband«, antwortete sie.


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