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Einundzwanzigstes Kapitel.
Neue Pläne

Carsdale sah sich scheu um.

»Sophie?« flüsterte er.

Frau Walsingham schüttelte den Kopf.

»Sie schläft fest. Keine Gefahr. Was ist denn los, Hans? Ich sehe es an deinem sonderbaren Gesicht, daß nicht alles in Ordnung ist. Sprich doch.«

Carsdale nahm den Hut ab und trocknete sich die Stirn. Jetzt, da er nicht mehr in seiner Wohnung war, kam ihm alles schlimmer vor.

»Es sieht böse aus«, begann er. »Erschrick nicht. Sandy Kinahan hat uns belogen.«

Sie schluckte ein paarmal und versuchte vergebens zu reden. Er ging zu der Anrichte und mischte ihr etwas zum Trinken.

»Das soll heißen – er ist nicht tot!« flüsterte sie.

»Nein, er ist nicht tot«, antwortete Carsdale mit zynischem Lachen. »Es war ein Schwindel von Sandy und einem anderen zu irgendeinem besonderen Zweck. Nein, Master Sydney ist durchaus am Leben.«

Mit weit geöffneten Augen und zitternden Lippen sah sie ihn an.

»Ist er hier?«

»Ja, er ist hier.«

»In London?«

Carsdale schnitt eine Grimasse.

»Um dir die ganze Wahrheit zu sagen, mein Kind, er ist in meiner Wohnung und delektiert sich entweder an meinem Whisky oder liegt in meinem Bett. Da befindet sich Syd Werrick.«

Mit einem Ausdruck der Verzweiflung ließ sie sich in den nächsten Sessel fallen.

»Mein Gott«, murmelte sie, »was soll man tun!«

»Weiß der Himmel, ich nicht.«

»Wo in aller Welt trafst du ihn denn?« fragte sie.

»Mitten auf der Straße. Und er hatte gerade – dich gesehen.«

»Mich gesehen!« rief sie aus.

»Er sah dich zufällig, wie du mit dem Jungen in das Odalium gingst. Da kaufte er sich ein Bilett und bewunderte dich und das Halsband«, sagte Carsdale mit grimmigem Humor. »Dann verfolgte er dich bis zum Cecil. Du kennst Master Syds Tricks.«

Frau Walsingham nahm ihr Taschentuch und riß es in Stücke. Carsdale lachte.

»Nicht das richtige, Sylvia. Bei der Sache muß man ruhig und kühl bleiben. Sydney ist ein Stein, über den wir beide stolpern können. Nach den Gesetzen dieses gesegneten Landes ist er dein Gatte. Nun er einmal zurückgekommen ist, müssen wir gute Miene zum bösen Spiel machen und sehen, was sich tun läßt. Eines ist sicher, wenn wir deinem Herrn und Meister den Mund stopfen wollen, müssen wir ihn an unseren Plänen teilnehmen lassen.«

»Teilnehmen lassen!«

»Du mußt einsehen, daß deine Sache mit dem Jungen nun auf dem Monde liegt«, fuhr er ruhig fort. »Du kannst dich nicht auf Bigamie einlassen. Uns bleibt nur noch übrig, ihn auszuplündern. Und so unangenehm es auch ist – Werrick wird seinen Anteil haben müssen.«

Eine Minute lang sah sie ihn starr an. Dann ging sie zu der Anrichte und mischte sich einen neuen Trunk.

»Klaren Kopf behalten!« sagte er warnend.

»Gib mir eine Zigarette. Danke. Was schlägst du vor?«

Carsdale sah sich argwöhnisch um.

»Bist du sicher, daß das Mädchen schläft?« flüsterte er.

»Gewiß«, antwortete sie mit einer ungeduldigen Handbewegung. »Kümmere dich nicht um sie, zur Sache.«

Carsdale zog an seinem Schnurrbart und starrte zur Decke.

»Schön«, sagte er schließlich. »Um es ohne Umschweife auszudrücken, wir beide wußten, was wir mit dem Jungen vor hatten, als der Brief an Leverton in meine Hände fiel. Es ging alles günstig für uns, besonders als jene Nachricht von Kinahan kam, die leider eine Ente war. Bis dahin dachtest du deinen Anteil durch die Heirat zu bekommen, und das wäre ein ausgezeichneter Weg gewesen und hätte uns viel Unruhe erspart. Aber nun ist Sydney aufgetaucht, und diese Möglichkeit ist dahin.«

»Könnte man nicht Sydney im Guten auszahlen und abschiebend«

Carsdale schüttelte den Kopf.

»Das ist ganz unmöglich. Du wärest nie sicher, ob er nicht zurückkommt. Nein, wir müssen unsere Ernte anders einbringen. Und damit du die ganze Wahrheit weißt: Meine Angelegenheiten stehen auch nicht zum besten.«

Sie sah ihn rasch an.

»Willst du damit sagen, daß du fort mußt?«

»So ungefähr. Daß der Junge kam, war ein Schweinsglück, und wenn wir uns nur geschickt die Bälle zuwerfen, können wir uns ein neues Feld der Tätigkeit und andere fette Weiden suchen. Aber vergiß nicht – Sydney Werrick will teilen.«

Frau Walsingham antwortete nicht gleich. Sie rauchte Zigarette auf Zigarette und klopfte mit den Füßen ungeduldig gegen das Kamingitter.

»Was ist dir denn mißglückt?« fragte sie plötzlich.

Carsdale zuckte die Achseln.

»Nicht gerade mißglückt. Ich habe das Gefühl, daß dieses junge Füchslein, Franziska Leverton, mir irgendwie auf der Spur ist. Ich weiß nicht wie, aber etwas stimmt nicht.«

»Könnte sie dir denn etwas anhaben?«

»Ja«, antwortete Carsdale und rückte unbehaglich in seinem Sessel hin und her. »Da ist eine Sache – ich weiß nur nicht, ob sie schlau genug ist, sich durch die Papiere durchzufinden, die sie zweifellos unter der Hinterlassenschaft ihres Vaters entdecken wird.«

»Schlau genug ist sie schon«, bemerkte Frau Walsingham. Sie dachte einen Augenblick nach und warf ihm dann einen sonderbaren Blick zu.

»Ich – habe mich heute abend auch ziemlich unsicher gefühlt«, sagte sie.

»Wo? Im Theater?«

»Es mag nichts dran sein, aber mir war nicht wohl dabei. Du weißt, daß ich das echte Halsband anlegte. Ich hielt das für ungefährlich, nun ich beide habe. Es war noch ein Freund von Burgoyne da, auch ein Offizier, Kapitän Blair, aber verabschiedet, er hat einen Arm verloren.«

»Blair – verabschiedet – Arm verloren«, sagte Carsdale nachsinnend. »Ich muß von dem Mann schon gehört haben. Beschreibe ihn.«

»Ein großer, gut gebauter, hübscher Mann mit auffallenden Augen, die einem bis ins Herz zu blicken scheinen. Seine Gegenwart war mir unbehaglich und beunruhigend.«

»Ich erinnere mich jetzt«, sagte Carsdale, »er schreibt für Zeitschriften. Und?«

»Beim Essen im Cecil kam die Rede auf das Halsband und auf die Geschichte mit Marie Louise, und der Kapitän bat um des historischen Interesses willen, es besichtigen zu dürfen. Ich nahm es ab, und er prüfte es in einer Weise, die den Kenner von Diamanten verriet. Er verfuhr dabei etwas zu sorgfältig. Warum wohl?«

Carsdale verriet Zeichen von Ungeduld.

»Ich kann dabei nichts finden. Du bist durch die ganzen Umstände nervös und argwöhnisch geworden. Was sollte der Mann für eine Absicht dabei gehabt haben? Ich erinnere mich übrigens, daß dieser Kapitän Blair, nachdem er seinen Abschied genommen hatte, eine Serie von Artikeln über Edelsteine in einer dieser Sammlerzeitungen schrieb. Daher sein Interesse für die Steine. Wo ist übrigens das Halsband?«

»Hier natürlich, in meinem Geldschrank. Morgen bringe ich es zum Büro.«

»Schaffe es lieber auf die Bank. Laß es auf keinen Fall hier. Wenn du deinem Mädchen auch noch so vertraust, bis zu Diamanten im Werte von zwölftausend Pfund würde mein Vertrauen nicht gehen. Nun zu dem, was wir beginnen wollen. An zwei Personen müssen wir zuerst denken, an Sydney und den jungen Shrewsbury.«

»Schön«, sagte sie seufzend. »Also?«

»Zuerst zu Werrick. Mit ihm werden wir keine Scherereien haben, solange es ihm gut geht. Ich will achtgeben, daß er dich nicht stört. Er kann bei mir wohnen bleiben. Er soll Geld bekommen, soviel er will – in vernünftigen Grenzen – und er kann sich amüsieren. Voraussichtlich werden wir beide mit ihm sprechen müssen –«

»Ich will ihn nicht sehen«, fiel Frau Walsingham ihm ins Wort, »wenigstens jetzt noch nicht.«

»Vorläufig nicht«, sagte Carsdale begütigend. »Überlaß das mir, ich kann ihn zügeln. Glücklicherweise hat er nichts gegen den jungen Gentleman, so kann man ihn in der Stadt umhergehen und seine Freiheit genießen lassen.«

»Ja, und dann wird er sich eines Tages betrinken und Dummheiten machen – oh, ich sehe schon alles voraus«, jammerte sie.

»Er sieht nicht aus, als wenn er in der letzten Zeit viel getrunken hätte«, sagte Carsdale nachdenklich. »Er sieht entschlossen und nüchtern aus, und seine Augen sind so klar, wie die eines Kindes.«

Frau Walsingham legte plötzlich die Hand auf seinen Arm.

»Hans«, flüsterte sie, »hast du denn ganz vergessen? Syd wird uns nie verzeihen, daß wir uns damals aus dem Staub gemacht und ihn in Neuyork in der Patsche gelassen haben. Er mag so tun, aber er vergißt und vergibt nicht. Oh, ich kenne ihn. Du bist zu vertrauensselig, zu optimistisch.«

»Ich denke, er wird sich geben, wenn er anständig behandelt wird«, sagte Carsdale hoffnungsvoll, »überlaß es nur mir. Nun zu dem anderen.«

»Gut, sprich.«

»Was den jungen Esel anbetrifft«, begann Carsdale leise, indem er sich argwöhnisch umsah, als traute er selbst den Wänden nicht, »so wirst du sehen, wie schön sich meine Politik auswirkt. Er wird mir bis zum äußersten trauen. Es kommt darauf an, seine Wertpapiere nach und nach unter meine Kontrolle zu bringen, und dann –«

»Dann kannst du mit ihnen machen, was du willst«, sagte sie mit ironischem Lachen. »Und was soll ich in der Zwischenzeit tun?«

»Halte das Spiel im Gange. Ich will es vor deinem Mann verantworten.«

»Ich wünschte, mein Mann läge auf dem Grund des Atlantischen Ozeans«, rief sie. »Ich wünschte, Kinahan hätte die Wahrheit gesprochen.«

Carsdale lachte, stand auf und nahm seinen Hut.

»Das ist auch mein Wunsch. Und das von Herzen. Aber – unerfüllt. Und der Junge ist da. Das, meine liebe Sylvia, ist die Hauptsache, vergiß das nicht.«

Dann ging er. Es glückte ihm, einen Wagen zu finden. Unterwegs dachte er: Hätte ich nicht freundschaftliche Gefühle für Sylvia, würde ich mein Schaf scheren und mich auf und davon machen.

Carsdales Eßzimmer war leer. Er sah nach der Whiskyflasche. Er hatte sie auch vor seinem Fortgehen betrachtet, und nun wußte er, daß Werrick nichts mehr getrunken hatte.

»Das riecht nach einer Schurkerei«, sagte er vor sich hin. »Er will seinen klaren Kopf behalten. Und wenn Sydney Werricks Kopf klar ist, kann selbst der Teufel nicht mit ihm fertig werden.«


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