Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Mit wenig angenehmen Gefühlen verließ Burgoyne die Abendgesellschaft. Blairs dritte »Frage« hatte ihre Wirkung getan. Es bestand kein Zweifel mehr über den Dieb des Halsbandes, Frau Walsingham war in die Falle gegangen, die man ihr gestellt hatte. Man hatte ihr die Nachahmung in die Hände gespielt, und sie hatte den echten Schmuck getragen. Und diese Frau wollte der junge Dick, edelmütig, stürmisch und arglos, wie er war, heiraten.
»Bei Gott, das darf und wird nicht geschehen«, sagte er, während er, um die heiße Stirn zu kühlen, zu Fuß heimwärts schritt. »Der Junge soll aus den Händen des Frauenzimmers heraus, und wenn es mich den letzten Groschen kostet. Aber wie, wie?«
Diese Frage beschäftigte ihn noch, als er sich am anderen Morgen mit Blair bei Franziska traf. Er hörte still zu, während Blair dem Mädchen einen Bericht von den Ereignissen des vergangenen Abends gab. Die Sache, meinte der Freund, wäre höchst einfach. Der richtige Schmuck hatte sich in ihrem Besitz befunden, als Richard die Nachahmung kaufte. Nun sie über beide verfügen konnte, war sie in dem echten erschienen und hatte, ohne es zu ahnen, damit ihre Schuld bekannt.
»Und die Frage ist nun«, schloß Blair seinen Bericht, indem er sich an Burgoyne wandte, »was wirst du tun?«
»Den Jungen retten«, rief der Kapitän.
»Das ist das Endziel«, stimmte Blair zu, »aber nun der Weg. Du kannst die Frau der Polizei übergeben, das wird eine interessante Skandalgeschichte, die den Zeitungen Stoff gibt. Aber ihr Freund ist so impulsiv und großherzig, und die Frau hat eine solche Macht über ihn, daß sie sich bei dem ersten Anzeichen von Gefahr nicht umsonst an seine Ritterlichkeit wenden würde. Eine überstürzte Heirat wäre die Folge, und das wollen wir doch gerade vermeiden.«
»Natürlich, denn die Hauptsache ist, den Jungen loszumachen. Mögen Halsband und Weib zum Teufel gehen, der Junge muß den beiden aus den Klauen gerissen werden. Läßt sich das nicht ohne Aufsehen, aber desto gründlicher besorgen?«
Blair blickte auf Franziska, die ruhig, aber mit gespannter Aufmerksamkeit zugehört hatte.
»Gut«, sagte er. »Wir haben natürlich eine Handhabe gegen die Frau. Wir können zu ihr gehen und sagen: ›Verehrteste, wir können beweisen, wer Kapitän Burgoynes Halsband aus Mr. Levertons Geldschrank gestohlen hat! Sie nämlich. Wenn Sie nicht sofort von Mr. Richard Shrewsbury ablassen, holen wir die Polizei.‹ So können wir ihr gegenüber verfahren. Ob sie darauf reagiert, weiß ich nicht, möchte es aber glauben. Anders ist die Sache bei Carsdale, dem gefährlicheren von den beiden, weil er die Verfügung über das Geld des Jungen hat. Wir – wenigstens du, Burgoyne, und ich wissen nichts, was ihn uns in die Hände liefern könnte. Sollte dagegen Fräulein Leverton etwas wissen –«
Er schwieg und blickte auf das Mädchen. Und Franziska wandte sich ab und schaute zum Fenster hinaus.
»Wenn das wirklich nötig ist, um Mr. Shrewsbury zu helfen, so könnte ich wohl etwas gegen Carsdale vorbringen. Bei der Durchsicht der Papiere meines Vaters habe ich mit vieler Mühe etwas gefunden. Aber das würde genügen. Er hat meinen Vater betrogen.«
»Sieh da!« rief Blair. »Können Sie es beweisen?«
»So gut, daß Mr. Winch mir riet, Anzeige zu erstatten.«
»Mr. Winch ist also eingeweiht?« fragte Blair.
»Seit gestern nachmittag«, erwiderte Franziska. »Ich kam selbst erst gestern dahinter.«
»Und was haben Sie beschlossen?« fragte Blair.
Franziska schüttelte den Kopf.
»Noch nichts. Ich wollte erst mit Ihnen sprechen. Wenn es mich allein anginge, würde ich gar nichts tun, denn es widerstrebt mir, den Namen meines verstorbenen Vaters an die Öffentlichkeit zu bringen. Aber –«
Sie schwieg.
»Wir wissen, was Sie meinen, Fräulein Leverton«, half ihr Blair ein. »Da es sich darum handelt, Mr. Shrewsbury zu retten, würden Sie kein Bedenken haben, Carsdale Ihre Entdeckung wissen zu lassen.«
Burgoyne fuhr auf.
»Aber Fräulein Leverton kann doch nicht zu diesem Burschen gehen und sagen: ›Lassen Sie Mr. Shrewsbury in Ruhe, sonst übergeb ich Sie der Polizei.‹ Natürlich kann sie das nicht. Er würde einfach sagen: ›Was geht Sie das an?‹ Nein, das geht nicht.«
Franziska warf ihm einen dankbaren Blick zu, weil er ihrer eigenen Ansicht Ausdruck gegeben hatte. Aber Blair lächelte ruhig.
»Lieber Ralph, das war auch durchaus nicht meine Absicht. Soweit wir es beurteilen können, ruhen die geschäftlichen Beziehungen zwischen Carsdale und unserm jungen Freunde auf einer durchaus soliden Basis, wenn das auch nicht immer so bleiben dürfte. Nein, ich dachte dabei nicht an Fräulein Leverton. Ein anderer wird ihm die Sachlage deutlich und unmißverständlich auseinandersetzen, und zwar Mr. Winch. Er ist Notar und Vollstrecker des letzten Willens des verstorbenen Mr. Barklay Leverton. Mr. Winch hat herausgefunden, daß sein Klient von Carsdale betrogen worden ist. Er hat also ein Recht zu dem Manne zu gehen und ihm zu eröffnen: ›Ich kann Ihnen einen Betrug gegen Mr. Leverton nachweisen. Sie haben eine schwere Strafe zu erwarten. Ich verlange, daß Sie den Schaden ersetzen, ein Schuldbekenntnis schriftlich niederlegen und die Vermögensverwaltung für Mr. Shrewsbury niederlegen. Zumal Sie sich dieses Geschäft auf Grund eines an Mr. Leverton gerichteten Briefes, den Sie unterschlugen, widerrechtlich angeeignet haben. Weigern Sie sich, so übergebe ich Sie der Polizei.‹ Nichts ist einfacher. Wird aber Mr. Winch sich darauf einlassen?«
»Ja«, entgegnete Franziska. »Er wird sich darauf einlassen, wenn ich ihm alles auseinandersetze.«
»Schön«, sagte Blair. »Damit ist der Fall Carsdale erledigt. Nun zu der Frau.«
Burgoyne seufzte und blickte zu Boden, und Blair lächelte Franziska an.
»Hab keine Angst, Ralph. Ich wollte gerade bemerken, daß ich Frau Walsingham selbst aufsuchen werde.«
Vor Überraschung setzte sich Burgoyne steil aufrecht.
»Ist das dein Ernst?« rief er aus.
»Mein voller Ernst. Ich werde mit ihr sprechen, und sie wird mir vielleicht allerlei Interessantes zu erwidern haben. Aber eines muß noch geschehen, bevor Mr. Winch und ich mit Carsdale und der Frau sprechen.«
Burgoyne und Franziska sahen ihn fragend an.
»Shrewsbury muß für ein paar Tage vom Schauplatz verschwinden, das ist unbedingt notwendig. Und das ist deine Aufgabe, Burgoyne.«
»Und vielleicht sagst du mir auch, wie ich das machen soll«, entgegnete Burgoyne etwas ärgerlich. »Der Junge ist es gewohnt, auch die geringsten Kleinigkeiten den beiden zu erzählen. Und wo soll ich einen Vorwand finden, ihn für ein paar Tage zu entfernen?«
»Du wirst schon einen finden«, sagte Blair lachend. »Gibt es nicht einen Ort, an dem deine Knabenerinnerungen hängen, und den du gern wieder einmal besuchen möchtest?«
»Dieser Vorschlag beweist, wie wenig du die Verhältnisse kennst. Ich weiß, was der Junge täte, wenn ich dergleichen erwähnen würde. Sofort würde er eine Autotour daraus machen und die Frau mitnehmen. Nein, das geht nicht, Gavin, du mußt dir schon etwas Besseres ausdenken.«
»Nimm ihn für ein paar Tage nach Paris. Er kennt die Stadt noch nicht und würde gern hinfahren.«
»Das wäre dasselbe, er würde eine Gesellschaftsreise daraus machen. Ja, wenn ich sterbenskrank wäre oder mit gebrochenem Bein in einem Graben läge, wäre er wie ein Blitz da, aber –«
»So mußt du einen Unfall vortäuschen. Jedenfalls darf der Junge nicht hierbleiben. Geh nach Frankreich, erfinde etwas und laß ihn kommen. Du mußt.«
Burgoyne dachte nach.
»Das tue ich nicht«, sagte er fest. »Aber ich will nach Paris fahren und ihm dann eine Nachricht schicken, die ihn auch ohne Unwahrheiten bewegen wird, mir nachzukommen. Und dann werde ich ihm über das Weib die Augen öffnen. Ich werde es tun, und, bei Gott, er wird mir glauben. Was sagst du dazu? Das scheint mir ein ehrlicher Weg.«
Franziska nickte beifällig mit einem Eifer, der Blairs wachsamen Augen nicht entging.
»Es wird keine leichte Aufgabe sein«, fuhr Burgoyne fort, »und lieber möchte ich alles Schwere, was ich in meinem Leben habe verrichten müssen, noch einmal tun, als dies. Denn es wird für ihn ein furchtbarer Schlag sein.«
»Wer weiß«, meinte Blair, »wer weiß!«
Burgoyne sah ihn erstaunt an.
»Du zweifelst daran? Er ist dermaßen verliebt –«
»Sag lieber behext. Ich habe den Eindruck, daß er in ruhigen Augenblicken bereut, was er getan hat, und –«
Franziska stand auf und beugte sich über ihre Papiere.
»Haben die Herren noch etwas zu fragen? Vergessen Sie nicht, daß ich Geschäfte habe, und daß meine ganze Vormittagsarbeit noch vor mir liegt.«
Blair begriff, das Mädchen hatte keine Lust, eine Erörterung über Richards Gefühle gegen Frau Walsingham mit anzuhören. So brach man die Unterredung ab, nachdem eine Einigung erzielt war. Burgoyne würde nach Paris fahren und Richard hinbestellen. Am Tage der Ankunft des jungen Mannes würde Carsdale von Mr. Winch und Frau Walsingham von Blair aufgesucht. Das Resultat sollte Burgoyne telegraphisch mitgeteilt werden.
Burgoyne kehrte zu Richards Wohnung zurück, Trauer im Herzen wegen der ganzen unsauberen Angelegenheit. Kedgin überreichte ihm einen Brief von Mr. Levanter, in dem dieser ihn bat, ihn in einer für den Kapitän höchst wichtigen Angelegenheit aufzusuchen.