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Achtundzwanzigstes Kapitel.
Carsdale verrechnet

Als Carsdale am Morgen nach Richards Abreise in seinem Büro die Post durchsah, fand er einen Brief, der das altmodische Siegel von Mr. Septimus Winch trug. Ungeduldig riß er ihn auf.

»Was mag der Schafskopf wollen?« brummte er, während er den Inhalt überflog, demzufolge der Notar ihn bat, um elf Uhr bei ihm vorzusprechen. Carsdale sah nach der Uhr. Es fehlten nur noch zehn Minuten an der angegebenen Zeit. Er ging an den Geldschrank, nahm die von Richard am Tag vorher unterzeichneten Papiere und steckte sie in seine Brusttasche.

»Ist Frau Walsingham in ihrem Zimmer?« fragte er, als er durch den Vorraum ging.

Griffkin erwiderte, sie sei dagewesen, aber wieder fortgegangen.

»Sagen Sie ihr, wenn sie wiederkommt, daß ich den ganzen Tag ausbleiben werde.«

Dann eilte er nach Lincolns Inn, während er sich den Kopf zerbrach, was Winch wohl von ihm wollte. Seine Laune verbesserte sich nicht gerade, als der Notar ihn volle fünf Minuten warten ließ, und als er dann in dessen Zimmer Franziska Leverton antraf. Er begrüßte die beiden kurz und übersah es, daß ihm niemand die Hand bot.

»Darf ich fragen, was zu Diensten steht, Mr. Winch?«

»Nehmen Sie Platz, Mr. Carsdale«, sagte der Notar. »Es hängt ganz von Ihnen ab, ob wir Sie lange aufhalten müssen. Fräulein Leverton hat inzwischen die hinterlassenen Papiere ihres Vaters gesichtet. Dabei hat sie einige gefunden, die auch Sie angehen.«

»Zweifellos«, sagte Carsdale ungeduldig, »zweifellos. Da ist noch verschiedenes zu klären. Ich habe Fräulein Leverton wiederholt meine Hilfe angeboten, aber sie hat abgelehnt.«

»Mag sein, aber hier ist eine Sache, die Sie bisher weder mir noch Fräulein Leverton, noch sonst jemand gegenüber erwähnt haben.«

Carsdale wußte genau, was kommen würde, und er dachte scharf nach, wie er dem Schlag begegnen könne.

»Was meinen Sie, Mr. Winch?« fragte er ruhig.

»Ich meine die Angelegenheit der Chilwhele-Bergwerksberechtigung. Hier sind die Dokumente. Nur mit der größten Geschicklichkeit und Ausdauer ist Fräulein Leverton dahintergekommen. Ich will Ihnen die nackte Wahrheit sagen, mein Bester. Sie haben meinen verstorbenen Klienten ganz gemein betrogen.«

»Ein hartes Wort, Mr. Winch.«

»Das einzige Wort, das ich in diesem Falle brauchen kann.«

»Beschimpfen Sie mich nach Belieben«, sagte Carsdale ruhig, »das kann mir ganz gleichgültig sein, aber –«

»Es wird Ihnen nicht mehr gleichgültig sein, wenn ein Polizeibeamter Ihnen die Hand auf die Schulter legt. Ich werde wohl noch einen Betrugsfall erkennen können. Sie sind ein gerissener Bursche, aber man hat Sie erwischt, das werden Sie bald merken.«

»Ihre Drohungen sind mir genau so gleichgültig wie Ihre Beschimpfungen. Aber vielleicht gestatten Sie und Fräulein Leverton mir ein Wort der Erklärung. Bei der ganzen Sache handelt es sich nur um die Abrechnung, um eine etwas knifflige Abrechnung, gebe ich zu, und dadurch hat sich die Erledigung verzögert. Gestern erst habe ich die Aufstellung gemacht, ich habe sie bei mir, hier ist sie.«

Und zwischen den zahlreichen Papieren in seiner Brieftasche suchte er eines heraus und legte es auf den Tisch. Es sah frisch geschrieben aus, befand sich aber schon seit Mr. Levertons Tode in der Brieftasche für besondere Fälle. Ein solcher Fall war nun eingetreten, und so kam das Dokument zum Vorschein.

Stirnrunzelnd nahm Mr. Winch es und winkte Franziska, es mit ihm durchzusehen. Carsdale nutzte seinen Vorteil aus und sagte in beleidigtem Ton:

»Hier ist die korrekte Abrechnung. Meine Bücher stehen Ihnen zur Einsicht zur Verfügung. Sie werden feststellen, daß zu Mr. Levertons Gunsten noch zweitausendsiebenhundert und fünfundachtzig Pfund verbucht sind. Einen Scheck über diese Summe hätte ich Ihnen Ende dieser Woche geschickt. Da ich nun einmal hier bin, will ich Ihnen den Scheck sofort ausschreiben.«

Carsdale ging an den Tisch. Aber Mr. Winch warf die Aufstellung hin und sagte mit erhobener Stimme:

»Ich lehne die Entgegennahme des Schecks ab, bis die Angelegenheit voll geklärt ist. Ich will den Scheck nicht, Sie sollen ihn nicht ausschreiben.«

Carsdale lachte verächtlich und schrieb.

»Sie können mich daran nicht hindern, Mr. Winch. Hier liegt er auf Ihrem Tisch. Wenn Sie ihn mir zurückschicken, bekommen Sie ihn durch die Post. Sie haben nun Abrechnung und Scheck, für mich ist die Sache damit erledigt. Was die Anschuldigung des Betruges angeht, Mr. Winch, so werden Sie noch von mir hören. Guten Morgen, meine Herrschaften.«

»Halt, Herr, halt, ich sage Ihnen, ich –«

Aber Carsdale lachte und ging, und der alte Notar und Franziska sahen einander an. Mr. Winch schüttelte den Kopf.

»Dieser Mensch wird immer auf die Füße fallen. Ich fürchte, liebes Kind, er ist uns zu gerissen. Ob er wirklich die Abrechnung geben wollte?«

»Warum erwähnte er denn nie etwas davon zuvor?« sagte Franziska. »Nein, er ist zu gerissen, wie Sie sagten.«

»Nun, hier ist der Scheck. Ich will zur Bank schicken und sehen, ob er Deckung hat.«

»Dann sind wir mit ihm fertig, denn der Scheck wird in Ordnung sein.«

»Wollen sehen, wollen sehen«, meinte der Notar etwas skeptisch. »Schließlich wollen wir ja das Geld haben.«

Aber Franziska wollte mehr, und als Mr. Winchs Schreiber mit einem Stapel Banknoten von der Bank zurückkam, ging sie enttäuscht fort. Diesmal war Carsdale entschlüpft. Aber sie hatte noch andere Eisen im Feuer, und sie wollte sich um sie kümmern.

In einem vornehm ausgestatteten Zimmer saß sie bei einer gutgekleideten Dame, die man eher für die Leiterin eines Damenpensionats als für die Seele und das Haupt eines Detektivinstituts hätte halten können.

»Sie lassen also Mr. Carsdale immer noch scharf beobachten?« fragte Franziska, die den Kompagnon ihres verstorbenen Vaters seit zwei Tagen unter eine besondere Aufsicht gestellt hatte.

»Gewiß, Fräulein Leverton«, antwortete die Dame vergnügt. »Zwei meiner zuverlässigsten Leute lassen ihn nicht aus den Augen, und heute nachmittag kommt noch ein sehr geschicktes Mädchen hinzu, wenn einer von den beiden abgelöst werden muß. Wir können Mr. Carsdale natürlich nicht bis in die Geschäftsräume nachgehen, die er besucht, aber wir wissen immer, wo er ist, mit wem er es zu tun hat. Hier ist beispielsweise der Bericht von gestern.«

Franziska überlas die Notizen und gab das Blatt ohne weitere Bemerkung zurück.

»Ich nahm an«, sagte die Leiterin, »daß Sie besorgt sind, der Mann könnte außer Landes gehen.«

»Ja«, erwiderte Franziska. »Das wäre durchaus möglich.«

»Freilich. Er braucht nur in den Zug zu steigen oder mit einem Auto zur Küste zu fahren. Und wenn wir ihn dabei erwischen, wie sollen wir ihn hindern? Es ist nicht so, als wenn die Polizei einen Haftbefehl gegen ihn hat. Leider können wir ihn nur unter Beobachtung halten, solange er in England ist.«

»Das ist immerhin schon etwas. Ich will wissen, wo er ist und was er tut. Daraus kann ich allerlei Schlüsse ziehen.«

Franziska ging heim mit dem Gefühl, daß die Ereignisse des Morgens zugunsten Carsdales ausgelaufen waren. Sie hatte keine Handhabe mehr gegen ihn, die Auszahlung des Schecks hatte alles zerstört. Er war von New Square fähiger zu jeder Schurkerei als je fortgegangen.


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