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Achtzehntes Kapitel.
Blairs dritte Frage

Es war unschwer zu sehen, daß Burgoynes Mitteilung auf Franziska Leverton einen ungeheuren Eindruck machte. Regungslos wie eine Statue saß sie da. Dann beugte sie sich vor und sagte mit einer Stimme, die nicht lauter war als ein Flüstern:

»Wollen Sie damit sagen, daß der Gegenstand, den Sie von der Bank erhielten, nicht Ihr Halsband war?«

Burgoyne wurde die ganze Situation unangenehm. Er fand das Mädchen in seiner Leidenschaft und Furchtlosigkeit bewunderungswürdig. Es war ihm peinlich, daß es in diese unsaubere Geschichte verwickelt werden sollte.

»Es tut mir leid«, antwortete er, »aber es war es wirklich nicht.«

»Nicht dasselbe, das Sie meinem Vater übergaben?«

»Nein.«

»Dann war es also eine Nachbildung, ein Duplikat?«

Burgoyne neigte den Kopf, er hatte keine Lust zum Reden. Aber das Mädchen fuhr fort:

»Dann muß der Austausch vorgenommen worden sein, während der Schmuck im Besitz meines Vaters sich befand?«

»Ich fürchte«, sagte Burgoyne, der zu wünschen begann, nie von dem Halsband der Marie Louise gehört zu haben. »Sehen Sie, mein Fräulein –«

Aber Franziska unterbrach ihn. Sie saß steil aufgereckt, und rote Flecken brannten auf ihren Wangen, während sie mit dem Kopf auf Kapitän Blair wies.

»Wer ist dieser Herr? Ein Detektiv?«

Etwas im Ton ihrer Frage ließ Burgoyne zusammenzucken. Aber Blair lächelte und sagte:

»Nein, mein Fräulein, ich bin, was meine Karte sagt. Aber ich bin außerdem ein alter Freund von Kapitän Burgoyne, der mich in dieser Angelegenheit um Rat fragte. Ich schlug ihm vor, zu Ihnen zu gehen und Ihnen alles zu erzählen, und –«

»Und sehen Sie«, unterbrach ihn Burgoyne, »ich wollte Ihnen sagen, daß ich keinen Verdacht auf –«

»Ruhig, ruhig«, sagte Blair. »Fräulein Leverton braucht die Versicherung nicht, daß wir keine der Personen, die auf rechtmäßige Weise mit dem Halsband in Berührung kamen, im Verdacht haben. Sie weiß, daß du sonst nicht hergekommen wärst.«

»Ist das Halsband gestohlen, so muß ein Dieb da sein«, bemerkte Franziska kühl. »Und es muß gestohlen worden sein, während es in meines Vaters Besitz war.«

»Gewiß«, gab Blair zu. »Aber ich nehme an, daß noch andere Leute zu dem Zimmer Zutritt gehabt haben. Es gab – verzeihen Sie – Menschen in der Umgebung Ihres Vaters –«

»Menschen, denen ich nicht den Wert eines Pfennigs anvertraut hätte«, unterbrach ihn das Mädchen. »Mein Vater war viel zu leichtgläubig. Was werden Sie tun?« wandte sie sich an Burgoyne.

Aber Blair gab die Antwort:

»Wir wollen uns mit Ihnen besprechen, darum sind wir gekommen. Kapitän Burgoyne will die Angelegenheit nicht an die große Glocke bringen. Er möchte, um zur Sache zu kommen, daß Sie ihm die Leute schildern, die besonders mit Ihrem Vater zusammenarbeiteten – Sie werden wissen, wer gemeint ist. Aus besonderen Gründen möchten wir Näheres von einer Frau wissen.«

Franziska betrachtete Blair mit wachsendem Interesse. Sie erkannte seine starke Persönlichkeit.

»Warum gerade von der Frau?«

Blair sah ihr direkt in die Augen.

»Weil der junge Shrewsbury sich mit ihr verlobt hat«, antwortete er.

Für einen Augenblick stieg plötzliche Röte in des Mädchens Wangen. Blair blickte auf Burgoyne und freute sich, daß der große Forscher in offensichtlicher Verwirrung mit der doppelten Aufgabe beschäftigt war, die Krücke seines Stockes abzudrehen und das Futter seines Hutes zu studieren. Blair selbst hielt, während er weitersprach, die Augen zu Boden gerichtet. Er hatte genug in des Mädchens Gesicht gelesen und wollte, daß es seine Fassung wieder bekäme.

»Mr. Shrewsbury hat sich mit Frau Walsingham verlobt«, fuhr er fort. »Nun ist er sehr jung und sehr unerfahren. Ohne Freunde konnte er bei seiner Ankunft leicht von geschickten und gewissenlosen Leuten übers Ohr gehauen werden. Wahrscheinlich hat Kapitän Burgoyne allein in England das Recht, sich seinen Freund zu nennen, da er ihn von Trinidad her kennt und seines Vaters Gast gewesen ist. Er kann sich mit dem Gedanken nicht abfinden, daß der junge Mann eine Frau heiraten soll, von der er nichts weiß.«

Er schwieg und blickte auf Franziska. Sie hatte sich gefaßt und sah ihn mit einem Ausdruck an, den er nicht ganz enträtseln konnte. Bat sie ihn, ein Geheimnis zu wahren, das ihr wider Willen entschlüpft war? Er wandte sich an Burgoyne.

»Habe ich das richtig gesagt?«

»Vollkommen, was mich angeht«, sagte dieser. »Lieber verzichte ich auf das Halsband, ehe ich zusehe, daß der Junge eine Frau heiratet, die – eine Frau, mit der der Vater nicht einverstanden gewesen wäre. Sein Vater war ein prächtiger alter Herr.«

»Aber ich weiß nichts von ihr«, rief Franziska aus. »Ich weiß nur – daß sie eben da ist.«

»Ihr Vater –« begann Blair.

Aber Franziska unterbrach ihn.

»Ich will Ihnen gern alles erzählen, was ich von Carsdale und Frau Walsingham weiß. Ich mag sie beide nicht, weil ich sie nicht für aufrichtig und ehrliche halte. Zum erstenmal hörte ich meinen Vater von Carsdale sprechen, als ich vierzehn Jahre alt war. Mein Vater erzählte mir damals schon von seinen Geschäften, weil die Mutter gestorben war, und er sich sonst mit niemand unterhalten konnte. Er sagte, er habe sich mit Carsdale in gewisser Hinsicht assoziiert, er wäre ein tüchtiger Geschäftsmann. Carsdale besuchte uns gelegentlich, und ich mochte ihn nicht leiden, ohne einen Grund angeben zu können. Dann teilte mir mein Vater vor etwa drei Jahren mit, daß er und sein Kompagnon eine Sekretärin anstellen würden, Carsdales Base, eine junge, sehr kluge Witwe. So kam Frau Walsingham – das ist alles, was ich sagen kann.«

»Carsdales Base und eine junge Witwe?« bemerkte Blair. »Wessen Witwe?«

»Dick Shrewsbury«, fiel Burgoyne ein, »erzählte mir, sie sei die Witwe eines Mannes, der mit ihr nach Arabien gegangen war und dort erschlagen wurde. Sie selbst wurde von einem befreundeten Scheik gerettet. Aber – obgleich ich es zu dem Jungen nicht äußerte – ich habe nie etwas von einem solchen Vorfall gehört, und ich müßte eigentlich darum wissen.«

»Eine romantische Geschichte«, bemerkte Blair. »Und sie müßte sich bis zu ihren Quellen verfolgen lassen. Aber noch eins, Fräulein Leverton. Sie haben doch allerlei Geschäftsverbindungen mit den Cityleuten. Könnten Sie nicht herausbekommen, was Carsdale trieb, bevor er sich mit Ihrem Vater assoziierte?«

»Soviel ich weiß, kam er von Neuyork. Er war noch nicht lange in England, als mein Vater ihn kennenlernte.«

Blair sah Burgoyne an.

»Aber Carsdale ist doch kein amerikanischer Name?«

»Gewiß nicht. Er gebraucht gelegentlich amerikanische Ausdrücke, ich halte ihn aber für einen geborenen Londoner, mindestens für einen Engländer.«

Blair dachte einen Augenblick nach.

»Die Sache scheint so zu liegen«, sagte er nach einer Weile. »Carsdale kam vor sechs Jahren über den großen Teich, seine Base tauchte drei Jahre später auf. Während dieser Zeit – ungeachtet Ihrer gefühlsmäßigen Abneigung, Fräulein Leverton – scheinen die beiden nichts Gesetzwidriges begangen zu haben. Ihr Vater zum Beispiel beklagte sich nicht?«

»Nein, wenigstens nicht, was seinen Betrieb anging. Manchmal pflegte er lachend zu sagen, Carsdale wäre so scharf wie eine Sheffielder Klinge, und Frau Walsingham wäre über die Maßen gerissen, aber das war alles.«

»Und als er starb, war die Abrechnung mit dem Kompagnon in Ordnung?«

»Doch, es stimmte alles genau. Zuletzt hatte mein Vater nicht mehr viel Geschäfte mit Carsdale zusammen gemacht.«

»So haben Sie keinerlei Handhabe gegen ihn oder die Frau?«

»Keine, wenigstens keine positive.«

»Dann müssen wir wieder auf das Halsband zurückkommen«, sagte Blair. »Da der echte Schmuck zweifellos gestohlen worden ist, während er in der Verwahrung Ihres Vaters war, haben Sie, Fräulein Leverton, doch alles Interesse daran, daß der Dieb ausfindig gemacht wird?«

»Gewiß, und ich werde alles tun, was in meinen Kräften steht, um zu seiner Entdeckung beizutragen.«

»Schön«, erwiderte Blair. »Zunächst müssen wir uns einig sein, daß alles unter uns bleiben wird. Nun, Burgoyne, kommt die dritte Frage, von der ich vorher zu dir sprach. War es richtig von dir, als Shrewsbury das Halsband kaufen wollte, es ihm abzuschlagen? Damals sicher, wie die Sachen jetzt stehen, nicht mehr. Folge meinem Rat und sage ihm, du hättest deine Ansicht geändert, er könnte es für zehntausend Pfund haben.«

Burgoyne sah ihn verblüfft an.

»Was soll das bedeuten?«

»Tu, was ich dir sage. Gehe direkt zu Levanter, hole den falschen Schmuck, suche Shrewsbury zu treffen, mach ihm dein Angebot und gib ihm das Halsband, damit er es Frau Walsingham zeigt. Hast du alles behalten?«

»Das schon, und ich will alles tun, weil du es mir rätst«, antwortete Burgoyne. »Aber ich lasse mich hängen, wenn ich begreife, was du vorhast.«

»Das ist vorläufig nicht nötig. Du wirst es nachher schon begreifen. Ich kann dir im voraus sagen, daß Frau Walsingham Richard den Rat geben wird, das Halsband zu kaufen.«

»Was, zehntausend Pfund für den unechten Schmuck!« rief Burgoyne aus.

»Sie wird ihm raten, zu kaufen«, wiederholte Blair unerschütterlich. »Und er wird kaufen und dir einen Scheck geben. Schließe ihn sicher ein, giriere ihn vor allen Dingen nicht. Wenn das alles geschehen ist, sprich wieder bei mir vor.«

Blair stand auf, und Burgoyne folgte langsam seinem Beispiel.

»Ich weiß wirklich nicht, wo du hinaus willst«, sagte er mit ratlosem Kopfschütteln, »und ich glaube, Fräulein Leverton auch nicht. Oder verstehen Sie ihn?«

»Ich habe eine leise Ahnung«, erwiderte Franziska mit einem Blick auf Blair.

»Na schön, Sie sind klüger als ich«, entgegnete Burgoyne. »Ich werde alles buchstäblich tun.«

»Und bald«, wandte Blair sich an Franziska, »werden wir mehr wissen.«

Dann brachen sie auf und fuhren zurück in der Richtung der Bondstraße. Zunächst schwiegen beide. Dann begann Blair:

»Wir stehen am Anfang eines interessanten Schauspiels, in dessen Verlauf wir Master Richard aus der Hand der Philister befreien werden. Und ich habe so eine Ahnung, daß das junge Mädchen uns eine tatkräftige Bundesgenossin sein wird.«

»Warum denn?« fragte Burgoyne.

»Weil die Kleine in den jungen Gentleman verliebt ist«, erwiderte Blair trocken.


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