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Die Landschaft.

Saanenland — Sonnenland.

I.

Noch angelegentlicher als im Unterland feiern spielende Saanerkinder auf der Straße, ohne es zu wissen, den Frühlingseinzug: sie hüsten u hotten u rößle ol d wi̦ mụ sü̦st no seit. Das von dem kleinen Rosselenker mit schallendem hü! äärstig angetriebene Pferd entschädigt sich für seinen Sklavendienst mit äxdra gewählter und gefertigter Rüstung: Chome̥t u Zaum u Bi̦i̦s s. Hat es doch eine von den aus kaltem Norden her gewanderten Uralemannen 1 ererbte Aufgabe zu erfüllen: der noch so merklich zögernden Sonne Vorspann zu leisten: ĭ̦hra z’niete, fü̦r daß sị g’lähiger chämi und bald einmal den Sommer bringe.

Gleich ahnungslose kleine Erben uralt alemannischen Sonnendienstes sieht man da und dort Reiffa trööle. 2 Der Reif war einst das Rad, auf dem die Sonnenscheibe um d’Wält g’fahren ist, um den armen Menschenkindern Licht und Wärme zu bringen. Daß auch das nach langem Winter recht energisch und gẹng g’fli̦ngger u g’fli̦ngger g’schẹe̥iji! Drum unter den Kindern der Wetteifer: wäl che’s ẹe̥hnder! Und die Schmach, wenn einem gar noch der Reiff umg’hịt! Das treibende Stäckli weiß das Ungemach allerdings blitzschnell zu verhüten.

Die den Alemannen nächstverwandten Franken haben, wie in der Sprache, 3 so auch im Volksleben überhaupt und im Spiel Ableger hinterlassen. So die bergab gerollten Feuerräder. Zähmer und dabei schöner, wie erhöhter Deutung würdig, haben sie sich erhalten in unsern Höhenfeuern. Die Fasnachtfụ̈ụ̈r und die Jakobsfụ̈ụ̈r (des 25. Juli) sind an die Vaterlandsfeiern des ersten August: Augstefụ̈ụ̈r getauscht worden.

2 So mühten sich Nordländer und ihre alpenwärts gewanderten Erben um die Gunst der Sonne: Chumm doch! pressier e chlei! Gu̦gg, ḁ lsó!

Und während andere bitten und mit sinnbildlichem vormache der Bitte naahihälffe, ist die Königin des Tages schon im Saanenland, dem Sonnenland!

So im Martissümmerli 1830, das bis im Hornung dauerte; im Herbst und Vorwinter 1924 und in dem unvergeßlich schönen Vorwinter 1926. Die ẹe̥rsti Wu̦chche! Dä Mittwu̦chche, wa sa g’halbiert hät als ihra läst schön Tag! Dä schön Frị̆tĭg, welcher den Oktober begann! Dä prächtig Mẹe̥ntig 4 — dem Mŏnd geweiht, wie der Donnde̥rstĭg dem Donnerer Jupiter. Dieser Him melvatter machte auch jetzt Miene, tauba zu werden und sich mit dem herrlichsten aller Tage: dem Zịịstig als dem Tag des strahlenden Himmelsgottes Ziu in scharfen Widerstreit zu setzen. Doch er besann sich eines Bessern. Die Sonne brach sich Bahn durch die Wolken und räumte mit ihnen auf, wie die Hausfrau mit dem Bịe̥cht (Kehricht) im gesamten Haus und Heim tut, wenn sie am Sabbatstag: dem Samßtig, 5 sambßtĭget. Und g’su̦nntiget sehen die Hausgenossen aus am Su̦nntig, dem Tag der Su̦nne.

Einzigartig, unbeschreibbar ist die Wirkung einer solchen Herbst- und Wintersonne auf Naturleben und Menschengemüt grad und erst recht in einem Jahr wie 1926, diesem Katastrophen- und Schreckensjahr für so manchen Erdstrich der alten und neuen Welt. Wer findet Worte für die wonnige, alle Fasern des geheimsten Innern durchdringende, durcharbeitende Blitzkraft und Licht- und Wärmestrahlen, die nun in verlängerter schräger Bahn auf das Empfindungs­vermögen abgestimmt, die reiner gewordene Luft durcheilen! Am Verschwinden ist der von der Heerstraße aufgewirbelte Staub und Kot; Auto und ander Schnällbänni stellen allgemach ihre Mụ̆sig ein, und die macht Platz dem einzigartigen Geläut der Weideherden, die nun Schar um Schar heruntersteigen und im Berggelände den Oktober zu einem neuen Wonnemonat gestalten — zum Ersatz des um seine Poesie gekommenen Meie.

Saanertage in unbeschreibbarer Herrlichkeit! Tage zu zwiefach freudigem Schaffen u̦ßna un i̦nna für Einheimische, zum beindlen u scheichlen u schuehne für Fremde, die die erstaunliche Entdeckung 3 gemacht haben, daß es außer Welo un Auto auch noch so etwas gibt wie Bein u Füeß draa und Wanderstab und Rucksack.

Bergfrühling bei Gstaad

Phot. Nägeli, Gstaad

 
1  Vgl. Much bei Hoops 4, 201.   2   Aw. 1.   3  Vgl. z. B. i fahre, du fehrst, er fehrt: Braune ahd. Gr. S. 220. 246.   4  Der den vormaligen 28tägigen Mond = Monat «abmessende» Mond hieß und heißt vielfach der mân, Maan; der Tag «des Mondes» ist der mân-in-tac, mit i-Umlaut: Meentig, Mẹe̥ntig, Määndig; Mẹe̥ntig neben Mŏnd zeigt besonders schön die konservierende Kraft der Zusammensetzung.   5  Vgl. Kluge 384; Weig. 2, 646.  
 

II.

Das alles macht des Saanenlandes Lage. Im obersten Südwestwinkel des Berner Oberlandes, eingekeilt in das Waadtländer und Freiburger Oberland, ist sein Haupttal nach dem Mittellauf der Saane orientiert: Es folgt der Sonne von ihrem Aufgang zum Niedergang. Noch 4 mehr aber macht die Bodengestalt das Saanenland zum Sonnenland. Hochgelegene, breite Talsohlen und relativ niedrige Berge ermöglichen ihm eine frühe und lange Besonnung.

So hat es eine den ganzen Tag beschienene Su̦nnsịte, deren Steilgehänge die reflektierten Strahlen auf die höhern Lagen der Schattsịte überspringen lassen. Die Schattseite ist zudem so vielfach gegliedert, daß Teile in ihr selbst wieder als Sonnenfänger wirken und gegenüberliegende Seitentalwände reflektierend bestrahlen. Als tiefe Einschnitte in das Haupttal sind auch die Seitentäler ( S. 63) meist gut besonnt; das Turbachtal zum Teil so trefflich, daß ein Ganzjahrheim auf seinem westwärts verlaufenden Nordgehäng die hochsommerlichen Strahlen um Mittag senkrecht auffängt und nur dank seiner guten Rasendecke nicht auch zum Dü̦r ri (s. u.) wird. Dies Gut heißt in ursprünglich spassiger, aber alltäglich gewordener Bezeichnung d’s Fägfụ̈r. Die kürzlich dort eingeheiratete Frau ist i d’s Fägfụ̈r choo; aber es geit ’ra nit böös. Und an der herrlichen Sonne müssen die Kinder kräftig gedeihen: kei Moonschịnigi, wie die Rü̦ppsu̦cht als Knochenschwäche ( Rhachitis) bemitleidend benannt wird, kann ihr Wachstum hindern.

Einem Knochenleiden aber, das durch eine der drei Geißeln modernen Kulturlebens giftig und giechtig gemacht ist, kann die Natur nur mit Hilfe ärztlicher Kunst zu Leibe gehen. Doch auch diese nur, indem sie die Sonne ins Vordertreffen schickt.

«Sonne, heile! Sol, sana!» Die Solsana bittet es: die Anstalt für Sonnenbehandlung, welche nordwärts über dem Saanendorf ein großes Stück des Alpenkranzes und Voralpengeländes überschauen läßt. Es ist die Klinik, die mit ihrer Meereshöhe von 1225 m sich 211 m über das Dorf erhebt. Sie ist eingebettet in die sanft geneigte Halde, welche die Westflügel des ụssere Haltewald offen lassen und empfängt so von drei Seiten her die Düfte des Fichtenbestandes, dessen Dichter Schluß allein von wohlbesorgten Spazierfußwegen unterbrochen ist.

Eine der Sonne anempfohlene Heilstätte für schwächliche Kinder ist die Bärgsu̦nne u̦f der Wí̦spi̦le. Über dem Anstieg von Gstaad nach dieser Reihe schöner Heimwesen am Nordfuß der hööije Wí̦spi̦le liegt dieses Kinderheim der Geschwister Stettler auf prächtig besonnter kleiner Ebene unweit zweier Waldsäume. Der Sonne erfreut sich ein zweites Kinderheim über Gstaad: die «Flora» der Saaner Familie Würsten am Anstieg nach der Bi̦ssen. Und ein drittes Kinderheim birgt der Grund. Die dort heimische Bauernfamilie Jaggi bietet ein Ferienheim zumal für Kinder, welche mit e̥me chlịịne Bi̦tzeli wärche im Garten einen Teil ihres Unterhalts abzuverdienen begehrten.

Aus Schöpfs Bernerkarte 1578

6 Sonne, heile! So ruft auch das Gegenstück der Stätte ärztlicher Heilkunst: die natürliche Heilanstalt der su̦nnige Lauene. Das ist das von der Vor- und Nachmittagssonne beschienene Gehäng, das nach der Tụbe (La.) und dem Lauihoore hinan strebt. So gibt es den vereinzelten Wohnsitz im su̦nnige Fang (Gd. 1632) und einen Su̦nnestand als Gelegenheit für Weidetiere, nach trüben Tagen wieder einmal sich stẹe̥ndlige z’su̦nne, sowie e su̦nnigi Matte. Der su̦nnig Wald über der Dorf-Rụ̈tti ist ein prächtiger Tann- und Buchenwald, der sich am Nordhang über der Saanen-Öy gegen den Vanel hinzieht. Der i̦nnder Haaltewald hinwieder bewirkt, daß d’Sunne d’s ganz Jahr ụs gẹng um Vieri untergeht, also zur Vesperzeit. Daraus erklärt sich auch der Name Väsperhụs im Schönried. Gegenstücke zu däm Väsperhụs sind die beiden Mittágshoore zu La. und Gst., über deren Scheitel die Sonne um Mittag zu stehen kommt.

Solsana

Phot. Nägeli, Gstaad

Um so verbü̦ü̦stiger raubt den Innder­gsteigere der Sanätsch d’Su̦nne für voll säx Wu̦chi, wie die Dorfflüeh (s. u.) dem Saanendorf auch bei prächtig blauem Himmel unliebsam läng Winteraaben da bereiten. D’s meist Zịt a’ n Schatte g’ställt sind die nordwärts gelegenen Örtlichkeiten, welche als di lätzi Weid (Gst.), d’s lätz Güetli (Ms.), di lätzi Matte (Gb.), der Lätzenacher (FÖ.), der Lätzbodem (FÖ.), der Lätzgụmm benannt werden. Sie liegen in der Li̦tzi (1630: au revers): sind der Sonne abgewandt wie etwa ein Gewandstück, das nach innen: u̦f di lätzi Sịten 1 umg’li̦tzt’s ist.

Desto heißer brennt die Sonne auf Steilgehänge mit ungeschützter dünner Rasendecke, so daß diese dürr wird: auf das Bi̦ssendü̦r ri am Nordabhang der Wassere, auf den Dü̦r rihu̦bel hinter den Dorfflühen und über der Alp im Kh., welche d’s Dü̦r ri heißt, ferner d’s 7 Dü̦r ri (o b-d dem Rohr zu Gsteig); auf das Sänggi (Gd.), dessen Gras die Sonne sengt; auf die Bratbire hierseits des Sanetsch.

Hier, wie an der rooten Egg, wo d’s Gras roots würd, wird so recht sichtbar, wie viel ungehinderter als im Unterland die Luft die Sonnenstrahlen dü̦rhi laat. Bereits auf dem Unterbort, das 150 m über dem Dorf Saanen sich nordwärts hinbreitet, isch ’s meiste̥s um ene Rock wärmer. Und läge Saanen in gleicher Höhe wie Rossenéiri (950 m), 2 so würde auch der Saaner eigena Wịn trĭ̦he.

Sunnigi Lauene

Phot. Marti, Gstaad

Die Helligkeit der Strahlen macht denn auch z.B. den Schatten vam Su̦nnezịt viel augenfälliger als im Unterland. Rudolf Wehren hat es darum mit Recht bedauert, daß die Kirchen von Rougemont und Saanen, sowie das jetzige Lanthụụs Saanen für die Sonnenuhren alter Zeit keinen Platz mehr hatten. Die 1922 musterhaft und kunstgerecht erneuerte Kirche von Lauenen hat solch ein Denkmal alter Rechenkunst bässer g’wü̦sse z’schätze.

Natürlich läßt die Höhenluft die Sonnenwärme auch g’lähiger e ntwü̦tsche. D’Chälti macht sich nachher doppelt fühlbar, und die Wirkung von Getränken, wa ụftrịbe als cheltigi Ru̦stig, wird zwiefach begreiflich.

 
1   Aw. 302.   2   Ebel (1809).  
 

III.

Es Grụ̈̆si mẹe̥h wan e Mil lionstel 1 des Erdengewichts wiegt der Luftozean über uns, während seine Hööiji, d. i. die Wettersphäre, in welcher Wind und Wolken ihre Rolle spielen, etwa den Hundertstel 8 der Erdachse ausmacht. 2 Und von diesem minimen Anteil hängt das Leben auf dem Erdboden vollständig ab: wịe̥r läben in der Luft und ván der Luft. Drum für den Landwirt und alle, die auf seine Urproduktion angewiesen sind, die alltäglich erste Frage: Was isch’s für Wätter? Wie er und alle auch auf das «Wetter» in übergetragenem Sinn: die Gemütsstimmung der nächsten Mitmenschen Acht zu geben Grund haben: ’s ist hụ̈t nit guet Wätter bị mụ oder bị ’ra; sein oder ihr Antlitz ist «nicht wie gestern und ehegestern». 3

Vi̦l li̦cht isch’s moren umhi schön u̦m sị u̦mha r, wie am Himmel. Denn das geläufigste Wort der Barometersprache lautet «veränderlich». Seltener heißt es «beständig schön» als Gegenspiel des übertragenen «beständig höhn». 4

E längi Leidi, leid Hu̦deltaga, wahre Hụrtaga 5 bringt der Föhn, der Heißwi̦nd. Das ist e rächta Chụtti, aber ein bitter unentbehrlicher Werkmann, 6 wa strụ̈bliget, bis er ụụs­g’strụ̈bliget’s hät. Wie während des Februars 1925 in der Ostschweiz hat er allerdings im Saanenland ni̦t grad g’hụụset. Es kam vor, daß er in der Enge es abg’lü̦ftets Dach einen Steinwurf weit wegtrug. Da und dort hät er e̥s Hụụs g’weiggelet; einen Fußgänger hät er schier gar g’schwäächt («geschwenkt», gestürzt).

Wi äärist es aber dem Föhn bei solchen Possen ist, zeigt er mit den von ihm am bewölkten Himmel gezogenen Striemen, die ụụsg’sẹe̥h wi̦ g’chẹe̥hrts Höuw (Chẹe̥rwälleni) am Boden; der Himmel wird ganz g’straameta.

So heißwindet es, oder es föhnet — so heftig wi̦ n es bịsliget. Denn auch die Bịse hat es eilig. So zunächst di wältschi Bịse. Das ist der Westwind als der unterbernische «Wätterluft», dessen Stoßkraft aber das Pays d’Enhaut als richtige Röhre sammelt, um sie in dem bei Saanen erweiterten Talboden wie aus einer Windbüchse losz’laße. Da pfịft sie über das Dokterhụụs o bd der Chilche hin gegen die tụ̈tschi Pfịffenegg und gegen d’s Saali u d’Schiibe hin, daß ’s ni̦t mẹe̥h schön ist. Ein Trost ist, daß dieser schöne Pfịffenegg-Hof zum Ersatze sich der prächtigen Aussicht erfreut und es ihm drum an gewählter Bewohnerschaft nicht fehlt. Ob 10 die «Pfyffen Egeren Elsa» von 1627 zu solcher gehörte, wußte das Chorgericht. Südwärts über Abländschen steht auf einsamer Berghöhe die wältschi Pfịffenegg.

Saanen mit Gifer, Wasserengrat und Wildhorn

Phot. Mösching, Saanen

Seltener als die wältschi geit die tütschi Bịse vom Simmental herauf, kann aber auch wie jene Regen und Schnee hertragen.

Während aller Windstille, wa ’s nit chnĭ̦steret u chräschlet, «bedeckt» der Himmel sich mit Wolken. Es b’schụ̈̆bt: es «schiebt» gleichsam den Deckel darüber, wie den flachen mit Tuch unterlegten Holzdeckel z. B. über die Öffnung des Aachchübel (s. u). Das Himmelblau wird damit dem Blick entzogen: versteckt, «verhehlt» durch die Hi̦l-bi; es wird hi̦lbig oder hääl. Das gleiche Wort bedeutet unterbernisch das Ver-«borgen»- und damit Ge-«borgen»-sein vor scharfen Winden an hi̦lbe n Stellen. Eine alte Erfahrung sagt: Am dritte Tag isch’s leid, we’s bis zum z’Aabe (Mittagessen, s. u.) keiner Wu̦lhe hät. Es ist vi̦l z’glanzheiter fü̦r lang schön z’sịị.

Wie der Wind die Wolken jagt und vielleicht regenlos verjagt, so läßt die Sonne nur spärlich (s. o.) den Nebel aufkommen. Sie macht so gründlich mit ihm fertig, daß der Saaner witzig wünschen kann: wenn nu̦me d’Su̦ne nit mịe̥ch schlückt wịe̥ n de n Näbel. Selten findet dieser also Zeit, einen von ihm bestrichenen Baum u. dgl. auch nur füechta: toppa (s. u.) zu machen. 7 Wenn Nebel und Wolken verschwinden, sagt man: Es wo lltt sich ụụfzieh (gleichsam den Deckel, der das Himmelblau verbirgt).

Selten so dicht ( dick), daß e̥s ụs em Näbel spụ̈ụ̈cht (spei-ch-t), spụ̈herlet, spụ̈werlet und tröpflet, geschweige zu den bekannten Übertreibungen Anlaß gebend, lagert und grụppet dieser Erbfeind des Unterlandes im Bereich der Saane. Gerade die Seltenheit seines Auftretens bietet aber unvergeßliche Augenweiden. Am 7. September 1922, abends um 7 bis 8 Uhr spannte sich eine hohe Nebelbrücke vom G’fell und dem Wasserngrat her quer über das Turbachtal gegen die Wí̦spi̦le hin. Die Nachmittagssonne hatte die Vormittags-Bewölkung und den Regen abgelöst. Solche Schauspiele haben einen seltsamen Ortsnamen veranlaßt. Die zu Lauenen gehörige, südöstliche Fortsetzung der Wassere, welch letztere durch den Marchgraben abgegrenzt ist und zu Saanen gehört, heißt der Brü̦ü̦sche nmbärg (s̆s̆). Sein Brü̦ü̦schegrat (Brüesche La.) setzt in gleicher Höhe den Wassereṇgrat fort. Die Hänge dieses Brüesche werden vom Nordwind bestrichen. Von ihnen weg wird dieser nach dem Lauenental gelenkt. Bringt er den erwarteten 11 oder den unzeitigen Schnee, so zieht er einher in nebligen Wellen, welche aussehen, wie der Rauch von dem zu einem Kügelchen ausgebrannten und verkohlten Taache (Docht-Ende) eines alten, mit Leinöl oder Fett gespiesenen Tägel (s. u.). Sein Rauch setzt sich wellenartig durch, die Stube fort und hinterläßt einen widerlichen Geruch: er brü̦ü̦schet (s̆s̆) oder brü̦eschet u bränzelet. 8 Drum heißt der Nordwind hier der Brüescheluft (s̆s̆) oder der Brüeschner, und der Berg, von dessen Flanken er herweht, ist der Brüeschembärg oder Brü̦ü̦schembärg (s̆s̆). 8a

G’hörig ernasse aber können Menschen und Tiere, wenn die Wolken ihre Goußeti, Tụ̈̆scha, ihri Spritzeti heruntersenden. So die Weidetiere auf einem besonders stark dem Regen ausgesetzten Rägemoos un andere nasse Weidene, die in der Tat keini Dü̦r re̥ni sị.

Gut nur, daß die Weidetiere mit ihrer wunderbaren Witterung die Witterung 9 einen Tag voraus erkennen und Schutz suchen können, indes Tiere wie das Rägemoli 10 , Ramoli, Rämoli (Tp.), der Regenmolch eben vor dem geahnten Regen auf Beute ausgehend ihr Schlupfloch verlassen.

Die Größe der Niederschläge 11 wurde z. B. für die zwei ersten Junitage 1922 auf 24 l per m² in Saanen gemessen durch Rudolf Wehren, der 12 dazu schrieb: «Das war eine Freude für die Landwirtschaft! Jetzt erst ist Maiwetter!»

Des Segens kann allerdings auch zu viel werden, so daß einzig groblächtem Humor der Trost verbleibt: Mụ mueß ’nen ẹmel ni̦t sụffe! Ab dem 24. Juni 1480 regnete es einen Monat lang unaufhörlich so stark, daß Mü̦̆hleni, Brü̦ggeni, Hụ̈ser u Schụ̈ụ̈reni weggerissen wurden, und daß es Erdbrüche gab, wie wieder zu Ende November 1651.

Umgekehrt sind 1362 die meisten Brunnen, Bäche und Bächleni ụs’trochchnet, und eine Menge Fische kamen um. Ebenso im Dezember 1762.

In einem Dezember fielen zu Saanen ausnahmsweise total 43 Liter Regen und 21½ Santimẹe̥ter Schnẹe̥. Solches schnị̆je war 12 allerdings eher ein bloßes schnịtzerle als ein flocknen u flättere (ein Flattern: flädere von Flocken wie Wäschlümpe und Lịlache). Bei solch zögerndem «schneierle» haften nur vereinzelte Flocken, wie an den Bäumen der Rauhreif: der Rịịffe, von welchem sie ’pụderet aussehen.

So geringe Schneemassen, wie im Nachwinter 1925 gefallen sind, gestatten natürlich ein frühzeitiges ụslaa (der Weidetiere). Aber es waxt glịch nit z’grächmụ, bis der Gägeschnẹe̥ em Bịtz lụgget u dünnet. Hierüber orientiert man sich am besten am Stu̦tz: dem waldlosen Streifen unter dem Eggli. Mu̦ soll nit ụslaa, ẹe̥b dä Schneefläcken am Stu̦tz ewägg ist. Wer diesen nicht sehen kann, hat ein Orientierungs­mittel am Schịbestand bi n der Gäärstere im Rübeldorf: dort und am Stutz geit der Schnẹe̥ fast am glịhe Tag fu̦rt. 13

Wie in jedem Hochgebirgstal, kann es auch im Saanenland in jedem Monet schnịje; selbst im Höuwmonet. So z. B. am 25. Juli 1922, wo die regnerisch kalte Witterung noch als Trost übrig ließ, daß zwischen zwei Schneefällen ein Stück blauen Himmels sich öffnete: eine Schnẹe̥heiteri. 1789 hät’s in der Lauenen all Wuchchi g’schnị̆t, nur an 21 Tagen nicht. 14 Kein Wunder denn, wenn selbst in Örtlichkeiten wie in allen den Schnẹe̥weidene, z. B. under em hindere Walig (Gst.) und unter andern hochgelegenen Alpen d’Schnụtze als Schneepflueg d’s ganz Jahr z’fahre hätti, und daß die ganze Talschaft oft noch im Meie im Schnee steckt. Also ẹe̥rst im Meien ẹe̥beret’s de nn ol d würd’s ẹe̥ber, unterbernisch: ääber oder aaber: schneefrei. 15 Auch so spẹe̥ti Ee̥beri macht indes den Bergler nit söve̥l chlu̦pfiga, weil er weiß, daß unter der warmen und wärmenden Schneedecke alsbald nach deren vergaa das schönste Grün fü̦rhaschießt. Es ist ein allgemeiner Kühertrost: Die spẹe̥ten Ụstaga sige g’wöhniglich no die bäste.

Bedenklicher g’seeht’s ụụs, wenn, wie z. B. am Neujahr 1378 oder am Aaben am vieri des 20. Dezember 1837, mitts im Winter der Ruf ertönt: Es chu̦nn t-g ga wättere! Es bli̦ckenet! Ein Blitz 16 folgt dem andern! Und ịe̥ze tonnderet’s, daß e̥s baalet: 13 daß das Echo z’ringsetum an de Flüehnen aaschlẹe̥t wie ein lang anhaltendes fernes, dumpfes bru̦mmlen u ru̦mplen u chroosen u chrachche.

Tal von Afläntschen

Phot. Marti, Bern

Den Schrecken solch winterlicher Wätter mildert die Erfahrung, daß sie (wie 1378) van guete Sụmmere gefolgt sein können. Besonders an sommerlichen Gewittern aber haftet Blitzgefahr. Ihr erlag am 13. Juli 1670 ein Haus und eine Scheune in de n G’münte und in der Nacht vom 1. August 1923 ein einsames Gehöft im Traßlibomm, Traßlibaum. 1679 erschlug ein Wätterschutz, ein Strahl, den Sohn des Kunrath Metzinen ( Metzene n) und im August 1921 den Christen Gander bim ri̦tzhöuwen in de Scharte (Gst.). Von Wut eingegebene Wünsche, der Tonnder sölli ihn schieße n, konnten denn auch vor Chorg’richt choo, wie am 12. Hornung 1647 die Äußerung des hagelbeschädigten Caspar Trog: der Tüfel habe ihm ein Glaser geschickt. 17 Nicht bloß Pfäästerschịbi, sondern auch Erntefelder kann ein Hagel, wie der von 1785 und g’waxe’s Matthöuw wie 1922 und 1925 zerschlaa, wenn er rächt leid schlẹe̥t.

 
1  Eckholm nach « Bund».   2  Vgl. Heim, Luftf. 11., Taf. 1.   3  1. Mos. 31, 2.   4  Wie die Söhne des Dichterpfarrers Kuhn parodierten.   5  Emanuel Schwitzgebel. Der Hụrtag: zu einem Schallwort hụrre: das Gefühl des Unbehagens glechsam durch die energisch bewegten Lippen aus dem Leib hinaus werfen.   6  Der Föhn ( Weig. 1, 565) ist der l. favŏnius, der als lauer Westwind das Aufleben der Natur im Frühling «fördert» ( favĕt: Walde 276 f.). Man denke an den Schnẹe̥läcker, Schnẹe̥frässer, ohne dessen ruuchs drịfahre «würd’s Frühling nie auf Erden». Vgl. Gw. 666 u. Fehnd.   7  Vgl. unterbernisch e toppi Hitz: eine schwüle Luft, welche beim erchalte verdichtete Wassertropfen fallen läßt.   8   Schwz. Id. 5, 827. Vgl. l. ŭstulăre (sengen) mit dem Anlaut br- von «brennen» kombiniert zu fz. brûler ( M.-L. 9097), etwa wie l. altus mit dem h- von «hoch» zu haut wurde.   8a  Nach Romang, Oberlehrer La.   9  Interessante Bedeutungs­spaltung eines Wortes.   10  Der ahd. mol hieß auch mol-m und mol-t, wie nhd. der Mol-ch. Die singularisierte Mehrzahl Mŏle als die Rägemŏle wurde als gescheutes Tierchen mit dem «Moor» zusammengestellt als das allerdings sehr kleine «Moori» und Mööri.   11   M. 51 a.   12  In seinen AvS.   13  Eine Beobachtung von Sigrist Kohli.   14   Ebel 1809   15  Vgl. Schwz. Id. 1, 39 f.; ab (ab de Bärge) gelangte als Bestimmungswort durch Weglassen des Grundworts zu adjektivischer Geltung: der Schnee ist aab (=geschmolzen) und wurde biegungsfähig: der Schnee ist aab-er (wie der Ableitung fähig: Abe nd, die Aabi usw.: Id. 1, 33 ff.). Das schneefreie Landstück als die «Aab-er-ĭ̦» wurde mittelst des i-Umlautes zur «Ääberi», zum «ääbere», ẹe̥bere. Mit «äb-er» vgl. z. B. lụt-er ( Kluge 281).   16  Schon der Blick ist, wie der «Augenblick» lehrt, ein plötzlich ausbrechender und verschwindender Schein, auch vom Himmel. Ein stark und wiederholtes Blicken heißt mhd. blick-ezen; daher der blick-ze, blitze, Blitz, «Blitz-g» (vgl. schwan-ken, swank-ez-an, schwanze, Schwanz u. dgl.).   17  Etwa wie die Maulwurfsgrille ( Wärre) ironisch la jardinière heißt.  
 

IV.

Es Loch i’ n Winter ist nach saanerischem Witz der Su̦mmer. Vollends für Afläntsche, das mit neunmonatlichem Winter rechnet — wie überhaupt nur mit Su̦mmer u Winter. Die sind ihm wie Tag u Nacht mit wenig oder keiner Dämmerung. Wie Su̦mmer- und Wintermatte wechseln als erwünschte Norm e schöna Su̦mmer 14 un e rụha Winter, daß ei’m flụderet, tschụderet u flụ̈schet (schüttelt) vor Chäälti. So 1362/1363 und 1751/1752.

Wie oft geschieht es allerdings, daß diese Norm Lei laugnet! 1 Es gibt, wie 1750 und 1924 liecht Wintera, wo es wie 1763 ẹe̥rst am läste Jäner schnị̆t, wo es aṇgẹe̥nds Merzen ẹe̥beret u gruenet, ja, wo man im Christmonḁt ströuwenet.

Hinwieder fegten am Karfrịtig 1363 Wind und Regen in 24 Stunden Schnẹe̥ und Ịịsch sufer e̥wägg, und der 31. März 1772 war schneefrei in de früeijeṇ Güetere. 1754 konnte man ganz früeij z’Weid fahre.

Überlauf der Witterung unentschiedenen Charakters bringt gern Krankheiten aller Art, namentlich Neuausbrüche überstandener Landseuchen. Man denke an die Grịppe im Hornung 1925 und im Jän ner 1927, die selbst in dem so gesunden Saanenland in fast jedem Haus alte Bekannte zu grüßen kam — zum Glück ohne Todesfälle, wie 1918. Mehr als ein Patient war allerdings von Gefahr bedroht: e̥ g’fährlicha, e̥ g’fährdeta.

Besonders milde Lenze zahlen sich heim mit Hụ̈ffe Su̦mmerschnẹe̥. So am 21. Juni 1568.

Um 8. Braahe 1618 schneite es im Dorf e Schueh. Der Augsteschnẹe̥ 1663 war nur eine Unterbrechung des Regens, der von April bis September fast ununterbrochen dauerte. Große Schneefälle auch am 24. Juni 1673 und 8. Juni 1751. Der im August 1829 wiederholt drüi Schueh hööij (also fast 1 m hoch) gefallene Schnee schmolz über Tag und ist uber Nacht g’froore, so daß mụ u̦f dem härte Schnẹe̥ das unter ihm weggezogene Ee̥md b’bunde hät. Mụ hät’s g’noo, so guet e̥s g’sịn ist: verrägnet’s u verschnịt’s, wie su̦m’s Höuw im Juli 1922. Di Chüeijer, wa n am 22. Braache (Juni) 1909 sị z’Bärg ’zü̦̆glet, hei g’rad chönne z’wintere ställe. Seit 18. Höuwmonḁt (Juli) hät’s je der ander Tag g’schnị̆t. Zị̆tewịịs hät’s g’strü̦bliget wị im Hornung; es ist vorchoo, daß der ganz Tag läng Ịịschzäpfen am Tach g’hanget sịị. Daa hät’s wĭ̦der e̥mal d’s schlächt u d’s guet Höuw alls b’brụụcht. Ei n Chẹe̥hr hei d’Chuehleni u̦f de n hööije nm Bärge drüi Tag müeßen uf d’s ụụslan warte. Da ist der Chieijere d’s jụze vergange! Derfür hei d’Chüe aag’fange, daß’s 15 eimụ dür ch March u Bei g’gangen ist. Däär Chüeijer, wa dännzumal di g’frorne Schueh an der Fụ̈ụ̈rgruebe hät verbrännt, hät’s ó ch no ch nit vergässe! 1a

Der Juni der Jahre 1676 und 1817 brachte das erste Gras und der 22. Juni 1821 neue Fröste. 1770 wurden viele Vórschḁssi gar nit b’sätzt.

Saanen im Winter

Phot. Marti, Bern

Gut nur, wenn am 10. Juli laut der Pratí̦ck ( les pratiques) die si̦be Schlääffer (Schlẹe̥ffer) der Legende wieder schön Wetter brachten. Wie erst, wenn man 1822 am 4. Juni hät aṇg’fange höuwe, und wenn man wie in dem heißen, fruchtbaren Sommer 1391 d’Gärsten ohni Räge hät ịmb’bracht!

Und schließlich der Herbst, Härbst! Als Zeit des «Pflückens» (l. carpĕre) 2 ist er im Sinn einer eigenen Jahreszeit dem Oberland fremd. Es sei denn, daß Hochsommer und tiefer Winter, wo nach jenem Schüleraufsatz Fremdenorte «sich hauptsächlich von Engländern nähren», seinen Namen erben. Des Berglers Ernte aber sind sein Höuwet und Ee̥mdet und siner Märeta.

 
1  Das nhd. bloß noch in einer-, mancher- usw. -lei lebende -lei war mhd. die lei Art und Weise und lebt mundartlich fort als die Lei = Art. Der ehrliche Kartenspieler haltet Lei: er «antwortet», wenn möglich, mit ụsgää einer Charte von gleicher Figur, Zeichenzahl und Farbe, wie sie ụsg’spịịlt worden ist. Tut er trügerischer Weise dies nicht, so tut er Lei lougne. Vgl. schwz. Id. 3, 947.   1a   Frutschi, Tp.   2   Kluge 205; Twann Nachw. 49; vgl. M.-L. 1711.  
 

V.

An aller Gattig Wätter ist zumal der Bergler dermaßen g’wahnet, daß weder jähe Umschläge noch übermäßige Dauer ungünstiger Witterung ihm u̦f d’Näärve schlaa. Dagegen tụụre ’nḁ d’Tierleni, die langem Hunger ausgesetzt sind. Schon das Wild, das wie bei den großen Schneelasten des Nachwinters 1924 sich bis zu Gehöften wagt. Da zeigen sich nur menschliche Bestien den tierischen feind. Gerade was e rächta Je̥ger 1 ist, setzt ihnen an geborgenen Stellen Futter aus. Ee̥rst rächt natürlich erbarme ’nḁ hungernde Haustiere. Da regt sich aber auch die Findigkeit 16 des von Naturunbilden g’fitzte n. So 1827. G’steiger pachteten Weide in Saanen; und als zur fatalsten Unzeit d’s Höuw ni̦t ist z’erzahle g’sịị, kaufte man alt’s Bettfueter (Bettlische, s. u.). D’s Pfund hät sich verchauft für ’ne Chrützer.

In Zeiten solcher Heunöte ging man in die Lawinenzüge und in die Ritzen (s. u.) und raufte Ritzfutter.

Ein Saaner habe zehn Kühe gehabt und kein Futter; da habe er eine Kuh gegen eine Bu̦rdi Röhrenstreue getauscht.

Ein Jaggi (Jakob) Gander sei mit seinen Tierlein gegen Thun gezügelt und habe bei allen Wirtshäusern füttern lassen; als er wieder herauf kam, sei der Schnee weg gewesen.

Johannes Jaggi (lange Gemeinde­präsident in Gsteig) erzählt: Sein Ähni­großvater in der Feutersoey ging einst am Ausgang des Winters mit Beil und Säge gegen die Saane. Es fragte ihn jemand, wohin er gehe. Antwort: är wälli da ahi gan e Schrot abtrööle (s. u.). Darauf fällte er eine Tanne und entließ das Vieh aus dem Stall, damit es sich am Tannchri̦i̦s sättige. 1a

G’nööteni an Futter herrschten auch 1363 und Anfangs 1834. Auch 1902, wo im Meie no sogar dürrs Härdäpfelg’stụ̈d isch g’fueteret worde. Dü̦r ri und Tụ̈ụ̈ri 1586 und 1587, 1767 und 1770, 1771. 1780 gab es wẹe̥nig Höuw, aber vi̦l Ee̥md. Umgekehrt 1777. Sehr fruchtbar waren dagegen die Jahre 1471 und 1759 — wie nie seit fünfzig Jahren. So berichtet der Wetterchronist Jakob Grundisch, dem wir viele der obigen Daten entnehmen.

Den Schluß dieses Abschnitts mögen drei Wettergespräche aus der dreiteiligen Mittelklasse Lauenen (Lehrer Karl Romang, nun Oberlehrer) bilden. 2

Grüeß Gott wohl! «Guete Tag. Wollt’s sü̦sch grad ụstage?» Es macht d’Gattig. Dü̦r ch di su̦n nigi Lauenen uehi isch’s ja scho ẹe̥ber. «U d’s Holz, 3 wennd wei wịe̥r’s den n abbha tue? Ich émel e̦e̥b daß’s den n ganz ụstaged.» Ja, wen n ich de nn Zịt haa! Wägen, 4 i ha no Trämla 5 z’füehre. I’ll 6 der’s de nn säge; appa den n di andri Wuchen e̥mal cha nn’s e̥s’s deṇṇ gää. «Ja, i mues s appa äppis ga chauffe, sü̦st isch de nn d’Mueter nụ̈ụ̈t z’fri̦dni.» Ja, i mues s o ch gaa. Sụ b’hüet Gott, Adịe̥! 7

Schneeschmelze

Nach dem Gemälde von A. Tièche

17 Grüeß Gott! «Guete Tag!» Es isch geng schön Wätter. «Ja, su̦mi 8 Lụ̈t brụụchte Schnẹe̥! Gäster bin ich i’ n Schönembŏ́dde g’sịịṇ gan e m Bu̦rdi 9 reiche. Da ist der Rootweidstu̦tz nu̦men e Pfụdel g’sị statt Schnẹe̥.» Daas wil l i gääreṇ glaube! D’Lüt hei’s scho lang g’chlagt. «I mues fraage, wi’s mit dem Platz steit; gienge me̥r mor geṇ ga m binde?» (s. u.). Ja, mịne̥twäge chönnt ịe̥hr nu̦meṇ ga m binde. «I mues s ga tụụschen 10 u ga h̦irte, sü̦sch würd’s spaat.» I mues ó ch dra hi̦i̦, sü̦sch u̦berchu̦men i keinisch z’Nacht. I mues s g’wu̦ß gaa; su̦ b’hüet Gott! Adiö! 11

Guete Tag wohl! «Grüeß Gott wohl! Wollt’s süsch grad ẹe̥bere? Es macht ei’m bald watz 12 Dü̦r ch die su̦nigi Lauenen uehi isch’s scho ẹe̥ber. «Ja, mier brụụchti’s émel nit z’ẹe̥bere. I hätti no ch z’holze.» Ja, u de nn weiß mụ no nụ̈t, es gi bt mängist grád u̦mhi en Änderig. «Da mangti mu scho d’Arbeit färtig z’haa fü̦r ga Schärhụ̈ụ̈ffe 13 z’brächche.» Ja, da dü̦r ch d’Ängi ụụs isch’s no ch nit ẹe̥ber. «Daas isch no ne-m braavi Burdi; du wü̦rsch scha u̦s em Brand ụsa haa?» Ja ja, i mues s de̥s ụụs, i ch wollt no ch i’ n Lade. Es isch jetz nụ̈t mẹe̥h z’früej; e̥s isch häärter 14 Zịt. Guet Nacht, Adiö! 15

 
1   Aw. 186.   1a  Von Dr. Arnold Jaggi.   2  Die Aufsätzchen zeigen, wie bäuerliche Kinder in die Arbeiten und Sorgen der Eltern hineinwachsen.   3  Das wieder für ein Jahr benötigte, nur bei Schlittweg aus dem Wald heraus­transportier­bare Brennholz.   4  «Von wegen» des Umstandes, daß...   5  Bauholzstämme.   6  Ich will.   7  Anna Brand, 4. Sch. (Vom 25. 2. 21.)   8  Einige (engl. some).   9  Streue oder Futter aus einem entfernten Stafel.   10  Gewand wechseln.   11  Ernst Reichenbach, 4. Sch. (5. 2. 21.)   12  Zu wetzen (s. u.): angst.   13  Maulwurfshügel.   14  nachgerade.   15  Erna Hauswirth, 4. Sch. (vom 25. 2. 21.)  
 

Wilder Reiz.

I.

Wi̦ldhoore, Wildstrubel, Wildgrat (La.), Wildlöchli, Wildembŏ́de (Kh.), Wildchähle, am wilden Eggli, der Wild Maa ( Le Videman), das Wildlụ̈teloch an Olden, in de n Wildene (Hochweiden), das Jagdwild im Tschärzis usw. — wie das wildelet! Im Namen schon, wie erst in der Sache!

An das stächche eines stächchige (stoßlustigen) Hornträgers erinnert das vom Gsteig über die Wi̦spi̦le nach dem Ebnit herüber winkende Spitzhoore. Drohend schaut das Stei nmbockhoore der Walliserseite über den schroff herausstehenden Abstieg des (Auer- oder Wild-) Hahne­schritt­hoore (La.). Das scheidet zwischen zwei weitern Zeugen der Wildnis: den zum Niesehoore hinanstrebenden Tu̦ngel­glätscher und den vom Gältehoore herunter­hängenden Gälteṇ­glätscher. Wie wild auch schieße ihre beiden Ausläufe zu Tal: in einem gewaltigen Schuß der Tu̦ngelischu̦tz, in fünf hohen Stufen 18 der Gälteschu̦tz. Eine trefflich gewählte Hochlandpartie, in welcher die Sektion Oldenhorn des SAC im Sommer 1926 die Gältehütte erstellte und an dem wunderschönen 18. Juli mit der Bergpredigt des Lauener Pfarrers Mühlemann, sowie den Liedern des Saaner Männerchors «Echo vom Olden» einweihte! 1 Alles eint sich zur Ausgestaltung dieser Talwand als einer Wildi, wie am Aufstieg zum Sanetsch der zwiefache Saane̥zschu̦tz es tut. Zur Wildnis des Lauenentals gehört im fernern, was schon der Name Lauenen (s. u.) besagt: der Donner der massigen Schneefälle von all den Fluhstücken, Ritzen und Rinnen des großzügig gestalteten Hintergrundes einer solchen Schaubühne.

Am Wildhorn

Phot. Nägeli, Gstaad

«Die außerordentlich wilde Sanetschgumm ( Saane̥zgu̦mbe) zieht sich gegen das Oldenhorn hin als ein scheußliches Felsental», schreibt 1829  1a der gewandte Bergsteiger Professor Wyß. Das Chalber­hönital sogar ist nicht nur « wild»; «fürchterlich und unpraktikabel ist sein Zugang» laut 1764 gefälltem Urteil des Saanen-Pfarrers Gerber, der auch kein Fürchtihans war.

Abschreckend wie diese von Saanen aus zu betretende «Schlucht», erschien alten Beschreibern des Saanenlandes das vom Gstaad aus zu erreichende Tü̦rpachtal. Wie bänglich blickten Fremde, die wie ein gehetztes Wild an das bewaldete Ufer des Tü̦rpachbach geraten 19 waren, empor an diese Steilgehänge links und rechts! an das Hoore mit der vordere Hooreflueh, an das Gehänge des Gi̦fer. Weiter hinten schreckten sie die wilden Höuwbärga, und schließlich standen sie vor der hööije Zụụnschlacht (Einschlag) gegen das Obersimmental: dem Rụ̈wlisse mit seinen talwärts rieselnden Wasserfurchen ( rivulis).

Wer hätte damals gewagt, den zerrissenen Wassereṇgrat zu überschreiten, an dessen Westgehänge im untersten Teil heute der zweiklassige Schulkreis Bi̦sse sich breitet!

Geltenhütte der Sektion Oldenhorn SAC

Phot. Nägeli, Gstaad

Eingekeilt: ịị nm-b’bi̦ßneta scheint er zwischen dem Scheidbach, Lauibach, Tü̦rpachbach und dem Marchgraabe, der zwischen Bissen und Lauenen maarchet. Wild stürzt dieser Bach im Frühling durch die gẹe̥iji Rinne hinunter, welche nordwärts der Lauener Ängi den Saaner Wassereṇgrat vom Lauener Brü̦ü̦scheṇgrat (Brụ̈e̥schengrat, s̆s̆, S. 10) trennt.

Dem stächige Hoore, das aber der Bergler bis zur vollen Umkehr seines engsten Sinnes häufig anwendet (s. u.), gesellt der Welsche den gleicherweise bis zur Verflachung genannten bịssige Zand.

Man denke an all die Dents de Morcles, du Midi usw. Aber im schärfsten Sinn des übertragenen Worts zeigt d’Zänd die Gastlosen-Gruppe, welche gegen Norden das Jauntal und damit auch das saanerische Afländsche vom Mittelland scheidet. Lange nicht zu zweitausend Metern erhebt sich diese Felskette nackter Zacken und Zinken und Zähne und Gräte; aber jeder der gleichwohl stolzen Gipfel hat sein 20 eigenes scharf geschnittenes Gepräge: sị’s G’sụ̈ụ̈n oder G’schmịịd gleichsam, das vom Bezwinger genau studiert sein will. 2

So aus der Südgruppe: die waldigi Egg. Aus der Mittelgruppe: das Sätteli; die Marchzänd, speziell der höchste der fünf. Aus der Nordgruppe: die Gratflueh, der Chemigu̦pf, der Glatt­wandspitz, der Turm, der Grenadier, die steinigi Chatz; der Tụmme, der Gabelspitz oder Eggturm gegen Süden. 3

An die Gastlosen schließen sich die Oberbärg-, Bi̦re n-, Wandflueh, Dent de Ruth. 4

Turbachtal

Phot. Marti, Bern

Welches Attribut erteilen wir einer zweiten nachbarlichen Felsgruppe, deren Bild dem Eisenbahnfahrer zwischen Gruben und Schönried so eindrucksvoll sich einprägt? Links über der Saane die Rüebelflueh, das Rüeblihoore, noch weiter südwärts die Gụ́mmflueh. 4a Aug in Aug stehen sie sich gegenüber. Die erstere herausfordernd voorahi b’bŏgni, als riefe sie zum Gegner hinüber: Chụmm, wenn d’darfst! Probier’s, wenn d’mụ trụ̈wist! Allein, die drüben tuet e̥kei Wank. Ihrer Unnahbarkeit bewußt, steht sie ruhevoll, geruhsam da und gewärtigt seit Jahrmillionen des ungestümen Angriffs. Aber auch die Vornübergebeugte mues warte, wie drohend ihre Haltung zu erwarten gibt: Ịe̥z! ịe̥z zieht sị va Läder.

21 Ein Gegenstück zum Wildhoore des Südens zeigt im Westen der Rüebli-Gruppe der Wild Maa: der Videman und die Videmanette des Waadtländer Oberlandes.

Über den Rubloz hinüber senkt sich die Rüeblihoore-Wand ostwärts hinüber zu den Saaner Dorfflüehne, diesen Sonnenräubern des Saanendorfes, der Oey und Rütti.

In den Gruben. Mit Gummfluh und Rüblihorn

Phot. Marti, Bern

Noch weiter südwärts erstrecken sich zwischen Ormont und Mittelwallis die Diablerets als die «Teufelsberge», in deren vielgestaltigen Höhlungen es zeitweilig unheimlich ru̦mplet u chäßlet von herunter­fallenden Kalksteinen un Ịịsch-mü̦rgglen u -chlü̦mpen a b-d dem Gletscher.

 
1   AvS. 21. 7. 26 ff. Die «Berner Woche» 1926, 488 brachte eine Photographie der den modernen Anforderungen trefflich angepaßten Hütte von Nägeli am Gstaad, sowie von A. Zumbrunnen, Stationsvorstand in Saanen, eine sachkundige Beschreibung, gefolgt vom stimmungsvollen Prolog: «Der Geltenhütte Wiegenlied».   1a   AR. 309.   2   SAC 41, 163. Ihr Schema: 41, 145.   3   SAC 26, 410-4; 41, 149. 160.   4  Ansicht vom Widdergalm aus: SAC 26, 411; vgl. AvS. 1888, 45.   4a  Vgl. A. Baltzer, Das Berner Oberland S. 236 ff., 241.  
 

II.

Ein paar leiternhohe Beilü̦pf nur, und der Talwanderer erfährt, wie ein bestimmter Ort das Attribut lustig, d. i. schön verdient; weshalb dies der Schöne nmbŏde und jenes der Belmú̦nt ( Belmont) ist. Hinan nur schon auf das Saaner Saali mit seinem alle Erwartung übertreffenden Panorama 1 («Kreisbild», wie Küenlin gut verdeutscht). Solches bieten aber schon das Unterbort über Saanen und erst recht auch das Oberbort über Gstaad. Zu reden nicht von Kleinkinderschul-Bergen wie Cholis Gri̦nt, Wi̦spile und vorderi Hooreflueh!

22 ... Da guggen i ch mi’s Täälti aa,
Es Täälti, wie’s no keis hät g’haa.
Es flimmeret dür d’Morgeluft
Wi Himelsglanz u Sunneduft.
Es glitzeret uf alle Reine
Wi Milione Edelsteine.
U dur e Sunneglanz tuet dringe,
Was unna d’Sunntigsgloggi singe.
U mitts im Grüene steit
Es Hüsli chlin u breit.
Vam Dächli stigt iez bolzgraduuf
Es Räucheli zum Himel uuf... 2

Geltental

Phot. Nägeli, Gstaad

Ịe̥hr chämet ü̦ns choṇ ga zeige, was wịe̥r Schöns hei! So hieß und heißt es auch erst recht im Saanenland zu städtischen und bäuerlichen Gästen aus dem Flachland. Die hein aaṇ­g’fange choo vor einem Jahrhundert; seelisch vornehme Bewunderer der «Alpen», deren Herrlichkeit der große Haller in seinem bahn­brechenden Gedicht erschlossen hatte. Ihr Weg führte sie auch ins Saanenland.

 
1  Vgl. Beilage: Panorama vom Saali.   2  Aus dem Gedicht von Fritz Ebersold im AvS. 1914, 9.  
 

III.

Mit éinem Blick umfaßt vom Gsteig­bodem aus das Auge den Doppelstrahl des Saane̥z­schu̦tz, der in «hundert­metrigem» Sturz so gestaltenreich von der äußersten Sanetschwand her die Tiefe sucht. Mit fein gelöstem 23 Tau besprengt er bis zur entgegenstehenden Burg hinüber seinen Bereich und läßt, wenn von Abend her die Sonne blinkt, ihn zauberhaft in Regenbogen­farben den Beschauer grüßen. 1 Wie sein Miniatur-Abbild ergießt sich von der Oldenalp herunter der Oldeschu̦tz als der malerische Fall vam Rụ̈ụ̈schbach.

Unterhalb des Lauener Rottals vereinigt sich ein ganzes Dutzend kleiner und großer Wasserfälle, um, in den zwei mächtigen Strahlen des hoben Gälteschụtz vereint, weit in die Luft hinaus z’schieße. Von den beiden Hauptstrahlen hat der under Schụtz eine Rinne hineingesägt in den Bergriegel, über den er hinunterstürzt. Wie mächtig muß der Erguß gewesen sein, als — noch vor wenig Menschenaltern — der den Gälte nmbach nährende Geltengletscher über den obern Saum der Geltenwand überhing! 2

Tschärzisbach

Phot. Marti, Bern

Mit den drei Terrassen des Tu̦ngel­bach vereinigt sich der Tu̦ngel­schu̦tz zu einem prächtigen Gesamtbild. Der Jaunfall, so reich sich ergießend, als wäre er «die zusammen­gegossene Milch der Alpen­triften über ihm», ergänzt den Rundblick 3 über all die erhabenen Zierden der ohne sie so kahlen und starren Felswände.

Zum Erhabenen das Liebliche bietet dem Gsteig­wanderer schon der Anblick des Tschärzis­bach nahe der Lädi zu Feutersöy. Welch ein Anblick am hellen Wintertag, wenn von den e̥twärist in den Bach gelegten Schwellen die vereisten Miniatur­stürzchen 24 in der Sonne glitzern und zwitzern! — Zur Augen- kommt die Ohrenweide: Wie das chrŏset, «dießet» (ahd. diozat) 4 und tooßet, bis es für den mälig fernern Hörer vertooßets hät! Wie das beim Aufschlagen glu̦ntschet u plu̦ntschet, Plu̦ntscha gi bt! Wie der Wildbach brodlet!

Und die Bäche schluchzen lauter,
Wenn die Schneelast tost am Hange. 5

Ja, schreiende Bäche gibt es: welche hinunter schieße! So ergießt sich von der Walliser Wi̦spi̦le der schrịjend 6 Graabe — vgl. die «schrịjendem Bäch» u̦f Olden — in die Saane und erhebt auch bei niederm Wasserstand, wenn vom Föhn begleitet, seine Stimme.

 
1  Vgl. Cons. V. 141 f.   2  Schwitzgebel. SAC 16, 182 f. Dazu die schöne Schilderung Cons. V. 186 f.   3  Vgl. Bonst. 6.   4  Vgl. Dießbach usw. bei Gatsch. O. 308.   5   Engelb. 20.   6  Hedwig Anneler: Der schreiende Bach. V. K. V. 43.  
 


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