Karl Gjellerup
Der Pilger Kamanita
Karl Gjellerup

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XXVI. Die Kette mit dem Tigerauge

Als du, du mein Freund, Kosambi verlassen hattest, schleppte ich meine Tage und Nächte elend dahin, wie es ein Mädchen tut, das vom schleichenden Fieber der Sehnsucht verzehrt wird und dabei in tausend Ängsten um den Geliebten schwebt. Ich wußte ja nicht einmal, ob du noch die Erdenluft mit mir atmetest. Denn ich hatte gar oft von den Gefahren solcher Reisen gehört. Und nun mußte ich mir auch noch die schrecklichsten Vorwürfe machen, weil ich ja selber durch den törichten Eigensinn meiner Liebe die Schuld daran trug, daß du nicht unter dem Schutze der Gesandtschaft die Rückreise in völliger Sicherheit gemacht hattest. Und dennoch vermochte ich nicht, diese meine Unbesonnenheit zu bereuen, da ich ihr doch alle jene schönen Erinnerungen verdankte, die mein ganzer Schatz waren.

Selbst Medinis aufmunternde und tröstende Worte vermochten nur selten die Wolke meiner Schwermut zeitweilig zu vertreiben. Mein bester und treuester Freund war der schöne Asokabaum, unter dem wir in jener herrlichen Mondnacht standen, die du, mein süßer Freund, gewiß nicht vergessen hast, und den ich damals mit den Worten Damayantis anredete. Unzählige Male versuchte ich aus dem Rauschen seiner Blätter eine Antwort auf meine besorgte Frage herauszuhören, in dem Fallen einer Blume oder dem Spiele der Lichtflecken auf dem Boden irgend eine Vorbedeutung zu sehen. War dann einmal ein solches selbstgemachtes Orakelzeichen im günstigen Sinne ausgefallen, dann konnte ich mich einen ganzen Tag oder noch länger fast glücklich fühlen und hoffnungsvoll in die Zukunft schauen. Gerade dadurch wuchs dann aber die Sehnsucht, und mit ihr kehrten dann die Befürchtungen zurück, wie böse Träume der Fieberhitze entwachsen.

In diesem Zustand war es fast eine Wohltat, daß es bald nicht länger meiner Liebe erlaubt wurde, in einsamer Tatenlosigkeit nur ihrem Leide zu leben, sondern daß sie in eine Kampfstellung gedrängt wurde, in der sie alle ihre Kräfte zusammennehmen mußte, wenn ich mich auch dadurch fast mit meinen Nächsten völlig entzweit hätte.

Satagira, der Sohn des Ministers, verfolgte mich nämlich jetzt immer eifriger mit den Zeichen seiner Liebe, und ich konnte mich nicht mehr in einem öffentlichen Lustgarten mit meinen Gespielinnen zeigen, ohne daß er da war und mich zum Gegenstand seiner aufdringlichen Aufmerksamkeit machte. Daß ich diese nicht im geringsten erwiderte, ja ihm deutlicher, als es höflich war, zeigte, wie sehr sie mir verhaßt war, hatte nicht die mindeste abkühlende Wirkung. Bald fingen nun meine Eltern an, erst mit allerlei Andeutungen, dann immer unverblümter, seine Sache zu befürworten, und als er schließlich mit seinem Werben offen hervortrat, verlangten sie, daß ich ihm meine Hand geben sollte. Ich versicherte ihnen unter bitteren Tränen, niemals Satagira lieben zu können; das machte jedoch nur wenig Eindruck auf sie. Aber ebensowenig wirkten auf mich ihre Vorstellungen, ihr Bitten und Zürnen, das Flehen meiner Mutter, die Drohungen meines Vaters.

In die Enge getrieben, erklärte ich ihnen zuletzt geradeaus, daß ich mich dir – von dem sie schon durch Satagira gehört hatten – versprochen hätte, und daß keine Macht der Welt mich zwingen könnte, dir das heilige Wort zu brechen und einem Anderen anzugehören. Käme es aber zum Äußersten, dann würde ich durch dauernde Verweigerung jedweder Nahrung mir selber den Tod geben.

Als meine Eltern nun merkten, daß ich wohl imstande war, diese Drohung auszuführen, gaben sie endlich, wenn auch sehr betrübt und erzürnt, die Sache auf; und auch Satagira schien sich nun in sein Schicksal zu fügen und darauf bedacht zu sein, sich über seine Niederlage in der Liebe durch Siegestaten auf einem rauheren Schlachtfelde zu trösten.

In dieser Zeit meldete das Gerücht viel Schreckliches von dem Räuber Angulimala, der mit seiner Bande ganze Gegenden verheerte, die Dörfer einäscherte und die Wege so unsicher machte, daß zuletzt fast niemand mehr wagte, nach Kosambi zu reisen. Ich geriet darob in große Angst, denn ich fürchtete natürlich, daß du jetzt endlich kommen und unterwegs in seine Hände fallen möchtest. Es verlautete nun plötzlich, Satagira habe den Oberbefehl über eine große Truppenmacht erhalten, um die ganze Gegend von Kosambi zu säubern und womöglich Angulimala selber und die anderen Hauptführer der Bande gefangen zu nehmen. Er habe, hieß es, geschworen, dies zu erreichen oder bei dem Versuche im Kampfe zu fallen.

So wenig ich auch sonst dem Sohne des Ministers hold war, so konnte ich doch nicht umhin, ihm diesmal besten Erfolg zu gönnen, und als er auszog, folgten meine segnenden Wünsche seinen Fahnen. Etwa eine Woche später war ich mit Medini im Garten, als wir von der Straße her lautes Geschrei vernahmen. Medini lief sofort hin, um zu erfahren, was geschehen sei und meldete alsbald, Satagira kehre im Triumph nach der Stadt zurück, nachdem er die Räuber niedergemetzelt oder gefangen genommen habe; auch der schreckliche Angulimala sei lebendig in seine Hände gefallen. Sie forderte mich auf, mit ihr und Somadatta auf die Straße zu gehen, um den Einzug der Krieger und der gefangenen Räuber zu sehen, aber ich wollte nicht, weil ich es Satagira nicht gönnte, mich unter den Zuschauern seines Triumphes zu sehen. So blieb ich denn allein zurück, überglücklich bei dem Gedanken, daß die Wege für meinen Geliebten jetzt wieder geöffnet seien. Denn so wenig ahnen ja die Sterblichen den Gang des Schicksals, daß sie manchmal, wie ich es damals tat, als einen Glückstag den Tag begrüßen, an welchem gerade ihr Leben eine Wendung zum Düsteren nimmt.

Am folgenden Morgen trat mein Vater in mein Zimmer. Er überreichte mir eine kristallene Kette mit einem Tigeraugen-Amulett und fragte mich, ob ich sie wohl erkenne. Mir war, als ob ich umsinken müßte, aber ich nahm alle meine Kräfte zusammen und antwortete, die Kette ähnele einer, die du immer um den Hals getragen hättest.

»Sie ähnelt ihr nicht,« sagte mein Vater mit grausamer Ruhe – »sie ist es. Als Angulimala gefangen genommen wurde, trug er sie, und Satagira erkannte sie sofort wieder. Denn, wie er mir erzählte, hat er einmal mit Kamanita im Parke um deinen Ball gerungen. Dabei zerriß Kamanitas Kette, die er ergriffen hatte, um seinen Widersacher daran zurückzuhalten, und blieb in seinen Händen, so daß er sie genau betrachten konnte. Er war überzeugt, sich nicht zu täuschen. Auch hat dann Angulimala, peinlich befragt, eingestanden, daß er vor etwa zwei Jahren die Karawane Kamanitas auf ihrem Rückwege nach Ujjeni in der Gegend von Vedisa angegriffen, die Leute niedergemetzelt und Kamanita mit einem Diener gefangen genommen habe. Den Diener schickte er nach Ujjeni um Lösegeld. Da dies aber aus irgend einem Grunde ausblieb, hat er nach dem Brauch der Räuber Kamanita getötet.«

Bei diesen schrecklichen Worten hätte mich wohl die Besinnung verlassen, wenn sich nicht meinen verzweifelten Gedanken sofort eine Möglichkeit eröffnet hätte, noch gegen die Hoffnung selbst zu hoffen:

»Satagira ist ein schlechter und verschlagener Mensch,« antwortete ich mit scheinbarer Ruhe, »der vor keinem Betrug zurückschreckt, und er hat sein Herz oder vielmehr seinen Stolz darauf gesetzt, mich zur Frau zu gewinnen. Wenn er damals die Kette so genau betrachtet hat, was sollte ihn dann hindern, eine ähnliche anfertigen zu lassen? Ich glaube, als er von Angulimala hörte, ist er auf diesen Gedanken verfallen. Hätte er auch nicht Angulimala selber gefangen, so könnte er doch immer sagen, die Kette sei im Besitz der Räuber gefunden worden und sie hätten eingestanden, Kamanita getötet zu haben.«

»Das ist kaum möglich, meine Tochter,« sagte mein Vater kopfschüttelnd – »und zwar aus einem Grunde, den du freilich nicht sehen kannst, den ich aber glücklicherweise als Goldschmied dir aufdecken kann. Wenn du die kleinen Goldglieder betrachtest, die die Kristallstücke miteinander verbinden, so wirst du bemerken, daß das Metall rötlicher ist als das der hiesigen Schmucksachen, weil wir in unseren Legierungen mehr Silber als Kupfer verwenden. Auch ist die Arbeit gerade von der etwas gröberen Art, wie man sie in den Gebirgsländern ausführt.«

Mir schwebte die Antwort auf der Zunge, er sei selber ein so geschickter Goldschmied, daß sowohl die richtige Zusammensetzung als auch die charakteristische Bearbeitung des Goldes ihm wohl gelingen dürfte; denn ich sah Alles gegen unsere Liebe verschworen und traute selbst meinen Nächsten nicht. Indessen begnügte ich mich damit, zu sagen, ich ließe mich keineswegs durch diese Kette überzeugen, daß mein Kamanita nicht mehr am Leben sei.

Mein Vater verließ mich nun in großem Zorn, und ich konnte mich in der Einsamkeit ganz meiner Verzweiflung hingeben.


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