Karl Gjellerup
Der Pilger Kamanita
Karl Gjellerup

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XL. Im Krishnahain

Seit jenem ersten Abend versäumte ich keine Gelegenheit, um den Krishnahain zu besuchen und durch die Worte des Erhabenen oder eines seiner großen Schüler tiefer in die Lehre eingeführt zu werden.

Während mein Gemahl nun noch abwesend war, stieg die Furcht der Bürger Kosambis vor dem Räuber Angulimala von Tag zu Tag. Gerade dadurch, daß von neuen Taten nichts verlautete, wurde die Phantasie aufgeregt. Plötzlich verbreitete sich das Gerücht, Angulimala wolle eines Abends den Krishnahain überfallen und die dort zum Besuch versammelten Bürger, ja wohl gar den Buddha selbst entführen. Dadurch steigerte sich die Erregung der Gemüter fast bis zum Aufruhr. Man sagte sich, daß, wenn durch verruchte Räuberhände dem Erhabenen vor Kosambi ein Leid geschähe, dann würde der Zorn der Götter die ganze Stadt treffen.

Ungeheure Menschenmengen wogten durch die Straßen, und, vor dem königlichen Palast sich sammelnd, verlangten sie drohend, daß König Udana dies Unheil abwenden und Angulimala unschädlich machen solle.

Am folgenden Tage kehrte Satagira zurück.

Er überhäufte mich sofort mit Lob wegen meines guten Rats, dem er es allein danken wollte, daß er heil nach Hause kam. Vajira, seine zweite Frau, die mit ihrem Söhnlein auf dem Arm erschien, um ihn zu bewillkommnen, wurde kurz abgefertigt: er habe mit mir noch Wichtiges zu besprechen. Als wir nun wieder allein waren, fing er zu meinem unsagbaren Unbehagen sofort an, von seiner Liebe zu reden, wie er mich unterwegs vermißt, wie sehr er sich auf diese Stunde des Wiedersehens gefreut habe.

Schon wollte ich von den Unruhen in der Stadt erzählen, um ihn auf andere Gedanken zu bringen, als der Kämmerer gemeldet wurde, der ihn zum König rief.

Nach etwa einer Stunde kehrte er zurück – ein anderer Mensch. Blaß, mit verstörten Zügen trat er bei mir ein, warf sich auf eine Bank und rief, er sei der unglückseligste Mann im ganzen Reiche, eine gefallene Größe, bald ein Bettler, wenn nicht gar Kerker oder Verbannung ihm drohe, und an seinem ganzen Unglück sei seine grenzenlose Liebe zu mir schuld, die ich nicht einmal erwidere. Auf meine wiederholte Aufforderung, mir doch zu sagen, was geschehen sei, beruhigte er sich endlich so weit, daß er, unter vielen Verzweiflungsausbrüchen und während er sich fortwährend die Schweißtropfen von der Stirn trocknete, mir den ganzen Vorgang im Palaste berichten konnte.

Der König hatte ihn sehr ungnädig empfangen und ohne etwas von dem geschlichteten Dorfstreit hören zu wollen, ihm unter Drohungen geboten, die volle Wahrheit über Angulimala einzugestehen, die Satagira jetzt auch mir beichten mußte, ohne zu ahnen, wie gut ich schon davon unterrichtet war. Übrigens sah er darin nur einen Beweis seiner »grenzenlosen Liebe« zu mir, und erwähnte meine Liebe zu dir leichthin als eine törichte Jugendschwärmerei, die ja jedenfalls zu nichts geführt hätte. Die Sache war aber auf folgende Weise dem König zu Ohren gekommen.

Während der Abwesenheit Satagiras war es der Polizei gelungen, den Helfershelfer Angulimalas aufzuspüren, und dieser hatte im peinlichen Verhör bekräftigt, daß jener Räuber wirklich Angulimala selber sei, der damals nicht, wie der Minister immer behauptet hatte, auf der Folter gestorben, sondern entflohen wäre; auch jenen Anschlag Angulimalas auf den Krishnahain hatte er bekannt. Der Fürst war natürlich aufs höchste darüber erzürnt, daß Satagira seinerzeit den furchtbaren Räuber hatte entschlüpfen, lassen und dann ganz Kosambi und seinen König durch einen aufgesteckten falschen Kopf betrogen hatte; er wollte auf keine Worte der Verteidigung oder auch nur der Entschuldigung hören. Wenn Satagira nicht binnen drei Tagen Angulimala unschädlich machte – wie es das Volk so stürmisch verlangte – dann würden ihn alle Folgen der fürstlichen Ungnade aufs empfindlichste treffen.

Nachdem Satagira dies erzählt hatte, warf er sich weinend auf die Bank, raufte sich die Haare und gebärdete sich wie ein Wahnsinniger.

»Sei getrost, mein Gemahl,« sagte ich. »Folge meinem Rate, und nicht erst in drei Tagen, sondern noch heute sollst du wieder im Besitz der fürstlichen Gunst sein, ja nicht nur das, sondern diese wird noch strahlender über dich leuchten denn je zuvor.«

Satagira setzte sich auf und sah mich an, wie man wohl ein Naturwunder anstaunt.

»Und wozu rätst du mir denn?« »Du sollst zum König zurückkehren und ihn überreden, sich nach dem Sinsapawalde vor der Stadt zu begeben, dort am alten Tempel den Buddha aufzusuchen und ihn um Rat zu fragen. Der Rest wird dann von selber folgen.«

»Du bist eine kluge Frau,« sagte Satagira. »Jedenfalls ist dieser Rat sehr gut, denn jener Buddha soll ja der weiseste aller Menschen sein. Wenn es auch schwerlich so gute Folgen für mich haben kann, wie du dir denkst, so will ich doch den Versuch machen.«

»Daß die Folgen nicht ausbleiben werden,« antwortete ich, »dafür stehe ich mit meiner Ehre ein.«

»Ich glaube dir, Vasitthi,« rief er, indem er aufsprang und meine Hand ergriff. »Wie wäre es möglich, dir nicht zu glauben. Beim Indra! Du bist eine wunderbare Frau, und ich sehe jetzt, wie wenig ich mich irrte, als ich in meiner noch unerfahrenen Jugend, wie einem Instinkte gehorchend, aus dem reichen Mädchenflor Kosambis dich allein ausersah und mich auch durch deine Kälte von meiner Liebe nicht abbringen ließ.«

Die Feurigkeit, mit welcher er mich lobte, ließ mich fast bereuen, daß ich ihm den hilfreichen Rat gegeben hatte, aber schon seine nächsten Worte beruhigten mich, denn er sprach jetzt von seiner Dankbarkeit, die unerschöpflich sein würde, auf welche Probe ich sie auch stellte.

»Nur eine einzige Bitte habe ich, durch deren Erfüllung du mir deine Dankbarkeit hinreichend bezeugen kannst.«

»Nenne sie mir sofort,« rief er, »und wenn du auch verlangst, daß ich Vajira mit ihrem Sohne zu ihren Eltern zurückschicke, so werde ich es unweigerlich tun.«

»Meine Bitte ist eine gerechte, keine ungerechte, aber ich werde sie erst vorbringen, wenn mein Rat sich in vollstem Maße bewährt hat. Eile du aber nun zum Palast und setze beim Fürsten diesen Besuch durch.«

Ziemlich bald kehrte er zurück, glücklich, daß es ihm gelungen war, den König zu diesem Ausflug zu bestimmen.

»Erst als Udena vernahm, daß der Rat von dir herrührte,« sagte er, »und daß du mit deiner Ehre dich für den guten Erfolg verbürgtest, gab er nach, denn auch er hält große Stücke auf dich. O, wie stolz bin ich auf eine solche Gemahlin!«

Diese und ähnliche Worte, an denen er es in seiner zuversichtlichen Stimmung nicht fehlen ließ, waren mir peinlich genug und wären es noch mehr gewesen, wenn ich nicht bei dieser ganzen Sache meine geheimen Gedanken gehabt hätte.

Wir begaben uns nun sofort nach dem Palast, wo schon Vorbereitungen zur Fahrt getroffen wurden.

Sobald die Strahlen der Sonne ihre Glut etwas milderten, bestieg König Udena seinen Staatselefanten, die vielgerühmte Bhaddavatika, die, weil sie schon sehr alt war, nur noch bei den feierlichsten Gelegenheiten benutzt wurde. Wir, der Kämmerer, der Schatzmeister und andere hohe Würdenträger folgten in Wagen nach, zweihundert Reiter eröffneten und ebensoviele beschlossen den Zug.

Am Eingange des Waldes ließ der König Bhaddavatika niederknien und stieg ab; wir anderen verließen die Wagen und begaben uns in seinem Gefolge zu Fuß nach dem Krishnatempel, wo der Buddha, der vom fürstlichen Besuche schon unterrichtet war, von seinen Jüngern umgeben, uns erwartete.

Der König bot dem Erhabenen ehrerbietigen Gruß dar und setzte sich zur Seite nieder. Als nun auch wir andern Platz genommen hatten, fragte der Vollendete:

»Was ist dir, edler König? Hat etwa der König von Benares oder irgend ein anderer deiner fürstlichen Nachbarn dein Land mit Krieg bedroht?«

»Nicht hat, o Herr, der König von Benares, noch irgend einer meiner fürstlichen Nachbarn mich bedroht: ein Räuber, o Herr, lebt in meinem Lande, Angulimala genannt, grausam und blutgierig, an Mord und Totschlag gewöhnt, ohne Mitleid gegen Mensch und Tier. Der macht die Dörfer undörflich, die Städte unstädtlich, die Länder unländlich. Er bringt die Leute um und hängt sich ihre Daumen um den Hals. Und in der Bosheit seines Herzens hat er jetzt den Plan gefaßt, diesen heiligen Hain zu überfallen und den Erhabenen und seine Anhänger zu entführen. Ob solch großer Gefahr entsetzt, murrt mein Volk, drängt sich in großen Scharen um meinen Palast und verlangt, daß ich diesen Angulimala unschädlich mache. Das also liegt mir allein im Sinne.«

»Wenn du aber, edler König, Angulimala sähest, mit geschorenem Haar und Barte, mit fahlem Gewände bekleidet, dem Töten entfremdet, dem Stehlen entwöhnt, zufrieden mit einer Mahlzeit, keusch wandelnd, tugendrein, edel geartet: was würdest du dann mit ihm machen?« »Wir würden ihn, o Herr, ehrerbietig begrüßen, uns vor ihm erheben und ihn zu sitzen einladen, ihn bitten, Kleidung, Speise, Lager und Arznei für den Fall einer Krankheit anzunehmen, würden ihm, wie sich's gebührt, Schutz und Schirm und Obhut angedeihen lassen. Wie aber sollte, o Herr, ein so arger, bösartiger Mensch eine solche Tugendläuterung erfahren?«

Nun saß aber der ehrwürdige Angulimala nicht fern vom Erhabenen. Und der Erhabene wies mit dem rechten Arme hin und sprach also zu König Udena:

»Dieser, edler Fürst, ist Angulimala.«

Da entfärbte sich das Gesicht des Königs vor Angst. Aber bei weitem stärker war das Entsetzen Satagiras. Seine Augen schienen aus ihren Höhlen springen zu wollen, seine Haare sträubten sich, kalter Schweiß tropfte von seiner Stirn.

»Weh mir,« rief er, »ja, jener ist gewißlich Angulimala, und ich Elender habe meinen König verleitet, sich in seine Gewalt zu begeben.«

Dabei sah ich's ihm nur zu deutlich an, daß er nur deshalb so vor Angst bebte, weil er sich selbst in der Gewalt seines Todfeindes wähnte.

»Dieser Schreckliche,« rief er weiter, »hat uns alle betrogen – hat den Erhabenen selbst betrogen und auch meine leichtgläubige Gemahlin, die, wie alle Frauen, viel auf Bekehrungsgeschichten gibt. So sind wir in diese Falle gegangen.«

Und seine Blicke irrten umher, als ob er hinter jedem Baum ein halbes Dutzend Räuber entdeckte. Mit stotternder Stimme und zitternder Hand beschwor er den König, durch eilige Flucht seine teure Person in Sicherheit zu bringen.

Da trat ich denn vor und sprach:

»Sei ruhig, mein Gemahl! Ich bin imstande, sowohl dich wie meinen edlen Fürsten zu überzeugen, daß hier keine Falle gelegt ist und daß keine Gefahr droht.«

Und ich erzählte jetzt, wie ich, von Angulimala überredet, mit ihm zusammen einen Anschlag gegen das Leben meines Gemahls vorgehabt hätte, und wie dieser Anschlag eben nur durch die Bekehrung meines Verbündeten vereitelt worden sei.

Als Satagira hörte, wie nahe er dem Tode gewesen war, mußte er sich auf den Arm des Kämmerers stützen, um nicht umzusinken.

Ich bat nun den König fußfällig, meinem Gemahl zu verzeihen, wie ich ihm verziehen habe, da er durch Leidenschaft irregeführt gesündigt habe und dabei wohl auch unbewußt einer höheren Führung gefolgt sei, die vor unseren Augen das höchste Wunder wirken wollte: anstatt daß man einen Räuber hingerichtet hätte, sei jetzt aus einem Räuber ein Heiliger geworden.

Und als der Fürst mir gnädig zugesagt hatte, meinem Gemahl wieder seine volle Gunst zuzuwenden, sprach ich zu Satagira:

»Mein Versprechen habe ich nun gehalten. So halte auch du das deine und gewähre mir meine einzige Bitte. Diese aber geht dahin, du mögest mir gestatten, in den heiligen Orden des Buddha einzutreten.«

Mit einem stummen Kopfnicken gab Satagira seine Einwilligung, wie er denn auch nicht anders konnte.

Der König aber, der nun ganz beruhigt war, trat an Angulimala heran, sprach freundlich und ehrerbietig zu ihm und sicherte ihm seinen fürstlichen Schutz zu. Darauf ging er wieder zum Buddha hin, verneigte sich tief und sprach:

»Wunderbar ist es in der Tat, o Herr, wie da der Erhabene Unbändige bändigt. Denn diesen Angulimala, den wir weder mit Strafe noch Schwert bezwingen konnten, den hat der Erhabene ohne Strafe und Schwert bezwungen. Dieser doppelt und dreifach heilige Hain aber, wo uns ein solches Wunder kund ward, soll von heute ab auf ewige Zeiten dem Orden der Heiligen gehören. Und der Erhabene möge mir gestatten, darin einen Bau zur Unterkunft der Mönche und einen zweiten für die Nonnen zu errichten.«

Mit würdevoller Dankbezeugung nahm der Erhabene das fürstliche Geschenk an. Darauf empfahl sich der König und entfernte sich mit seinem Gefolge. Ich aber blieb zurück unter der Obhut der anwesenden Schwestern, um schon am folgenden Tage das Gelübde abzulegen.


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