Karl Gjellerup
Der Pilger Kamanita
Karl Gjellerup

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XXX. »Alles Entstandene –«

»Gewiß sind wir so alt wie die Welt,« sagte Kamanita. »Aber bisher sind wir immer ruhelos gewandert, und immer wieder hat uns der Tod in ein neues Leben gestürzt. Jetzt aber haben wir endlich eine Stätte erreicht, wo es kein Vergehen mehr gibt, sondern nur ewige Wonne unser Los ist.«

Als er so sprach, kehrten sie gerade vom Korallenbaume zu ihrem Teiche zurück. Er wollte sich soeben auf seine Lotusrose niedersenken, als er zu bemerken glaubte, daß ihre rote Farbe an Frische und Glanz etwas eingebüßt habe. Ja, als er nun über ihr in der Luft schwebend stehen blieb und aufmerksam auf sie hinunterblickte, sah er mit Schrecken, daß die Kronenblätter am Rande bräunlich und gleichsam verbrannt waren, und daß ihre Spitzen sich erschlaffend krümmten.

Nicht anders sah Vasitthis weißer Lotus aus, über dem auch sie stehen geblieben war, offenbar durch dieselbe Wahrnehmung gefesselt.

Er richtete seinen Blick nach seinem blauen Nachbar. Sein Lotus zeigte die gleiche Wandlung und es fiel Kamanita auf, daß sein Gesicht nicht so freudig strahlte wie damals, als er ihn zuerst begrüßt hatte; die Züge waren nicht so belebt wie früher, seine Haltung war nicht so frei, ja in seinem Blick las er dieselbe Befremdung, die ihn und Vasitthi ergriffen hatte.

Und so war es in der Tat überall, wo er hinsah. Mit Blumen und Gestalten war eine Veränderung vor sich gegangen.

Wieder senkte er prüfend den Blick zu seinem eigenen Lotus nieder. Ein Kronenblatt schien lebendig zu werden – langsam neigte es sich vornüber und fiel losgelöst auf die Wasserfläche.

Gleichzeitig aber hatte sich von jeder Lotusblume ein Kronenblatt abgelöst – die Wasserfläche glitzerte zitternd und schaukelte leise die bunten Blätternachen. Durch die Haine am Ufer ging ein Frösteln, und ein juwelenfunkelnder Blütenregen fiel zur Erde. Ein Seufzer entrang sich jeder Brust, und eine leise, doch schneidende Disharmonie durchdrang die Musik der himmlischen Genien.

»Vasitthi, Geliebte!« rief Kamanita, bestürzt ihre Hand ergreifend – »siehst du? Hörst du? – Was ist denn dies? Was kann das bedeuten?«

Aber Vasitthi sah ihn ruhig lächelnd an: »Daran hat er gedacht, als er sagte:

›Alles Entstandene auflösend weht dahin der Verwesung Hauch, Wie ein irdischer Prachtgarten welken Paradiesblumen auch.‹«

»Wer hat denn diesen schrecklichen, diesen hoffnungsvernichtenden Ausspruch getan?«

»Wer denn sonst als er, der Erhabene, der Wandels- und Wissensbewährte, der aus Mitleid mit den Menschen die Lehre darlegt, Allen zur Aufklärung, dem Einzelnen zum Trost; der die Welt mit ihren edlen und unedlen Wesen, ihren Scharen von Göttern, Menschen und Dämonen offenbart und erklärt, der Wegweiser, der den Weg aus dieser Wandelwelt zeigt: der Erhabene, der Vollendete, der Buddha.«

»Der Buddha hätte das gesagt? O nein, Vasitthi, das glaub' ich nicht. Vielfach werden ja die Worte solch großer Lehrer mißverstanden und unrichtig wiedergegeben, wie ich selber am besten weiß. Denn einst, zu Rajagaha, habe ich in der Vorhalle eines Hafners mit einem törichten Asketen zusammen übernachtet, der mir durchaus die Lehre des Buddha darlegen wollte. Was er vorbrachte, war aber trauriges Zeug, eine grüblerische, vernagelte Lehre, wiewohl ich schon spüren konnte, daß echte Aussprüche des Erhabenen ihr zugrunde lagen – jedoch verballhornt und von diesem Querkopfe umgedeutet. Gewiß hat man auch dir dies Wort falsch berichtet.«

»Nicht doch, mein Freund! Denn aus dem Munde des Erhabenen selber habe ich es ja.«

»Wie, Geliebte? So hast du denn selbst den Vollendeten von Angesicht zu Angesicht gesehen?«

»Gewiß habe ich das. Zu seinen Füßen bin ich ja gesessen.«

»Glücklich preise ich dich, Vassitthi! Glücklich – das sehe ich ja – bist du jetzt in der Erinnerung. Ach, auch ich würde ja glücklich und zuversichtlich sein wie du, wenn nicht im letzten Augenblick mein böses Geschick – die eben reif gewordene Frucht von schlechten Taten der Vergangenheit – mich des Glücks beraubt hätte, den erhabenen Buddha zu sehen. Denn ein gewaltsamer Tod raffte mich dahin, als ich auf dem Wege zu ihm war, in demselben Orte, in dem er weilte, eben gerade in Rajagaha, an dem Morgen nach meinem Gespräch mit jenem törichten Asketen. Nur etwa noch eine Viertelstunde entfernt von dem Mangohaine, in dem der Erhabene sich aufhielt, ereilte mich mein Schicksal. Aber nun ist mir dies zum Troste gegeben, daß meine Vasitthi das erreichte, was mir versagt blieb. O, erzähle mir Alles davon, wie du zu ihm, dem Erhabenen, kamst. Denn gewiß wird mich das aufrichten und stärken, und jenes Wort, das mir so schrecklich, so hoffnungsvernichtend erschien, wird mir dann verständlich werden und seinen Stachel verlieren, ja vielleicht sogar irgend einen geheimen Trostgrund enthalten.«

»Gern, mein Freund,« antwortete Vasitthi. Sie ließen sich auf ihre Lotusrosen nieder, und Vasitthi setzte den Bericht ihrer Erlebnisse fort.


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