Karl Gjellerup
Der Pilger Kamanita
Karl Gjellerup

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XXXIII. Angulimala

Eine schreckliche Ruhe kam über mich, als ich jetzt in meine Zimmer zurückkehrte. Es gab nichts mehr zu bedenken, kein Zweifel war zu bekämpfen, keine Fragen wollten beantwortet sein. Alles war entschieden. Sein Karma wollte es so. Offenbar war er durch seinen doppelten Verrat mir und Angulimala verfallen.

So groß war diese Ruhe, daß ich einschlief, sobald ich mich auf das Lager gestreckt hatte – als ob meine Natur ängstlich bemüht gewesen wäre, über diese inhaltslosen Wartestunden hinwegzukommen.

Als es dunkel wurde, ging ich auf die Terrasse. Der Mond war noch nicht aufgegangen. Ich brauchte nicht lange zu warten. Die mächtige Gestalt Angulimalas schwang sich über die Brustwehr und kam auf die Bank zu, auf der ich, halb abgewendet, saß.

Ich rührte mich nicht, und ohne den Blick von dem Muster der bunten Marmorfliesen zu erheben, sprach ich: –

»Was du zu wissen wünschest, weiß ich. Alles: die Stunde, wann er fortzieht, die Stärke seiner Begleitung, die Richtung, die er einschlägt, und Wege und Pfade, denen er folgt. Von seinem bösen Karma getrieben, hat er selber mir seine Vertraulichkeit aufgedrungen, sonst wüßte ich das alles nicht, denn nie hätte ich es ihm durch heuchlerische Zärtlichkeit entlockt.«

Ich hatte mir diese Worte wohl überlegt; denn so töricht sind wir in unserem Stolz, daß es selbst jetzt, da ich mich zum Handlanger eines Verbrechers machte, für mich ein unerträglicher Gedanke war, in seinen Augen niedriger zu erscheinen, als ich wirklich war.

Nicht weniger überlegt waren meine weiteren Worte.

»Von all dem wirst du aber keine Silbe erfahren, sofern du mir nicht zuerst versprichst, daß du ihn nur töten, auf keine Weise aber quälen wirst, und daß du nur ihn, jedoch keinen seiner Begleiter töten wirst, wenn du es nicht zur Selbstverteidigung nötig hast. Ich werde dir aber eine Stelle zeigen, wo du ihn ganz allein und ohne Handgemenge tödlich treffen kannst. Dies also mußt du mir mit einem feierlichen Eide versprechen. Sonst kannst du mich töten, wirst aber kein Wort mehr von mir vernehmen.«

»So wahr ich bis heute ein treuer Diener Kalis war,« erwiderte Angulimala, »so gewiß will ich keinen von seinen Begleitern töten, und so gewiß soll er auch keine Qual erleiden.«

»Gut,« sagte ich, »ich will dir trauen. So höre also nun und merke dir Alles genau. Wenn du hier in der Stadt Hehler hast, so wirst du schon erfahren haben, daß Vorbereitungen getroffen werden, um morgen gegen die Räuber vorzugehen. Das ist aber alles leerer Schein, um dich zu täuschen. In Wirklichkeit verläßt Satagira, von dreißig Reitern gefolgt noch heute, eine Stunde nach Mitternacht, die Stadt durch das südliche Tor, läßt den Sinsapawald links liegen und biegt noch etwas südlicher aus, um auf Nebenwegen durch das Hügelland ostwärts zu ziehen.«

Und ich gab ihm nun eine ganz genaue Beschreibung der Gegend bis zu jener engen Schlucht, durch die Satagira kommen mußte, und wo er ihn leicht und sicher erschlagen konnte.

Meiner Rede folgte ein bedrückendes Schweigen, währenddessen ich nur mein eigenes schweres Atemholen hörte. Ich fühlte, daß ich noch nicht Kraft genug hatte, um mich zu erheben und wegzugehen, wie ich es mir vorgenommen hatte.

Endlich sprach Angulimala, und schon der milde, ja traurige Klang seiner Stimme überraschte mich derart, daß ich fast erschrak und unwillkürlich zusammenfuhr.

»So wäre es denn also nun geschehen,« sagte er, »und du, die zarte, milde Frau, die du gewiß niemals mit Willen auch nur dem geringsten Geschöpfe ein Leid zugefügt hast, du wärest nunmehr im Bunde mit dem schlechtesten Menschen, dessen Hände von Blut triefen, ja der Mord deines Gatten lastete auf deinem Gewissen und würde für dich seine schwarzen Karmafäden auf abschüssiger Fährte bis in die höllische Welt weiter wirken – ja, so wäre es in der Tat, wenn du jetzt zu dem Räuber Angulimala geredet hättest.« Ich wußte nicht, ob ich meinen Ohren trauen sollte. Zu wem sonst hatte ich denn geredet? War es doch die Stimme Angulimalas, wenn auch mit jener sonderbaren Veränderung des Klanges; und als ich mich jetzt bestürzt umwandte und ihn scharf ansah, war es außer allem Zweifel, daß der Räuberhäuptling vor mir stand, wenn auch in seiner ganzen Haltung sich gleichsam ein anderer Charakter ausdrückte als der, der mich Tags zuvor in seinem furchtbaren Banne gehalten hatte.

»Aber sei unbesorgt, edle Frau« – fügte er hinzu – »dies Alles ist nicht geschehen. Nichts ist geschehen, nicht mehr, als wenn du deine Rede an diesen Baum gerichtet hättest.«

Diese Worte waren mir so rätselhaft wie die vorhergehenden. So viel aber verstand ich, daß er aus irgend einem Grunde seinen Racheplan gegen Satagira aufgegeben hatte.

Nachdem ich mich durch furchtbare Seelenkämpfe zu dieser unnatürlichen Höhe des Verbrechens emporgerungen hatte, war dies plötzliche unbegreifliche Zerrinnen, diese spukhafte Verflüchtigung des Werkes eine Enttäuschung, die ich nicht ertrug. Die krankhafte Spannung meines Gemütes machte sich Luft in einem Strome von Schimpfworten, die ich Angulimala ins Gesicht schleuderte. Ich nannte ihn einen ehrlosen Schuft, einen wortbrecherischen, leeren Prahler, eine Memme und was weiß ich noch – das Schlimmste, was mir einfallen wollte, denn ich hoffte, daß dieser wegen seines Jähzorns in ganz Indien berüchtigte Mann, solchermaßen gereizt, mich mit einem Schlage seiner eisernen Faust leblos zu Boden strecken würde.

Als ich aber schwieg, eher, weil mir der Atem als der Wortvorrat ausging, antwortete mir Angulimala mit beschämender Ruhe: –

»Dies alles und noch Schimpflicheres habe ich ja von dir verdient, und nicht einmal den alten Angulimala hättest du damit, glaube ich, so reizen können, daß er dich getötet hätte – denn dies zu erreichen ist ja, wie ich wohl erkenne, deine Absicht. Aber wenn auch jetzt ein anderer mir noch Schlimmeres gesagt hätte, so würde ich das nicht nur ruhig ertragen haben, sondern ihm sogar dankbar dafür sein, daß er mir Gelegenheit gab, eine heilsame Prüfung zu bestehen. Hat doch der Meister selber mich gelehrt: ›Der Erde gleich, Angulimala, sollst du Gleichmut üben. Gleichwie man da auf die Erde Reines hinwirft und Unreines hinwirft, und die Erde sich weder darob entsetzt noch sich sträubt – also sollst du, Angulimala, der Erde gleich Gleichmut üben.‹ Denn du sprichst ja, Vasitthi, nicht mit dem Räuber, sondern mit dem Jünger Angulimala.«

»Was für ein Jünger? Welcher Meister?« fragte ich mit verächtlicher Ungeduld, obwohl die seltsame Sprache dieses unbegreiflichen Mannes nicht verfehlte, eine eigentümliche, fast bestrickende Wirkung auf mich auszuüben.

»Den sie den Vollendeten nennen, den Weltkenner, den vollkommen Erwachten, den Buddha,« antwortete er, »der ist der Meister.. Du hast doch wohl auch schon von ihm gehört?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Glücklich preise ich mich,« rief er, »daß ich es bin, durch dessen Mund du zuerst den Namen des Gesegneten vernimmst. Hat Angulimala dir einst als der Räuber viel Böses getan, so hat er dir jetzt als Jünger noch mehr Gutes getan.«

»Wer ist denn dieser Buddha?« fragte ich wieder in demselben Tone, ohne mir es anmerken lassen zu wollen, wie sehr meine Teilnahme geweckt war. – »Was hat er mit diesem deinem rätselhaften Betragen zu tun, und was könnte mir das für Segen bringen, seinen Namen zu hören?«

»Auch nur den Namen dessen zu hören, den sie den Willkommenen nennen,« sagte Angulimala, »ist wie der erste Schimmer einer Leuchte für den, der im Dunkel sitzt. Aber ich will dir jetzt Alles erzählen, wie er mir begegnet ist und mein Leben gewendet hat; denn gewiß ist das nicht zum wenigsten deinetwegen gerade heute geschehen.«

Schon am ersten Abend hatte mich trotz der Wildheit, die seinem Wesen entströmte, ein gewisser Anstand seines Betragens überrascht; noch auffallender war aber die ungesuchte Würde, mit der er jetzt neben mir Platz nahm, wie Einer, der sich bei seinesgleichen fühlt.


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