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VI. Die Petroleumkur

Als die Droschke an der Wache beim Brandenburger Tor vorübergefahren war, ließ Onkel Karl den Wagen halten. »Ick dachte, et wirde jrade een höhera Offizia vorbeikommen und der Posten Raus! schreien – jawolloch! Na warten wia 'mal 'n bisken, vielleicht kommt doch noch eener – und denn – Kutscha – fahren Se mia janz langsam vorüber, während die Wache unta Jewehr is!«

Aber diese Hoffnung erfüllte sich nicht. »Denn steije ick hia aus, hia kennt mia ja keena und wozu fahre ick denn Droschkong? Teiret Vajniejen – fufzehn Jroschen for det Sticksken Wej! Son Jaul is ja keene schlechte Kapitalsanlaje!«

»Wollen Se'n mia abkoofen?« sagte der Kutscher, der mit philosophischer Ruhe diese Auseinandersetzungen angehört hatte.

»For finf Jroschen jerne« – sagte Onkel Karl, »denn können Se'n jleich ausspannen!«

»Nee – ick warte lieba, denn lackier' ick 'n frisch uff und vakoof ihn uff'n Weihnachtsmarcht«, sagte der Kutscher.

»Denn wird' ick ihn doch lieberst in die Mitte durchhacken und zwee Sechsdreiaschäfken drausmachen, denn kriejen Se doch mehr for!«

Und dann ging Onkel Karl weiter, während der Kutscher hinter ihm her die Vermutung aussprach, daß »der feine Herr mit die weiße Weste früher woll mit Sechsdreiaschäfken jehandelt habe!«

»Wenn ick noch in meene frieheren sozialen Vahältnisse lebte, denn wird' ick mia mit den Mann anfreinden,« dachte Onkel, »der hat een'n sichern Blick und det Droschkonkfahren kriejte ick denn jratis!« Und dann zündete er sich eine Zigarre an und beschleunigte das Marschtempo. »Hatt' ick mia uff 'ne scheene Biareise jefaßt jemacht, nu is wieda Essij mit. Denn so alleene, is ja nicht!«

Und dann kam ihm der Gedanke, die Verwandten aufzusuchen. »Mal erst bei Tante Marie und sehen, wie't die mit den lieben Herrn Krause ajeht!«

In der Gegend der Landsberger Straße wurde ihm heimisch zumute. »Hia bin ick frieha mit meen'n treien Nulpe rumjezojen«, dachte er gerührt. »Sonne Hunde jibt's jetz jar nich mehr!« Und dann erinnerte er sich an die Mütze und den Kragen, die er sich aus dem Fell des Tieres gemacht hatte. »Nich eene eenzije Motte hat sich 'rinjetraut, aba ick hab' ihn ja ooch schon bei Lebzeiten statt Zucker Kamfa zu fressen jejeben.«

Vor dem Hause, in dem sich früher die Lemkesche Weißbierstube befunden hatte, blieb Onkel Karl in wehmütigen Betrachtungen stehen. »Sehste, Willem, hia haste sonst in Hemdsärmeln jesessen, und da stand der olle Oljandatopp, wo die Hunde imma 'ranjingen! Dunnemals hatte deene Olle noch keenen Littiti, da war se vaninftij: Aba denn kam der jroße Uffschwung und da hat se'n Knax bei wejjekriejt!«

Er bog in die Nebenstraße ein, ging ein paar Häuser weiter und fand schließlich das Zigarrengeschäft von Artur Krause. »Wenn er nich Atuhr jeheeßen hätte, wirde er vielleicht jar nich so bestechend uff Tante Marie jewirkt haben,« dachte Onkel, »aba die Weiba sind ja allesamt varrickt, wenn se als Affen uff die Welt jekommen wären, wirden se alle 'n Mandrill haben wollen von wejen det Farbenspiel uff die Kehrseite!«

Die Ladenschelle wollte nicht zur Ruhe kommen, obwohl Onkel Karl nun schon längst die Tür wieder zugemacht hatte.

»Die is woll aus Quecksilba –« sagte er und reichte Herrn Krause, der hinter dem Ladentisch auftauchte, die Hand. »Ju'n Taj – kennen mia woll nich mehr – Onkel Karrel is meen Name!«

»Ach herrjeh« – sagte der Zigarrenhändler betroffen – »wie kommen Sie denn bei uns?«

»Ick hab' imma een Been vor det an'nere jesetzt – sehen Se so – und denn hab' ick mia durch die Luke da jezwängt!«

»Ach so« – sagte Herr Krause – »ick hab' jedacht, wenn Sie uns 'mal besuchen, dann kommen Se anjeritten!«

»Nee, nee« – sagte Onkel, »ick werde Ihn'n doch nich scheenieren, denn Se haben doch keene Stallung nich und hätten dann den Jaul während die janze Zeit an'n Zijel halten müssen.«

»Sie wollten jewiß 'ne Kiste Ziehjarren koofen,« fragte Herr Krause, »oda derf ick for'n Sechsa Schnupptaback jeben?« setzte er freundlich hinzu.

»Nachher« – sagte Onkel – »jetz möcht' ick ma bei Tante Marie!«

»Det können Se nich« – sagte Herr Krause, »die liejt in't Bette und hat Reißmatichtij!«

»Denn werd' ick ihr inreiben« – meinte Onkel, schob Herrn Krause beiseite und sagte mitleidig: »Mensch, Se werden ja imma majerer, Se wollen woll die Bejräbniskosten sparen und sich introcknen lassen. Wenn Se sich in'n Schornsteen hängen und räuchern, jeht's noch schnella!«

Und dann klopfte er an und klinkte die Tür auf. Da das Fenster verhängt war, vermochte er in dem Dämmerlicht nichts zu sehen und darum fragte er: »Marie, biste noch labundij?«

»Karrel, bist du's?« fragte eine ängstliche Stimme.

»Ick bin's, Marie, aba wat stinkt denn hia so?«

»Meen Mann hat mia mit Petroljum abjerieben« – sagte Tante Marie.

»Jehen Se nich mit die brennende Ziehjarre rin, sonst explodiert se –« sagte Herr Krause warnend. »Petroljumabreibungen sind det neiste Mittel jejen Jelenkschmerzen!«

»Bei Sie wirdet nua innalich helfen,« sagte Onkel – »Mensch, Krause, Atuhr – wie können Se bloß so wat machen!«

Und als Herr Krause mit überlegenem Lächeln diesen Protest abwehrte, setzte Onkel Karl erregt hinzu: »Petroleum is doch blanket Jift, jenau so wie Jas, bloß det det Jas vaduftij und det Petroljum flissig is. Aba Marie, ick bejreife dia ooch wirklich nich – so wat läßt man sich doch nich jefallen, da stemmt man sich doch jejen und schreit, a's ob man an'n Spieß steckt!«

»Meene Frau weeß schon, det ick's jut mit sie meene,« sagte Herr Krause, »wat hetzen Se se also uff?« Er überwand allmählich seine Scheu vor Onkel Karl und wurde nun auch erregt.

»Aba, Mensch – et muß doch allens 'n bißken Sinn und Vastand haben! Und denn diese Dusterheet hia –«

Onkel ging nach dem Fenster und riß die Vorhänge ab. Als er sich umwandte und seine Schwester so elend in den karierten Kissen liegen sah, packte ihn die Wut. »Heiljet Kanonenrohr, det is ja rejelrechter Jattenmord, so wat jehört schon vor'n Staatsanwalt, da mißte man jleich Anzeije erstatten!«

»Karrel, Karrel –« wimmerte Tante Marie, »reje dia doch nich so uff, dadurch wird's ja ooch nich bessa!«

»Ick hab' schon von Ferdekuren jehört, aba det is ja 'ne Schweinekur –« schrie Onkel. »Uff die Stelle machen Se heißet Seefenwassa und scheiern det arme Jestell ab. Und denn 'runta mit die blaukarrierten Ibazieje und die Fensta uff, det an'nere Luft 'rinkommt!«

»Sie haben hia janischt zu kommandieren, vastehen Se,« sagte Herr Krause, »ick asuche Ihn'n, die Stube zu valassen – eens – zwee – drei! Wollen Se oda wollen Se nich?«

Statt dieser Aufforderung Folge zu leisten, zog sich Onkel Karl den schwarzen Rock aus, legte die weiße Weste ab und krempelte die Hemdsärmel hoch. Und beim Anblick dieser muskulösen Arme, die da zum Vorschein kamen, wurde Herr Krause plötzlich kleinlaut.

»Seh ma' hia« – sagte Onkel Karl, in das trauliche »Du« verfallend, und deutete auf eine blaue Tätowierung über dem Ellbogen, »seh ma' her, Männekin, det is 'ne Schlange, die von eenen Feil durchbohrt wird. Wenn een Mitjlied von unsan Jeheimbund dieset Zeichen entblößt, denn is er zu't äußerste entschlossen. Ick fraje dia also nochmal ins Jute. Willste heißet Seefenwassa machen oda soll ick dia den Schnörjel nach links drehen?«

»Karrel, ick steh ja schon uff und mach' mia alleene welchet –« stöhnte Tante Marie.

»Du bleebst liejen und rührst dia nich – vastanden!« sagte Onkel Karl. »Los, in die Kiche« – wandte er sich zu Herrn Krause.

»Ick will mir mit Ihn'n nich zanken,« sagte Herr Krause, »ick wollte sowieso heißet Seifenwassa machen und ihr abwaschen, denn det jehört nehmlich mit zu die Kur!«

»Und wenn ick vaordnet hätte, du sollst ihr mit Stiebelwichse inschmieren und se denn blank bürschten, hätte det plötzlich ooch zu die Kur jehört«, sagte Onkel Karl. »Mia erinnert det an unsan Schiffskoch. A's der dunnemals von die Wilden in Afrika jefangen jenommen war und er jebratne Schlangen fressen sollte, da sajte er, die wären seen Leibjericht und nahm jleich 'ne doppelte Portzion!«

»Mit die Wölfe muß man heulen«, sagte Herr Krause achselzuckend.

»Mit Sprichwörter hat sich schon so mancher jetröstet, wenn er mußte und nich wollte. Man schabt eben den Käse, weil man ihn nich ruppen kann, also nu los in die Kiche –« sagte Onkel.


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