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Zanders wohnten seit einigen Jahren in einem der neuen Häuser an der Friedrichsgracht, »wenn ick det Geschäft ooch uffjejeben habe,« pflegte Onkel August zu sagen, »denn muß ick doch Wasser sehen und den Jeruch haben, sonst werd' ick krank.«
Seine Frau zuckte dann stets die Achseln und setzte resigniert hinzu: »Mir is nischt so zuwider wie dieser Teer- und Fischjestank, selbst dein juter schwarzer Rock riecht noch und det is ooch nicht rauszukriejen. Ick hab schon janze Pullen Hodekolonje druffjejossen – et stinkt imma wieda durch!«
»Ick weeß, Liesken – ick weeß ja,« sagte dann Herr Zander seufzend, »du hättest 'ne janz annere Partie machen können!«
»Und du hast Schuld, wenn unse Tochta keen'n Mann kriejt« – sagte Frau Zander erbittert – »se hat so jute Aussichten jehabt, aber wenn die Herren denn den lieben Schwiejavata sehen, kommen se nich mehr wieda.«
Herr Zander ließ solche Vorwürfe ruhig über sich ergehen, er hatte seine eigne Meinung über diesen Punkt, wollte seine Frau aber nicht kränken.
»Et kann ja doch allens noch kommen«, tröstete er zuweilen, »wenn det mieckrije Ding – die Liesken Lemke – sich eenen ajattert hat – wa'm denn unse Jertrud nich ooch!«
Dieses Thema war auch heute wieder behandelt worden und hatte zu einer völligen Familienspaltung geführt, die sich äußerlich dadurch bekundete, daß Herr Zander – Frau Zander – Fräulein Gertrud – jeder in einer andern Stube saß und sich mit seinem Kummer und Ärger allein abfand. Wie immer, machte sich nach solchen Szenen aber sehr bald etwas Gemeinsames geltend: die Sehnsucht, ins Bett zu kommen, in der Hoffnung, sich durch den Schlaf über alle Widerwärtigkeiten des Lebens rasch hinwegzusetzen.
Und so zog sich gerade Onkel August seine Hosen aus, Tante Liese legte gerade ihren Zopf in den Kasten und Grete war eben dabei, sich etwas aufzuschnüren – als draußen dreimal scharf hintereinander an der Klingel gerissen wurde.
Da man sich völlig einig darüber war, daß jetzt – in der zehnten Stunde – nur dann jemand so heftig klingeln könnte, wenn es vielleicht im Hause brenne, und da man nicht wissen konnte, in welcher Gefahr man schon schwebte, stürzten alle drei – so wie sie waren – auf den Korridor, erhaben über jede törichte Genierlichkeit.
Als Onkel August aber die Entreetür öffnete und Onkel Karl sichtbar wurde, flohen Grete und Frau Zander, mit einem Aufschrei in ihre Stuben und warfen knallend die Türen zu.
»Achherrje – ihr seid ja alle schonst in't Hemde«, sagte Onkel Karl enttäuscht – »um die Zeit werden doch erst kleene Kinda in't Bette jebracht!« Und verständnisinnig fügte er hinzu: »Ihr habt eich woll mal wieda jekabbelt?«
»Mensch – wo kommst du denn jetz hia in die Jejend«, sagte Onkel August und haschte nach seinem Hosenträger, der auf seinem Rücken tänzelte und sich nicht fassen lassen wollte.
»Akält' dia man nich hia in den Zuj« – sagte Onkel Karl, »komm her, ick knöpp dia an, du krist et ja donnich zu fassen!«
»Wat is denn bloß passiert?«
»Et handelt sich um eenen dischkreten Ehrenhandel, det kann ick dia hia nich uff die Treppe azehlen, da mußte mia schon rinlassen« – sagte Onkel Karl, unwillig werdend.
»Wer weeß, wat det wieda for 'n Fez is« – sagte Onkel August, »aba nu haste uns mal uffjestehrt, nu komm' man ooch schon rin!«
Er öffnete die Tür nach der guten Stube. Dabei entdeckte er Karls neue Haarfrisur und fragte: »Wat haste mit deen Kopp jemacht, du sehst ja hinten wie son Ratzifallimausifalli aus.«
»Laß man meen' Kopp zufrieden, wer weiß, wenn den die Wirma anknabbern werden!« Und dann hielt er ihm die Hand hin: »Jieb mia mal erst deen Ehrenwort!«
»Wodruff?« fragte Onkel August als vorsichtiger Mann.
»Horrjott – uff deene Vaschwiejenheet!«
»Da – wenn't weita nischt is« – Onkel August schüttelte ihm kräftig die Hand.
»Na nu seh ma' hia – wat is denn det?« fragte Karl, das Papier aufwickelnd und die Pistole herausnehmend.
Hinter der Tür kreischte jemand auf und Tante Liese schrie durchs Schlüsselloch: »Wiste jleich det Ding instecken, ick loof sonst uff die Polizei!«
Onkel Karl sah starr nach der Tür, dann sagte er: »Wenn noch eena mal da durchhört, denn schieß ick – kann man denn nich mal een Wort hia sprechen, ohne det man hinten und vorne belauat wird!«
»Is doch aba ooch nischt« – sagte Onkel August – »du bist doch keen Räuba nich, dette nachts bei annere Leite mit Pistolen rumfuchtelst!«
»Aujust« – sagte Onkel Karl – »et handelt sich um een Duell, du mußt meen Sekundante sind!«
»Ick bin doch nich varrickt jeworden,« sagte Onkel August, »jeh mia bloß mit sonne Jeschichten ab, sei du man alleene deen Sekundante.«
»Aujust« – sagte Onkel Karl feierlich – »et handelt sich um meen Ehrjefiehl – du mußt – saje ick dir – du mußt!«
»Nee – nich zu machen!« sagte August.
»Wenn du die Jeschichte jehört haben wirst, denn wirst du anners sprechen,« sagte Onkel Karl. Als aber August die Geschichte gehört, hatte sich seine Ansicht keineswegs geändert.
»Wa'm haste den Kerl nich janz eenfach 'n paar runtajehauen und bist wejjejangen – wer wird sich denn uff Duelle inlassen!«
»Na – ick seh schon, dia fehlt die richtje Vastehste for so wat, du hast keen Schimma nich, wie't in höhere Kreise zujeht« – sagte Onkel Karl und wickelte seine Pistole wieder ein.
»Wa'm jehsten nich mit sonne Sachen bei Edwin oda Zillmann – det sind doch beedes fixe Jungs, die die richtje Vastehste for sonne Dummheeten haben« – sagte August.
»Dummheeten?«
»Na – anners kann ick det nich nennen, wenn een awachsener Mensch in deen Alter sonne Jeschichten macht! Du wolltest dia doch bloß dicke tun – wie imma!«
»Janz recht, Aujust«, schrie Tante Liese durch die Tür, »jieb's ihn mal orndt'lich – sonne Jemeinheit – will hia durch die Türe schießen!«
Onkel Karl sah bald auf die Tür, hinter der Tante Liese stand, bald auf August. Dann sagte er: »Seid ihr fertij – na, denn laßt eich beede inrahmen und for Jeld sehen! Fui Deibel, nu ha'ick die Neese aba pleng!«
»Und wer weeß, wat det forn Frauenzimma war, wenn se son Uffsehen arejt hat, 'ne anständge Frau kiekt keena an –« schrie Tante Liese durch die Tür.
»Aujust – du bist schwer jenuj bestraft«, sagte Onkel Karl, »wat soll ick dia also noch unjlicklicha machen und dir varaten, wat ick von deene Jattin halte. An det eene möcht' ick dia aberst doch ainnern: Weeßte noch, wie se dia dunnemals ausjekniffen war? Ick hatte dia desterwejen jratuliert – aba, du woll'st sie durchaus wiedahaben – na, und da ha'ick se dia injefangen – drinne sitzt se und spuckt Jalle. Aba een'n Trost haste wenijstens, du kommst mal in'n Himmel, weil du schon in die Hölle warst.«
Und gelassen stülpte Onkel Karl seinen Zylinder auf und ging hinaus, nahm sich eine Autodroschke und fuhr nach dem Kurfürstendamm zurück.
Im »Guten Ton« – obwohl das Buch ein Ratgeber in allen Lebenslagen sein sollte, stand – zu seinem Ärger – nichts, was ihm über einige zweifelhafte Punkte Gewißheit gegeben, aber im Konversationslexikon, dem er schon so manche Aufklärung verdankte, fand er eine längere Abhandlung über das Wort: »Duell«.
Nachdem er sie sorgfältig durchgelesen, überkam ihn eine gewisse heitere Ruhe. Seiner Meinung nach war es sehr zweifelhaft, wer bei dem Zusammenstoß im Zoologischen Garten eigentlich der Beleidigte war und die Forderung zu überbringen hatte.
»Er hat mia beleidijt, und denn ha'ick ihn beleidijt, folglich is er nu wieda dran, wenn er wat von mia will, denn ick hab' ihn noch ville schwerer beleidijt, als er mia. Ins Jejenteil, ick fiehle mia ibahaupt mich mehr beleidijt – ja, wenn er mia die Faust unter die Neese jehalten hätte, denn wirde ick ihn fordern missen – aba so ...!«
Und zufrieden, daß er die unangenehme Geschichte nun aufgeklärt, machte er es sich in seiner Stube bequem, nahm die Pistole, die den Gewinn der Affäre für ihn bedeutete, aus dem Papier und begann die Konstruktion zu untersuchen. Allmählich geriet er in Eifer, holte sich seinen Handwerkskasten unter dem Bette vor und nahm die Pistole auseinander, um sie zu ölen, da der Mechanismus nicht ganz zu seiner Zufriedenheit funktionierte.
Und dann, als der Hahn so leicht schnappte, daß die Pistole – wie Onkel Karl dachte – »von janz alleene schoß«, stellte er sich mit der Waffe vor den Spiegel und zielte nach seinem Ebenbild.
Nachher suchte er nach einem passenden Platz, um die Pistole dekorativ wirkungsvoll an der Wand unterzubringen. Das war nicht leicht, denn die Wände waren durch die im Laufe der Jahre gesammelten Trophäen völlig bedeckt. Zwischen den japanischen Schwertern, selbstverfertigten Katapulten – mit denen Onkel Karl nach den Katzen zu schießen pflegte – und einem französischen Gewehr, angeblich im Kriege 70/71 erbeutet, fand sich schließlich doch noch ein Plätzchen für die neue Eroberung.
Gerade an der Stelle der Wand war jedoch leider ein so fester Stein, daß alle Nägel beim Einschlagen krumm wurden, und das Getöse, das dabei entstand, machte das ganze Haus, das schon in Dunkelheit lag, wieder rebellisch.
Schließlich hing die Pistole aber fest, und vom Bette aus konnte Onkel Karl ihre bedrohliche Wirkung konstatieren. Dann knipste er befriedigt das Licht aus und ließ noch einmal alle Ereignisse Revue passieren. »Det war ma' wieda 'n heißer Taj heite,« dachte er, »und wer weeß, wat noch nachkommt.«