Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XIV. Der große Generalstab und Onkel Karls Erfindung

Hans Zillmann und Onkel Karl standen draußen in Charlottenburg auf einem großen, eingezäunten Terrain, rauchten schweigend ihre Zigarren und blickten hin und wieder nach der Uhr.

Beide waren in Frack und weißer Binde und hatten etwas Gemessenes und Feierliches in ihren Bewegungen und Mienen.

Nicht weit von ihnen, auf einem kleinen Holzschuppen, las man – in großen, weißen Buchstaben:

»Hans Zillmann & Co.
Pat. Lenkbare Flugmaschinenfabrik.«

Dieses Schild hatte Onkel Karl erst vor ein paar Tagen anbringen lassen. Und wie er jetzt so dastand und die Inschrift – Buchstaben für Buchstaben – nachlas, dachte er: »Co. – det bin ick!« Auch die beiden Lorbeerbäume, die den niederen Eingang flankierten, waren auf seine Veranlassung hergeschafft worden: »Et muß doch 'n bisken nach wat aussehen«, hatte er gesagt, und mit Befriedigung konstatierte er: »Wie sonne kleene Jewerbeausstellung! wenn se man nu schon da wären, ick werd' lieberst noch mal antelefongnieren!«

»Wo denn?« fragte Hans Zillmann.

»Bein Jeneralstab!«

Zillmann zuckte die Achseln: »Mach' man den teueren Apparat nicht entzwei!«

»Ick bin doch keen Neijebornet« – sagte Onkel Karl und begab sich in den Holzschuppen. Trotz dieser Versicherung, die seine Routine in der Kunst des Telephonierens bekunden sollten, war er sich sehr wohl bewußt, daß das Fernsprechen immerhin nicht zu den Alltäglichkeiten des Lebens zu rechnen sei und solch ein Apparat sich manchmal wie ein Dämon gebärde, mit dem man erbittert kämpfen müsse. Darum traf er auch erst sorgfältig alle Vorbereitungen, schloß die Tür des Schuppens, notierte sich Amt und Nummer auf einem Stück Pappe, das er dauerhaft neben sich befestigte, und griff dann, als könne er sich verbrennen, nach dem Hörer und preßte ihn an das linke Ohr. Mit Vorbedacht drehte er nun die Kurbel und schloß sich dann gänzlich von der Außenwelt ab, indem er den Zeigefinger in das rechte Ohr bohrte.

Ein Sonnenschimmer, der plötzlich vor ihm auf die Wand fiel, veranlaßte ihn, sich noch einmal umzudrehen. Als er dann aber nur Hans Zillmann erblickte, deutete er ihm durch Ausstrecken seines Beines nach hinten an, daß man ihm jetzt unter keinen Umständen zu nahe kommen dürfe.

Zillmann aber blieb trotzdem stehen und lächelte höhnisch.

»Wat is denn«, sagte Onkel Karl und zog den Zeigefinger aus dem Ohr, daß es knallte, als wenn ein Propfen aus einer Weinflasche gezogen würde.

»Nischt« – sagte Zillmann.

»Na, denn stör' mir mal jetzt weiter nich«, sagte Onkel Karl, drehte noch einmal entschlossen die Kurbel und begann plötzlich – als habe er jemand in weiter Entfernung erblickt – mit Stentorstimme zu brüllen: »Wer is da – jroßer Jeneralstab?!«

Er horchte und horchte, begann wie ein Fisch an der Angel zu zappeln, blickte sich manchmal stieren Auges und mit hoffnungslosem Gesicht nach Zillmann um oder wich auch zuweilen rasch und entsetzt zurück, als könne ihn ein elektrischer Schlag treffen. Allmählich, als er immer noch keinen Erfolg hatte, kochte die Wut in ihm, und er vergaß alle Vorsicht. Zwar fing er stets ganz leise und sanftmütig zu fragen an: »Ist da wer – hallo? Jroßer Jeneralstab?« ließ dann die Stimme jedoch binnen kurzem immer so furchtbar anschwellen, daß er schon ganz heiser war.

Und dann bekam er plötzlich einen Tobsuchtsanfall, begann – ohne Sinn und Verstand – die Kurbel erst ruckweise, offenbar nach der Melodie des Radetzky-Marsches, und dann so schnell wie eine Leierkastenkurbel zu drehen. Sein Gesicht verzerrte sich dabei, es sah aus, als werde er im nächsten Augenblick das Telephon backpfeifen und durch Abreißen der Kurbel sich Linderung verschaffen.

Zillmann trat schließlich hinzu und entwand ihm mit einem geschickten Griff den Hörer.

»Das hat keinen Zweck – gestatte.«

Und er – Hans Zillmann – zeigte nun Onkel Karl, daß man den Apparat behandeln müsse wie der Virtuose sein kostbares Instrument. Er forderte das richtige Amt – bekam auch gleich die Verbindung, verlangte die Nummer – leise und elegant sprechend – und verbeugte sich artig vor dem schwarzen Schalloch, als wäre es sein Partner. Und plötzlich nahm er die Hacken zusammen, lächelte verbindlich zu einem unsichtbaren General, räusperte sich nach jedem Satz und schüttelte schließlich den Hörer so herzlich, als wäre es die Hand des andern Sprechers.

»Na –?« sagte Onkel Karl, der voll Bewunderung zugesehen.

»Die Herren sind leider verhindert«, sagte Hans Zillmann, den Hörer anhängend, mit freudig glänzenden Augen, wie man sie nach einer anregenden Unterhaltung mit einem Vorgesetzten bekommt. »Aber liebenswürdig – reizend – sind sie da oben – sie lassen uns besten Erfolg wünschen – auch – auch soll ich grüßen – vergessen Sie nicht meine Empfehlung an den Herrn Karl – hat der General noch ausdrücklich hinzugesetzt!«

Onkel Karl zog sich die weiße Weste stramm. »So! – Na – man sieht doch wenisstens den juten Willen. Aba – wat machen wir denn nu?«

Zillmann zuckte die Achseln, »Wollen mal sehen, ob jemand von den andern Herrschaften gekommen ist.« Er stieß die Tür des Holzschuppens auf und lächelte höhnisch, »wenn ich nicht irre, sind dort die Mitglieder des Vereins blaue Kaffeetiete in corpore schon angetreten!«

Onkel Karl ging ihnen gemessen entgegen, und der Verein begrüßte seinen ehemaligen Vorsitzenden durch respektvolles Hutabnehmen.

»Ju'n Tag, meine Herrn,« sagte Onkel jovial, »ick bejrieße Ihnen und danke Sie, det Sie erschienen sind. Der jroße Jeneralstab kommt leider nich, der Herr Jeneral hat eben abtelefongniert, weil er wo anders hinmußte. Det soll uns aberst nich abhalten, die Flujmaschine zu besichtigen – treten Sie also näher, ick werde se Ihn'n jleich vorführen!«

Er machte eine einladende Handbewegung nach dem Holzschuppen, und der Verein »Blaue Kaffeetiete« hielt – der engen Tür wegen – im Gänsemarsch seinen Einzug. Drinnen wurde er von Hans Zillmann empfangen, nach den Stühlen geleitet und zum Sitzen genötigt.

Ganz zuletzt kam – atemlos und verschwitzt – auch noch Onkel August an, der vor drei Tagen ebenfalls einen Anteilschein von hundert Mark erworben hatte.

»Mach' man, mach',« sagte Onkel Karl zu ihm, »et hat schon anjefangt!«

Ja, eine feierliche Stille war bereits eingetreten. Hans Zillmann stand schon auf einem kleinen Podium und wartete mit ärgerlich zusammengezogenen Brauen, bis Onkel Karl die Tür geschlossen hatte. Dann räusperte er sich und sagte mit leiser, vornehmer Stimme:

»Wir haben Sie, meine Herren, hierher gebeten, damit Sie sich durch den Augenschein von den Fortschritten unserer Erfindung überzeugen können. Die Lösung des Luftschiffahrtsproblems hat greifbare Gestalt angenommen. Bisher stand man vor einem unüberwindlichen Hindernis, weil man keinen Motor hatte, der – bei erforderlicher Leichtigkeit – die zum Auftrieb eines mit dem Gewicht von Menschen belasteten Apparats erforderliche Kraft entwickelte.«

»Bravo, bravo« – sagte Onkel August, sich noch immer den Schweiß abwischend und suchte sich Hans Zillmann durch Kopfnicken bemerkbar zu machen.

Onkel Karl ging aber sofort – wie ein gereizter Löwe – auf ihn zu und zischte ihm ins Ohr: »Wer hier Krach macht, wird 'rausgeschmissen, verstehste?«

»Dieser Motor –« sagte Hans Zillmann – in eine Ecke des Schuppens weisend und mit erhobener Stimme – »dieser Motor ist heute vorhanden. Ich habe seit langen Jahren an der Konstruktion einer lenkbaren Flugmaschine gearbeitet, und ihre Montierung ist jetzt soweit fortgeschritten, daß sich der Betrieb des Apparates und die voraussichtlichen Resultate ziemlich klar überschauen lassen. Mein Kompagnon wird Ihnen die kleinen Modelle vorführen und Ihnen zeigen, wie sie sich bei nur einmaliger Kraftentwicklung in die Luft erheben. Bei Besichtigung des großen, ebenfalls tadellos funktionierenden Apparates werden Sie, meine Herren, mir ebenfalls zustimmen, daß das so lange und so heiß gesuchte Problem gelöst ist. Ich überlasse jetzt meinem Kompagnon das Wort!«

Auf dieses Stichwort schien Onkel Karl nur gewartet zu haben. Er nahm ein bis an den Rand gefülltes Wasserglas und schritt vorsichtig dem Podium zu. Onkel August, dem es offenbar noch an dem notwendigen Ernst fehlte und der von jeher keinen Sinn für Feierlichkeiten gehabt hatte, flüsterte ihm zu: »Bekleckere dir nich den jepumpten Frack, sonst mußten behalten!«

»Dia laß ick 'rausschmeißen, paß uff« – sagte Onkel Karl drohend und wollte dann, als er auf dem Podium stand, das Wasserglas rechts auf ein Pult setzen. Da dieses Pult aber nicht vorhanden war und er das Glas auch nicht, wie es ihm Onkel August höhnisch anriet, in die Luft stellen konnte, setzte er es neben sich auf die Erde. Dann zog er sich die Weste stramm und sagte mit Stentorstimme:

»Jeehrte Anwesende!

Se haben eben jesehen, wie't mit det Wasserjlas war. In de Luft wolltet nich stehenbleiben, in die Hand kann ick's doch nich immerfort halten – na, da setz' ick's uff de Erde. So is's ooch mit die Luftschiffahrt, bloß det se nich nach unten, sonnern nach oben jeht. Sie is det Idjal aller Zeiten und Völker jewesen, und mit Bejeisterung haben wir beede – meen Kompanjong und ick – da anjefangen, wo die annern uffjehört haben. Ick will Sie nu unse Afindung anschaulich machen. Wat is eene Afindung? Det wollen Se aber von mir wissen – also – –«

Onkel Karl zog ein Stück Papier aus der Brusttasche und las ab: »Eene Afindung is eene uff unwandelbare, als bestehende Tatsache durch jenügendet Studjum und Experimente erforschliche fisikalische Jesetze und mechanische Möglichkeiten jejrindete Neuschaffung eines den menschlichen Bedirfnissen entsprechenden Dinges!«.

»Bravo –« sagte Onkel August begeistert, »sehr jut!«

»Du Schafskopp,« sagte Onkel Karl plötzlich, alle Würde vergessend, »verstehsten det ibahaupt? Det is nich von mir, det hat schon der olle Archimedes jesajt!«

Onkel August fühlte sich durch diese plötzliche Ansprache eingeschüchtert und kratzte sich verlegen den Kopf.

»'n Telefong is zum Beispiel 'ne Afindung, denn wie wär' det« – sagte Onkel Karl, hin und wieder einen verächtlichen Blick auf August werfend – »wie wär' det frieher möjlich jewesen, det ick hier in Schlorrendorf stehe und mir mit den jroßen Jeneralstab an die Siejessäule untahalte, wie ick det vorhin jetan habe. Wenn man det vor hundert Jahren unse Urjroßväta azehlt hätte, det man mit son Dings da –« er wies nach dem Telephonapparat – »meilenweit sprechen könnte, wirde uns unser Urjroßvata for varrickt aklärt haben!«

Onkel August und die Vereinsmitglieder gaben durch stummes Nicken ihre Zustimmung zu erkennen, und Onkel Karl bückte sich, trank einen Schluck Wasser und fuhr fort:

»Det is so klar wie Tinte, wenn eener aber heite kommt und wat afunden hat, denn stellen sich die andern jenau so dusselich an, wie unsa Urjroßvata, und wenn denn der Afinda jar Jeld broocht, denn machen sie'n madij. Det sind die Dornen, uff die die Afinda sitzen. Wenn ick eich nu die Flujmaschine zeije, denn werd't ihr eich wundern, det det Ding so komisch aussieht – wa'm sieht's aber komisch aus? Weil't ohne Preparatzion und doppelten Boden is. Später kann't ja ooch noch 'n bisken vaziert werden mit kleene Flaggen und so – aba det is äußalich, dadruff kommt's nich an. Und nu ahebt eich jefälligst!«

Onkel Karl trank das Wasser aus, nahm sein Taschentuch vor und trocknete sich die Stirn, denn beim Sprechen war ihm doch ein bißchen heiß geworden.


 << zurück weiter >>