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»Jott sei Dank – nu sind wia unta uns«, sagte Onkel Karl, als die Herren – nur de Pikato hatte verbindlich dankend abgelehnt – in seiner Gartenwohnung versammelt waren.
Er hatte sich Filzschuhe und Schlafrock angezogen und einen roten Fez auf den Kopf gestülpt. »Machen Se't sich ooch bequem«, ermunterte er die Gesellschaft, und die Mitglieder des Vereins »Blaue Kaffeetiete« folgten dieser Aufforderung auch sofort und knöpften Kragen und Manschetten ab, während Herr Lemke sich die Lackstiefel auszog. Nur Edwin und Herr Zillmann blieben wie sie waren.
Alle hatten sich um den großen, gedeckten Tisch gesetzt und blickten erwartungsvoll auf den Waschkorb, der – von einer Batterie Weinflaschen umgeben – in der Mitte stand und mit einem weißen Tuch verhüllt war.
»Meene Herren« – sagte Onkel Karl – »is ja nischt mit die Weiba, selbst wenn sie so vaninftij sind, wie die Mißtreß Thomson! – In Ämerikä is's deswejen schon lange Mode, det Jungjesellen aus Dankbarkeit, det se noch nich rinjefallen sind, ihre juten Freinde und Bekannten manchmal inladen, det die Ehekrippel ooch wieda ma' Jelejenheit haben, uffzutauen. Sie werden also von mia feialich uffjefordert, uffzutauen – tauen Se uff!«
Onkel August schien am begierigsten, dieser Aufforderung nachzukommen, und Onkel Karl ersuchte ihn daher als ersten, unter das Tuch in den Korb zu fassen und sich etwas herauszunehmen. Aber nun zuckte Onkel August ängstlich mit der Hand zurück: »Erst saj – wat ibahaupt drinne is – denn wer weeß?!«
»Denn kriste nischt« – sagte Onkel Karl und wandte sich zu Herrn Bartusch: »Los – fassen Se rin!«
»Wwwenn aberst Kkkrebse drinne sind ...«
»Mensch – is doch keene Seisong jetz for Krebse – los, zieren Se sich nich länga« – ermunterte Onkel Karl.
Unter allgemeiner Spannung faßte Herr Bartusch in den Korb – tastete vorsichtig und brachte eine kleine Blechbüchse mit der Aufschrift »Bismarckheringe in Tomatensauce« zum Vorschein.
»Sehste – der hat wat,« sagte Onkel Karl zu Onkel August, »nu jeht's aba die Reihe 'rum, und du kommst zuletzt dran!«
Nacheinander wurden Ölsardinen, Mixed Picles, Sardellen, Kaviar, Appetit-Sild aus dem Korbe gezogen, und Onkel Karl notierte die Reihenfolge der Gerichte. »Nu kommt's druff an, det jeda seene Bickse uffkriejt, und denn bieten wir uns jejenseitig an. Außadem kann sich jetzt ooch jeda eene Weinpulle nehmen – uffmachen muß er sich se aberst ooch alleene ...«
»Jiebt's denn nischt Warmet?« erkundigte sich Onkel August ein bißchen enttäuscht.
»Du wirst schon warm bei werden« – sagte Onkel Karl – »seh man erst zu, dette die Bickse ibahaupt uffkrist!« – –
Ja – es ergab sich, daß dies nicht so leicht war. Außer Herrn Zillmann, der – elegant und nonchalant – mit dem Büchsenöffner die Blechumhüllung bald abgeschält hatte, standen binnen kurzem alle andern etwas verblüfft und ratlos da.
Herr Bartusch suchte sich zu entschuldigen, indem er eine Schilderung des Vorganges gab: »Et kkknaxste plötzlich, und denn wwwar der kleene Blechstreifen ab, und nu hakt er wie sonne Spiralfeda an'n Schlissel –« sagte er.
»Det is nehmlich imma so« – tröstete ihn Onkel Karl, »wie man't ooch macht – ob man nu det Blechsticke rechts oda links uffwickelt – et jeht imma ab, und denn sitzt man da mit die jlatte Bickse wie so'n Affe mit die Kokosnuß. Nu jiebt's man bloß noch eens, det man 'n Hamma und 'n Stemmeisen nimmt und so lange druffhaut, bis wat 'rauskommt. Aba denn spritzt gewöhnlich die Sohse raus und kläckert en'n die Hosen voll.«
Herr Zillmann war so liebenswürdig, seine Sardellen den andern zur Verfügung zu stellen. Nachdem sich jeder ein Brötchen zurechtgemacht und es heißhungrig verzehrt hatte, stärkte man sich an einem Glase Rotwein, und dann versuchte jeder sein Heil aufs neue.
»Ick hab's dia ja jesajt, dette warm bei werden wirst« – sagte Onkel Karl zu Onkel August, der Hammer und Stemmeisen zuerst erwischt hatte und sich nun auf der Diele mit seiner Büchse abmühte. »Im Schweiße deenes Anjesichts sollste deen'n Kavjar essen!«
Herr Lemke zwang sich, seine Ungeduld zu zügeln, indem er mit seinem Lackschuh auf der eroberten Sardinenbüchse hämmerte, und Herr Bartusch, dem es ebenfalls zu lange dauerte, bis er das Stemmeisen erhielt, suchte seinen Bismarckheringen beizukommen, indem er das längliche Gefäß zwischen die Tür klemmte. Die andern Mitglieder des Gesangvereins hatten inzwischen mit ihren Taschenmessern kleine Löcher in die Blechumhüllung gebohrt und saugten nun, wie Bienen den Honig aus Blütenkelchen, die Soße aus den Blechbehältern.
»Ihr vaaast ja det scheene Zeijs« – sagte Onkel Karl vorwurfsvoll – »ihr derft doch nich die Sohse abtrinken – det find' ick jemein.«
Und als nun einer gar mit einem Streichholz in der kleinen Öffnung seiner Büchse fischte und die winzigen Stückchen ableckte, bedeutete ihm Onkel ziemlich energisch, daß das in seinen Augen »Schweinerei« wäre. »Ick hab' mia doch keene Wilden nich injeladen!«
»I wat –« sagte Onkel August, der bei seinen Anstrengungen allmählich rasend wurde – »is doch keene Art nich, eenen eene zujemachte Konservenbickse in die Poten zu jeben und zu sajen, nu seh' zu, watte rauskrist! Denn hätt'ste uns ebensojut 'n Maulkorb umbinden und 'ne Bockwurscht in die Hand jeben können. Beest – vaflixtet – wirste uffjehen –« und Onkel August schlug so energisch mit dem Stemmeisen auf den Blechbehälter, daß dieser flach wie eine Flunder wurde.
»Sehste, da kommt er raus«, sagte Onkel August, dem an die Decke spritzenden Kaviar nachsehend, »wer will, kann sich det da oben 'runtaholen, ick lutsch inzwischen det hia 'raus!«
Und nun trat auf kurze Zeit Stille ein, da sich jeder bemühte, die Früchte seiner Mühe zu genießen.
»Det war Kavjar mit Hindernisse«, sagte Onkel August und legte seine leere Blechhülse auf den Tisch. »Nu ha' ick orndtlichen Hunga jekriejt – wat jiebt's denn nu noch?«
Auch die andern begannen schon auszuspähen.
»Setzt eich mal erst hia an'n Tisch,« forderte Onkel Karl seine Gäste auf, »– und denn trinkt; denn nu werdet ihr Durscht jekriejt haben!« Er ging dabei von einem zum andern, sammelte die leeren Büchsen und schaffte sie hinaus. Als er wieder hereinkam, trug er eine riesige dampfende Schüssel.
»Eisbeen mit Sauakohl« – sagte Onkel August verklärt – »Mensch, laß dia kissen, ick vajebe dia allet, watte mia in meen Leben anjetan hast!«
»Du vastehstet wirklich« – sagte auch Herr Lemke ganz gerührt – »nu hat man doch die Gewißheit, det man wat Solidet in'n Majen kriejt. Wennste nu noch Weißbia hättest ...«
»Denn komm mit und helf' mia rintrajen,« sagte Onkel Karl, »et is allens da!«
Und dann schafften sie beide die Weißbierflaschen herein, und Herr Lemke erklärte, daß er in Hinblick auf seine frühere Tätigkeit als Gastwirt und speziell als Weißbierwirt das Einschenken übernähme. Als er sich dann aber hinsetzte, einen tiefen Zug getan und die ersten Bissen gegessen hatte, legte er plötzlich Messer und Gabel weg, ließ den Kopf auf die Brust sinken und begann zu schluchzen.
Alle starrten ihn erschrocken an, aber Onkel Karl winkte ihnen und deutete an, daß man Herrn Lemke nicht weiter beachten solle. »Wat so'n richtijet Eisbeen is und 'ne jute Weiße – die jehen uff't Jemiete« – erklärte er halblaut – »und nu is er ibawältigt von seene ollen Ainnerungen. Ooch mia schniert det Eisbeen det Herz zusammen, wenn ick an allet zurückdenke.«
»Karrel – wo sind die scheenen Zeiten hin« – weinte Herr Lemke jetzt laut auf.
»Ick weeß nich –« sagte Onkel Karl – »wej sind se – Willem!«
»Vabittert een'n doch nich det scheene Eisbeen so –« murrte Onkel August, »jrade wo't eenen schmecken soll, fangt ihr an mit – olle Heultuten!«
»Schweij stille« – fuhr ihn Onkel Karl an – »dia jeht eben allet ab!«
Herr Zillmann lächelte verächtlich. Edwin aber stand auf, ging zu seinem Vater und sprach leise auf ihn ein, erzielte dadurch aber, daß Herr Lemke nur noch heftiger schluchzte.
»Wwwollen wwwa nich jetz wwwat sin–-gen?« schlug Herr Bartusch vor, »det tröstet dddoch imma!«
»Erst uffessen! – Willem, eß ooch uff – du hast dia det scheenste Stick jenommen, und nu läßte die Tränen drufftroppen!« sagte Onkel Karl.
Auf diesen Vorwurf hin ermannte sich Herr Lemke gewaltsam und aß sein Eisbein auf.
»Und denn trink' nu nich mehr so hastig« – ermahnte Onkel Karl, »det schad't dia!«
»Weeste noch, Karrel,« sagte Herr Lemke, und ein wehmütiges Lächeln glitt über sein Gesicht, »weeßte noch, wo'ste dunnemals den Patentkitt afunden hattest?«
»Ibahaupt –« sagte Onkel Karl, »wat war man for'n Mensch, und wat is man heite for eena.« Und sich zu den andern wendend, setzte er hinzu: »Wenn ihr alle fertij seid, denn sajt's – denn trajt jetzt jeda seen'n Tella alleene raus, und ick werde den Käse rinbringen – et jiebt allalei Sorten. Und denn meenswejen« – wandte er sich etwas heftig zu Herrn Bartusch, der ihn fortwährend erwartungsvoll ansah – »denn können wia ooch 'n Lied singen. Drängeln Se doch aba nich so – Mensch – et kommt ja allet, der Abend is ja noch so lang, det wia uns heisa singen können.«