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II. Der Hausgeist

Während »Zillmanns« – welche Kollektivbezeichnung selbst Frau Lemke gebrauchte, wenn sie Schwiegersohn und Tochter meinte – weit draußen, beinahe an der Halenseebrücke wohnten, hatte sich Edwin Lemke mit seiner jungen Frau ganz vorn am Kurfürstendamm niedergelassen.

»Ich muß in der Nähe der Hochbahn sein,« hatte er damals gesagt, »muß jeden Augenblick ins Zentrum flitzen können – für Autos hab' ich kein Jeld!«

»Die sind sparsam,« pflegte der alte Lemke mit einer gewissen Genugtuung zu sagen: »Edwin hat wat von mia und ooch von Jroßmutta jeerbt!«

»Von mia ooch« – sagte dann jedesmal Frau Lemke – »det liejt eben d'ran, det ick mit den Jungen zu eene Zeit jejangen bin, wo't uns noch schlecht jing, wo wia noch in die untairdsche Tante in die Ackerstraße saßen und mit jeden Dreia rechnen mußten.«

»Weeßte – Anna – ob det nich dunnemals scheena war,« seufzte Herr Lemke bei solchen Erinnerungen, »wenn ick noch mal sonne bequemen Hosen trajen und in Hemdsärmeln jehen könnte ...«

Aber seine Frau lehnte diese Verhältnisse ab: »Jott sei Dank, det det hinta uns liejt – manchmal treime ick von: Denn seh ick dia Weißbierpullen uffmachen und mit die blaue Schirze die Bierringe von'n Tisch wischen – nee, danke, ick möcht nich nochmal zurück – wia haben uns redlich abjequält, und wer weeß, in wat for kimmaliche Vahältnisse wia trotzdem leben wirden – wenn uns Jroßvata nich unter die Arme jejriffen hätte!«

»Ja – ja – ja, det war schon 'n Leben, na, ick bin ja ooch froh, dettet allet hinta uns liejt. Aba ick freie mia imma wieda, wenn ick seh, det Edwin sich nu janz aus eijne Kraft wat jeschafft hat und det Jeld nich vapraßt!«

»Wo der Junge doch so'n schwachen Kopp hatte« – betonte Frau Lemke – »und ihn det Jimnasium so schwer jeworden is ...«

»Und wenn er dunnemals nich die Jrete kennen jelernt – wer weeß, wia't denn mit ihn jeworden wär!« sagte Herr Lemke.

»Ick jlobe ja ooch, er wirde jänzlich vaschludern, uff'n besten Weje war er ja schon, wo er die vielen juten Freinde hatte und imma die Nächte lang wejblieb. Aba det Meechen hat ihn feste an'n Wickel jenommen!«

»Ja – det muß man sie lassen, wer hätte jedacht, wat in det schichtane junge Ding steckt. ›'n Mann, der nischt is, will se nich haben,‹ hat se jesajt« – Herr Lemke lachte vergnügt vor sich hin.

»Na – und nu is er wat« – sagte Frau Lemke – »und wat Feinet, wattet frieha noch janich jab – Reijongscheff! Ick jeh manchmal hin und seh ihn mia an, wie er in Lackschuhe und mit'n elejanten Rock wia son Jraf dasteht und man bloß mit die Finga winkt oda sich vabeugt!«

»Na dafor kriejt er det Jeld nich – det is bloß Zujabe – die Hauptsache sind doch seene Branschekenntnisse!« meinte Herr Lemke.

»Wer bestreit' denn det – will ja keen Mensch deenen Edwin wat rauben« – sagte Frau Lemke – »eens untaschätzte aba doch, wat von jroße Bedeitung is, denn du wirst dia erinnern, dettet mit Edwin ooch nich so jlatt jejangen is, eh' er die Stellung kriejte.«

Herr Lemke machte einen Versuch, sich den Zusammenhang zu erklären, gab es aber wieder auf, als er fehl riet: »Du meenst, als ihn det kleene Kind starb?«

»Det war der Abschluß« – sagte Frau Lemke – »bis dahin jing sie allet vaquer, wat se ooch machten. Aba denn, als Maries Mann jestorben war und sie Tanten bei sich jenommen haben – denn hörtet uff eenmal uff!«

»So?« sagte Herr Lemke verständnislos.

»Bejreifste noch immer nich? Jott, Willem, et wird ja imma schlimma mit deen'n Kopp. Manchmal denk ick, et liejt bloß dran, dette 'n bißken schwer hörst, aba det is's nich!«

»Laß doch meenen Kopp zufrieden,« sagte Herr Lemke, »der reicht noch alle Taje forn Hausjebrauch aus. Also – wat meenste denn vorhin?«

»Seh ma' – Tante Marie hat imma 'n bißken wat Ibasinnlichet jehabt – mit die Traumbiecha und det Kartenlejen ...«

»Nu weeß ick schon,« unterbrach Herr Lemke, »du meenst die Selje?«

»Lemkes selje Witwe meene ick,« sagte Frau Lemke nachdrücklich. »Bei uns merken wia nischt mehr von sie – aber bei Edwin jeht sie in und aus!«

»Det is doch janz anners zu verstehen« – sagte Herr Lemke.

»Woso?« fragte seine Frau, ihn völlig fassungslos anstarrend.

»Seeh'ste, Anna,« sagte Herr Lemke, »du hast mia imma for dumm jehalten, ick bin't aba nich. Ick hab mia die Sache jrindlich klar jemacht und nu weeß ick's: Lemkens selje Witwe – meene Urjroßmutter – det is sozusajen der olle jute Jeist, der in uns Lemkes drinne jestochen hat und der in Edwin und seene Frau wieda uffjewacht is. Von uns is er jewichen und von Liesken will die Selje ooch nischt wissen, aba von Edwin. Und Tante Marie, die uns dunnemals uffjenommen, als wir noch nischt hatten und nischt waren – die hat die Selje beschworen!«

»Willem, sei bloß nich so fisjonehr,« sagte Frau Lemke, »ick ängstje mia denn imma so um dia!«

Am Nachmittag, als Herr Lemke wie gewöhnlich schlief, suchte seine Frau Tante Marie auf. Das alte Frauchen, das jetzt ein schwarzes Seidenkleid, einen falschen Scheitel und – statt der verstaubten Taftschleife – ein hübsches Spitzenhäubchen trug, saß wie gewöhnlich am Fenster im Sonnenschein und ließ ihr welkes, runzliches Gesichtchen bestrahlen.

»Ach Jott« – sagte Frau Lemke – »nu ha'ick doch wieda vajessen, Tante, ick wollte dia ja meen'n Faltenjlätter mitbringen!«

»Häh?« machte Tante, die zu ihrem alten Rheumatismus noch eine periodisch auftretende Schwerhörigkeit bekommen hatte. »Du mußt lauta sprechen, ick hör' heit wieda schwer!«

»Fal–ten–jlätta!« schrie ihr Frau Lemke in die Ohren.

»Imhim – ja, sehr scheenet Wetta,« sagte Tante Marie.

»Meen Jott, die is heit wieda janz taub« – sagte Frau Lemke, laut vor sich hinsprechend. Und ihre Lungenkraft zusammennehmend, schrie sie ihr noch einmal in die Ohren: »Ick meene meen'n Massiaapparat, da knudelt man sich in't Jesichte mit rum, wie mit son Plätteisen, denn jehen die Falten wej!«

Da Frau Lemke ihre Worte durch entsprechende Handbewegungen unterstützt und deutlicher zu machen versucht hatte, gelangte Tante Marie zu der Annahme, daß sie irgendwo im Gesicht etwas Schwarzes habe, wischte deshalb mit dem Taschentuch eifrig Backen, Nase und Stirn und besah sich dann das Tuch in der Erwartung, das Schwarze darauf wiederzufinden.

»Nee is ja nischt – laß man!« schrie Frau Lemke.

»Jieb mia mal die Horchtute« – sagte Tante Marie, auf das Hörrohr weisend, das auf dem Nachttisch lag.

»Nu nimmt se wieda die vaflixte Trompete, wo se en'n imma mit an die Backen stößt, wenn man sie wat sagen will«, murrte Frau Lemke.

Wenn sich die Konversation nun auch etwas schmerzhaft gestaltete, so machte sie doch jetzt wenigstens Fortschritte. Der Besuch erfuhr, daß »Jrete« – Edwins Frau – bald wiederkommen müsse, daß man Kalbsfilet mit Rührkartoffeln, gedämpfte Kirschen und Flammeri zu Mittag gehabt und daß das Dienstmädchen in der Nacht heimlich in die Speisekammer gegangen und eine halbe Leberwurst gegessen habe.

»Denn haltet ihr se zu knapp« – sagte Frau Lemke.

»I – bewahre,« schrie Tante Marie, die – wie alle Schwerhörigen – in dem Glauben lebte, daß der andere auch ein bißchen taub sein müsse, »so jut wie hia hat's keen Meschen nirjens woan'ners. Se kriejt dasselbichte wie wir!«

»So!«

Und dann glitt die Unterhaltung auf Herrn Lemkes Geisteszustand über. »Ick mach' mia wirklich Sorje um Willem«, schloß Frau Lemke.

»Broochste nich,« schrie Tante, »mit's Jehirn kriejt Willem nischt, eha mit die Beene. Wenn die Beene anschwellen, denn is's jefährlich!«

»Na – habt ihr denn hia wat von die Selje jemorken?« erkundigte sich Frau Lemke.

»Jestern hatte's ja 'n bißken gespukt,« schrie Tante, »aba et war nich von Bedeitung!«


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