Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XVI. Die Ansichten in der Küche

Ob die Aussprache zwischen dem Ehepaar Lemke und seiner Tochter dann wirklich sehr rührend geworden, hat niemand mit Gewißheit erfahren.

Minna, die sich Klarheit verschaffen wollte, hatte aus Versehen mit dem Kopf gegen die Tür geschlagen. Im nächsten Augenblick war diese Tür aufgerissen worden und Frau Lemke hatte das bestürzte Mädchen angefahren: »Wennste horchen wi'st, derfste dia nich so doof anstellen und hia jejenbullern! Mach ma' jetz jleich bei Herrn Zillmann hin und saje, seene Frau war bei uns und bleebt vorleifij bei uns! Und denn jehste mit die Anna an den Wäschespinde von Frau Zillmann – hia hasten Schlissel – und suchst 'raus, wat hia uff den Zettel steht. Vajiß vor allen nich die Nachthemden – det is det Allawichtigste. Und den Schlissel von't Spinde ziehste wieda ab und bringste wieda mit – laß ihn ja nich stecken!«

Als Minna den steilen Hinteraufgang zur Zillmannschen Wohnung hinaufgestiegen, hörte sie schon von draußen, daß es in der Küche einen sehr lebhaften Meinungsaustausch gab. Anna und Luise – das Stuben- und das Küchenmädchen – erzählten sich gegenseitig ihre Mutmaßungen über die Abenteuer der jungen Frau Zillmann und waren sehr erfreut, als Minna nun dazukam.

»Erst trinken Se hia 'ne warme Tasse juten, starken Kaffee mit und azehlen uns, wat drieben bei Sie los is, denn azehlen wie Sie ooch, wat bei uns los is!«

Minna, als Hausfaktotum, hatte sich einen gewichtigen Anstrich geben wollen. »Det jeht nich – ick hab wat zu bestellen an Ha'n Zillmann – jehen Se ma' jleich rin und sajen S'et ihn!«

Die beiden jungen Dinger hatten schallend aufgelacht, und Luise hatte zu Anna gesagt: »Ja – jehen Se man jleich rin ...« Und wieder hatte es ein schallendes Gelächter gegeben.

»Ihr seid woll beede ibajeschnappt?«

Und auf diese Frage hatte Anna die Arme in die Seiten gestemmt und laut in den Korridor gerufen: »Herr Zillmann – kommen Se doch mal jleich hia in die Kiche!« Und Luise hatte hinterhergerufen: »Machen Se aba 'n bißken, wia haben Se wat Wichtijet zu sajen – zopp – zopp, machen S'en bißken!«

Das bestürzte Gesicht des Hausfaktotums hatte neue Heiterkeitsausbrüche entfesselt und Anna – die nun die Verständigere sein wollte – hatte sich dann zusammengenommen und ernster werdend gesagt: »Er is nehmlich wej ...«

»Und kommt ooch nich mehr wieda« – hatte Luise ergänzt. »Unsan Lohn haben wia schon.«

Diese überraschende Neuigkeit hatte Minna veranlaßt, sich's in der Küche bequem zu machen und nun wirklich ein paar Tassen des guten, starken Kaffees mitzutrinken. Dabei hatte sie dann alles erfahren, was überhaupt zu erzählen war.

Gleich, als Herr Zillmann am Nachmittag von Lemkes wieder herübergekommen war, hatte Anna die schöne gelbe Ledertasche des Herrn packen und dann – da das Auto mit Onkel Karl noch unterwegs – einen Taxameter holen müssen.

»Er reist nach Paris – hat er jesajt« – schob Luise ein.

»Ja – bei die Franzosen«, bestätigte Anna.

»Na – det sind ja scheene Neiijkeeten, da werden se ja bei Lemkes jut die Oojen uffreißen. Aba seht ihr – so kommt es und so muß et ooch kommen, wenn sich Mann und Frau nich aus Liebe heiraten. Sie – unse Liesken – hat ihn woll janz jerne jehabt, aba er hat ihr man bloß von wejen det ville Jeld jeheiratet. Und als er denn seine Jläubija los jeworden – na, da hat er ihr dicke jekriejt!«

»War ja ooch keene Frau nich for son scheenen, eljanten Mann« – sagte Anna – »wenn er mia manchmal so in die Backen jekniffen hat, denn jing et mia imma durch und durch!«

»Mia is unsa Schofföhr aba lieba«, sagte Luise, »da weeß man doch, wat man hat und wie er't meent, wojejen bei dem Herrn, da wurde man nie nich kluj – det war imma so wat Komischet bei.«

»Na – nu will ick aba mal' rasch die Wäsche besorjen« – sagte Minna, der es schwer wurde, den gemütlichen Platz aufzugeben. »Ick weeß zwar janich, ob ick se jetz ibahaupt noch rieba nehmen und mia mit schleppen soll, denn nu – wo hia die Bahne frei is – wird woll eire Jnädije anjesetzt kommen und 'n bißken Dampf hinta eich hermachen!«

»Von die laß ick mia doch nischt mehr sajen« – Anna lachte verächtlich.

»Die soll man janz hibsch stille sind« – erklärte auch Luise, »'ne Frau – die sonne Zicken macht, vor die brauchen die Dienstboden keen'n Respekt nich zu haben!«

»Wat schämen soll se sich –« sagte Anna.

»Na – wenn nich eiere, denn kommt meene Jnädje rieber, da könnt ihr Jift druff nehmen« – sagte Minna.

»Die hat uns janischt zu sajen, die broochen wia nich zu jehorchen!«

Trotz dieser Zuversicht hatten Minnas Worte aber doch Eindruck gemacht, die ausgelassene Stimmung war verflogen, und die Mädchen sahen dann zu, wie das Hausfaktotum aus dem Wäscheschrank der Gnädigen heraussuchte, was auf dem Zettel angegeben war.

»Bringt man allet 'n bißken hibsch hia in die Wohnung in Or'nung, det's keenen Krach jiebt, denn son Krach zujutaletzt vaderbt die Zeijnisse, wenn man ooch die janze Zeit iba noch so trei und so ehrlich und so fleißij jewesen is«, sagte Minna. »Und nu adje und laßt keen'n rin, der eich nachher abmurkst und die Wohnung ausreimt. Ick bin ja mechtig jespannt, wat die drieben sajen werden!«

»Dadran bist du janz alleene schuld« – hatte Frau Lemke jesagt. »Ick vasteh dia ooch nich, Willem, wie kannste dia so wild jejen ihn benehmen. Wat haste nu – janischt! Den fangste dia nich mehr in, der is froh, det er'n Jrund hat, wejzukommen!«

Herr Lemke hatte alle Vorwürfe mit großer Gelassenheit ertragen, schließlich aber hatte er sich doch äußern müssen, und da hatte er gesagt: »Ick bin ja so froh, det der Kerl wej is – ick hab ihn ja nie nich leiden können!«

»Und Liesken – deen Töchterken – wat wird denn mit die nu?«

»Ick bin ja so vajniejt« – hatte Herr Lemke nochmals bestätigt – »nu hört det Jeldvaschmaddern doch wenijstens uff, denn mia wurde nachjrade Angst und Bange. Wenn det noch 'n paar Jahre so weita fortjejangen wäre, denn hätten wia sehen können, wo wia jeblieben wären. Der vastand et, in die Kasse zu jreifen – der liebe Zillmann!«

»Und wat wird aus deene Tochta?«

»Is's deene etwan nich, denn zabrech dia man ooch 'n Deetz 'n bißken drieba« – sagte Herr Lemke, ärgerlich werdend. »Fraje ihr doch, se wird sich die Schohse doch woll ooch ibalejt haben!«

Aber die junge Frau Zillmann hatte sich gar nichts überlegt, sie saß drüben, im Fremdenzimmer, und traf Vorbereitungen für die Nacht.

»Jott – Mama – quäle mich doch nich so, ich bin ja so nervös von allem, was ich heute schon habe durchmachen müssen. Erst Onkel Karrel – dann Vata – und nu kommst' du auch noch. Schick lieba Minna, daß sie mir noch rasch aus der Apotheke Veronal holt – sonst kann ich die ganze Nacht wieder nicht schlafen ...«

»Die Leite werden mit Finga uff dia zeijen und sajen, det is die Jeschiedene –« sagte Frau Lemke.

»Aba – Mama – das ist doch nicht mehr so wie früher. Heutzutage macht das doch interessant –« und die junge Frau drückte die Fingerspitzen gegen die Schläfe und stöhnte: »... solche Migräne bekommen!«

»Ick jeh schon – ick jeh schon – also wieda det Jiftzeij aus die Apotheke – wi'ste nich lieba wat essen und 'n Jlas Rotwein zu trinken, denn wirste doch ebenso jut schlafen können!«

»Nichts – nichts – nichts – nur Ruhe, Mama, und Veronal!«

»Ick werd jleich die Minna schicken –, lej dia man schon imma hin! Et is een Jamma mit son blutarmet, nerveset Jeschöpf, det sich nich 'n bißken zusammennehmen kann!«

Und tief aufseufzend ging Frau Lemke hinaus.

Die junge Frau aber, als sie allein war, stützte den Kopf in die Hände und starrte regungslos vor sich hin. Sie hatte gewußt, daß es so kommen würde – nun sauste er im Eilzuge durch die Nacht dahin – ein freier Mann, der aufjubelte, daß er sie los geworden war.

Und sie?

Als sie am Tage der Flucht mit jenem andern in der Potsdamer Villa saß, fühlte sie in Angst und Erschrecken, wie alles zerflatterte, wie sie aus dem Rausch erwachte.

De Pikatos Gesicht, das ihr – seiner ganzen Froschähnlichkeit zum Trotz – immer nur so erschienen, wie sie es im Rampenlicht auf der Bühne gesehen, wenn er den Prinzen gespielt – dieses Gesicht mit dem breitgezogenen Munde und den hervorquellenden Augen war ihr plötzlich unsagbar widerwärtig geworden.

Sie hatte begriffen, daß sie einer Suggestion zum Opfer gefallen, daß sie nur angesteckt worden war von den jungen, hysterischen Frauen aus Berlin WW. Und in Ärger und Wut hätte sie diesem ganzen Schwarm zurufen mögen: »Ja – seht ihr denn nicht, daß ihr verblendet seid!? Daß dieser aufgeblasene Bursche hier kein Prinz ist?«

Und – als er ihre Enttäuschung gemerkt – war er zynisch – grob und roh zu ihr geworden. So rasch wie diese nüchterne, kühle junge Frau hatte ihn noch keine ohne Maske gesehen.

Da hatte er es aufgegeben, ihr mit seinen Mätzchen und unwahren Prinzenallüren zu kommen, hatte sich in seiner ganzen Brutalität gezeigt und war empört gewesen, daß sie nicht, wie die andern liebeskranken Gänschen, das Ideal in ihm gesehen, den leutseligen Prinzen, dessen Zuneigung zu dem »Kinde aus dem Volke« im Theater aller Herzen schmolz.

Und dann hatte er sie ihrem Schicksal überlassen – mochte sie sehen, wie sie sich zu ihrem Manne heimfand.


 << zurück weiter >>