Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Achtes Kapitel.

In den letzten Tagen des October kam die Entscheidung von Versailles, in Form eines Edicts, welches der Doge und Senat Genua's erlassen und Frankreich und der Kaiser unterzeichnet hatten. Es enthielt bei einigen Zugeständnissen den Befehl zur Unterwerfung. Fünfzehn Tage gab Boissieux den Corsen dazu Zeit. Sie versammelten sich sofort in Orezza zur Beratung und erklärten: »Wir werden den Mut nicht verlieren; uns mit dem männlichen Entschluß zu sterben waffnend, werden wir es vorziehn mit Ruhm, die Waffen in der Hand zu enden, als elende müßige Zuschauer der Leiden unseres Vaterlandes zu sein, und als in Ketten zu leben und die Sclaverei auf unsre Nachkommen zu vererben. Wir denken und wir sagen mit den Makkabäern: melius est mori in bello, quam videre mala gentis nostrae.«

Schon hatten die Feindseligkeiten begonnen. Boissieux hatte 400 Mann nach Borgo geschickt, die dortige Bevölkerung noch vor der gesetzten Frist zu entwaffnen. Eben tagte das Volk in Orezza. Auf die Nachricht von dem Einrücken der Franzosen in Borgo, erhob sich der alte Ruf: libertà, popolo. Sie stürzten nach Borgo, fielen auf die Fremdlinge und schlossen sie ein. Der Commandant des Corps schickte Boten zu Boissieux, welcher sogleich mit 2000 Mann herbeizog, die Bedrohten zu retten. Aber die Corsen zerschlugen ihre Bataillone und trieben sie vor sich her in die Mauern Bastia's. Hierauf sandte Boissieux Depeschen nach Frankreich, Verstärkung zu fordern, und selber todkrank begehrte er seine Entlassung. Er, ein Neffe des berühmten Villars, starb in Bastia am 2. Februar 1739. Sein Nachfolger war der Marquis von Maillebois, welcher mit beträchtlicher Macht im Frühjahr auf Corsica landete.

Maillebois streng und gerecht, rasch und sicher im Handeln, war ganz der Mann, seine Aufgabe durchzuführen. Nachdem die Frist abgelaufen war, welche er den Corsen gesetzt hatte, ließ er seine Truppen in verschiedenen Richtungen vorrücken. Hyacint Paoli, in der Balagna angegriffen, wich zurück; mehr Politiker als Kriegsmann verzweifelte er am Widerstand und unterwarf sich. Dies hatte zur Folge, daß auch Giafferi ein Gleiches that. Maillebois empfing hierauf die Häupter der Corsen in Morosaglia und stellte ihnen vor, daß die Ruhe des Landes ihre Auswanderung gebiete. Sie fügten sich, und so verließen im Sommer 1739 zweiundzwanzig angesehene Männer ihr Vaterland. Unter ihnen befanden sich Hyacint Paoli mit seinem vierzehnjährigen Sohn Pasquale, Giafferi mit seinem Sohn, Castineta und Pasqualini.

Das Land diesseits der Berge war unterworfen; aber jenseits behaupteten sich noch zwei tapfere Neffen des Königs Theodor, der Baron von Droste und Friedrich von Neuhoff, welche besonders an den Männern Zicavo's einen Anhalt fanden. Nach mutigem Kampf und nachdem Friedrich eine Zeit in den Bergen und Buschwäldern als Guerilla umhergeirrt war, erhielten sie ehrenvolle Pässe ins Ausland.

Maillebois, jetzt die Insel regierend, hemmte den genuesischen Vicekönig in seinen Absichten, und hielt mit Kraft Ordnung und Gerechtigkeit aufrecht. Alle diejenigen Corsen, welche die Rache Genua's fürchteten und Lust hatten unter französischer Fahne zu dienen, vereinigte er zu einem Regiment, das den Namen Royal-Corse erhielt. Dann riefen ihn die Ereignisse auf dem Festland nach Frankreich zurück. Er verließ Corsica im Jahr 1741, und bald folgte ihm auch der Rest der französischen Truppen nach.

Kaum hatten diese die Insel geräumt, als der Genuesenhaß wieder in lichten Flammen aufschlug. Er war ein Erbteil der Geschichte des Landes, eine nationale Eigenschaft geworden. Der Regent Domenico Spinola machte den Versuch die alte Auflage der due seini einzutreiben. Augenblicks Aufstand des Volks, Kampf und Niederlage der Genuesen. Der kleine Krieg breitete sich über das Land aus.

Da erschien plötzlich im Januar 1743 der verschollene König Theodor wieder. Er landete mit drei englischen Kriegsschiffen in Isola Rossa, wie ehedem wol versehen mit beträchtlichem Kriegsmaterial. Er war nach England gegangen und seinem Eifer gelang hier noch einmal, was ihm in Amsterdam geglückt war. Jetzt ankerte er an der corsischen Küste, teilte Waffen aus und schickte Aufrufe ins Land, welche in der Sprache eines gekränkten und zornigen Königs die Verräter straften und die Treuen aufforderten sich um seine Person zu scharen. Das Volk schwieg; was er hörte überzeugte den bestürzten Herrscher, daß der Traum seines Reichs für immer zerronnen sei. Mit kummervollem Herzen ließ er die Anker lichten und segelte davon, sein Inselkönigreich nie mehr wieder zu sehn. Er zog sich nach England zurück.

Corsen und Genuesen waren unterdeß zu einem neuen Vertrage geneigt. Man schloß ihn auf Bedingungen, welche dem Lande sonst schon begehrte doch immer wieder verletzte Rechte zurückgaben. Hierauf schien sich die Ruhe in zwei Friedensjahren zu befestigen, wenn gleich die Insel durch die Blutrache zerrissen wurde. Um diese Uebel abzustellen ernannte das Volk Gaffori, Venturini und Alexius Matra zu Protectoren des Vaterlandes, und diese Triumvirn erschienen für jetzt als die Landeshäupter. Aber andere, verbannte, unternehmungslustige Männer erkannten, daß die fortlodernde Glut nur bedeckt sei, und sie entschlossen sich zu einem neuen Angriff auf die genuesische Herrschaft.

Im Dienst des Königs von Sardinien stand damals der Graf Domenico Rivarola, ein Genuese von Geburt aus Bastia, welcher aber mit der Republik tödtlich verfeindet war. Er sammelte mehrere Corsen um sich, stellte dem König Carl Emanuel den günstigen Erfolg einer Unternehmung zu Gunsten Corsica's vor, erhielt Schiffe und eroberte mit engländischer Unterstützung Bastia. Die Corsen erklärten sich für ihn, und der Krieg wurde wieder allgemein. Nun zog Giampietro Gaffori, ein Mann von bewundernswürdigem Heldenmut, auf Corte und bestürmte die auf einem schroffen Felsen gelegene Festung. Der genuesische Befehlshaber sah den Fall derselben voraus, wenn die Corsen fortfuhren nachdrücklich zu feuern und noch eine Bresche zu schießen. Er ergriff den jungen gefangenen Sohn Gaffori's und ließ ihn an die Mauer der Festung binden. Als die Corsen diesen dort schweben sahen, schwiegen ihre Kanonen und kein Schuß fiel. Giampietro Gaffori schauderte, dann rief er nach einer tiefen Stille plötzlich: Feuer! und mit verdoppelter Wut begann das Geschütz gegen die Mauer zu feuern. Das Castell fiel; der Knabe war unversehrt; der heroische Vater schloß ihn weinend in seine Arme.

Nach dem Fall Corte's erhob sich alles Land im Innern der Insel, und eine Volksversammlung sprach am 10. August 1746 aufs neue die Unabhängigkeit Corsica's aus. Gaffori, Venturini und Matra wurden wieder zu Protectoren der Nation erklärt; man erließ eine Aufforderung an alle überseeischen Corsen in ihr Vaterland heimzukehren. Die Hoffnung auf Sardinien zerrann übrigens bald, denn diese Hülfe war unzureichend, Bastia fiel wieder in die Hände der Genuesen, und Rivarola mußte sich nach Turin entfernen. Der genuesische Senat aber nahm nochmals zu Frankreich seine Zuflucht.

Zweitausend Franzosen gingen im Jahre 1748 unter dem Befehl des Generals Cursay nach Corsica. Weil nun auch der Aachener Friede jede Hoffnung auf die sardinische Unterstützung vernichtet hatte, verstanden sich die Corsen dazu die Vermittlung Frankreich's anzunehmen. Cursay selbst war ein Mann von dem edelsten Wesen, menschenfreundlich, wolwollend und gerecht; die Corsen hatten ihn kaum kennen gelernt als sie ihn liebten und ihre Sache vertrauend in seine Hände gaben. So kam im Juli 1751 ein Vertrag zu Stande, welcher ihnen mehr Rechte gewährte als sie bisher erhalten hatten und vor allem ihre Selbständigkeit schirmte. Aber Cursay geriet deshalb mit der Republik Genua in Feindschaft; es fanden blutige Auftritte statt und der Liebling des Volkes hätte in einem Tumult in Ajaccio sein Leben verloren, wäre nicht Gaffori zu seiner Hülfe herbeigeeilt. Nun verläumdeten ihn die Genuesen bei seinem Hof, nannten ihn die Ursache fortdauernder Unruhen, einen Pflichtvergessenen und gaben zu verstehn, daß er in Corsica nach dem Königtum strebe. Frankreich rief den edlen Mann zurück; er wurde als Gefangener des Staats in den Turm zu Antibes gebracht, wo er verbleiben sollte bis sein Proceß entschieden sei.

Das Schicksal Cursay's setzte die Corsen in Wut; alles Volk diesseits und jenseits der Berge griff zu den Waffen. In Orezzo wurde Giampietro Gaffori zum alleinigen General der Nation ernannt.

Und dieser Mann ward jetzt der Schrecken Genua's. In seinem Heldengeist schien Sampiero wieder aufgelebt zu sein. Kaum war er an die Spitze seines Volkes gestellt, so sammelte er dessen Kräfte, warf sich mit Schnelligkeit auf den Feind, schlug ihn allenthalben und entriß ihm die ganze Insel bis auf die festen Küstenplätze. Damals war Grimaldi Governator; ränkevoll und listig wie einst Fornari, ersah er keine andere Rettung als in der Ermordung des gewaltigen Gegners. Gaffori hatte nach corsischer Weise Todfeinde, Rächer, Männer aus Corte, mit Namen Romei. Solche gewann der Genuese, und damit die That noch abscheulicher werde, ließ sich auch der eigene Bruder Gaffori's Anton-Francesco bestechen. Diese Verschworenen lockten den Helden in einen Hinterhalt und ermordeten ihn, am 3. October 1753. Die Strafe ereilte nur den unnatürlichen Bruder; denn wenige Tage nach der vollbrachten Unthat gefangen, wurde er mit dem Rade gerichtet. Man erzählt, daß Giampietro's Weib nach dem Tode ihres Gatten ihren zwölfjährigen Sohn an den Altar führte und ihn schwören ließ, den Mord seines Vaters zu rächen. Das corsische Volk hatte seinen edelsten Patrioten verloren. Giampietro Gaffori, ein Doctor der Rechte und gelehrter Mann, in einem vorgeschrittenen Jahrhundert gebildet, großmütig, von ungewöhnlichem Seelenadel, für sein Volk alles zu opfern bereit, war würdig in der Geschichte seines Landes neben Sampiero gepriesen zu werden. Ein Volk aber, welches solche Männer fort und fort aufzustellen hatte, mußte unbezwinglich sein. Gaffori war todt; und Pasquale Paoli stand da.

Die Corsen kamen wie einst nach dem Falle Sampiero's zu einem Tage zusammen, um ihren Helden durch Todtenehren zu feiern. Dann beschlossen sie einstimmig den Krieg gegen Genua und erklärten alle für des Todes schuldig, welche es wagen würden von Unterhandlungen mit dem Erbfeind zu reden. Man stellte fünf Männer an die Spitze der Regierung, Clemens Paoli, Hyacints ältesten Sohn, Tomaso Santucci, Simon Pietro Frediani und den Doctor Grimaldi.

Zwei Jahre leiteten die Fünf die Angelegenheiten des Landes und den Krieg gegen die Republik, aber es machte sich das Bedürfniß fühlbar die Kräfte aller in einer einzigen starken Hand zu vereinigen, und deshalb berief man einen Mann, welcher bestimmt war nicht allein der Ruhm seines Volkes, sondern auch eine Zierde der Menschheit zu werden.


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