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Die Ostküste.
Die Ufer längs der Ostküste Bonifacio's sind ganz öde. Die Straße führt am Golf Santa Manza vorüber nach Porto Vecchio, welches man in drei Stunden erreicht. Dort liegt bei dem Ort Sotta die Ruine des alten Herrenschlosses Campana, und erzählt eine seltsame Sage. In grauen Zeiten hauste hier Ors' Alamanno, der deutsche Bär. Auf seine Vasallen hatte er das fürchterliche Herrenrecht der ersten Nacht (jus primae noctis) gelegt. So jemand ein Weib nahm, mußte er dasselbe in das Schloß führen, daß der deutsche Bär ihrer ersten Nacht genieße, und außerdem mußte er dem Orso das schönste Pferd in den Stall führen, daß er darauf reite. Wie nun die Jahre kamen und gingen, ward die Kammer des Bären nicht leer und sein Stall war voll. Da wollte ein junger Mensch Probetta eine schöne Jungfrau heimführen. Probetta war ein wilder Reiter und konnte geschickt den Lasso werfen. Er steckte heimlich die Schlinge unter den Rock, setzte sich auf ein schmuckes Pferd und ritt vor das Herrenschloß, denn er wollte dem Orso das Thier vorreiten, damit er sähe, wie es gar stattlich sei. Der deutsche Bär kam aus dem Tor und lachte vor Freude, daß er die schönste Jungfrau küssen und das schönste Pferd reiten werde. Wie er nun lachend dastand und dem Probetta zuschaute, jagte der plötzlich vorüber und hatte er dem Orso den Lasso umgeworfen, und jagte wie der Sturm den Berg hinunter und schleifte den Orso über das Gestein. Das Herrenschloß zerstörten sie, den deutschen Bären verscharrten sie an einem dunkeln Ort. Nach einem Jahr aber dachte Einer, was wol aus dem todten Orso geworden sei, und sie liefen eilig an die Stelle, wo sie ihn vergraben hatten, und scharrten sie auf. Da kam eine Fliege herausgeflogen. Die Fliege flog in alle Häuser und stach alle Weiber, und sie wurde immer größer und größer, und am Ende war sie so groß geworden wie ein Ochs und stach alles in der ganzen Gegend. Da wußte man nicht, wie man die Ochs-Fliege los werden könne. Aber Einer sagte, in Pisa seien die Wunderdoctoren, die könnten allerlei Dinge wegcuriren. Da gingen sie nach Pisa und holten einen Wunderdoctor, der allerlei Dinge wegcuriren konnte.
Wie der Doctor die große Fliege sah, fing er an Pflaster zu schmieren, und schmierte 6000 spanische Fliegenpflaster und drehte 100000 Pillen. Die 6000 Fliegenpflaster aber legte er der Fliege auf und gab ihr die 100000 Pillen zu schlucken. Darnach wurde die Fliege immer kleiner und kleiner, und wie sie so klein geworden war wie eine rechte Fliege, da starb sie. Da nahmen sie eine große Bahre und deckten sie mit einem schneeweißen Lailachen zu, und auf das Lailachen legten sie den Leichnam der Fliege; und alle Weiber kamen zusammen, zerrauften sich die Haare und weinten bitterlich, daß eine so muntere Fliege gestorben sei, und zwölf Männer trugen die Fliege auf der Bahre nach dem Kirchhof und gaben ihr ein christlich Begräbniß. Darnach waren sie von dem Unheil erlöst.
Diese schöne Sage habe ich dem corsischen Chronisten nacherzählt bis auf den Wunderdoctor, welchen er aus Pisa kommen läßt und der die Ochs-Fliege einfach tödtet. Das andere habe ich zugesetzt.
Porto Vecchio ist ein kleiner ummauerter Ort von etwa 2000 Einwohnern, am Golf gleiches Namens, dem einzigen an der ganzen Ostküste. Er ist groß und herrlich und könnte von Wichtigkeit werden, weil er dem Festland Italiens gegenüber liegt. Die Genuesen legten Porto Vecchio an, um die Saracenen von diesen Küsten abzuwehren. Sie gaben den Colonisten viele Freiheiten, sie zur Niederlassung zu bewegen. Weil aber die Gegend durch die vielen Sümpfe ungesund ist, wurde Porto Vecchio dreimal verlassen und verödete. Auch heute ist der ganze Canton einer der am wenigsten bevölkerten Corsica's; er wird hauptsächlich nur von Hirschen und Wildschweinen bewohnt. Doch ist das Land sehr fruchtbar, die Umgegend Porto Vecchio's reich an Oliven und Wein; die Stadt selbst ist auf Porphyrfelsen gebaut, welche zu Tage stehen. Ich fand sie fast verödet, da es August war, und die halbe Einwohnerschaft sich in die Berge geflüchtet hatte.
Nördlich vom schönen Golfe zieht sich die Küste in gleicher Linie aufwärts, und noch hat man den Gebirgszug nahe zur Linken, bis er in der Gegend von Salenzara in das Innere zurückweicht und die großen Ebenen freiläßt, welche der Ostküste Corsica's ein von der Westküste so verschiedenes Ansehn geben. Der ganze Westen der Insel ist eine fortgesetzte Bildung von parallelen Tälern; die Gebirgszüge steigen dort ins Meer, endigen in Caps und umragen die prächtigen Golfe. – Der Osten hat nicht diese vortretende Talbildung, das Land verliert sich hier in Niederungen. Der Westen Corsica's ist romantisch und großartig, der Osten sanft und melancholisch. Das Auge schweift hier über stundenweite Ebnen, Ortschaften, Menschen, Leben suchend, und entdeckt nichts als Haiden mit wildem Gesträuch und Sümpfe und Teiche, die sich neben dem Meer hinziehn und das Land mit Traurigkeit erfüllen.
Die immer ebene Straße führt fast eine Tagereise weit von Porto Vecchio bis zu dem alten Aleria. Das Gras wächst auf ihr Fuß hoch. Man fürchtet sie Sommers zu befahren. Auf der langen Fahrt begegnete ich keiner lebenden Seele. Man trifft keine einzige Ortschaft an, nur hie und da sieht man weit in den Bergen ein Dorf. Nur am Meeresufer stehn einzelne verlassene Häuser an solchen Stellen, welche einen kleinen Port haben, eine Cala oder Landungspunkt, wie Porto Favone, wohin die alte Römerstraße führte, Fantea, Cala di Tarco, Cala de Canelle, Cala de Coro, welches heißen soll Cala Moro, Maurenlandung. Auch hier stehen einzelne genuesische Wachttürme.
Alle jene Häuser waren verlassen, ihre Fenster und Thüren geschlossen, denn die Luft ist böse auf der ganzen Küste. Der arme Lucchese verrichtet hier die geringe Feldarbeit für den Corsen, der sich von den Bergen nicht herabwagt. Ich habe indeß von der bösartigen Luft nichts gelitten, aber zur Vorsicht folgte ich meinem Reisegefährten und schnupfte Kampfer, was ein gutes Vorsichtmittel sein soll.
Mit dürftigstem Reisevorrat versehn überfiel uns jählings der Hunger und verfolgte uns diesen und den halben folgenden Tag, denn nirgend trafen wir ein offnes Haus noch eine Wirtschaft. Der Fußwanderer müßte hier verschmachten, oder er würde gezwungen sein, sich in die Berge hinaufzuflüchten, und stundenlang umzuirren, bis ihn ein Pfad zu einer Hirtencapanne führt. Es ist eine Strada morta.
Wir fuhren über den Taravofluß. Von dort beginnt die Reihe von Teichen mit dem langen schmalen Stagno di Palo. Es folgen der Stagno di Graduggine, der Teich von Urbino, der Siglione, der Stagno del Sale und der schöne Teich der Diana, welcher seinen Namen noch von Römerzeiten her behalten hat. Nehrungen trennen diese fischwimmelnden Teiche vom Meer, doch haben die meisten eine Einmündung. Ihre Fische sind berühmt. Es sind große fette Aale und mächtige Ragnole. Man fängt sie in Binsenreusen.
Vom Taravo an erstreckt sich weit nach Norden die herrlichste Ebene, das Fiumorbo oder der Canton Prunelli. Von Flüssen durchlaufen, von Teichen und vom Meer begrenzt, gleicht sie aus der Ferne gesehn einem endlosen, üppigen Garten am Seestrande. Aber kaum ist ein Ackerland zu entdecken, das Farrenkrant bedeckt unabsehbare Flächen. Es ist unerklärlich, daß die französische Regierung diese Gegenden nicht bebaut. Hier würden Colonien sicherer gedeihen als in dem Menschen und Geld verschlingenden Sande Africa's. Hier ist Raum für zwei volkreiche Städte von mindestens 50000 Einwohnern. Colonien von fleißigen Ackerbauern und Handwerkern würden die ganze Ebne in einen Garten verwandeln. Canäle würden die Sümpfe tilgen und die Luft gesund machen. Es gibt keinen herrlicheren Strich Landes in Corsica und keinen der ergiebigeren Boden hätte. Das Clima ist sonniger als das des südlichen Toscana, es würde auch das Zuckerrohr pflegen, und das Getreide müßte hundertfältig tragen. Nur durch solche Mittel, welche den Wetteifer in den Erzeugnissen mit den Bedürfnissen steigern, würde man auch jene Bergcorsen zwingen, aus ihren schwarzen Dörfern in die Ebne herabzukommen und den Acker zu bebauen. Die Natur bietet hier alles in reichster Fülle, was ein großes Industrieleben schaffen kann; die Berge sind Schatzkammern edlen Gesteins, die Wälder geben Pinien, Lärchenbäume, Eichen; es fehlt selbst nicht an verschickbaren Heilquellen; die Ebne gibt Feldfrucht und Nahrung für den reichsten Viehstand, und die unmittelbare Verbindung von Gebirg, Niederung und dem fischreichsten Meer läßt nichts zu wünschen übrig.
Wie die Küste nun heute ist, paßt auf sie schlagend das Bild, welches Homer von dem Strand der Cyklopeninsel entwirft:
Drin ja strecken sich Auen am Strand des graulichen Meeres, Saftreich, schwellend von Gras, wo der fröhlichste Wein sich erhübe. Drin ist lockerer Grund, wo wuchernde Saaten beständig Reiften zur Erndte; denn fett ist unten das Erdreich. Drin auch die sicherste Bucht, wo nie man brauchet der Fessel. |
Als ich diese schöne Ebne sah mußte ich den richtigen Blick der alten Römer preisen, welche ihre einzigen Pflanzstädte in Corsica gerade hier anlegten.