Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Zweites Kapitel.

Von Brando nach Luri.

Wohin doch hier durch die Berghöh'n
wanderst du einsam,
Ganz unkundig der Gegend?
Odyssee.

Nun stieg ich nach Erba Lunga hinab, einem schon ziemlich lebhaften Strandort, von dessen Hafen jeden Tag Fischerbarken nach Bastia auslaufen. Die entsetzliche Hitze zwang mich dort einige Stunden zu rasten.

Hier war einst der Sitz der mächtigsten Signoren des Cap Corso, und da steht über Erba Lunga das alte Schloß der Gentili. Mächtig ragen noch seine schwarzen Mauern von einem Felsenberge. Die Gentili herrschten über das Cap Corso neben den da Mare. Den da Mare gehörte auch die ganz nahe liegende Insel Capraja, welche von den gewaltthätigen Herren sehr bedrückt im Jahre 1507 ihnen sich durch einen Aufstand entzog, und unter die Bank Genua's sich stellte. Immer stand das Cap Corso schon seiner Lage wegen im Ruf genuesischer Gesinnung und seine Bewohner galten als unkriegerisch. Auch heute noch sehen die Bergcorsen auf das milde und rührige Völkchen der Halbinsel mit Geringschätzung herab. Der Geschichtschreiber Filippini sagt von den Capcorsen: »Die Einwohner des Cap Corso kleiden sich gut und sind wegen ihres Handels und der Nachbarschaft des Festlandes viel häuslicher als die anderen Corsen. Unter ihnen herrscht große Rechtlichkeit und große Treue. Ihre Industrie besteht allein in Wein, welchen sie nach dem Festlande ausführen.« Schon zur Zeit Filippini's war der Wein vom Cap Corso berühmt und meistens von weißer Farbe. Den besten Ruf hat der von Luri und von Rogliano; er gehört zu den trefflichsten Sorten, welche Südeuropa hervorbringt und gleicht dem Spanier, dem Cyper und Syracuser. Doch ist das Cap Corso auch reich an Orangen und an Limonen.

Wandert man in diesen Höhen weiter, den Meeresstrand verlassend, so sieht man wenig von den Reizen des schönen Landes, denn diese liegen versteckt in den Tälern. Das ganze Cap Corso ist ein System von solchen Tälern nach beiden Seiten des Meeres zu. Aber die Berge selbst sind rauh und schattenlos, ihr Gebüsch schützt nicht vor der Sonne. Kalkgestein, Serpentin, Talkschiefer, Porphyre zeigen sich. Spät am Abend gelangte ich nach einer mühsamen Wanderung in das Tal von Sisco. Ein Paesane hatte mir dort Gastfreundschaft zugesagt, und solcher Aussicht froh stieg ich ins Tal hinab. Aber welches war hier die Commune von Sisco? Rings um standen am Fuß der Berge und höher hinaus mehre kleine schwarze Dörfer, welche alle unter dem Namen Sisco begriffen werden. Dies ist corsische Art, daß man alle Ortschaften eines Tals mit dem einen Namen der Pieve nennt, obwol jede ihren besondern führt. Ich ging auf das nächste Dorf zu, wo ein altes Kloster unter Pinien mich anzog. Aber ich täuschte mich, und noch eine Stunde mußte ich steigen, bis ich endlich den Gastfreund in Sisco erreichte. Malerisch lag das kleine Dorf unter wilden und schwarzen Felsen, von einem wütenden Wasser durchschäumt, vom Berge Stello überragt.

Meines Gastfreundes Haus war wohnlich und eine junge Wirtschaft. Corsen kamen gerade mit ihren Flinten von den Bergen und es gab eine kleine Gesellschaft von Landleuten. Die Frauen nahmen daran nicht Teil; sie rüsteten nur das Mal, bedienten, verschwanden. Der Abend wurde verplaudert. Die Menschen in Sisco sind arm, aber gastlich und freundlich. Mit der morgenden Sonne weckte mich mein Wirt; er geleitete mich vor sein Haus und übergab mich dann einem Greise, welcher mich durch die labyrinthischen Bergpfade auf den rechten Weg nach Crosciano führen sollte. Mit mir hatte ich einige Gastbriefe für andere Dörfer des Caps, ein Corse hatte sie mir Abends übergeben. Dies ist die preiswürdige Sitte in Corsica: der Gastfreund gibt seinem scheidenden Gast noch einen Brief auf die Reise an Verwandte oder Freunde, welche ihn dann ebenfalls gastlich aufnehmen und wiederum mit einem Briefe an Andere entlassen. So kann man Tage lang zu Gast gehen und ist überall hoch gehalten. Weil es fast in keinem Ort Gasthäuser gibt, wäre das Reisen ohne dies kaum möglich.

Sisco hat eine der heiligen Catharina geweihte Kirche, welche ein Wallfahrtsort ist. Sie liegt hoch am Ufer. Einst war ein fremdes Schiff an diesen Strand verschlagen worden und hatte für seine Rettung Reliquien in die Kirche gelobt, welche das Schiffsvolk wirklich weihte. Es sind gar seltne Dinge, und die Leute in Sisco können sich etwas zu Gute darauf thun, so schöne Sachen zu besitzen, als da sind ein Stück von dem Erdenkloß, woraus Adam modellirt worden ist, ein paar Mandeln aus dem Paradiese, Aarons grünender Stab, Wüstenmanna, ein Stück Fell von Johannes dem Täufer, Splitter von der Wiege Christi, ein Stück Rohr Christi, und die berühmte Rute, mit welcher Moses das rote Meer auseinander geschlagen hat.

Der schönen Ansichten gibt es manche in den Bergen Sisco's und immer anmutiger wird das Land, je weiter nach Norden. Ich ging durch viele Orte: Crosciano, Pietra Corbara, Cagnano, an dem Abhange des Monte Alticcioni hin; aber ich fand auch die ärmlichsten Dörfer, in denen selbst der Wein ausgegangen war. Da ich im Hause meines Gastfreundes ein Frühbrod ausgeschlagen hatte, um nicht die guten Leute mit der Sonne in die Küche zu treiben, und es nun Mittag werden wollte, so begann mich der Hunger zu quälen. Weder Feigen noch Wallnüsse am Wege – da beschloß ich denn, im nächsten Ort um jeden Preis meinen Hunger zu stillen. In dreien Häusern hatten sie nichts, nicht Wein, nicht Brod; es war all' ausgegangen. Im vierten hörte ich die Citer schlagen. Zwei Greise in zerlumpten Kitteln saßen hier, der eine auf dem Lager, der andere auf einem Schemel. Der auf dem Lager saß, hielt die Cetera im Arm, sah nachdenklich vor sich hin und spielte. Vielleicht dachte er an seine entschwundene Jugend. Der Alte that eine hölzerne Lade auf, holte ein halbes Brod heraus, welches sorgsam in ein Tuch gewickelt war, und reichte es mir, daß ich mir davon schneiden sollte. Dann setzte er sich wieder auf das Lager, schlug die Citer und sang ein trauriges Lied. Ich aß dazu das Brod der bittersten Armut, und mir war es, als wäre ich zu dem alten Harfner aus dem Wilhelm Meister gekommen, welcher mir das Lied vorsang:

Wer nie sein Brod mit Thränen aß,
Wer nie die kummervollen Nächte
Auf seinem Bette weinend saß,
Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte.

Weiß Gott, wie Goethe nach Corsica kommt, aber das ist nun schon der zweite Goethe'sche Mensch, den ich auf diesem wilden Cap angetroffen habe.

Also ward mein Hunger mehr als gestillt, und ich wanderte wieder weiter. Wie ich in das Tal Luri nieder stieg, war die Gegend um mich her zu einem Paradiese geworden. Luri ist das reizendste Tal im Cap Corso und auch das größte, obwol es nur zehn Kilometer Länge und fünf Kilometer Breite hat. Nach der Landseite zu schließen es schöne Berge, auf deren höchstem Gipfel einsam ein schwarzer Turm steht. Dies ist der Turm des Seneca, so genannt, weil nach der Volkssage Seneca auf ihm die acht Jahre seiner Verbannung zubrachte. Nach dem Meere zu verläuft das Tal sanft bis zur Marina von Luri. Ein reiches Bergwasser durchströmt es und ist in Canälen durch die Gärten geleitet. Hier liegen die Communen, welche die Pieve Luri bilden, reich und wohnlich aussehend mit schlanken Kirchen, Klöstern und Türmen, in einer Vegetation von der südlichsten Fülle. Ich sah manches herrliche Tal in Italien, doch erinnere ich mich nicht an eines, welches mir einen so lachenden, so wonnesamen Anblick gewährt hätte, als dieses von Luri. Ganz ist es voll vom Segen der Weinberge, bedeckt mit Orangen und Limonen, mit Fruchtbäumen jeder Art, reich an Melonen und Gartengewächsen, und je höher man hinauf steigt, desto dichter werden die Haine von Castanien und Nußbäumen, von Feigen, Mandeln und Olivenbäumen.


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