Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Als Pasquale die corsische Republik ordnete, ging er von den einfachen Grundsätzen aus, daß das Volk die alleinige Quelle der Macht und der Gesetze sei, und daß diese nur den Zweck haben, dessen Wol auszusprechen und zu erhalten. Als er die Form der Regierung regelte war sein Gedanke der: daß sie eine Art nationaler Jury bilden sollte, in eben so viele Zweige untergeordnet als es Zweige der Verwaltung oder des Rechtes gab, und daß die Verwaltung einem Hause von Krystall gleichen müsse, worin jeder sehen könne was vor sich geht; denn das geheimnißvolle Dunkel begünstige die Willkürherrschaft und ernähre das Mißtrauen.
Er nahm zur Grundlage seiner Staatseinrichtung jene volkstümliche Gemeindeordnung der Terra del Commune, mit ihren Bürgermeistern und Vätern der Gemeine.
Alle über 25 Jahre alten Bürger der Gemeine waren Wähler zur Generalversammlung (consulta). Sie vereinigten sich unter dem Vorsitz des Podestà des Ortes und schworen zuvor nur solche Männer zu wählen, welche sie für die Würdigsten hielten.
Auf je 1000 Seelen kam ein Vertreter zur Generalversammlung.
Diese selbst besaß die Herrschaft im Namen des Volks. Sie bildete sich aus den Abgeordneten der Communen, denen der Geistlichkeit und den Vorstehern der Provinzialbehörden. Sie bestimmte die Abgaben, entschied über Krieg und Frieden und gab Gesetze. Eine Mehrheit von zwei Dritteln machte die Beschlüsse gesetzeskräftig.
Aus der Generalversammlung ging der oberste Staatsrat (consiglio supremo) hervor, eine Körperschaft von Neunmännern, darstellend die 9 freien Provinzen Corsica's: Nebbio, Casinca, Balagna, Campoloro, Orezza, Ornano, Rogna, Vico und Cinarca. Der Staatsrat war die ausübende Behörde, er berief die Generalversammlung, vertrat sie in politischen Angelegenheiten, ordnete die öffentlichen Arbeiten und wachte über die Sicherheit des Landes. Er hatte auch das Recht in den wichtigsten Fällen die höchste Instanz zu sein, und ein Veto gegen die Beschlüsse der Generalversammlung bis zu einer neuen Beratung einzulegen. Sein Präsident war der General des Volks; ohne den Beirat der Staatsräte konnte er nichts vollziehen..
Beide Gewalten, Präsident und Staatsrat, waren verantwortlich und konnten durch Volksbeschluß entsetzt und gestraft werden. Die Staatsräte wurden überdies von der Generalversammlung selbst und auf ein Jahr ernannt, mußten über 35 Jahre alt und bereits Präsidenten der Provinz gewesen sein. Ebenso ernannte die Generalversammlung die fünf Syndici oder Censoren.
Der Syndicat war eine Behörde, welche die Provinzen bereiste, um die Klagen des Volks gegen Verwaltung oder Rechtspflege zu vernehmen und vollgültige Entscheide zu treffen, welche der General nicht umstoßen durfte. Dieser ernannte alle Verwaltungsbeamte und die Steuereinnehmer, welche wiederum der Censur der Fünfmänner unterworfen waren.
Die Justiz war in folgender Weise geordnet. Jeder Podestà konnte Fälle entscheiden bis zum Betrag von zehn Lire; weiter hinauf bis zu dreißig Lire mußte er die beiden Gemeinväter zuziehen. Was dreißig Lire überstieg, gehörte vor das Tribunal der Provinz, eine Behörde mit einem Präsidenten und zwei Assessoren, welche die Generalversammlung ernannte, und einem Fiscaladvokaten, welchen der Staatsrat ernannte. Das Tribunal der Provinz wechselte jedes Jahr.
Von ihm konnte man an die Rota civile appelliren, eine höchste Behörde von drei Doctoren des Rechts, welche auf Lebenszeit ernannt waren. Dieselben Tribunale übten auch die Criminaljustiz mit jedesmaliger Zuziehung von sechs Familienvätern, welche die That aus dem Zeugenverhör zu ermitteln, das Schuldig oder Nichtschuldig zu sprechen hatten.
Die Mitglieder des Staatsrates, des Syndicats, der Tribunale der Provinzen durften erst nach zwei Jahren wieder gewählt werden. Ebenso wechselten alljährlich die Podestà und Väter der Gemeine, welche von den Bürgern des Orts, die über 25 Jahre alt waren, jedes Jahr in der Versammlung auf dem Kirchenplatz gewählt wurden.
In dringenden Fällen, bei Empörung und Tumult auf irgend einem Punkt der Insel, hatte der General die Gewalt, eine vorübergehende dictatorische Behörde für den betreffenden Ort zu ernennen, die Giunta des Kriegs (giunta di osservazione o di guerra) genannt. Sie bestand aus drei oder mehr Mitgliedern mit einem Staatsrat an der Spitze; und mit unbedingter Macht einzuschreiten, zu strafen, war dieser augenblickliche Gerichtshof schrecklich genug. Man nannte ihn im Volk die giustizia Paolina. War seine Sendung erfüllt, so legte er vor den Censoren Rechenschaft ab.
Dies sind die Grundzüge der Gesetzgebung Paoli's und der corsischen Republik. Sieht man auf ihre leitenden Ideen, Selbstregierung des Volks, gesetzlich geregelte Freiheit des Bürgers, Teilnahme am Staatsleben, Oeffentlichkeit und Einfachheit der Verwaltung, volkstümliche Gerichte; so muß man wol gestehn, daß der Staat der Corsen menschlicher eingerichtet war, als jeder andere desselben Jahrhunderts. Sieht man endlich auf die Zeit seines Entstehns, welche dem Staat des großen Washington und den Gesetzgebungen der Franzosen um Jahrzehnte voranging, so gebührt Pasquale Paoli und seinem Volk noch mehr Bewunderung.
Einem stehenden Soldatenwesen war Paoli Feind. Er selber sagte: »In einem Lande, welches frei sein will, muß jeder Bürger Soldat sein und sich immer bereit halten für die Verteidigung seiner Rechte sich zu bewaffnen. Die disciplinirten Truppen leisten mehr für den Despotismus als für die Freiheit. Rom hörte an dem Tage auf, frei zu sein, an welchem es bezahlte Soldaten hatte, und die unbezwinglichen Phalangen Sparta's waren aus dem Aufgebot der Massen gebildet. – Endlich sobald es eine stehende Armee gibt, bildet sich ein Kastengeist; man spricht von der Tapferkeit dieses Regiments, dieser Companie; das sind ernstere Uebel als man denkt, und es ist gut, sie so viel als möglich zu vermeiden. Man muß von der Entschlossenheit reden, welche diese Commune, von der Selbstaufopferung, welche die Glieder dieser Familie, von der Tapferkeit, welche diese Bürger bewiesen haben; auf solche Art erweckt man den Eifer bei einem freien Volk. Wenn unsre Sitten so sein werden, wie sie sein sollen, so wird unser ganzes Volk eine Miliz und unbesiegbar sein.«
Nur notgedrungen gab Paoli so weit nach, daß man eine kleine Zahl stehender Truppen schuf, um die festen Orte zu besetzen. Es waren zwei Regimenter zu vierhundert Mann, befehligt von Jacopo Baldassari und Tito Buttafuoco. Jede Companie hatte zwei Capitäne und zwei Leutnants. Französische, preußische und schweizerische Officiere übten sie ein. Jeder Soldat war bewaffnet mit einer Bajonetflinte, mit einem Paar Pistolen und einem Dolch. Die Kleidung war das schwarze Wollentuch des Landes; den Officier zeichnete allein dies aus, daß er eine Tresse am Rockkragen trug, und daß seiner Flinte das Bajonet fehlte. Alle hatten Mützen von corsischem Eberfell und lange Gamaschen von Kalbleder bis zum Knie. Man rühmte die guten Dienste, welche diese beiden Regimenter leisteten.
Die Miliz oder die Volksbewaffnung war folgender Art eingerichtet. Alle Corsen von 16 bis zu 60 Jahren waren Soldaten. Jede Commune hatte eine, oder je nach ihrer Größe mehre Companien aufzustellen, deren Officiere sie selbst wählte. Jede Pieve wiederum bildete ein Lager unter einem Obersten, welchen der General ernannte. Die gesammte Miliz war in drei Aufgebote geteilt, von denen jedes fünfzehn Tage lang eintrat. Als Regel galt, die Sippschaften zusammenzustellen, so daß die Soldaten einer Companie meist Blutsfreunde waren. Die in den festen Plätzen lagen, bekamen jährlichen Sold, die Anderen nur so lange sie im Felde waren. Die Dörfer gaben das Brod.
Alle Staatsausgaben bestritten sich aus den zwei Liren Abgabe für jede Familie und aus den Gefällen vom Salz, der Corallenfischerei und anderen Steuern.
Nichts was eines Volkes Wol begründen und mehren kann, übersah Paoli. Dem Ackerbau widmete er große Sorgfalt; jährlich ernannte die Generalversammlung zwei Abgeordnete für jede Provinz, welche ihn zu pflegen hatten. Man pflanzte den Oelbaum, die Castanie, den Mais; man entwarf Plane, Sümpfe auszutrocknen, Wege zu bahnen. Merkwürdige Lage der Dinge! Mit der einen Hand wehrte damals der Corse seinen Feind ab, mit der andern streute er Pflanzensamen in seine Erde.
Auch die Wissenschaft, aller Freiheit und alles Glückes höchste Gewähr und edelste Vollendung, suchte Paoli seinem Volk zu geben. Die eisernen Zeiten hatten sie nicht aufkommen lassen. Die Corsen waren Naturkinder geblieben, unwissend doch reich an Mutterwitz. Genua, so sagt man, hatte das Schulwesen mit Absicht vernachlässigt. Nun sah man unter dem Regiment Paoli's überall Volksschulen entstehen, und die corsischen Geistlichen, tapfere und freie Männer, beeiferten sich, die Jugend zu unterweisen. In Corte wurde eine Druckerei geschaffen, aus welcher nur dem Unterricht und der Volksaufklärung gewidmete Bücher hervorgingen. Die Kinder fanden darin geschrieben, daß die Liebe zum Vaterland die höchste Tugend eines edlen Mannes sei, und daß alle diejenigen, welche im Kampf für die Freiheit gefallen, im Himmel ihren Sitz bekommen hätten unter den Heiligen.
Am 3. Januar 1765 eröffnete Paoli die corsische Universität in Corte. Man lehrte auf ihr Theologie, Philosophie, Mathematik, das Recht, die Humanitätswissenschaften. Medicin und Chirurgie wurden ausgesetzt, bis man im Stande sein würde, die nötigen Instrumente anzuschaffen. Alle Professoren waren Corsen, die ersten: Guelfucci von Belgodere, Stefani von Venaco, Mariani von Corbara, Grimaldi von Campoloro, Ferdinandi von Brando, Vincenti von Santa Lucia. Arme Schüler wurden auf Kosten des Volks verpflegt. Am Ende eines jeden Cursus wurde eine feierliche Prüfung in Gegenwart der Mitglieder der Generalversammlung und der Regierung abgehalten. Die Anwesenheit der edelsten Bürger erhöhte den Tadel wie das Lob. Vor ihren Augen wußte sich diese Jugend als die junge Landesbürgerschaft angesehn, welche über kurz oder lang an dem Werk der Befreiung des Vaterlandes mit zu arbeiten berufen war. So aufwachsend mitten in den Kämpfen des eignen Volks, unter den stürmischen Ereignissen selbst, hatte sie das eine hohe Ideal fest und wirklich vor Augen. Welcher Geist daher in dieser Jugend wehte, ist leicht zu erkennen, und mag ihn das folgende Bruchstück einer der Reden beweisen, die nach der öffentlichen Prüfung irgend ein Schüler der Rhetorik im Beisein der Abgeordneten und Väter des Landes zu halten pflegte. Ein Schüler sprach vor ihnen und vor Paoli:
»Die Nationen, welche nach der Freiheit gestrebt haben, haben große Wechselfälle erlitten; es gab unter ihnen weniger mächtige und weniger tapfere als die unsrige ist. Dennoch haben sie mit Beharrlichkeit am Ende alle Schwierigkeiten überwunden. Wenn man die Freiheit durch bloße Reden gewönne, so wäre alle Welt frei. Aber es bedarf dazu einer unerschütterlichen Standhaftigkeit, welche über alle Hindernisse hinausgeht, und weil diese Tugend unter Menschen selten ist, so hat man diejenigen immer als Halbgötter angesehn. welche davon Zeugniß gaben. Gewiß, die Vorrechte und die Lage eines freien Volkes sind zu unschätzbar, als daß man sie ihrer Wichtigkeit gemäß auseinander setzen könnte. Doch ist genug gesagt, wenn man sich erinnert, daß sie die Bewunderung der größten Menschen erregten. Was uns betrifft, so gefalle es dem Himmel, daß er uns dem Lauf unserer Geschicke folgen lasse. Aber unser Volk, dessen Herz größer ist, als sein Glück, obwol arm und in ein grobes Gewand gehüllt, ist ein Vorwurf für das ganze unter der Last schwerer Ketten träge gewordene Europa, und man fühlt die Notwendigkeit, uns unser Dasein zu rauben.
»Tapfere Landsleute, der verhängnißvolle Augenblick ist da. Der Sturm braust schon über unsern Häuptern, von allen Seiten drohen uns die Gefahren; laßt uns wissen, wie wir uns über den Verhältnissen erhalten und uns mit der Zahl unsrer Feinde vergrößern; es handelt sich um die Verteidigung unseres Namens, unserer Freiheit, unserer Ehre. Umsonst würden wir bis auf den heutigen Tag heroische Gefühle gezeigt haben, umsonst würden unsre Vorfahren Ströme von Blut vergossen und unerhörte Leiden erduldet haben. Wenn wir schwach werden, ist alles verloren ohne Rückkehr. Wir schwach werden! Erhabene Schatten unserer Väter, ihr, die ihr so viel gethan habt, um uns die Freiheit zu hinterlassen als das reichste Erbe, fürchtet nicht, daß wir euch ob eurer Opfer werden erröten machen. Nein, niemals! Eure Enkel werden in allem euer Beispiel nachahmen, entschlossen, wie sie sind, frei zu leben oder zu sterben, kämpfend für die Verteidigung ihr unverletzlichen und heiligen Rechte. Wir können uns nicht entschließen, zu glauben, daß der König von Frankreich die Partei unsrer Feinde ergreifend seine Waffen gegen unser Land richte: nein, ein Ereigniß dieser Natur darf nicht Statt haben. Aber wenn es doch in dem erznen Buche geschrieben steht, daß der mächtigste Monarch der Erde eins der kleinsten Völker Europa's bekämpfen soll, so haben wir noch einen gerechten Grund, stolz zu sein, denn wir sind sicher entweder frei für immer und ruhmvoll zu leben, oder unsern Fall unsterblich zu machen. Mögen diejenigen, welche sich einer solchen Tugend nicht für fähig halten, nicht erschrecken: meine Worte richten sich nur an die wahren Corsen, deren Gefühle bekannt sind.
»Was uns betrifft, tapfere Jünglinge, keiner, ich schwöre es bei den Manen unsrer Väter! nein, keiner wird den zweiten Aufruf abwarten; es gilt im Angesicht der Welt zu zeigen, daß wir verdienen, tapfere genannt zu sein. Wenn die Fremden an unsern Küsten landen, bereit Schlachten zu schlagen, um die Ansprüche ihrer Verbündeten aufrecht zu halten, werden wir, die wir kämpfen für unsere eigene Wolfahrt, für das Wol unserer Enkel, für die Verteidigung unseres Vaterlandes, für die Aufrechthaltung der gerechten und großherzigen Entschlüsse unserer Väter, werden wir dann schwanken, allen Gefahren zu trotzen, unser Leben auszusetzen und dasselbe zu opfern? Tapfre Mitbürger, die Freiheit ist unser Ziel und was es von edlen Seelen in Europa gibt, sieht auf uns, nimmt Teil an uns, erhebt Wünsche für den Sieg unsrer Sache. Möge unsere Entschlossenheit die allgemeine Aufmerksamkeit überbieten, und mögen unsere Feinde, wie auch ihr Name sei, aus der Erfahrung lernen, daß die Eroberung Corsica's nicht so leicht sei als man denkt. Es gibt hier in diesem Lande freie Menschen und der freie Mann weiß zu sterben.«